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Einen Augenblick lang schien nichts zu geschehen. Die Schwärze im großen Bildschirm schien unverändert, desgleichen die Sterne, die das Firmament sprenkelten. Sogar das Zentralgestirn des Systems sah gleich aus. Es war ein besonders heller Stern in einem Meer von Diamanten, die über einen schwarzen Hintergrund verstreut waren. Lange Sekunden war es im Brückenraum still; nur das Summen der Ventilatoren und das Hintergrundgeräusch mächtiger Maschinen, die tief im Inneren des Rumpfes zum Leben erwachten, spürten diese Stille.

Nach kurzer Pause gingen von allen Teilen des Schiffes Meldungen ein. Zuerst meldeten die verschiedenen Abteilungen, dass sie den Transit ohne ungünstige Wirkungen überstanden hatten. Dann überfluteten Meldungen über die Auswertung der Sensorenergebnisse die Bordsprechanlage. Wo immer sie war, die TSNS Conqueror II war nicht mehr hoch über dem gelblichweißen Stern, der den Menschen als Eulysta bekannt war.

»Admiral, wir haben den Planeten ausgemacht. Alles scheint normal ... Admiral, überall um uns erscheinen Schiffe aus dem Faltraum. Das nächste ist die ASNS Discovery ...« Drake lächelte angesichts der Tatsache, dass sein altes Schiff aus dem Faltraum seinem neuen Kommando jetzt so nahe war. Er dachte daran, Rorqual Marchant, der jetzt die Discovery befehligte, eine persönliche Botschaft zu senden, entschied sich aber dagegen. Marchant hatte seine eigenen Probleme, und er gleichfalls. »Gruppe Merkur verlässt den Faltpunkt mit zehn g Beschleunigung. Sie nimmt Kurs auf den Faltpunkt Carratyl-Spica ... Nun haben wir den sandarischen Tanker Sansibar nahe über uns. Er kam eben weniger als zehntausend Kilometer entfernt zum Vorschein ...«

Gleichgültig wie präzise eine Flottenformation ist, wenn sie in einen Faltpunkt eintritt – ihre einzelnen Bestandteile verlassen ihn willkürlich verstreut. Dieses Phänomen hatte Angreifer (sowohl Ryall als auch Menschen) mehr als eine Schlacht gekostet, da es unmöglich war, nach einem Durchbruch eine zusammenhängende Formation aufrechtzuerhalten. Es war, als würde die Schicksalsgöttin es jedesmal auswürfeln, sobald ein Schiffskapitän den Befehl zum Transit gab.

Der Sprung nach Carratyl war keine Ausnahme. Schiffe, die im System Eulysta Zehntausende von Kilometern voneinander entfernt waren, konnten beinahe Seite an Seite im Faltpunkt hoch über Carratyl zum Vorschein kommen. Glücklicherweise enthielten Faltpunkte Millionen von Kubikkilometern leeren Raumes, und es hatte nie einen überlieferten Fall von zwei Schiffen gegeben, die am Ende eines Durchbruchs kollidiert wären. Drake hatte keine Lust, der erste Flottenbefehlshaber zu sein, dem dies widerfuhr, deshalb gab er, sobald der Schwall von Durchbruchsmeldungen nachließ, den Flottenbefehl an alle Schiffe, sich jenseits des Faltpunktes zu zerstreuen.

Es dauerte mehrere Sekunden, bis die Computer synchronisiert waren und Daten über die neuen Koordinaten der Kampfgruppe mit ihren mehr als hundert Mitgliedern austauschen konnten. Denn obwohl die Gefahr einer Kollision im Augenblick des Durchbruchs aus einem Faltpunkt sehr gering war, nahm sie dramatisch zu, sobald diese Schiffe sich in Bewegung setzten. Hundert Einheiten, die sich im begrenzten Raum eines Faltpunktes gleichzeitig unkoordiniert in Bewegung setzten, waren wie der Albtraum eines Verkehrspolizisten, allerdings in drei Dimensionen. Hinzu kam naturgemäß der Umstand, dass eine Minute nach ihrer Ankunft im Faltraum die achtundachtzig Schiffe der Kampfgruppe Avador ebenso unkoordiniert und willkürlich unter ihnen erscheinen würden. Ihnen würde weitere sechzig Sekunden später die Kampfgruppe Rylmar folgen. Sehr bald würde der Faltpunkt ein Gewimmel von beschleunigenden Kriegsschiffen und Tankern sein.

Als er beobachtete, dass die farbigen Echozeichen sich zielbewusst durch den dreidimensionalen Raum seiner Lagedarstellung bewegten, begann Drakes geübter Blick eine gewisse Ordnung im Chaos zu erkennen. Eine Minderheit der Echozeichen bewegte sich in Richtung Carratyl, während die meisten anderen in eine Bahn zu beschleunigen schienen, die rechtwinklig zum Zentralgestirn verlief. Die Ersteren waren die Kampfgruppe Carratyl, bestehend aus schweren und kampfstarken Einheiten unter Führung des Schlachtschiffes TSNS Achernar. Diese Kampfgruppe hatte den Auftrag, die auf einem Mond ausgebaute Festung der Ryall zu vernichten und den planetarischen Marinestützpunkt auszuschalten. Die übrigen Kampfgruppen der Flotte unter der Führung von Conqueror II umfassten die Hauptmacht der Flotte und folgten der bereits weit vorausgeeilten Gruppe Merkur.

»Admiral, alle Schiffe haben den Transit beendet. Alle melden Einsatzbereitschaft und formieren sich auf dem Weg zu ihren Zielen. Befehle, Sir?«

»Sagen Sie den Geschwadern der Kampfgruppe, dass sie sich um ihre Führung formieren und weiter nach Plan vorgehen. Gegenwärtig keine zusätzlichen Befehle.«

»Verstanden, Sir. Geschwader formieren sich um ihre Führer und gehen planmäßig vor. Gehe jetzt auf Sendung.«

Einstweilen seiner Pflichten entledigt, beobachtete Drake seine Lagedarstellung und die Bildschirme nach Anzeichen der Kampfgruppe Avador und Hinweisen, dass der Feind ihren Durchbruch möglicherweise erkannt hatte. Natürlich gab es von solchen Hinweisen noch nichts zu sehen. Es würde zwanzig Lichtminuten erfordern, bis ihre Ankunft auf dem Planeten bekannt werden konnte. Zwanzig Minuten, bis die Photonen und Schwerewellen den Planeten erreichten, und zwanzig Minuten, bevor die Photonen, die Reaktionen der Ryall melden konnten, zurückkehren würden.

Vierzig Minuten, dann würde im System Carratyl die Hölle los sein. Drake beschloss die Zeit produktiv zu nutzen. Wohl zum tausendsten Mal seit dem Eintritt der Flotte in den Antaresnebel überlegte er, was er vergessen haben könnte.

»Wir haben ein Problem, Lieutenant«, sagte die synthetisierte Stimme in Sean Parkers Kopfhörer.

»Was ist, Starky?«

»Bogey Sieben Delta wird vor uns den Faltpunkt erreichen.«

»Ich dachte, den hätten wir geschlagen.«

»So war es, Sir. Aber er hielt sich nicht an die übliche Methode. Er beschleunigt noch immer. Das bedeutet, dass er genug Treibstoff gespart hat, um am Faltpunkt die Notbremse zu ziehen. Wenn er nicht in sieben Minuten verlangsamt, wird er vor uns dort ankommen.«

Sean Parker nickte in seinem Beschleunigungstank. Es war ungefähr das Einzige, was die vielen Schläuche, an denen er hing, ihm erlaubten.

»Was sagt der Bordrechner über die maximale Beschleunigungsleistung des Bogey?«

»Er weiß es nicht genau, schätzt sie aber auf nicht mehr als fünf g . Das ist eine Schätzung, wie gesagt, da wir noch nicht feststellen konnten, was das verdammte Ding ist.«

»Gut. Wir werden von einem Bremsmanöver von fünf g ausgehen. Wie lang wird die Beschleunigung noch dauern?«

»Die Vermutung liegt bei weiteren zwei oder drei Stunden, Lieutenant. Dann wird der Bogey abschalten und sechs weitere Stunden und ohne Antrieb mit gleich bleibender Geschwindigkeit weiterfliegen, worauf die Gewaltbremsung folgt. Nach der Projektion des Rechners wird der Bogey den Faltpunkt eine volle Stunde vor uns erreichen.«

»Dann werden wir das verhindern müssen, nicht wahr?«

Die meisten Leute glauben, Krieg im Weltraum sei lediglich eine Erweiterung des Luftkrieges, wie er von Generationen von Jagdfliegern und Bomberpiloten praktiziert wurde. Nichts könnte irriger sein. Luftkrieg ist eine Sache von Aerodynamik, von Luft, die mit Überschallgeschwindigkeit an schnittigen Rümpfen und Flügeloberflächen vorbeirauscht, und vor allem davon, dass man »das spitze Ende am Wind hält.« Krieg im Weltraum ist eine Sache von Vektoren. Der Beschleunigungsvektor wird über Zeit integriert, um Geschwindigkeit zu erzeugen, die wiederum integriert wird, Position zu entwickeln. Die Orientierung der Kampfeinheit ist unabhängig von ihrer Flugbahn. Bei eingeschaltetem Antrieb ist die Kampfeinheit des Vakuums mit dem Beschleunigungsvektor ausgerichtet, und oft fliegt sie seitwärts oder sogar rückwärts, um einen Vorteil über einen Gegner zu gewinnen. Eine Jagd in der Atmosphäre ist im allgemeinen eine Sache von Jäger und Gejagtem, die beide mit Höchstgeschwindigkeit fliegen und dann sehen, wer der Schnellere ist. Im Raum liegen die Dinge komplizierter. Raumschiffe sind imstande, ohne Zeitverlust Lichtjahre zu überspringen, aber wenn sie im Transit zwischen Faltpunkten sind, gelten die zuerst von Isaac Newton postulierten Bewegungsgesetze. Eine typische Reise hat drei Teile: die Beschleunigung, das Dahintreiben und die Verlangsamung. Bogey Sieben Delta hatte die landwirtschaftliche Welt der Ryall vor mehr als einer Woche verlassen. Er beschleunigte zum Dreifachen der lokalen Fluchtgeschwindigkeit und schaltete dann die Triebwerke aus, um Treibstoff zu sparen. Vermutlich würde er in einer weiteren Woche abermals die Triebwerke einschalten und mit der gleichen Rate verlangsamen, mit der er zuerst beschleunigt hatte. Mit diesem Manöver würde das Ryallschiff innerhalb des Faltpunktes beinahe zum Stillstand kommen, worauf es den Transit vom System Carratyl zu dem großen Stern ausführen würde, der das Zentrum der Ryall-Hegemonie war.

Die Ankunft menschlicher Kriegsschiffe im Faltpunkt Eulysta/Carratyl änderte die Pläne von Bogey Sieben Delta, wie sie die Pläne von Dutzenden anderer Schiffe geändert hatte, die unterwegs von und nach Spica waren. Innerhalb weniger Minuten nach dem Erscheinen der Invasionsflotte reagierte jedes Schiff im Transitverkehr wie ein ängstliches Huhn im Visier eines Habichts. Die vom Faltpunkt ins Innere des Systems strebenden Schiffe beschleunigten zum Planeten, so schnell ihr Treibstoffvorrat es gestattete. Die meisten Schiffe, die den Planeten verlassen hatten, um Spica anzusteuern, machten kehrt und flohen zurück, ein Manöver, das ihre Treibstofftanks bei der Ankunft völlig entleert haben würde. Nur die wenigen, die dem Faltpunkt nahe genug waren, hatten eine Chance, den Eindringlingen zu entkommen und das System zu verlassen.

Zu ihrem Unglück hatten die Schiffmeister der Ryall nicht mit der enormen Geschwindigkeit der Gruppe Merkur gerechnet. Die meisten würden den Faltpunkt Stunden oder Tage zu spät erreichen. Und wenn Bogey Sieben Delta seinen Vorsprung nicht durch eine genau überlegte Taktik halten konnte, würde die Invasionsflotte auch dieses Wettrennen für sich entscheiden und jedes Entkommen aus dem System Carratyl verhindern.

Vorläufig aber war die Partie noch nicht gewonnen. Mochte der Ryall den Faltpunkt auch mit trockenen Tanks erreichen, würde er gleichwohl in der Lage sein, nach Spica durchzustoßen, wo er einen allgemeinen Alarm auslösen konnte. Es sei denn, Sean Parker tat etwas, um ihn aufzuhalten.

»Also gut, ich brauche jetzt die Frequenz der Gruppe Merkur

»Sie sind zu allen Schiffen der Gruppe durchgestellt, Lieutenant.«

»Hier spricht Parker an Bord der Climber ...«, begann er und erläuterte das Dilemma. Als er es getan hatte, sagte er:

»Geschwader Beta, bitte Treibstofflage melden. Wer hat am meisten im Tank?«

Als die Meldungen vorlagen, verglich er die Zahlen und traf eine Entscheidung. » Diablo, Sie werden unser Jagdhund sein. Fox und Evelyn, Sie treffen mit Diablo zusammen und geben je ein Viertel Ihres Treibstoffs ab. Behalten Sie gerade genug, um den Faltpunkt zu erreichen. Diablo, Sie werden Kurs halten und weiter beschleunigen, nachdem der Rest des Geschwaders drei Stunden ohne Antrieb treiben und dann verlangsamen wird. Sorgen Sie sich nicht wegen eines Halts im Faltpunkt, Elisa. Schießen Sie den Ryall im Flug ab, und sollten Sie während der Jagd allen Treibstoff verbrauchen, werden wir einen Tanker schicken, um Sie zu bergen.«

»Verstanden, Sir«, sagte Elisa Esperanza aus ihrem Beschleunigungsbehälter an Bord der Diablo. Ihre vom Computer simulierte Stimme war beinahe so musikalisch wie ihre echte. »Nun zum Rendezvous. Fox und Evelyn, steuern Sie Diablo an und koordinieren Sie Maschinenstopp, damit die Treibstoffübernahme mit dem geringsten Zeitverlust durchgeführt werden kann. Ich brauche jede Minute, die ich noch habe, um Bogey Sieben Delta vor dem Faltpunkt abzufangen.«

Parker beobachtete das komplizierte Manöver und sah mit Befriedigung, wie die drei Schiffe eine enge Formation bildeten und dann im gleichen Augenblick die Maschinen stoppten. Er konnte zwar nicht mehr sehen, als dass drei Echozeichen plötzlich ihre violetten Beschleunigungsvektoren verloren, und das Diagramm über seinem Helmvisier konnte nicht die ständigen Korrekturen der Steuerungstriebwerke zeigen, als die beiden Schwesterschiffe nacheinander an Elisa Esperanzas Diablo andockten, noch konnte er die Pumpengeräusche hören, als der verflüssigte Wasserstoff von einem Schiff zum anderen strömte, aber er konnte nicht ganz ohne Stolz feststellen, dass sein Plan in der ersten Phase seiner Ausführung funktionierte.

Während das Auftanken der Diablo andauerte, begann der Rest der Gruppe Merkur zu verlangsamen. Die drei mit unverminderter Geschwindigkeit treibenden Schiffe ließen das Gros der Gruppe rasch hinter sich zurück. Dann trennten sich die drei Echozeichen, und zwei von ihnen begannen gleichzeitig zu verlangsamen. Nur Diablo setzte den Flug mit weiter erhöhter Beschleunigung fort.

»Viel Glück, Elisa.«

»Danke, Sir. Wir werden den Faltpunkt für eure Ankunft sauber ausfegen.«

Lieutenant Elisa Esperanza war besorgt, aber nicht ängstlich. Was immer Bogey Sieben Delta war, es manövrierte wie ein Kriegsschiff. Das machte die Aufgabe nur interessanter. Später, nach getaner Arbeit, würde sie es mit der Angst bekommen.

Diablo war dem Rest des Geschwaders ein gutes Stück voraus, weil das Schiff stundenlang unter Beschleunigung flog, während das restliche Geschwader mit der ganzen Gruppe Merkur für den Faltpunkt verlangsamte. Die bewaffneten Aufklärer und Zerstörer waren nur noch eine kaum erkennbare Formation von Lichtpunkten im rückwärtigen Bildschirm, als Diablo ihr halsbrecherisches Rennen durch das System fortsetzte. Voraus und rasch anwachsend war die Beute auf dem Radarschirm, jetzt schon etwas mehr als ein bloßes Echozeichen. Das Schiff hatte seinen Kurs weit länger beibehalten als ursprünglich berechnet und gerade begonnen, mit sechs g für den Faltpunkt zu verlangsamen.

Maschinen mit dieser Leistung trieben normalerweise keine Erzfrachter oder Getreideschiffe an. Solche Manöver bedeuteten im Allgemeinen, dass das Schiff vor ihnen ein Kriegsschiff war.

»Was wird es sein, Cas?«

Sie konnte beinahe hören, wie Cas, der laufend die Eingaben der Sensoren kontrollierte, in seinem Tank die Achseln zuckte.

»Könnte von einem Kurier bis zum Schlachtschiff alles Mögliche sein, obwohl ich nach dem Spektrum des Verbrennungsausstoßes nicht glaube, dass wir es mit etwas Größerem als einem Zerstörer zu tun haben.«

»Fein. Dann ist er nur viermal so groß wie wir, statt vierzigmal! Wenigstens werden wir eine Überlebenschance haben, wenn wir auf Schussweite herankommen.«

»Wenn wir das schaffen, Elisa. Die Zeit wird knapp.«

Auf ihrem Bildschirm tickte ein Chronometer die Sekunden bis zu dem Augenblick herunter, wenn es an ihnen sein würde, mit der Verlangsamung zu beginnen. Elisa freute sich nicht darauf. Um den Bogey abzufangen, würden sie mit zwanzig g hineingehen und selbst dann nicht zur Fluchtgeschwindigkeit verlangsamen, bevor sie den Faltpunkt erreichten. Es würde auf einen schnellen Schuss und dann einen langen Flug in die Unendlichkeit hinauslaufen, es sei denn, ein Tanker holte sie ein.

Die Flüssigkeit, in der sie schwamm, würde ihr theoretisch Schutz bis zum Hundertfachen der Erdschwere bieten, doch hatte die Technologie noch nicht ganz die Wissenschaft eingeholt. In Wahrheit war die Leistungsfähigkeit der Maschinen von zwanzig g auch die physiologische Grenze der Besatzung und vielleicht sogar etwas mehr. Zwanzig g würden Schäden hinterlassen und zu vorzeitigen Alterserscheinungen führen – wie viel, konnte sie nicht erraten. Elisa fürchtete den Tod nicht. Ihre Schreckensvorstellungen kamen, wenn sie sich als eine gebrochene alte Frau von achtundzwanzig Jahren sah.

Doch Elisa dachte an den Ausspruch, den vor Zeiten ein Philosoph getan hatte: »Ohne Schneid kein Ruhm«, und so stählte sie ihren Mut für den bevorstehenden Einsatz und sagte: »Also zieht eure Socken hoch, Leute. Es geht los!«

Damit gab sie volle Kraft voraus. Innerhalb von Sekunden wurde ihr ganzer Körper wie in einem Schraubstock zusammengedrückt. Ihr Blickfeld wurde grau, dann wieder klar, als die Pumpen den Innendruck im Tank erhöhten, um Druckausgleich zu erzeugen. Doch blieb eine Verschwommenheit ihrer peripheren Sicht, die ihr verriet, dass dieser Zustand nicht gut für sie war.

Auf dem Bildschirm begann die Geschwindigkeitsanzeige sich mit alarmierender Schnelligkeit zu verändern, und die Distanz zum Ziel verringerte sich deutlich. Sie verlangsamte in der letzten möglichen Sekunde. Schon kam am Rand des Bildschirms das verschwommene rote Oval in Sicht, das den Umfang des Faltpunktes markierte. Am anderen Rand war das Echozeichen, das ihren Feind darstellte. Auch er näherte sich dem Faltpunkt.

Es würde knapp ausgehen.

»Verdammt, er hat Raketen abgefeuert!«

»Abwehrwaffen einpeilen und Feuer frei«, erwiderte sie sofort. Der Verfolgte war identifiziert. Sie hatten es mit einem Kriegsschiff zu tun. »Vermutungen, Cas?«

»Mit Sicherheit ein Zerstörer. Hat sechs Raketen auf uns abgefeuert. Ein kleineres Schiff würde kaum halb so viele in der ersten Salve auf uns feuern können.«

»Vielleicht ein Kreuzer, der eben beschloss, die lästige Mücke zu erschlagen?«

»Glaube ich nicht. Nicht wenn wir den Einsatz bedenken, für den wir hier kämpfen. Wer immer er ist, er hat gerade eine maximale Salve ausgespuckt.«

Sie bedachte es und musste ihm zustimmen. Dies war keine Zeit für halbe Maßnahmen. Das Schicksal zweier intelligenter Arten konnte vom Ausgang dieses Wettrennens abhängen.

»Feuer erwidern, volle Salve. Geben wir ihm was zum Zähneausbeißen.«

Sechsmal ging ein kurzer Ruck durch die Diablo, als Langstreckenraketen aus ihren Magazinen jagten und die im Verhältnis zur Größe des Schiffes Achtung gebietende Bewaffnung demonstrierten, die Standard für die schnellen bewaffneten Aufklärer der Gruppe Merkur war. Die Echozeichen auf dem Radarschirm zeigten die zwei Trauben der zwischen den Schiffen rasenden Raketengeschosse. Bei der gegenwärtigen Entfernung würden sie etwa eine Minute benötigen, um die Distanz zwischen den Gegnern zu überwinden. Als die Hälfte dieser Zeit verstrichen war, ließ Elisa den Feuerleitrechner eine weitere Salve abfeuern und war keineswegs überrascht, als der Ryall das Feuer erwiderte. Die zweite Traube von Raketengeschossen würde die Arbeit der Abwehrrechner beträchtlich erschweren. Sie würden aus der Zerstörung der ersten Salve lernen und die Verteidigungsmittel entsprechend anpassen. Diablo begann unregelmäßig zu beschleunigen, als der Abwehrrechner die Verteidigung des Schiffes übernahm.

»Dritte Salve Feuer frei«, befahl sie dem Feuerleitrechner, als die Raketen beider Seiten verschwanden, bevor sie ihre Ziele erreichen konnten. Die Distanz zwischen beiden Schiffen hatte sich nun auf 45 Sekunden Flugzeit verringert.

»Elisa! Im Faltpunkt erscheint ein Schiff!«

»Korrektur! Dritte Salve auf neu erfasstes Ziel. Feuer frei.«

Wieder gingen leichte Stöße durch den Schiffsrumpf, als die Raketen auf den neu erkannten Feind gefeuert wurden. Als die dritte Salve draußen war, befahl Elisa: »Dauerfeuer auf Bogey Sieben Delta. Wir müssen ihn überschwemmen, bevor er uns überschwemmt.«

Diesmal wurde aus den kurzen Serien leichter Stöße eine anhaltende Erschütterung, als die Diablo ihre Magazine entleerte. Auch das Ryall-Schiff begann mit Dauerfeuer. Bald wurde offensichtlich, dass die Magazine des Zerstörers größer waren als Diablos.

»Ausweichmanöver. Wie lange bis zum anderen Ziel?«

»Sie sollten jede Sekunde dort an ...« Auf dem Bildschirm explodierte das neu im Faltpunkt eingetroffene Schiff. Da es blind in ein Gefecht durchgestoßen war, hatte niemand an Bord wissen können, was sie traf.

Elisa wandte sich wieder dem Hauptproblem zu. Der Raum zwischen ihnen und Bogey Sieben Delta war voll von Geschossen, und der Abwehrcomputer der Diablo feuerte mit den Lasern, so rasch sie sich wieder aufluden. Auch das Ziel feuerte Laser und schlug Haken. Die gute Nachricht war, dass ihr Abwehrrechner langsamer als Diablos war. Die schlechte Nachricht war, dass sie mehr Laser zur Verfugung hatten. Plötzlich blitzten hundert Sonnen grell im Raum zwischen den beiden Schiffen und blendeten sie. »Vorzeitige Explosion, wahrscheinlich beabsichtigt«, meldete Lubo Casimir. »Sie versuchen uns zu blenden.«

»Gelingt ihnen gut«, meinte Elisa. »Wie viel Strahlungseinfall?«

»Wir werden es überleben«, meldete Bill Arnes, der Bordingenieur, »wenn wir schnell genug Hilfe bekommen.«

»Zehn Sekunden, bis Sensoren wieder einsatzbereit. Gut, ich kann durch den Feuerball sehen. Feindschiff ist zerstört. Ich wiederhole, Feind ist zerstört!«

»Was ist passiert?«

»Anscheinend ist eine unserer Raketen durchgekommen. Ich kann nur eine expandierende Plasmawolke ausmachen.«

»Dann nichts wie weg von hier! Triebwerke volle ...«

Elisa Esperanzas Befehl wurde mitten im Satz abgeschnitten, als der nuklear bestückte Gefechtskopf der Ryall-Rakete, die von der Explosion im freien Raum abgeschirmt war, Diablo traf. In einem Dutzend Nanosekunden, viel zu schnell, um von menschlichen Sinnesorganen wahrgenommen zu werden, hörten Diablo und vier Menschen auf zu existieren. Die Ryall hatten ihren ersten Treffer gelandet.

Doch gemessen an den Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Invasion musste das Gefecht als ein entscheidender menschlicher Sieg beurteilt werden.