19
Vom Capitol-Raumhafen in die Stadt selbst war es eine Fahrt von fünfzehn Minuten. Richard Drake und Alicia Delevan saßen nebeneinander auf den Rücksitzen der Limousine, während Commodore Bardak und der Oberkommandierende Walkirk ihnen gegenüber im Passagierfond saß. Hinter ihnen schnurrten drei weitere lange Limousinen leise durch das Labyrinth von betonierten Tunnels, das vom Abfertigungskomplex des Raumhafens wegführte. Nach einer halben Minute kamen sie ins Sonnenlicht, überquerten eine lange Bogenbrücke und tauchten dann auf der Überholspur in eine sehr belebte Hauptstraße ein. Richard Drake wurde in seinen Sitz gedrückt, als der Wagen beschleunigte und seine Geschwindigkeit dem Verkehrsstrom anpasste, dann in eine Lücke zwischen zwei großen Transportern schlüpfte. Die Fahrt ging zwischen bestellten Feldern dahin, während Bardak auf interessante Einzelheiten aufmerksam machte. Bald begleiteten lange, schmale Gewächshäuser beide Seiten der Schnellstraße. Zwischen ihnen erhoben sich schwenkbare, zehn Quadratmeter große Spiegel, die dem Gang des Zentralgestirns über dem Himmel folgten. Drake bemerkte mit Interesse, dass die Spiegel aus reflektierendem Film bestanden, der straff über ein Rahmenwerk aus Röhren gespannt war.
Die Schnellstraße durchschnitt einen niedrigen Höhenzug und führte jenseits davon in ein weites, schüsselartig geformtes Tal. Die Hauptstadt füllte es aus, stieg die Talhänge hinauf und floß über ins Hügelland. Die Stadt war größtenteils eine Ansammlung relativ niedriger Gebäude aus Stein, Ziegelmauerwerk oder Beton; Holz war sehr wenig zu sehen. Die Gebäude waren in freundlichen Farben getüncht und mit verschiedenfarbigen Ziegeln gedeckt.
In der Mitte der Stadt erhob sich eine geodätische Kuppel aus Glas und Aluminium, die das umgebende Häusermeer überragte. Die Konstruktion der Kuppel bestand aus einem Rahmenwerk aus sechseckigen Verstrebungen.
»Unser Ziel«, bemerkte Bardak, als er den Gegenstand von Drakes Aufmerksamkeit sah. »Die Wetterkuppel des Schlosses.«
Drake konnte die Größe der Kuppel schätzen, als er bemerkte, dass die insektenartigen kleinen Objekte, die um das Bauwerk flogen, normal große Hubschrauber sein mussten. Er zog erstaunt die Brauen hoch. »Es muss kostspielig sein, eine Kuppel dieser Größe zu beheizen.«
Der Oberkommandierende Walkirk räusperte sich
und sagte:
»Bitte gewinnen Sie nicht den falschen Eindruck, Fleet Captain. Die
Wetterkuppel ist keine Laune eines verschwenderischen Monarchen.
Das Schlossgelände gilt als ein Baumgarten für irdische Vegetation;
ein Botanischer Garten, wenn Sie so wollen.« Da Drakes
Gesichtsausdruck verriet, dass er nicht verstand, erläuterte
Walkirk eingehender, was er meinte.
»Sehen Sie, eine Anzahl irdischer Vitamine hat in der natürlichen Biosphäre Sandars keine Gegenstücke. Um auf dieser Welt gesund zu bleiben, müssen wir unsere Ernährung mit irdischen Pflanzen ergänzen, die aber in unserem kalten Klima nicht gedeihen. Wir ziehen sie daher in den Gewächshäusern, die Sie auf der Fahrt hierher sahen. Die Baumgärten, von denen das Schlossgelände den größten aufweist, sind unsere Versicherung gegen einen Ausbruch von Mehltau oder anderen Pflanzenkrankheiten in den kommerziellen Gewächshäusern.«
Die Wetterkuppel wurde größer und größer, als der Wagen sich dem Stadtzentrum näherte. Als er von der Schnellstraße abbog, war die Kuppel wie eine ragende Wand, die den halben Himmel verdeckte. Kurz darauf fuhr die Limousine ins Innere der Kuppel ein. Als sie von der kalten, trockenen sandarischen Luft in die feuchtwarme Atmosphäre des Schlossgeländes kam, beschlug Drakes Scheibe und nahm ihm die Sicht auf die Außenwelt. Kaum eine Minute später kam der Wagen sanft zum Stillstand.
»Wir sind da«, sagte Bardak. Bedienstete rissen die Türen auf, und Drake sah zwei sandarische Marinesoldaten strammstehen, die Rechte salutierend erhoben. »Nach Ihnen, Captain Drake, Botschafterin Delevan!«
Das königliche Schloss war ein nüchterner Bau aus Stahl und Glas; ein zylindrischer Zentralbau erhob sich fast bis zum Scheitelpunkt der Wetterkuppel, während von seiner Basis vier horizontale Flügel ausgingen, die in die Hauptrichtungen des Kompasses wiesen. Teile der Glasfassade waren nach außen geöffnet, wie es sich für ein Gebäude in einem Gebäude geziemte. Und wohin er auch sah, überall erblickte Drake üppig wuchernde Pflanzenwelt. In der Nähe waren Beete mit kleinen purpurnen Blütenpflanzen angelegt, dahinter wechselten Sträucher und Baumgruppen mit kleinen eingestreuten Wiesen hoher Gräser. Im Becken eines Springbrunnens blühten breitblättrige Seerosen. Zur Peripherie der Kuppel hin verdichteten sich die Kulissen der Busch- und Baumgruppen und schlossen sich zu einem Waldsaum aus Bäumen verschiedener Arten und Altersstufen zusammen. Wie grüne Wasserfälle hingen Waldreben und andere Lianen von den starken Ästen. Efeu, wilder Wein und Geißblatt ergossen sich aus hängenden Pflanzbecken an der Fassade, und die Eingänge und Dächer der Gebäudeflügel waren gesäumt von blühenden Pflanzen in allen Farbtönen. Während Drake wartete, stiegen auch die Insassen der drei anderen Wagen aus. Er sah Bethany mit eingezogenem Kopf aus dem zweiten Wagen steigen, sich aufrichten und dann mit großen Augen umherblicken. Sie schien geradezu verzaubert, während sie langsam auf ihn zuschlenderte.
»Haben Sie einmal tief durchgeatmet?«, fragte sie.
Er nickte. »Die Luft ist hier zweifellos frischer als das, was wir an Bord gewohnt sind.«
»Das meine ich nicht. Haben Sie die Luft gerochen?«
»Ja, ich habe bemerkt, dass sie einen seltsamen Geruch hat.«
»Einen seltsamen Geruch!«, erwiderte sie. »Captain Drake, Sie haben keinen Funken Poesie in Ihrer Seele! Dieser ›seltsame Geruch‹ wie Sie es nennen, ist der Duft der Erde.«
Drake bemühte sich noch um eine passende Antwort, als Alicia Delevan und Carl Aster zu ihnen traten. Stan Barrett stand ein wenig abseits und besprach in Eile etwas mit seinem Assistenten Nathan Kellog, während Argos Cristobal noch in der Nähe des dritten Wagens stand. Commodore Bardak wies mit ausgestrecktem Arm zu einem von Blumenbeeten begrenzten Weg, der zu einem Seiteneingang des Schlosses führte, und die Altaner setzten sich in Bewegung. Im Innern des Schlosses wurden sie an Büros vorbeigeführt, wo Angestellte und Funktionäre an Computerterminals arbeiteten. Nachdem sie einen langen Gang durchschritten hatten, sahen sie sich vor einer Reihe von Aufzugtüren. Der Halbbruder des Königs wandte sich an Drake. »Sie und die Botschafter werden jetzt in den Thronsaal geleitet, um Ihre Majestäten zu sprechen, Captain Drake. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich die übrigen Mitglieder Ihrer Gruppe zu ihren Räumen bringen lassen.«
»Selbstverständlich, Königliche Hoheit. Mr. Cristobal! Gehen Sie mit diesen Herren. Unterstützen Sie Mr. Aster und Mr. Kellog.«
»Ja, Sir.«
Damit bestiegen Drake, Bethany und die beiden Abgesandten von Parlament und Regierung mit dem Oberkommandierenden Walkirk und Commodore Bardak einen Aufzug. Als dessen Türen sich wieder öffneten, sahen sich die Besucher in einem holzgetäfelten Vorzimmer mehreren Hofbediensteten gegenüber. Der Älteste von diesen war ein grauhaariger Mann von ehrwürdigem Aussehen, dessen linke Brustseite mit Ordensspangen geschmückt war. Er trat auf Stan Barrett zu und verbeugte sich.
»Ich begrüße Sie, Botschafter Barrett. Mein Name ist Opteris. Ich bin der Hofmarschall. Es ist meine Verantwortung, Ihnen den Aufenthalt hier angenehm zu machen. Darf ich Ihnen den schweren Mantel abnehmen? Ich versichere Sie, dass Sie ihn hier unter der Kuppel nicht benötigen werden.«
Barrett bedankte sich und zog seinen Mantel aus. Bethany, Alicia Delevan und Drake folgten seinem Beispiel.
Opteris gab ein Zeichen, und zwei wartende Diener traten näher, die Kleidungsstücke zu übernehmen, dann ließ er eine Dienerin mit einem großen Spiegel näher treten und wandte sich an Bethany und Alicia Delevan. »Ich dachte mir, die Damen würden die Möglichkeit begrüßen, Ihre Erscheinung zu überprüfen, bevor wir zur Audienz gehen.«
»Sie sind der vollkommene Gastgeber, Sir«, sagte Alicia Delevan. Sie trat vor den Spiegel, zupfte an ihrer Kleidung und zog einen Kamm aus der Handtasche.
»Ich danke der Botschafterin«, erwiderte Opteris.
Zwei Minuten wurden damit verbracht, die Schäden zu reparieren, die der Wind draußen angerichtet hatte, und Opteris nutzte diese Zeit, um den Besuchern Einblick in die sandarische Hofetikette zu geben. »Denken Sie daran, hinter der blauen Linie stehen zu bleiben, die vor den Stufen zum Thron verläuft. Es ist üblich, sich an der Linie zu verbeugen und den König als ›Euer Majestät‹ oder einfach ›Sir‹ anzureden. Die Königin wird immer als ›Euer Majestät‹ angeredet. Haben Sie noch Fragen?«
»Wie lange wird diese Audienz dauern?«, fragte Alicia Delevan.
»Nicht lange«, antwortete Opteris. »Die Audienzen im Thronsaal sind eine Formalität, die im Interesse der Holovisionskameras veranstaltet werden. Der König wird Sie begrüßen und eine allgemeine Freundschaftserklärung abgeben. Wir laden Ihren Sprecher ein, das Gleiche zu tun. Seine Majestät mag dann geruhen, ein paar Minuten über einen unstrittigen Gegenstand zu diskutieren, bevor er Ihnen die Gastfreundschaft des Schlosses anbietet. Darauf wird er die öffentliche Audienz für beendet erklären. Anschließend werde ich Sie zu einer Privataudienz mit Seiner Majestät und dem Ministerpräsidenten geleiten. Nun, wenn es keine weiteren Fragen gibt, nehmen Sie bitte Ihre Plätze an der roten Linie ein.«
Sie stellten sich an der Markierungslinie auf, die Opteris angegeben hatte. Diese erstreckte sich vor einer hohen hölzernen Flügeltür über den Marmorboden des Vorzimmers. Sobald alle in Position waren, signalisierte der Hofmarschall dies einem ungesehenen Beobachter über eine unauffällige Videokamera. Trompetenschall dröhnte aus verborgenen Lautsprechern, und schwerfällig schwangen die mächtigen Türflügel auf.
Der Thronsaal war am Eingang verhältnismäßig schmal und erweiterte sich allmählich zum Thron hin, der an der Rückwand auf einem Stufenpodium stand, so dass ein der natürlichen Perspektive entgegenwirkender Raumeindruck entstand. Die Höhe des Saales ging über zwei Geschosse, der Boden bestand aus dem gleichen Marmor wie der des Vorzimmers, und die Wände waren mit dunklem, eigenartig gemasertem Holz getäfelt. Kriegsfahnen hingen von der Decke und bewegten sich leicht in der zirkulierenden Luft. Zu beiden Seiten eines breiten, freigehaltenen Mittelgangs, der durch die volle Länge des Thronsaales führte, standen Reihen uniformierter Palastwachen. Hinter ihnen hielten sich wohlhabend aussehende Männer und Frauen auf, die in kleinen Gruppen beisammenstanden und Konversation trieben oder doch zumindest den Anschein erweckten, es zu tun. Diener trugen Tabletts mit Getränken und Petits fours von einer Gruppe zur anderen.
An der breiten Stirnseite des Thronsaales saßen der König und die Königin nebeneinander auf dem Stufenpodium. Der König trug die schwarze Uniform der sandarischen Raumstreitkräfte, während die Königin in ein schimmerndes Seidengewand gehüllt war. John-Phillip Walkirk VI. schien Anfang fünfzig; seine Königin wirkte zehn Jahre jünger. Der Trompetenschall wurde von einer schmetternden Militärkapelle abgelöst, als die Altaner und ihre Begleiter durch den abgesperrten Mittelgang schritten. Die Musik brach ab, als sie die blaue Linie erreichten, stehen blieben und sich gleichzeitig verbeugten. Einen Augenblick später trat der Oberkommandierende Walkirk vor, verbeugte sich erneut und sagte:
»Eure Majestäten, es ist mir eine große Ehre, Ihnen die Vertreter der Regierung von Alta – Botschafter Stanislaw Barrett und Botschafterin Alicia Delevan vorstellen zu können. Ich möchte auch Fleet Captain Richard Drake vorstellen, den Kommandanten des Schlachtkreuzers Discovery und Miss Bethany Lindquist, die Vertreterin des erblichen Botschafters der Erde auf Alta. Meine Damen und Herren, ich habe die Ehre, Sie mit meinem Souverän, John-Phillip Walkirk VI. und seiner Königin Felicia bekannt zu machen.«
»Danke, Bruder«, sagte John-Phillip. »Willkommen, geehrte Gäste! Bitte übermitteln Sie unsere Grüße und besten Wünsche Ihrem Parlament, Ihrer Regierung und dem Volk von Alta.«
»Wir danken Eurer Majestät«, erwiderte Barrett. »Mein Ministerpräsident hat mich gebeten, Euren Majestäten und dem sandarischen Volk seine besten Wünsche zu übermitteln.«
»Ich hörte, dass an Bord Ihrer Schiffe Vertreter von Wissenschaft und Wirtschaft sind.«
»So ist es, Euer Majestät. Und ich möchte hinzufügen, dass alle begierig darauf sind, Ihre glorreiche Welt mit eigenen Augen zu sehen.«
»Sie werden uns willkommen sein, Sir«, sagte Königin Felicia mit einem klaren Sopran.
»Euer Majestät sind sehr freundlich.« Barrett verneigte sich in die Richtung der Königin. »Wir würden es als eine besondere Gunst betrachten, wenn Gespräche mit den wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Institutionen Sandars arrangiert werden könnten.«
»Wir begrüßen solche Gespräche, Herr Botschafter«, antwortete der König. »Sie können jederzeit mit der Ausschiffung Ihrer Spezialisten beginnen, sofern das Ihr Wunsch ist.«
»Ich werde veranlassen, dass unsere Leute entsprechende Vorbereitungen treffen, Sir.«
John-Phillip richtete seinen Blick auf Richard Drake. »Wie sieht es mit Ihrer Mannschaft aus, Captain? Ich könnte mir denken, dass sie gern Landurlaub haben würde.«
»Ja, Sir. Viele können es kaum erwarten.«
»Wenn wir in hundert Kriegsjahren vielleicht sonst nichts gelernt haben, so verstehen wir uns doch darauf, unseren Kriegern einen angenehmen Aufenthalt zu bereiten, wenn sie auf Urlaub sind. Wir werden für Ihre Leute das Gleiche tun.«
Drake verbeugte sich. »Euer Majestät sind sehr großzügig.«
»Meine Großzügigkeit ist durch Eigeninteresse motiviert, Captain. Je eher wir einander kennen lernen, desto früher werden wir alle in der Lage sein, gegen unseren gemeinsamen Feind zusammenzuarbeiten.«
»Ein vernünftiger Vorschlag, Euer Majestät.«
John-Phillip lenkte seine Aufmerksamkeit auf Bethany Lindquist. »Und was kann ich für Sie tun?«
»Unterhält die Erde hier auf Sandar eine Botschaft, Majestät?«
»Gewiss!«
»Ich wäre sehr froh über eine Gelegenheit, mit dem Botschafter der Erde zusammenzutreffen, sobald es ihm möglich ist.«
»Ich werde ihn sogleich verständigen lassen. Ich werde Ihnen auch ein Transportmittel zur Verfügung stellen, wenn er bereit ist, Sie zu empfangen.«
»Ist die Botschaft weit entfernt?«
»Halbwegs um den Planeten, Miss Lindquist. Sie wurde vor der Großen Einwanderung eingerichtet und ist niemals verlegt worden. Sie wissen, wie konservativ die Zentralregierung der Erde bisweilen sein kann.«
»Ich wünschte, ich wüßte es«, erwiderte Bethany.
»Unglücklicherweise hatten wir in einhundertfünfundzwanzig Jahren keinen Kontakt mit der Erde.«
»Wir werden sehen müssen, was getan werden kann, um da Abhilfe zu schaffen«, erklärte der König.
»Ich danke Eurer Majestät.«
John-Phillip winkte ab. »Denken Sie sich nichts dabei.« Sein Blick erfasste alle vier Altaner. »Nun, Sie müssen von Ihrer Reise müde sein. Ich schlage vor, dass wir weitere Diskussionen aufschieben, bis Sie ausgeruht haben.«
»Wie Euer Majestät wünschen«, erwiderte Barrett.
Der König signalisierte einem Zeremonienmeister, der abseits neben dem Thron stand, und der Mann trat vor und stieß einen langen, mit Goldknopf verzierten Stab auf den Boden. »Die Audienz ist beendet! Alle erweisen dem König ihre Huldigung!«
Jeder im Thronsaal Anwesende verneigte sich, und aus den Lautsprechern drang wieder Musik. An der Spitze eines kleinen Gefolges, das vom Zeremonienmeister angeführt wurde, verließ das Königspaar den Thronsaal. Sobald es gegangen war, nahmen die Gruppen der Höflinge ihre Gespräche wieder auf. Von irgendwo erschien Hofmarschall Opteris und sagte zu den Besuchern: »Wenn Sie mit mir kommen wollen, werde ich Sie nun zur Privataudienz geleiten.«
Opteris führte sie zurück durch die Flügeltüren und in den Aufzug; diesmal ging es in eines der oberen Geschosse des Hauptgebäudes. Nach einigen Minuten Wartezeit wurden sie von livrierten Türstehern in einen Raum gebeten, der Teil der königlichen Wohnung zu sein schien. Vier Sofas waren um einen niedrigen Tisch angeordnet. Auf einer Seite des Raums öffnete sich eine Glastür auf einen Balkon mit Blick auf den Schloßpark. Als die vier Altaner und ihre beiden einheimischen Begleiter eingelassen wurden, stellten sie fest, dass ein kleiner, grauhaariger Mann bereits auf sie wartete.
»Meine Damen und Herren«, sagte der Oberkommandierende Walkirk, »ich möchte Sie mit Terence Haliver bekannt machen, dem Ersten Minister des Reiches.«
Haliver schüttelte ihnen die Hand, dann wies er zu den Sitzgelegenheiten. »Seine Majestät zieht sich um und wird bald nachkommen. Er wünscht, dass Sie es sich bequem machen.«
Stan Barrett und Alicia Delevan ließen sich auf ein Sofa nieder, während Richard Drake und Bethany Lindquist auf einem anderen Platz nahmen. Walkirk und Bardak besetzten ein drittes, und Ministerpräsident Haliver setzte sich den beiden altanischen Botschaftern gegenüber.
»Getränke?«, fragte er.
»Ich nehme das Übliche!«, rief der König aus dem Nebenraum.
Haliver nahm die Bestellungen der Reihe nach an und tippte sie in einen Taschencomputer. Eine Minute später brachte ein Diener die Getränke auf einem Tablett herein. Er hatte sie gerade serviert, als der König eintrat.
»Willkommen«, dröhnte John-Phillip. Er hatte seine Staatsuniform gegen einen weiten, langen Überwurf getauscht, der Stil zugunsten von Bequemlichkeit opferte. Mit abwinkenden Handbewegungen kam er zielbewusst in den Raum geschritten. »Nein, stehen Sie nicht auf. Es gibt auch so schon zu viel Förmlichkeit.«
Er nahm neben seinem Minister Platz, nippte von einem Glas, das mit bernsteinfarbener Flüssigkeit gefüllt war, und bemerkte verspätet, dass er allein trank. »Es ist nicht nötig, auf Zeremoniell zu bestehen. Trinken Sie bitte nach Belieben!«
Als die Gäste seiner Aufforderung nachgekommen waren, setzte er sein Glas ab, lehnte sich zurück und sagte: »Ich hoffe, unsere kleine Schau hat Sie nicht zu sehr eingeschüchtert. Wir tun es für die Öffentlichkeit, wissen Sie. Das Volk braucht etwas, das seine Gedanken vom Krieg ablenkt. Es hat, weiß Gott, die meiste Zeit genug zu tragen.«
»Es war eine elegante Zeremonie, Majestät«, bemerkte Stan Barrett.
»Eine notwendige, das dürfen Sie mir glauben, Botschafter. Sagen Sie, sind Sie wirklich bereit, Ihre Wissenschaftler hierher zu transferieren?«
»Ja, Sir.«
»Ich würde es zu schätzen wissen, wenn Sie noch ein paar Tage warten könnten, während wir die nötigen Vorbereitungen treffen.«
»Wenn das Ihr Wunsch ist, Majestät.«
»Das ist es. Geben Sie Minister Haliver eine Liste Ihrer Leute und Ihrer Fachgebiete. Er wird dann versuchen, sie mit vergleichbaren Mitgliedern unserer eigenen wissenschaftlichen Elite zusammenzubringen. Wir werden die beiden Gruppen ein paar Wochen in Wechselwirkung treten lassen und sehen, welche Themen von besonderem Interesse sich daraus ergeben.«
»Wie möchten Sie im Falle unserer Wirtschaftsdelegation verfahren, Majestät?«, erkundigte sich Alicia Delevan.
»Nun, die können Sie sofort herunterbringen. Wir werden sie zu einleitenden Gesprächen an die Handelskammer verweisen. Wenn wir Fragen von beiderseitigem Interesse finden, werden wir die Königliche Kommission für Außenhandel einschalten. Ich nehme an, auch die Leute vom Zoll werden mit einbezogen werden müssen, denn es liegt nicht in unserem Interesse, aufkeimende gute Beziehungen durch bürokratische Tarifregelungen abzuwürgen, nicht wahr?«
»Nein, Sir.«
»Miss Lindquist und Botschafterin Delevan, meine Gemahlin würde sich geehrt fühlen, wenn Sie beide sie morgen zum Tee mit Ihrer Gesellschaft erfreuen könnten. Der Gedanke, sich mit zwei Damen aus Alta auszutauschen, erfüllt sie mit freudiger Erwartung.«
»Es wird uns eine Ehre sein, Majestät.«
Der König nahm einen weiteren Schluck von seinem Trunk, streckte die Beine von sich und lehnte sich wieder zurück.
»Nun, wenden wir uns den Fragen zu, die von allgemeinem beiderseitigem Interesse sind. Sicherlich werden Sie sich über vieles informieren wollen. Fragen Sie ungeniert und sorgen Sie sich in diesem Stadium nicht übermäßig um Diplomatie. Unsere Funktion hier ist das Austauschen von Informationen.«
Alicia Delevan räusperte sich. »Auf Alta haben wir, wie Eurer Majestät bekannt sein wird, eine parlamentarische Demokratie, wie übrigens die meisten Welten in den von Menschen besiedelten Teilen des Raumes ...«
John-Phillip unterbrach sie mit erhobener Hand. »Und Sie möchten wissen, was wir, in Gottes Namen, mit einer so archaischen Einrichtung wie einer funktionierenden Monarchie tun.«
»So ungefähr, Sir.«
»Es ist ziemlich einfach«, erläuterte der König. »Mein Vorfahre, der erste John-Phillip Walkirk, war Admiral der Flotte, die den Ryall das letzte Nachhutgefecht lieferte. Das war der Kampf, den wir als ›Das Große Brennen‹ bezeichnen – die Phase des Krieges, die zur endgültigen Zerstörung von New Providence führte. Nachdem die Ryall unsere Linien durchbrochen und zerstört hatten, was von den größeren Städten des Planeten übrig geblieben war, half Admiral Walkirk bei den Bemühungen zur Rettung der Überlebenden. Insgesamt waren zehn Millionen Menschen vom Leichnam des armen alten Planeten gerettet und zu Sandarsons Welt gebracht worden, wie sie damals noch genannt wurde.
Als sie ins System Hellsgate zurückkehrten, entdeckten sie, dass die öffentliche Ordnung zusammengebrochen war. Die frühen Siedler lagen im Streit mit den Flüchtlingen, von denen viele sich weigerten, das ihnen zugewiesene Land anzunehmen, und in den klimatisch begünstigten Gebieten mit guten Böden hatte der gewaltsame Landraub epidemische Formen angenommen. Die Zivilbehörden von New Providence waren angesichts der chaotischen Verhältnisse, die eine Folge der Entwurzelung der gesamten Bevölkerung und der Vernichtung aller Verwaltungsstrukturen waren, nicht mehr funktionsfähig.
Admiral Walkirk übernahm das Oberkommando über die Streitkräfte und stellte die Ordnung wieder her. Er rief das Kriegsrecht aus und ersetzte die zivile Regierung durch seine eigenen Offiziere. Die Regelung sollte vorübergehender Natur sein, aber etwas schien immer wieder eine Rückkehr zur Zivilregierung zu verhindern. Schließlich wurde die Militärdiktatur in eine Monarchie umgewandelt und John-Phillip Walkirk zum ersten König von Sandar und New Providence ausgerufen.«
Als der König geendet hatte, ergriff sein Halbbruder, der Oberkommandierende der Streitkräfte, das Wort. »Natürlich waren die Ryall das ›Etwas‹, das immer wieder die Rückkehr zu friedenskonformen Verhältnissen verhinderte. Kurz nachdem John-Phillip die Regierungsgewalt übernommen hatte, gingen auch aus anderen Regionen des besiedelten Raumes Meldungen über Angriffe der Ryall ein.«
»Es war die verdammte Supernova«, sagte der König. »Sie veränderte den Faltraum überall in diesem Teil der Galaxis. Bardak kann Ihnen die amtlichen Zahlen nennen.«
»Ja, Majestät«, sagte Bardak. »Die Explosion zerstörte elf kartierte Faltpunkte. Von diesen haben sich nur der Faltpunkt im Valeria-System – das heißt, Ihrem System – und ein anderer später regeneriert. Andererseits schuf Antares durch seine Explosion eine Anzahl neuer Faltraumverbindungen, von denen uns fünfzehn bekannt sind. Sechs von diesen waren kurzlebige Phänomene wie der Faltpunkt Napier-Ryall. Die anderen neun scheinen jedoch von Dauer zu sein. Von diesen führen drei zu Sternsystemen, die von den Ryall bewohnt sind. Es ist unser Unglück, dass wir im Aezer-System ein solches gleich nebenan haben. Aezer ist ein veränderlicher Stern der Klasse III und war vor der Nova unbewohnt. Heute wird das System von uns und den Ryall als Drehscheibe für Angriffe auf Territorien des jeweiligen Gegners benutzt.«
»Wir beobachteten eine große Zahl von Installationen um den Hellsgate-Aezer-Faltpunkt«, sagte Alicia Delevan.
»Das, Mrs. Delevan, ist unsere erste Verteidigungslinie«, antwortete der Oberkommandierende. »Sollten die Ryall jemals versuchen, uns hier anzugreifen, hoffen wir ihnen einen heißen Empfang zu bereiten, sowohl am Faltpunkt wie auch am sandarnahen Raum.«
»Sie müssen in den letzten hundert Jahren eine Menge Daten über die Ryall gesammelt haben«, meinte Drake.
»Mehr, als uns lieb ist«, bestätigte der König.
»Würde es uns möglich sein, Einblick in solche Daten zu gewinnen? Wir haben nur wenige alte Aufzeichnungen, die wir in New Providence ausgegraben haben.«
»Wir können Ihnen mehr bieten«, erwiderte John-Phillip.
»Wie würde es Ihnen gefallen, mit einem lebenden Ryall zusammenzutreffen?«
»Sie haben Gefangene?«
Er nickte. »Ein paar.« »Die würde ich sehr gern sehen!«
»Dann sollen Sie es. Admiral Bardak, bitte nehmen Sie das in die Hand.«
»Ja, Majestät.«