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»Was soll das heißen, sie wollen der Royal Avenger nicht erlauben, zur Erde zu reisen?« Admiral Gowers zornige Züge funkelten aus Drakes Bildschirm. Zwei Wochen waren seit dem ersten Treffen an Bord der Discovery zwischen den Kolonisten und Vertretern der Zentralregierung vergangen, und kaum eine Stunde, seit die Royal Avenger den Goddard-Antares-Faltpunkt hinter sich gelassen hatte.
»Sie erlauben es nicht, Sir«, antwortete Drake. »Sie berufen sich auf Bestimmungen, nach denen Kriegsschiffen in Anbetracht ihres Zerstörungspotenzials der Aufenthalt im Sonnensystem nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt wird. Die Avenger ist ein im Ausland gebautes Großkampfschiff, dessen Potenzial unbekannt ist. Deshalb muss der Avenger das innere Sonnensystem verschlossen bleiben.«
Die Antwort war eine Kette von Flüchen und Verwünschungen. »Und so wählten sie die Discovery?«
»Ja, Sir. Sie kennen den Typ gut und glauben nicht, dass wir die Erde in Gefahr bringen könnten, bevor die orbitalen Verteidigungsstationen uns zerstören würden. Man gab mir die Wahl zwischen Discovery oder Dagger für unsere Mission. Ich entschied mich für Discovery.«
»Und wie wollen Sie unsere gesamte Mission in einen einzigen Kreuzer quetschen?«
»Das habe ich nicht vor, Admiral. Die Bestimmungen gelten nicht für unbewaffnete Transporter. Sobald ich das erfuhr, habe ich angeboten, das Feuerleitsystem der City of Alexandria funktionsunfähig zu machen und ihre Antimaterieprojektoren auszubauen. Admiral Ryerson stimmte meinem Vorschlag zu.«
»Mich wundert, weshalb er nicht darauf bestand, dass ein unbewaffneter Transporter allein die Reise machen sollte.«
»Er schlug es vor, Sir. Ich sagte ihm, dass wir nicht völlig hilflos in ein fremdes System reisen würden.«
»Und was sagte er darauf?«
»Er sagte, dass er es verstehe.«
Eine lange Pause folgte, als Admiral Gower Drakes Auskünfte verdaute. Am Ende seiner Überlegungen faltete eine Mischung aus Zorn und Sorge seine Stirn. »Ist diese Verbindung sicher, Captain?«
Drake rief die Ablesung ab, die ihm Aufschluss über die Frequenz des Funkverkehrs zwischen der Discovery und der Royal Avenger gab. Die leuchtenden Ziffern bestätigten, dass die Richtfunkverbindung scharf gebündelt und durch Zerhacker abhörsicher war. »Absolut sicher, Sir.«
»Welchen Eindruck haben Sie von diesen Leuten?«
»Wie bitte?«
»Sind Sie freundlich?«
»Sie sind freundlich, Admiral, wenn auch ein wenig distanziert.«
»In welcher Weise?«
»Wir erklären ihnen unsere Schwierigkeiten, sie hören höflich zu, legen sich aber nicht fest. Es geschah zum ersten Mal, als wir ihnen die Strahlungsabwehrende Technik im Austausch gegen ihre Hilfe bei der Vertreibung der Ryall aus dem System Aezer anboten. Sie sagten uns, wir würden das mit der Zentralregierung aushandeln müssen. Ähnliches ist seitdem zwei- oder dreimal vorgekommen. Ich glaube, Oldfield hat Anweisungen, keine Versprechungen zu machen, die sich später als lästig erweisen könnten. Admiral Ryerson andererseits scheint an der Technik des strahlungsabwehrenden Feldes sehr stark interessiert zu sein.«
»Vertrauen Sie nicht zu sehr darauf, Captain«, meinte Gower. »Nun, da sie wissen, dass das Feld erprobt ist, sollte es ihnen keine Schwierigkeiten machen, es selbst zu entwickeln. Nein, wenn wir einen geeigneten Ansatzpunkt für Verhandlungen brauchen, müssen wir etwas Stärkeres haben.«
»Was sonst haben wir, Sir?«
»Eine ganze Menge, vielleicht. Haben Sie oder hat sonst jemand diesen Leuten von Eulysta und den Ereignissen dort erzählt?«
»Nein, Sir.«
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher, Admiral. Wir haben es nicht so direkt gesagt, vermittelten ihnen aber den Eindruck, dass wir direkt von Napier gekommen sind.«
»Ausgezeichnet! Geben Sie das als Befehl weiter. Das Thema Eulysta ist geheim, und ich werde jeden, der auch nur eine Andeutung über die Navigationsdaten der Ryall macht, über Bord gehen lassen.« Er hielt inne. »Was ist los, Captain? Sie machen ein Gesicht, als hätten Sie gerade in eine Zitrone gebissen.«
Drake verzog das Gesicht. »Äh, da könnte es ein Problem geben, Sir.«
»Problem, Drake?«
»Miss Lindquist, Sir. Sie könnte mit dem Geheimhaltungsbefehl nicht einverstanden sein.«
»Warum sollten wir ihre Zustimmung brauchen?«
»Sie ist die Bevollmächtigte des Botschafters der Erde auf Alta, Admiral.«
»Das hatte ich vergessen«, sagte Gower. »Besteht die Möglichkeit, dass Sie sie überzeugen, nichts davon verlauten zu lassen?«
»Ich werde es natürlich versuchen.«
»Vielleicht sollte ich mit ihr reden, Captain. Sie sind dem Problem vielleicht ein bisschen zu nahe.«
»Das wird nicht nötig sein, Sir. Ich werde das in die Hand nehmen.«
»Ich denke nicht, Captain. Bitte ersuchen Sie Miss Lindquist, sich morgen hier an Bord der Royal Avenger bei mir zu melden. Ich brauche sowieso ihren Rat in verschiedenen Fragen, die mit der Erde in Zusammenhang stehen, und wir werden die Gelegenheit nutzen, auch diese andere Sache zu regeln.«
»Ja, Sir. Ich werde Ihre Botschaft sofort überbringen.«
Bethany Lindquist hatte sich bis dahin erst einmal an Bord des Flaggschiffs aufgehalten. Bei der Gelegenheit war sie von der Größe der Kabinen und den scheinbar endlosen Korridoren beeindruckt gewesen. Auch war die Größe des Flaggschiffes nicht der einzige Unterschied zwischen ihm und den altanischen Kreuzern, die sie gewohnt war. Wenn sie an Bord der Discovery Besatzungsmitgliedern begegnete, quittierten diese ihre Gegenwart unweigerlich mit einem Lächeln oder einem kurzen Gruß. Das war an Bord der Royal Avenger anders. Die sandarischen Besatzungsmitglieder beiderlei Geschlechts, mit denen sie zusammentraf, hatten es immer eilig. Bethany fand ihre gewollte Humorlosigkeit irritierend.
»Wir sind da, Milady«, sagte ihr Führer, ein Fähnrich mit flaumigen Wangen, in seinem singenden sandarischen Tonfall.
»Wo ist ›da‹, Fähnrich?«
»Die Admiralskajüte, Milady.« Der Fähnrich tippte einen Code in ein Schlüsselfeld am Schott. Ein paar Sekunden vergingen, bevor die druckdichte Tür zurückglitt. Bethany stieg über den Süllrand, und die Tür schloss sich lautlos hinter ihr.
Admiral Gower saß hinter einem gewaltigen Schreibtisch und hatte den Finger noch auf dem Türöffner. Er stand auf und kam auf Bethany zu. »Guten Morgen, Miss Lindquist. Wie war der Flug?«
»Angenehm«, antwortete Bethany. »Es war wirklich nicht nötig, eine Sondermaschine zu schicken. Ich hätte auf den planmäßigen Transporter warten können.«
»Unsinn. Wenn ich schon Ihre Tagesplanung durcheinander bringe, kann ich wenigstens dafür sorgen, dass Sie unnötige Wartezeiten vermeiden. Möchten Sie etwas trinken?«
»Ja, danke.«
»Wie wäre es mit sandarischem Wodka?«
»Ich fürchte, dass ich damit nicht vertraut bin, Admiral.«
Gower zog überrascht die Brauen hoch. »Wirklich? Sicherlich haben wir Sie mit unserem Nationalgetränk vertraut gemacht, als Sie auf Sandar waren.«
»Nicht, dass ich mich erinnern könnte.«
»Nun, dann müssen Sie ihn versuchen«, erklärte er, ging zu einer kleinen Bar, die an einem Schott festgeschraubt war, und öffnete die Türen.
Während er einschenkte, ließ Bethany ihren Blick durch den Raum schweifen. Als erstes fiel ihr das lebensgroße Porträt von John-Phillip Walkirk VI. auf, das hinter Gowers Schreibtisch hing. Der Monarch trug die Uniform eines Generaladmirals der sandarischen Streitkräfte und schien sie direkt anzusehen. Außer dem Porträt des Königs gab es nur einen Wandschmuck: eine große sandarische Flagge, zerfetzt und angesengt, die in einer Glasvitrine an der Wand gegenüber dem Königsporträt hing. Gower bemerkte Bethanys Interesse, als er mit den gefüllten Gläsern zu ihr kam.
»Diese Flagge kam vom Zerstörer meines Vaters. Sein Schiff wurde während eines Gefechts mit den Ryall durchlöchert. Ein Mann der Besatzung riskierte sein Leben, um diese Flagge zu retten und meiner Mutter zu übergeben.«
»Wie alt waren Sie damals?«
»Sechzehn Standardjahre. Es war mein viertes Jahr in der Marineakademie.«
»Beginnen alle sandarischen Kinder ihre militärische Ausbildung so früh?«
Gower nickte. »Diejenigen, die eine Eignung dafür zeigen.«
»Welch ein Jammer, dass Zwölfjährige zum Militärdienst eingezogen werden müssen!«
Gower zuckte die Achseln. »Das ist bei uns schon so lange der Brauch, dass es uns natürlich vorkommt.«
Es folgte ein unbehagliches Schweigen. Gower nippte an seinem Wodka, und Bethany tat es ihm nach. Dann verzog sie leicht das Gesicht, als der Alkohol ihr auf der Zunge und in der Kehle brannte.
Der Admiral sah es und fragte: »Darf ich Ihnen etwas anderes anbieten?«
Bethany schluckte. »Nein danke, es ist schon gut so. Ich hatte nur nicht erwartet, dass der Wodka derart stark sein würde.«
»Wir kommen von einer kalten Welt, Miss Lindquist. Dies«, sagte er und hob sein Glas, »ist ein Getränk für kalte Welten. Es wärmt das Blut und lässt den Biss des kalten Windes vergessen.«
Bethany nahm vorsichtig einen weiteren Schluck. Das Brennen schien diesmal weniger intensiv, als wäre ihre Mundhöhle einer Lokalanästhesie unterzogen worden.
»Ich hörte, dass Sie Historikerin sind und sich auf die Geschichte der Erde spezialisiert haben.«
Bethany nickte. »Ich bin vergleichende Historikerin, Admiral.«
»Was ist das?«
»Wir halten beim Studium der Geschichte Ausschau nach Situationen, die einem gegenwärtigen Problem analog sind, dann untersuchen wir, wie unsere Vorfahren die ähnliche Situation bereinigten oder nicht bereinigen konnten, und nutzen dieses Wissen, um die altanische Regierung zu beraten.«
»Haben Sie den Krieg zwischen Menschen und Ryall studiert? Gibt es einen ähnlichen Zeitabschnitt in der Geschichte der Menschheit auf Erden?«
»Wenn Sie meinen, ob es jemals einen Krieg gegeben hat, in dem unsere Feinde intelligente Außerirdische waren, offensichtlich nicht. Aber wenn Sie die starre Haltung der Zentauren im Hinblick auf unser Daseinsrecht betrachten, können Sie Analogien in zahlreichen Religionskriegen finden, die im Laufe der Geschichte ausgefochten wurden. ›Christus und kein Pardon!‹ würde für einen Ryall kein unverständliches Konzept sein.«
»Und wie wurden diese Religionskriege entschieden?«
Bethany zuckte die Achseln. »Meistens endeten sie erst, wenn eine Partei die andere ausgerottet hatte, oder wenn beide Seiten bis zur Erschöpfung gekämpft hatten.«
»Wird das Ihrer Ansicht nach auch unser Schicksal sein?«
»Ich hoffe nicht. Das ist einer der Gründe, weshalb ich Varlan studiere.«
»Ach ja, die gefangene Bergwerksleiterin. Wie kommen Sie mit Ihren Studien voran?«
»Es ist noch zu früh, um ein Urteil abzugeben, Admiral. Ich habe versucht, sie zu überzeugen, dass unsere Arten manche Gemeinsamkeit haben und es daher töricht ist, wenn wir einander bekämpfen. Manchmal scheint sie für solche Gedanken empfänglich, manchmal nicht.«
»Das entnahm ich Ihren Berichten. Wie lange werden Sie das Studium fortsetzen, bevor Sie sich mit dem Gedanken abfinden, dass Ihre Bemühungen aussichtslos sind?«
»Wenn ich alles versucht habe, was mir einfällt, nehme ich an.« Gower lachte. »Eine gute Antwort, die mich überzeugt, dass ich Recht hatte, Sie hierher zu bitten.« »Ich verstehe nicht, Admiral.«
»Ihnen ist sicherlich bekannt, dass die Royal Avenger keine Erlaubnis erhalten wird, die Reise zur Erde zu machen.«
Bethany nickte. »Die Bestimmungen lassen es nicht zu.«
»Das ist unglücklicherweise wahr. Ich werde meine Flagge deshalb auf die Discovery übertragen.«
»Sie entheben Captain Drake seines Kommandos?«
»Keineswegs. Er befehligt den Kreuzer, ich befehlige die Expedition. Der einzige Unterschied liegt in dem Fahrzeug, von dem aus die Befehlsgewalt ausgeübt wird. Die Übertragung meiner Flagge auf die Discovery stellt mich allerdings vor ein Problem. Wie Sie zweifellos wissen, besteht mein Stab größtenteils aus Offizieren der Royal Avenger. Würde ich sie mitnehmen, wäre dieses Schiff im Ernstfall unfähig, sich zu verteidigen. Das ist selbstverständlich undenkbar. Darum habe ich entschieden, die Zahl meiner Stabsoffiziere zu begrenzen.
Unter denen, die ich zurücklassen werde, sind zwei Offiziere, die in der Geschichte der Menschheit auf Erden außerordentlich beschlagen sind. Offiziere, deren Wissen und deren Rat ich während der bevorstehenden Verhandlungen mit dem Interstellaren Rat benötigen werde. Da ist mir der Gedanke gekommen, dass Sie die Rolle dieser Offiziere übernehmen könnten.«
»Bieten Sie mir einen Beraterposten an, Admiral Gower?«
»So könnte man es nennen.«
Bethany zögerte. »Ich fühle mich sehr geschmeichelt, fürchte aber, dass es mir nicht möglich sein wird, Ihren Erwartungen gerecht zu werden.«
»Warum nicht, Miss Lindquist?«
»Ich habe einen Eid geleistet, den besten Interessen der Erde zu dienen. Das ist kaum mit einer Beratertätigkeit für Sie zu vereinbaren.«
Gower betrachtete sie mit schmalen Augen, dann seufzte er.
»Wenn es etwas gibt, was ein Offizier des Königs versteht, Miss Lindquist, dann ist es die Bedeutung eines Eides. Ich hatte gehofft, Sie würden Ihre Pflicht der Erde gegenüber nicht im Widerspruch zu Ihrer Pflicht dieser Expedition gegenüber sehen. Aber ich werde nicht versuchen, Sie umzustimmen.«
»Dafür bin ich Ihnen dankbar, Sir. Ist das der Grund, weshalb Sie mich heute hierher gebeten haben?«
»Das und noch etwas«, erwiderte Gower. Er nahm einen Computerausdruck vom Schreibtisch und hielt ihn ihr hin.
»Heute Morgen habe ich den Flottenbefehl 703 ausgegeben. Ich möchte Sie bitten, ihn zu lesen und abzuzeichnen, bevor Sie gehen.«
FLOTTENBEFEHL 703 VOM 8. NOVEMBER 2639
An:
Alle Teilnehmer der Helldiver-Expedition
Klassifikation: Streng geheim
Von:
Gower, S. F., kommandierender Admiral
Betrifft: Unternehmen Eulysta
1. Kein Teilnehmer an dieser Expedition hat Informationen über Eulysta, Corlis oder die dort durchgeführte Aktion an Außenstehende weiterzugeben.
2. Jeder Verstoß gegen diesen Befehl wird als Hochverrat behandelt und nach den Bestimmungen des Kriegsrechts bestraft.
S. F. Gower, Admiral
Königlich sandarische Marine
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Bethany, nachdem sie den Befehl gelesen hatte.
»Nur was dort steht, nicht mehr und nicht weniger, Miss Lindquist. Ein Geheimbefehl, der das Unternehmen gegen Eulysta betrifft. Er soll insbesondere sicherstellen, dass die Vertreter der Zentralregierung nichts über die Navigationsdaten erfahren, die wir dort gewonnen haben.«
»Aber ohne Zweifel werden solche Daten für unsere Gastgeber Schnee von gestern sein, Admiral. Warum sie geheim halten?«
»Weil ich glaube, Miss Lindquist, dass die Zentralregierung noch nichts von der Verteilung der Sterne innerhalb der Ryall-Hegemonie weiß. Wenn diese meine Überzeugung zutrifft, irren Sie sich, und dieses Datenmaterial stellt unseren wertvollsten Handelsartikel dar. Die Zentralregierung mag bereit sein, eine ansehnliche Summe dafür zu bezahlen, was wir in unseren Datenspeichern haben. Auf jeden Fall hoffen wir, dass die Navigationsdaten der Ryall uns ein Mittel in die Hand geben werden, Hilfe bei der Vertreibung der Ryall aus dem System Aezer zu erhalten.«
»Wenn wahr ist, was Sie vermuten, Admiral, ist es ein Grund mehr, dass ich diesen Befehl nicht befolgen kann. Es ist meine Pflicht, die Information so rasch wie möglich dem Interstellaren Rat zugänglich zu machen.«
Gower nickte. »Captain Drake sagte mir, dass dies Ihre Haltung sein könnte.«
»Richard wusste, dass Sie mich auffordern würden, dies abzuzeichnen?«, fragte Bethany.
»Er wusste, dass ich mit Ihnen darüber sprechen würde.«
»Aber das ...«
»Bitte, Miss Lindquist«, sagte Gower und schnitt ihr das Wort ab, bevor sie ihrer Empörung Luft machen konnte. »Es ist nicht so, als ob wir von Ihnen verlangten, dass Sie immerwährendes Stillschweigen bewahren. Nur lange genug, damit wir die Gelegenheit erhalten, dieses Wissen zu nutzen, das wir mit zahlreichen Menschenleben bezahlt haben.«
»Tut mir leid, Admiral Gower, aber ich bin ungeachtet meiner persönlichen Gefühle in dieser Angelegenheit verpflichtet, den Interessen der Erde zu dienen. Ich werde diesen Befehl nicht abzeichnen.«
Gower lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete sie mit ernster Miene. Als er endlich sprach, war sein Tonfall mehr bekümmert als zornig. »In diesem Fall, Miss Lindquist, kann ich Ihnen nicht erlauben, dieses Schiff zu verlassen. Sie werden hier bleiben – wenn nötig, im Bunker –, bis die Discovery und die City of Alexandria zum Faltpunkt Goddard-Sol abgereist sind.«
»Sie würden nicht wagen, mich einzusperren!«
Gowers eisige Ruhe stand in scharfem Gegensatz zu Bethanys Wut. »Ich würde es wagen. Ich habe meine Pflicht zu erfüllen, und das werde ich tun, selbst wenn ich mich nach meiner Rückkehr vor Gericht verantworten müsste.«
»Richard wird sich dies nicht bieten lassen. Mein Onkel hat einen Vertrag mit dem Parlament von Alta! Außerdem gab er mir sein Wort, dass man mir keinen Maulkorb anlegen würde.«
»Ich bin dem Parlament von Alta nicht verantwortlich, Miss Lindquist. Davon abgesehen glaube ich nicht, dass Captain Drake sich mir in dieser Sache widersetzen wird. Auch er hat seine Pflicht zu erfüllen, die im Moment verlangt, dass er meinen Befehlen gehorcht. Sollte er dies verweigern, würde er sich der Meuterei schuldig machen und als Meuterer behandelt. Der Anlass würde das schwerlich lohnend erscheinen lassen, zieht man in Betracht, dass unser Streit lediglich den Zeitpunkt betrifft, zu dem unsere Informationen der Zentralregierung zugänglich gemacht werden.«
»Sie sagen, dass Sie das Datenmaterial der Zentralregierung zugänglich machen werden?«, fragte Bethany.
»Ich gebe Ihnen mein Wort – was auch immer davon zu halten sein mag. Wenn wir erhalten haben, was wir anstreben, oder wenn klar wird, dass es nicht möglich ist, werde ich die Navigationsdaten persönlich übergeben.«
Sekundenlang starrte sie ihn in finsterem Trotz an, ehe sie hervorstieß: »Wozu soll ich mich also bereit erklären?«
»Lediglich dazu, dass Sie unser Geheimnis nicht ohne meine oder Captain Drakes Erlaubnis an Außenstehende weitergeben. Sind Sie dazu bereit?«
»Ich erkläre mich unter Protest dazu bereit. Aber nach unserer Rückkehr werde ich einen formellen Protest beim Parlament hinterlegen.«
»Ich verstehe vollkommen«, sagte Gower und nickte. Er zog einen Schreibstift aus dem Halter auf seinem Schreibtisch und reichte ihn Bethany. »Bitte unterzeichnen Sie an der angegebenen Stelle.«
Der große Bildschirm in der Feuerleitzentrale der Discovery zeigte drei goldgelbe Schiffssymbole und die unscharfe rote Ellipse, die den Goddard-Sol-Faltpunkt markierte. Die goldgelben Symbole waren in Kiellinie dargestellt, und kleine leuchtende Bildlegenden neben jedem gaben Geschwindigkeit und Beschleunigungsvektoren an, ferner die vorgesehene Ankunftszeit an der Faltpunktgrenze. Andere Symbole, die um den Faltpunkt angeordnet waren, verdeutlichten die Positionen der zwei Dutzend stationären Festungen, die das Tor zur Erde bewachten.
»Sind die erforderlich?«, fragte Drake mit einer Kopfbewegung zu den violetten Symbolen.
»Wir hoffen, nicht«, antwortete Gregory Oldfield vom Platz des Beobachters neben Drake. Normalerweise würde Bethany diesen Platz besetzt halten, aber seit ihrer Rückkehr von der Royal Avenger vor mehr als einer Woche hatte sie kein Wort mit Drake gesprochen. Nachdem er Admiral Gowers Bericht über die Zusammenkunft gehört hatte, wunderte er sich nicht mehr.
Das erste der goldenen Symbole kreuzte die Grenze zum Faltpunkt und begann rasch zu blinken.
»Mr. Haydn, stellen Sie bitte eine Funkverbindung mit Admiral Ryerson an Bord von Teddy Roosevelt her.«
»Sofort, Sir.«
Kurz darauf erschien Ryersons Gesicht in einem der sekundären Bildschirme. »Wie wünschen Sie den Übergang zu bewerkstelligen, Admiral?«
»Genau wie geplant, Captain. Wir werden zuerst durchgehen, um die Verteidigungsanlagen auf der anderen Seite zu verständigen. Geben Sie uns fünf Minuten, bevor Sie mit der Discovery folgen. Und fünf Minuten danach kann die City of Alexandria durchkommen. Vergessen Sie nicht, schon vor dem Sprung mit dem Losungswort und der Identitätsangabe auf Sendung zu gehen. Das Losungswort ist das einzige Mittel, das Sie vor den automatischen Abwehrsystemen schützt.«
»Identität und Losungswort. Wird gemacht, Sir.«
Sobald Ryerson die Verbindung unterbrach, wandte sich Drake wieder an seinen Nachrichtenoffizier.
»Statusüberprüfung aller Abteilungen, Mr. Haydn.«
»Ja, Sir.«
Augenblicke später begann der eingespielte Routineappell der Gefechtsstationen und Schiffsabteilungen. Admiral Gower wohnte dem Manöver in der Feuerleitzentrale bei – für alle Fälle. Nach einer halben Minute hatten alle Abteilungen ihre Bereitschaft gemeldet.
»Das Schiff ist zugeknöpft und sprungbereit, Captain«, meldete der Erste Offizier.
»Sehr gut, Mr. Marchant.«
»Captain, Sensoren! Teddy Roosevelts Übergangsfeld wird aufgebaut.«
»Schalten Sie auf Außenkameras um, Mr. Haydn.«
»Ja, Sir.«
Das schematische Diagramm auf dem großen Bildschirm verblasste und wurde von einem schwarzen Sternhimmel ersetzt. Als Drake hinsah, wurde die Vergrößerung verstärkt, und die Sterne bewegten sich radial aus dem Zentrum des Bildschirms. Ein winziger verkürzter Zylinder erschien dort und wuchs rasch, bis er den Bildschirm nahezu füllte. Drake sah die verräterische Unscharfe, die an Hitzewellen aufsteigender Luft erinnerte und ein voll aufgeladenes Übergangsfeld kennzeichnete. Das Großkampfschiff verschwamm beinahe bis zur Unkenntlichkeit, dann war es von einem Augenblick zum anderen fort. Nur ein paar blasse Sterne waren zu sehen, wo der Behemoth eben noch gewesen war.
» Teddy Roosevelt ist durchgegangen, Captain.«
»Danke, Mr. Haydn. Mr. Cristobal, schalten Sie die Startzählungsuhr ein. Wir springen in fünf Minuten.«
»Jawohl, Sir. Die Uhr ist eingeschaltet.«
»Sind die Aufzeichnungen sendefertig, Nachrichtenoffizier?«
»Fertig, Sir.«
»Beginnen Sie schon jetzt mit der Aussendung und überwachen Sie kontinuierlich die Sendestärke. Verständigen Sie mich sofort, wenn es zu irgendeiner Störung kommt.«
»Ja, Sir.«
Drake sah die roten Ziffern der Startzählungsuhr langsam ablaufen. Als noch zwei Minuten fehlten, wählte er Bethanys Kabine. Sie meldete sich nach dem zweiten Signalton.
»Sieht so aus, als wäre es so weit«, sagte er.
»Mag schon sein«, erwiderte sie steif.
»Hast du deinen Bildschirm eingeschaltet?«
Sie nickte.
»Dann geh bitte auf Kanal Zwei. Ich lasse die Sonne ins Bild bringen, sobald wir auf der anderen Seite ankommen.«
»Danke für deine Aufmerksamkeit, Richard«, sagte sie und unterbrach dann die Verbindung.
Drake wandte sich wieder den Digitalziffern zu. Es fehlte weniger als eine Minute.
»Sie können anfangen, Mr. Cristobal.«
»Danke, Captain. Generatoren sind auf voller Leistung, und das Übergangsfeld bildet sich. Noch dreißig Sekunden. Alles in Bereitschaft. Fünfzehn ... zehn ... fünf... vier ... drei ... zwei ... eins ... los!«