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GODDARD-STERN

POSITION: 1627.1 RA, -2207.4 DEC, 114 L-Y

Zahl der Faltpunkte: 3

Faltraumübergänge:

Primär: Sol, Goddard

Sekundär: Antares, Goddard

Tertiär: Wega, Ziolkowski, Goddard

BESCHREIBUNG DES SYSTEMS:

Das System besitzt 12 Planeten, 62 Monde und eine größere Anzahl kleiner Asteroiden. Planet IV, Goddard, und Planet V, Felicity, sind Welten vom Erdentyp mit heimischen Lebensformen. Die Planeten, in der Reihenfolge ihrer Entfernung vom Zentralgestirn, tragen folgende Namen ...

GESCHICHTE:

Im Jahre 2130 durch Schiffe der ersten Faltraumvermessung erforscht, wurde das System nach Robert H. Goddard benannt, einem Pionier der Raketenentwicklung. Der vierte Planet ist über weite Teile seiner Landoberfläche bewohnbar, obwohl die Temperaturen in den Äquatorregionen während des Sommers 70°C überschreiten. Auch der fünfte Planet ist bewohnt. Dort sinken die Temperaturen während des Winters in den höchsten Breiten bis zum Gefrierpunkt von Kohlendioxid. (Siehe separaten Eintrag Goddard-Planet und Felicity.) Die Kolonie auf Goddard IV wurde im Jahre 2135 gegründet, jene auf Goddard V 2148. Beide Kolonien wurden von den Vereinten Nationen verwaltet, die das System bis zur Unabhängigkeit im Jahre 2208 kontrollierten.

BEVÖLKERUNG:

Die Bevölkerung des Systems Goddard betrug nach der Volkszählung von 2500 insgesamt 4,5 Milliarden. Bedingt durch die unterschiedliche Herkunft der ursprünglichen Kolonisten gibt es zahlreiche separate ethnische Gruppen mit eigenen Sprachen. Die wichtigsten Verkehrssprachen sind ...

Aus Führer durch den besiedelten Raum,
97. Auflage, Copyright 2510,
Hallan-Verlagsgesellschaft, New York

»Faltraumübergang abgeschlossen! Alle Abteilungen melden Schäden oder Verletzungen! Ergebnisse sensorischer Raumüberwachung melden!«

Richard Drake schaltete das Mikrofon aus und wandte sich dem Navigator der Discovery zu. »Bringen Sie Goddard auf den Schirm, Mr. Cristobal.«

»Jawohl, Sir.«

Der große Bildschirm wurde freigemacht und zeigte einen schwarzen Sternhimmel mit einem alles überstrahlenden gelblich weißen Lichtpunkt in der Mitte. Der Anblick weckte in Drake einen plötzlichen Anflug von Heimweh. Goddard hätte Valerias Zwilling sein können. Er suchte die Umgebung des Sterns nach den winzigen Lichtpunkten planetarischer Körper ab, doch wenn es solche gab, konnte er sie nicht ausmachen.

»Gibt es Funkverkehr, Mr. Slater?«

»Ja, Sir«, meldete der Nachrichtenoffizier. »Ich empfange Emissionen von beiden bewohnten Welten, dazu eine große Zahl schwacher, über den Raum verstreuter Quellen, also starker Schiffsverkehr.«

»Von den unsrigen, hoffe ich.«

»Ja, Sir.«

»Zeichnen Sie den Empfang auf?«

»Selbstverständlich, Captain.«

»Mr. Cristobal, zeigen Sie uns Antares!« sagte Drake. Die Aufforderung war an Bord der Discovery zur Tradition geworden. Mehr als alles andere waren die Verwandlungen des Antares vom roten Riesenstern zur gleißenden Supernova und zum fernen Ringnebel geeignet, dem menschlichen Bewusstsein deutlich zu machen, dass mit jedem Faltraumübergang eine unvorstellbar weite Kluft interstellaren Raumes überwunden wurde.

In der Mitte des Bildschirms war Antares wieder der rötliche Riesenstern, der den Himmel Altas seit Menschengedenken geziert hatte. Das Goddardsystem war so weit entfernt, dass die Novaexplosion des Antares erst in einem weiteren Jahrhundert als Himmelserscheinung sichtbar würde.

»Und nun zeigen Sie uns bitte die Sonne, Mr. Cristobal.«

»Ja, Sir.«

Diesmal kam ein matter gelblicher Stern auf den Bildschirm. Er wäre unter den ungezählten Sternen kaum auszumachen gewesen, hätte man ihn nicht durch ein elektronisches Fadenkreuz markiert.

»Ist sie das?«, fragte Bethany von ihrem gewohnten Platz neben Drake.

»Das ist sie.«

»Sie ist nicht sehr eindrucksvoll.«

»Die Sonne zeichnet sich nicht durch besondere Größe oder Helligkeit aus. Aus dieser Entfernung ist sie für das unbewaffnete Auge kaum noch sichtbar. Man braucht schon ein größeres Teleskop und einige Kenntnis der Astronomie, wenn man sie ins Bild bekommen will.«

Bethany nickte. »Mein Onkel nahm mich einmal mit ins Colgategebirge, als ich ein Kind war, und versuchte sie mir zu zeigen. Er probierte stundenlang mit einem geliehenen Teleskop herum und war doch nicht sicher, welcher Stern die Sonne war.«

Nachdem er das blasse Licht auf dem Bildschirm eine Minute lang betrachtet hatte, signalisierte Drake seinem Ersten Offizier. »Wie steht es mit dem Rest der Flotte, Mr. Marchant?«

»Alle scheinen sicher angekommen zu sein, Captain. Die Dagger ist zehntausend Kilometer querab, die Terra fünftausend achtern. Die Zerstörer sind in ähnlichen Entfernungen um uns zerstreut.«

»Lassen Sie den Rest der Flotte aufschließen. Mr. Slater, bringen Sie ein Diagramm der Radioquellen auf den Bildschirm.«

»Ja, Sir.«

Kurz darauf erschien ein schematisches Diagramm des Systems Goddard auf dem Bildschirm. Symbole kennzeichneten die Quellen künstlicher elektromagnetischer Strahlen, die bisher festgestellt worden waren.

Die beiden stärksten Radioquellen waren naturgemäß die beiden bewohnten Planeten des Systems. Goddard, die innere Welt, umkreiste das Zentralgestirn in der warmen, gemäßigten Zone, während Felicity, die äußere Welt subarktisches bis arktisches Klima aufwies. Ein unregelmäßiges Gesprenkel schwacher Radioquellen kennzeichnete die Positionen von zahlreichen Schiffen, die im System unterwegs waren. Die meisten konzentrierten sich in einem breiten Streifen zwischen den beiden anderen Faltpunkten des Systems. Auch die Route zwischen den Planeten IV und V war stark befahren.

Eine halbe Stunde später war die Zahl der Radioquellen, die als Schiffe oder Orbitalinstallationen identifiziert waren, auf mehr als eintausend angewachsen. Bei dem Versuch, durch die Sensoren weitere Daten von den zwei bewohnten Welten zu gewinnen, wurden die Instrumente durch einen Hochenergieimpuls blockiert, der vom inneren System ausging.

»Wir sind soeben von einer Art Hochenergie-Suchradar erfasst worden«, meldete der Nachrichtenoffizier.

»Sie brauchten nicht lange, um uns auszumachen«, bemerkte der Erste Offizier.

Drake zuckte die Achseln. »Nicht überraschend, wenn man in Betracht zieht, wie viel Energie unsere strahlungsabweisenden Felder beim Ausbruch abgeben.«

»Sollen wir ihnen sagen, wer wir sind?«, fragte der Erste Offizier.

»Noch nicht gleich«, sagte Drake. »Wir wollen sehen, wie sie zuerst auf uns reagieren.«

Eine Stunde später orteten die Sensoren mehrere Schiffe mit Kurs auf die Expedition.

»Wie viele, Mr. Marchant?«

»Nach unseren Ablesungen ein rundes Dutzend, Captain«, antwortete Marchant. »Nein, ein weiteres ist eben gestartet, und zwei scheinen die Triebwerke anzuwärmen. Fünfzehn, Sir. Der Computer identifiziert drei davon vorläufig als Großkampfschiffe.«

»Sie schicken uns die ganze Flotte auf den Hals!«

»Können Sie es ihnen verdenken, Captain?«

»Ich kann sie sogar sehr gut verstehen, Mr. Marchant. Ich hoffe bloß, wir können sie von unserer Identität überzeugen, bevor sie auf Schussweite herankommen.«

Der Erste Sekretär der irdischen Botschaft auf Goddard, Gregory Oldfield, stieg aus den Tiefen des Schlafes langsam zum Bewusstsein empor, als das raue Lärmen auf seinem Nachttisch kein Ende nehmen wollte. Er wälzte sich herum, tastete schlaftrunken nach dem Telefon, um den schrillen Alarmton zum Schweigen zu bringen, bevor er die junge Frau neben sich weckte. Seine Finger ertasteten das rundliche grüne Gehäuse und dann den Hörer. Er zog ihn ans Ohr und ächzte:

»Was gibt es?«

»Sind Sie es, Mr. Oldfield?«, fragte Byron Caldwell, der Nachtdienstbeamte der Botschaft. »Warum kann ich Sie nicht sehen?«

»Weil ich die Bildaufzeichnung abgeschaltet habe«, murrte Oldfield. Er öffnete ein Auge und sah die flaumigen Wangen des stellvertretenden dritten Sekretärs in der weichen Fluoreszenz des kleinen Bildschirms. »Was wollen Sie, Caldwell?«

»Der Chef sagt, Sie sollen sofort hereinkommen, Mr. Oldfield!«

Plötzlich war Oldfield hellwach. Er hob den Kopf und reckte den Hals seitwärts, um die Uhr auf dem Nachttisch zu sehen. Die grünen Digitalziffern zeigten 03:16. »Es ist drei Uhr früh, Caldwell. Wollen Sie mir erzählen, dass der Botschafter im Amt ist?«

Das Gesicht nickte. »Ja, Sir, er ist da. Vor zwanzig Minuten kam er ganz aufgeregt herein. Sagt, Admiral Ryerson hätte ihn aus dem Bett geholt.«

»Ryerson? Wann ist der zurückgekommen?«

»Woher zurückgekommen, Sir?«

»Als ich zuletzt von ihm hörte, war er draußen bei der Flotte.«

»Ah, ja, Sir. Dort ist er auch. Er rief den Botschafter von Bord aus an. Anscheinend sind Meldungen eingegangen, nach denen eine Anzahl nicht identifizierter Schiffe im System aufgetaucht ist.«

Oldfield setzte sich im Bett auf und schloss für einen Moment die Augen, als der bohrende Kopfschmerz einsetzte, der ihm von der Party des Vorabends geblieben war. »Ist das sicher?«

»Nein, Sir«, sagte der stellvertretende Dritte Sekretär.

»Deshalb brauchen wir Sie hier.«

»Ich bin unterwegs!«

Oldfield schaltete die Beleuchtung ein, und die schöne junge Frau auf der anderen Seite des Bettes regte sich und beschirmte die Augen mit einem Unterarm gegen die plötzliche Helligkeit.

»Was ist los, Greggy?«

»In der Botschaft hat sich was ergeben. Ich muss hin und die Sache in Ordnung bringen. Schlaf weiter. Wenn ich bis morgen früh nicht zurück sein sollte, mach dir Frühstück und ruf ein Taxi.«

»Musst du gehen?«

»Die Pflicht ruft, Liebes.« Er beugte sich über sie, küsste sie auf die Stirn. Sie lächelte, drehte sich um und schlief wieder ein. Fünf Minuten später schaltete Oldfield die Beleuchtung aus und eilte zur Tür. Erst als er in der Tiefgarage war, wo sein Sportwagen stand, fiel ihm ein, dass er sich nicht an den Namen dieses Mädchens erinnern konnte.

Die Botschaft war hell erleuchtet, als Oldfield auf den Parkplatz fuhr. Er griff sich die Aktentasche vom Rücksitz, eilte zum Eingang, sprang die Stufen hinauf und lief durch die Halle zum Aufzug, der ihn ins oberste Stockwerk tragen sollte. Er fand Botschafter Elliot an seinem Schreibtisch, wo er Meldungen las.

»Was gibt es, Sir?«, fragte er, als er sich ohne Umstände in den großen Sessel fallen ließ, den der Botschafter für wichtige Besucher bereitstehen hatte. Botschafter Elliot blickte auf. Das Licht seiner Arbeitslampe spiegelte sich in seinen altmodischen Brillengläsern.

»Wo haben Sie gesteckt?«

»Ich war zu Haus im Bett, Sir. Ich kam hierher, so schnell ich konnte. Was gibt es?«

Elliot gab ihm den Ausdruck, in dem er gelesen hatte. Oldfield begann den Text zu überfliegen, stutzte und fing noch einmal langsam an zu lesen, Zeile für Zeile. Je mehr er las, desto ungläubiger wurde sein Staunen.

STRENG GEHEIM – STRENG GEHEIM

Datum: 17. Oktober 2639 16:82:48,8

Von:

Ryerson, B. T., Admiral

TSNS Teddy Roosevelt

An:

(1) Alle Schiffe und Flottenstationen, Goddard

(2) Botschafter Elliot, Botschaft Erde, Goddard

(3) Weiterleitung durch Eilkurier an Heimatflotte, Sol-Sys


Betrifft: Kontakt im Goddard/Antares-Faltpunkt


1. Um 15:12:15 Uhr Standard, am 17. Oktober 2639 wurden zwei Objekte im Goddard-Antares Faltpunkt festgestellt. Unmittelbar nach dem Ausbruch leuchteten Objekte in multispektralem Licht hell auf. Dieser Lichtschein verblasste nach fünfzehn Sekunden, bis die Objekte nicht mehr sichtbar waren.

2. Um 15:50:33 Uhr Standard, am 17. Oktober 2639 wurden weitere fünf Objekte im Goddard-Antares-Faltpunkt festgestellt. Kurzlebiges Aufleuchten wurde auch hier beobachtet.

3. Unterschiedliche Positionen der Objekte sind typisch für Standardausbruch von Schiffen, die in einem Faltpunkt eintreffen.

4. Bei den Objekten handelt es sich vermutlich um nicht identifizierte Flotte aus dem Bereich des Antares-Ringnebels.

5. Alle verfügbaren Streitkräfte sind zum Faltpunkt befohlen, um Objekte abzufangen bzw. Identität festzustellen.


R. T. Ryerson,
Admiral
Kommandeur Geschwader 1712 TSN

Gregg Oldfield blickte auf. »Ist das echt?«

Der Botschafter nickte. »Vor nicht mehr als einer Stunde von Admiral Ryerson mir gegenüber persönlich bestätigt.«

»Sind es Ryall?«

»Das ist der Verdacht. Ich weiß nicht, wie es ihnen gelungen ist, aber die Zentauren müssen den Ringnebel der Supernova durchdrungen haben. Das wird noch viel Ärger geben.« Elliot wollte weitersprechen, wurde aber vom ruhigen Summton seines Telefons unterbrochen. Er nahm den Hörer ab und lauschte aufmerksam. Oldfield konnte die Worte nicht hören, aber die Stimme am anderen Ende sprach sehr schnell und aufgeregt, und er folgerte, dass eine Neuentwicklung eingetreten sei. Der Botschafter hörte schweigend zu, dann sagte er: »Danke«, und legte auf.

»Was ist los?«, fragte Gregg Oldfield, als er den benommenen Ausdruck seines Chefs sah.

»Das war eine von der Nachrichtenabteilung der Flotte übermittelte Botschaft. Ryerson läßt in diesen Minuten eine weitere allgemeine Bekanntmachung absetzen. Anscheinend hat er mit den geheimnisvollen Schiffen Verbindung aufgenommen.«

»Und?«, fragte der Erste Sekretär.

»Sie behaupten, Kolonisten von den Systemen Valeria und Hellsgate zu sein!«

Oldfield zog die Stirn in Falten. »Von Hellsgate habe ich natürlich gehört. Das war das System, das abgeschnitten wurde, als die Ryall vor fünfzehn, nein, siebzehn Jahren Aezer besetzten. Aber was ist Valeria?«

»Gute Frage.« Der Botschafter schaltete den Datenanschluss auf seinem Schreibtisch ein und hatte gleich darauf Zeilen bernsteinfarbener Schrift, die in schneller Lesegeschwindigkeit über den Bildschirm wanderten. Er überflog die Information.

»Hier heißt es, das Valeria-System sei eine der kleineren Kolonien im Antares-Haufen. Alle Verbindungen zwischen Valeria und dem Rest unserer Hegemonie wurden unterbrochen, als Antares explodierte.«

»Ein verschwundener Faltpunkt?«, fragte Oldfield.

»Offenbar.« Der Botschafter las stirnrunzelnd weiter. Eine Minute später machte er den Bildschirm frei und lehnte sich zurück. »Nun, das wirft ein anderes Licht auf die Ereignisse, nicht wahr?«

»Wieso?«, fragte Oldfield.

»Haben Sie nicht gehört? Es sind keine Zentauren. Damit wird es von einem militärischen zu einem diplomatischen Problem. Und da wir die Diplomaten an Ort und Stelle sind, werden wir die Sache in die Hände nehmen müssen.«

»Ja, gut, aber wie?«

Ein breites Grinsen verzog Elliots Gesicht. »Ich nehme an, dass einer für uns hingehen und die Verhandlungen führen muss.«

»Was für Verhandlungen?«

»Sie überraschen mich, Oldfield. Sie sind lange genug Karrierediplomat, um zu wissen, dass es immer Verhandlungen gibt.«

»Ich nehme an, Sie werden diese Verhandlungen selbst führen wollen, Sir?«

»Das würde ich gern tun, Oldfield. Aber ich kann mich jetzt nicht freimachen. Der Gründertag von Goddard steht bevor, wie Sie wissen. Sie werden an meiner Stelle gehen müssen.«

Oldfield stöhnte. »Irgendwie dachte ich mir, dass Sie darauf hinaus wollten.«

Eine Woche nach ihrer Ankunft im System Goddard stand Richard Drake in der kleinen Kabine des leitenden Ingenieurs, die einen Ausblick über den Hangar der Discovery gewährte, und beobachtete das Andockmanöver eines kleinen Landungsbootes, das durch die offenen Hangartore und über den Computer zu seinem Liegeplatz dirigiert wurde. Das Boot trug die Markierungen der Großen Flotte der Erde und den Namen seines Mutterschiffes TSNS Teddy Roosevelt am Bug. Der leitende Ingenieur schaltete die Hydraulik zum Schließen der Tore. Als dies geschehen war, öffnete er die elektronisch gesteuerten Einlassventile für den Druckausgleich. Eine Minute lang vibrierte das gedämpfte Brausen der einströmenden Luft durch das Panzerglasfenster der Kabine, und ein Sturm von Expansionsnebel hüllte das neu eingetroffene Landungsboot in wirbelnde Schwaden.

Der Ingenieur beobachtete seine Instrumente, dann nickte er Drake zu. »Sie können jetzt hineingehen, Sir.«

»Danke, Ingenieur. Das war ein gutes, flottes Annäherungs- und Eindockmanöver. Mein Kompliment.«

»Danke, Sir.«

Drake zog sich Hand über Hand zur Luftschleuse und betrat den Hangar. Um den hallenartigen Raum zu durchqueren, wo der Rest der Begrüßungsabordnung sich bereits versammelt hatte, machte er Gebrauch von einem Führungsseil. Bethany Lindquist, Phillip Walkirk und sechs Marinesoldaten hatten sich mit Klampen am Deck verankert. Drake gesellte sich zu ihnen und stieß seine Stiefelspitzen in die Halterungen.

»Ist es nicht aufregend, Richard? Endlich begegnen wir Lebewesen von der Erde!«, rief Bethany.

»Und die beiden Lieutenants, die uns gestern in Augenschein nahmen?«

»Die zählen nicht, weil du mir nicht erlaubt hast, ihnen Fragen zu stellen.«

Drake hob die Schultern. »Sie hatten anderes zu tun.«

Die ihnen entgegengesandte Flotte war zwanzig Stunden zuvor eingetroffen. Nach einer ersten Konferenz, die an Bord von Landungsbooten abgehalten worden war, hatte Admiral Ryerson zwei Offiziere an Bord der Expeditionsschiffe geschickt, um sich durch eigenen Augenschein zu überzeugen, dass sie die waren, als die sie sich ausgaben. Die beiden hatten die Räumlichkeiten der Discovery inspiziert und waren dann zu den anderen fünf Schiffen der Flotte weitergefahren. Die Inspektion hatte acht Stunden gedauert, und am Ende hatten die beiden irdischen Flottenoffiziere sich mit dem Ergebnis zufrieden gezeigt.

Eine plötzliche Bewegung der äußeren Luftschleuse des Landungsbootes ließ Drake aufmerken. Phillip Walkirk rief Befehle, und seine Marinesoldaten nahmen Haltung an und präsentierten die Sturmgewehre, als ein hoch gewachsener Mann in schwarz-goldener Uniform auf die Plattform der Fahrtreppe trat. Aus den Lautsprechern ertönte ›Ad Astra‹, die inoffizielle Hymne der Menschheitshegemonie. Der Admiral blieb stehen und hielt sich am Geländer fest, bis die Hymne verklungen war, dann zog er sich die Stufen hinunter und am Führungsseil zu den wartenden Kolonisten. Mehrere andere folgten ihm aus der Luftschleuse. Der zweite Mann trug die Galauniform eines Diplomaten, während die übrigen Marineuniformen trugen. Der Admiral machte Halt, als er Drake erreichte.

»Captain Drake? Ich bin Admiral Ryerson.«

»Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Admiral«, erwiderte Drake, nachdem er salutiert hatte.

Ryerson erwiderte die Ehrenbezeigung und wandte sich an seinen diplomatischen Begleiter. »Darf ich Ihnen den Ersten Sekretär Gregory Oldfield von der Botschaft auf Goddard vorstellen?«

»Willkommen an Bord, Mr. Oldfield«, sagte Drake und schüttelte dem Diplomaten die Hand. Er stellte Phillip Walkirk und Bethany Lindquist vor. Der Admiral machte sie seinerseits mit den Offizieren seines Stabes bekannt. Im Anschluss an die Förmlichkeiten sah er sich um und ließ seinen Blick durch den Hangar gehen.

»Dies ist ein schwerer Schlachtkreuzer der alten Drachenklasse, nicht wahr?«

»Ja, Sir. Wir erbten drei von der Großen Flotte, als die Nova unseren Faltpunkt zerstörte.«

»Sieht gut gepflegt aus, das Schiff.«

»Wir haben unser Möglichstes getan, Admiral.«

Drake machte eine einladende Geste zur Luftschleuse, die zum Habitatring des Schiffes führte. »Wenn Sie mir folgen wollen, werden wir Ihnen etwas mehr Bequemlichkeit bieten, als es uns hier möglich ist, und versuchen, das Schiff wieder in Rotation zu versetzten.«

Drake führte die Besucher zur Offiziersmesse. Die Gruppe wurde in ihrem Vorankommen mehrmals aufgehalten, als die Besucher Fragen über das Schiff und seine Geschichte stellten. Wie schon der Admiral, so äußerten auch sie ihre Überraschung angesichts des guten Zustand des hundertfünfzig Jahre alten Kreuzers. Als sie ihr Ziel erreichten, war die normale Schwerkraft annähernd wieder hergestellt.

In der Offiziersmesse machte Drake die Besucher mit dem Ersten Offizier Marchant, den Professoren Alvarez und St. Cyr und sechs anderen leitenden Wissenschaftlern bekannt. Sobald die Förmlichkeiten beendet waren, setzte man sich um den großen Tisch, und der Erste Botschaftssekretär Oldfield begann das Gespräch. »Ich kann nicht umhin, zu bemerken, dass keine politischen Persönlichkeiten hier sind, Captain Drake«, bemerkte er. »Warum ist das so?«

»Die offiziellen Vertreter sowohl der altanischen als auch der sandarischen Regierung sind an Bord unseres Flaggschiffes, das sich noch im Innern des Ringnebels befindet, Mr. Oldfield. Was Sie hier sehen, ist nur eine Expedition zur Erkundung.«

»Eine ansehnliche Expedition«, sagte Ryerson, der seinen Platz neben Oldfield eingenommen hatte. »Drei Kreuzer und drei Zerstörer! Was erwarteten Sie auf dieser Seite des Faltpunktes?«

»Wir wussten nicht, was uns erwartete, Admiral. Darum entschieden wir uns für bewaffnete Aufklärung.«

»Entschuldigen Sie, Admiral«, sagte Bethany. »Ist die Erde schon von unserer Anwesenheit verständigt worden?«

Ryerson nickte. »Ein Eilkurier wurde entsandt, kaum dass wir von Ihrer Identität erfahren hatten.«

»Und wann können wir eine Antwort erwarten?«

»Jederzeit jetzt«, sagte Ryerson, bevor er sich wieder Drake zuwandte. »Captain, dies ist Ihre Sitzung, und Sie können sie leiten, wie Sie wünschen. Es wäre jedoch nützlich, wenn Sie erklären würden, wie Sie in dieses System gelangt sind. Die Nachricht, dass Schiffe aus dem Ringnebel der Supernova kamen, erregte beträchtliches Aufsehen.«

»Das kann ich mir denken, Admiral«, sagte Drake lachend.

»In meiner Heimat hatten wir vor ein paar Jahren ein ähnliches Erlebnis.« Drake skizzierte mit knappen Worten die Geschichte der Kolonie Alta vom Zeitpunkt des Supernovaausbruchs durch die Generationen der Langen Isolation bis zu dem Augenblick, als die Conqueror plötzlich in ihrem System erschienen war.

»Welches Schiff war das, sagten Sie?«, fragte Ryerson.

»TSNS Conqueror, Admiral.«

Der Admiral und seine Stabsoffiziere tauschten wissende Blicke, und Ryerson nickte nachdenklich. » Conqueror ging vor drei Jahren in der zweiten Schlacht von Klamath verloren, Captain. Ich weiß es, weil ich dabei war.«

»Wir haben oft spekuliert, was damals geschah, Admiral«, sagte Bethany. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, uns über die Umstände aufzuklären?«

»Keineswegs, Miss Lindquist. Das strategische Ziel war, die Ryall aus dem System Klamath zu vertreiben, das, wie Sie vielleicht wissen, eines von dreien ist, wo unsere Hegemonie mit jener der Ryall zusammentrifft. Für die Operation versammelten wir mehr als hundert Schiffe. Admiral Carnaby hatte den Oberbefehl; die Conqueror war sein Flaggschiff. Ich führte von Bord der Teddy Roosevelt eine der Kampfgruppen. Die Schlacht begann für uns sehr gut. Wir überraschten eine kleine Ryall-Flotte knapp außerhalb der Umlaufbahn von Klamath III und verwickelten sie in ein Gefecht. Es waren weniger als zwanzig Schiffe, während wir mehr als hundert waren, und so blieb ihnen nichts übrig, als sich zum Planeten zurückzuziehen, um ihn als Deckung zu benutzen. Natürlich drängten wir nach. Bald fand das Kampfgeschehen im Randbereich des Atmosphäre von Klamath III statt und ging in einigen Fällen sogar tiefer in die Stratosphäre.

Bei diesem Stand der Dinge merkten wir, dass wir in eine Falle der Ryall gelockt worden waren. Tatsächlich hatte sich die gesamte Ryall-Flotte um Klamath III versammelt. Bis auf die zwanzig Schiffe, die als Köder gedient hatten, schwebten sie auf der abgewandten Seite des Planeten in den höheren Schichten der Atmosphäre, außerhalb des Wahrnehmungsbereichs unserer Sensoren. Eben noch waren wir im Begriff, einen weit unterlegenen Feind auszulöschen, und plötzlich war der Himmel voll von Kriegsschiffen der Zentauren. Sie überraschten uns mit einem Flankenangriff. Zu Admiral Carnabys Ehre sei gesagt, dass er die Gefahr sofort erkannte und den Abbruch des Gefechts befahl, bevor der Gegner uns in die Flanke und den Rücken kommen konnte. Während wir alle mit acht g beschleunigten, um der Umklammerung zu entkommen, ließ Carnaby die Conqueror einen Entlastungsangriff gegen die Ryall-Flotte führen. Es war eine großartige Geste, aber natürlich hatte er keine Chance gegen die vereinigte Feuerkraft von achtzig Ryall-Schiffen. Die Conqueror wurde schonungslos zusammengeschossen, feuerte aber weiter, bis der Rest der Flotte der drohenden Einschließung entkommen war. Dann erst gab Admiral Carnaby Befehl, das Schiff zu verlassen.

Ich fürchte, wir werden nie Gewissheit darüber erhalten, was anschließend geschah, weil Carnaby nicht unter denen war, die wir nach der Schlacht bergen konnten. Wir vermuten aber, dass er dem intakten Autopiloten des Schiffes Anweisung gab, den nächsten Faltpunkt anzusteuern, um den Feind abzulenken und seinen Rettungsbooten das Entkommen zu sichern. Unsere Sensoren verfolgten den Kurs der Conqueror, bis sie den Klamath-Antares-Faltpunkt erreichte und verschwand. Wir haben immer angenommen, dass sie in den Anziehungsbereich des Neutronensterns geriet und vernichtet wurde.« Ryerson blickte in die Runde der versammelten Kolonisten. »Offensichtlich traf unsere Vermutung nicht zu.«

»Auch wir konnten kaum glauben«, sagte Drake, »dass ein Schiff den Strahlungsbereich des Neutronensterns innerhalb des Ringnebels durchdringen könnte. Tatsächlich, Admiral, fanden wir den Gedanken so abwegig, dass wir die Möglichkeit erst in Betracht zogen, als alle anderen Möglichkeiten erschöpft waren.«

»Wie gelingt es Ihren Schiffen, im Innern des Ringnebels zu überleben, Captain?«, fragte einer von Ryersons Stabsoffizieren.

»Strahlungsabweisende Felder«, antwortete Drake.

»Ist die Technik dieser Abschirmung verkäuflich?«, fragte Ryerson.

»Wir sind bereit, Ihnen die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, Admiral«, erwiderte Drake.

»Als Gegenleistung wofür?«, fragte Botschaftssekretär Oldfield.

»Ihre Hilfe bei der Vertreibung der Ryall aus dem System Aezer«, antwortete Phillip Walkirk.

»Ich hoffe, Sie verstehen, Hoheit, dass diese Frage der Zentralregierung auf der Erde zur Entscheidung vorgelegt werden muss. Ich fürchte, uns armen Provinzdiplomaten fehlt die Macht, über die Große Flotte zu verfügen.«

»Wann können wir zur Erde weiterreisen, Mr. Oldfield?«, fragte Bethany.

»Sehr bald, Miss Lindquist. Admiral Ryerson wird Ihnen eine angemessene Eskorte zur Verfügung stellen, sobald Sie entscheiden, mit welchem Schiff Sie die Reise machen wollen.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Drake. »Die gesamte Expedition wird die Reise machen.«

Oldfield blickte überrascht, dann lächelte er verlegen.

»Einfältig von mir, Captain. Sie sind fremd hier, also können Sie natürlich nicht mit den Bestimmungen vertraut sein.«

»Welchen Bestimmungen?«

»Nun, den Bestimmungen, die den Aufenthalt von Kriegsschiffen im Sonnensystem regeln. Da moderne Kriegsschiffe imstande sind, eine ganze Welt unbewohnbar zu machen, sind wir sehr empfindlich in der Frage, wer Erlaubnis erhält, der Heimatwelt nahezukommen. Sicherlich können Sie unsere Vorsicht verstehen. Sie werden Erlaubnis erhalten, ein Schiff für die Reise zur Erde zu benutzen, und dieses Schiff wird von mindestens einem der unsrigen eskortiert sein müssen.«

»Und der Rest der Expeditionsflotte?«

»Wird zwangsläufig hier im Goddardsystem bleiben müssen, bis Sie zurückkehren.«