38

Fähnrich Phillip Walkirk, Herzog von Cragston, Verteidiger der Faltpunkte, Abkömmling der Kriegerkönige und künftiger Bezwinger der Ryall, lag im Schutzanzug auf seinem zurückgeklappten Sitz und atmete den Gestank seiner eigenen Angst ein. Ringsum lagen ähnlich luftdicht gepanzerte Angehörige des altanischen Marinekorps angeschnallt und erwarteten ihren Einsatz.

»Noch zehn Minuten, Fähnrich«, sagte die barsche Stimme des Unteroffiziers Willem Berthol in Phillips Kopfhörern. »Wir sollten uns zum Aussteigen bereitmachen.«

»Richtig«, sagte der Prinz und löste seinen Gurt.

Der Plan war einfach, wenn auch nicht ohne Gefahr für jene, die ihn auszuführen hatten. Die Kamerasonde hatte genaue Aufnahmen vom Äußeren des Transporters gemacht, und diese Aufnahmen hatten bestätigt, dass offenbar keine schweren Waffen an Bord waren. Die nächsten Maschinen, die sich dem Massenguttransporter näherten, würden die Aufklärer Questor und Calico sein. Ihre Aufgabe war es, die Triebwerke des Transporters funktionsunfähig zu machen und alle an der Außenhülle angebrachten sensorischen Aufnahmegeräte zu zerstören. Sobald die Beute bewegungsunfähig und geblendet war, sollten die Landungsboote Barracuda und Horned Devil bis auf zehn Meter heranmanövrieren und das Enterkommando von fünfundzwanzig Mann absetzen. Die beiden Aufklärer und die Landungsboote würden dann den Ryall-Transporter einschließen und Feuerschutz geben, während die Marinesoldaten an zwei verschiedenen Punkten Sprengladungen ansetzten und ins Innere eindrangen. Dann würde es ihre Aufgabe sein, die Besatzung gefangen zu nehmen.

»Wir sind einsatzbereit«, meldete Phillip Walkirk dem Piloten des Aufklärers.

»Warten Sie, Fähnrich«, kam die Antwort. »In zehn Sekunden werden wir den Antrieb ausschalten.«

Phillip beobachtete den winzigen Zeitmesser in seinem Helm. Tatsächlich verschwand der Druck auf seine Brust zehn Sekunden später. Gleichzeitig war die Stimme des Piloten über die Bordsprechanlage zu vernehmen: »Achtung, Enterkommando! Wir werden acht Minuten in Schwerelosigkeit bleiben und dann mit zwei g beschleunigen. Wer dann noch an Bord ist, muss sich vorher gut verankern!

Viel Glück, Enterkommando!«

Da der Transporter noch immer zu einem Faltpunkt beschleunigte, den er nie erreichen würde, brauchte die Barracuda keine neue Geschwindigkeitsangleichung vorzunehmen. Langsam glitt die Maschine näher an den massigen Rumpf heran.

»Achtung!«, rief Phillip Walkirk in sein Kehlkopfmikrofon.

»Die ungeraden Nummern machen sich der Reihe nach zum Aussteigen bereit.«

Sechs Marinesoldaten erhoben sich von ihren Plätzen und stellten sich im engen Mittelgang des Landungsbootes hintereinander auf. Sie bewegten sich unbeholfen durch die enge Kabine zur vorderen Luftschleuse. Sobald wieder Platz war, befahl Phillip Walkirk den geraden Nummern, sich ihren Kameraden anzuschließen. An der Luftschleuse stand der Copilot des Landungsbootes im Schutzanzug bereit, eine Hand auf dem Ventil, das die Luft aus der Kabine ins Freie strömen ließ.

»Wir können aufmachen, wenn Sie so weit sind, Fähnrich«, sagte er.

Phillip Walkirk ließ die Anzüge überprüfen. Es folgten zwei Minuten gegenseitiger Inspektion und eine kurze, präzise Bereitschaftsmeldung der Soldaten mit Namen und Nummern.

»Festhalten, Soldaten! Wir lassen die Luft ab.«

Ein plötzlicher Wind zupfte an den Schutzanzügen, und die Luft entwich mit leisem Seufzen aus der kleinen Kabine. Das Geräusch erstarb sehr schnell, als alle Luft in den Raum abgeströmt war. Gleichzeitig mit der jähen Stille des Vakuums blähte sich Walkirks Schutzanzug auf und versteifte sich an den Gelenken. So rasch wie die Luft abgeströmt war, öffnete der Copilot beide Schleusentüren und gab den Blick auf die unendliche Schwärze draußen frei.

»Folgen Sie mir!«, befahl er.

Ein Landungsboot war ein kleines, bewaffnetes Hilfsfahrzeug, das im interplanetarischen Nahbereich eingesetzt werden konnte, wegen des begrenzten Treibstoffvorrats aber nicht für interstellare Aufgaben geeignet war. Neben seiner Funktion als Landungsboot, die gute Flugeigenschaften in der Atmosphäre erforderte, gehörte es zu den Aufgaben solcher Hilfsfahrzeuge, Störangriffe gegen den Feind zu fliegen, wenn dieser im Gefecht mit dem Mutterschiff stand. Sie waren indessen nicht dafür gemacht, Bodentruppen ins Gefecht zu bringen.

Aus diesem Grund hatten Ingenieure an Bord des altanischen Kreuzers improvisieren müssen und ein Geländer auf die Oberflächen der kurzen Tragflächen geschweißt. Der Plan sah vor, dass die Marinesoldaten des Enterkommandos sich nach dem Verlassen der Kabine an den Geländern die Flügel entlangzogen und sich für das eigentliche Entermanöver verankerten. Von der Tragfläche aus ließ sich der Angriff rascher durchführen, obwohl er das Enterkommando der Gefahr durch eine möglicherweise nicht erkannte Abwehrbewaffnung aussetzte.

Walkirk hakte den Karabiner am Ende der Sicherheitsleine in das Geländer, das zur Backbordseite führte, und zog sich Hand über Hand an der Tragfläche hinaus. An ihrem Ende tauschte er die Sicherheitsleine gegen eine von mehreren anderen, die dort festgemacht waren. An dem Punkt, wo sie an Phillips Schutzanzug festgemacht wurde, hatte die Leine eine kleine Explosivladung, die ihn von der Leine befreite, sobald er das feindliche Schiff geentert hatte und die Ladung aktivierte. Einstweilen sorgte die Vierpunktbefestigung dafür, dass er nicht den Halt verlieren und abgetrieben werden konnte, wenn das Landungsboot während der Annäherung zu plötzlichen Manövern gezwungen war.

Er sah sich zur Luftschleuse um. Seine sechs Kameraden lagen hinter ihm auf der Tragfläche in Bereitschaft, weitere Gestalten verließen die Luftschleuse. Sergeant Berthol führte diese Gruppe über den Rumpf der Maschine zu den Befestigungspunkten an der Steuerbordtragfläche. Phillip sah sie außer Sicht kommen, dann schrak er zusammen, als unvermittelt helle Lichtblitze in rascher Folge die Schwärze erhellten.

»Was, zum Teufel, war das?«, fragte eine Stimme in seinem Kopfhörer. Er erkannte den schwerzüngigen Akzent von Altas westlichem Kontinent und identifizierte die Stimme als die des Gefreiten Kevin Sayers, der unmittelbar neben ihm auf der Tragfläche kauerte.

»Das werden die Questor und die Calico sein, die seine Sensoren ausbrennen und die Triebwerke stilllegen«, sagte Phillip.

»Ich hoffe, die Zentauren kommen nicht auf den Gedanken, Selbstmord zu begehen, während wir ihnen im Nacken sitzen«, murmelte der Gefreite.

Das hoffe ich auch, dachte Phillip bei sich. Laut sagte er:

»Wenn sie sich in die Luft sprengen wollten, hätten sie es schon getan.«

Das Ryall-Schiff wuchs rasch, als der Pilot das Landungsboot ins Ziel brachte. »Achtung!«, kam seine Stimme durch die Kopfhörer. »Festhalten da draußen. Wir sind noch ein gutes Stück zu schnell!«

Unter Phillip Walkirks Füßen leuchtete es violett auf. Gleichzeitig presste ihn ein plötzlicher Beschleunigungsdruck in die Stiefel. Er rutschte in seinem Schutzanzug abwärts und kam mit einem hörbaren Schnaufen unten an, als der Pilot des Landungsbootes die zu hohe Annäherungsgeschwindigkeit herabdrückte. Aus den Augenwinkeln sah Phillip eine andere, ähnliche Lichterscheinung am Himmel jenseits des Ryall-Schiffes. Das musste die Horned Devil sein, die die andere Hälfte des Enterkommandos brachte.

Dann war der Druck weg, und das Landungsboot hing bewegungslos zehn Meter von der mächtig gewölbten Bordwand entfernt.

»Leinen los und Manövriereinheiten einschalten!«, befahl Phillip. Er drückte den Schalter, der die Absprengladung zur Detonation brachte. Es gab ein kaum hörbares dumpfes Geräusch, und er war frei. »Fertig zum Sprung!«

Varlan von den Duftenden Wassern lag vor einem großen Holotank und verfolgte den Angriff der Ungeheuer auf Raumschwimmer. Der Tank, normalerweise zur Kartierung von Verwerfungen und Faltungen unterirdischer Gesteinsschichten benutzt, war von den Technikern hergerichtet worden, um die Situation im Raum darzustellen, wie sie von den Rechnern ermittelt wurde. In der Tiefe des Tanks war Corlis' gelbes Zentralgestirn, Eulysta, ein kleines, leuchtendes Juwel. Hoch darüber, unweit vom oberen Rand der Darstellung, lag das Tor zum Bösen Stern. Das Tor zu Carratyl war viel tiefer, ungefähr auf einer Ebene mit dem blaugrünen Lichtpunkt, der Corlis selbst kennzeichnete. Drei andere nahe Planeten waren ebenfalls zu sehen, und der Rechner gab sogar ihre Umlaufbahnen an.

Es gab weitere schwache Lichtlinien im Holotank, die nahezu rechtwinklig zu den konzentrischen Kreisen verliefen, welche die Ebene von Eulystas Ekliptik kennzeichnete. Die Flugbahnen der Fahrzeuge, die die Raumschwimmer verfolgten, waren in leicht smaragdgrünen Linien angezeigt. Neben ihnen legten mehrere Notierungen der Zeit und der Vektoren stummes Zeugnis für die Geschwindigkeit ab, mit der die zweibeinigen Teufel das System in ihrer Jagd nach dem flüchtenden Erzfrachter durchquert hatten.

Varlans Blick wurde zu einer zweiten Gruppe fremder Kriegsschiffe gelenkt. Auch diese zogen matt beleuchtete grüne Fäden nach sich, sie nahmen jedoch nicht an der Verfolgung des Transporters teil. Diese Feinde hielten vielmehr Kurs auf Corlis und würden in nur drei Umdrehungen des Planeten eintreffen. Varlan grämte sich, dass nicht mehr Zeit sein würde, die Verteidigungsanlagen zu vervollkommnen, obwohl ihr objektiv klar war, dass auch tausend Jahre unzureichend sein würden, wenn die Ungeheuer es wirklich auf den Corlis-Komplex abgesehen hatten.

Wichtiger aber war im Moment das Schicksal der Raumschwimmer. Sie passte die Tonlage ihrer Stimme dem Frequenzbereich der Rechenanlage an, die den Holotank betrieb, und sagte: »Brennpunkt auf die Raumschwimmer verlegen. Vergrößerung auf Maximum verstärken.«

Die Gesamtansicht des Eulystasystems verblasste und wurde von einer anderen Darstellung ersetzt. Ein Schwarm von Schiffen nahm jetzt den mittleren Bereich des Holotanks ein. Im Mittelpunkt befand sich der rosa Punkt des Raumschwimmers. Er wurde umschwärmt von purpurgrünen feindlichen Fahrzeugen. Aus jedem Lichtpunkt kamen kleine violette Kennzeichnungen hervor, die Geschwindigkeit und Beschleunigungsvektoren des betreffenden Fahrzeuges wiedergaben. Varlan war keine Sachverständige in diesen Dingen, aber der Umstand, dass die nächsten Schiffe der Ungeheuer Geschwindigkeiten und Beschleunigungen aufwiesen, die mit denen des Erztransporters nahezu identisch waren, zeigte an, dass für Ossfil und den Raumschwimmer das Ende nahe war.

»Welches ist die Grundlage für diese Darstellung?«, fragte Varlan.

»Die Information ist die wahrscheinlichste Projektion der Beobachtungen, die die Raumschwimmer in letzten Meldungen übermittelte«, antwortete der Rechner.

»Wann ist die letzte Meldung eingegangen?«

»Die Zeitspanne beträgt zwölf Herzschläge in der dritten Potenz.«

Varlan war erfreut über die relative Aktualität der Information. Es hatte eine Zeit gegeben, als sie einen ununterbrochenen Informationsfluss im Hinblick auf das bevorstehende Gefecht für selbstverständlich gehalten hatte. Die letzten Tage hatten sie in solchen Dingen wesentlich bescheidener gemacht.

»Varlan von den Duftenden Wassern!«

Ihre Konzentration auf das holographische Diagramm war so vollkommen, dass sie das Rascheln der getrockneten Binsen hinter sich überhört hatte. Erschrocken drehte sie den Hals um hundertachtzig Grad und sah Salfador hinter sich stehen. Der mit minimaler Lautstärke abgegebene Ruf des Priesterphilosophen kam ihr im ersten Schreck wie Gebrüll vor.

»Du solltest Salfador der Stille genannt werden, Philosoph!«, sagte sie lachend, als sie sich vom Schreck erholt hatte.

»Mein Bedauern, wenn ich dich geängstigt habe, Varlan. Die Aufgaben, die du mir zugewiesen hast, sind erfüllt. Die medizinische Einrichtung ist in Schacht Eins verlegt worden und bereitet sich für die Aufnahme Verwundeter vor. Auch habe ich zwei deiner Arbeiter in der Bedienung mehrerer Heilungsmaschinen unterwiesen.«

Varlan signalisierte ihre Anerkennung, dann drehte sie den Kopf und blickte mit einem Auge aufmerksam in die niedergeschlagenen Züge des Priesterphilosophen.

»Was fehlt dir, Salfador?«

Der Priester deutete zum Holotank. »Wie verläuft der Kampf für Raumschwimmer?«

Varlans Reaktion hatte kein Äquivalent unter den Menschen. Am ehesten ließe sich das Geräusch als ein geringschätziges Schnauben verdeutlichen, verbunden mit zynischem Auflachen. »Der Kampf ist mehr ein Fischzug als ein Wettkampf zwischen Kriegern. Ich fürchte, die Ungeheuer werden Ossfil in ein paar hundert Herzschlägen in ihrer Gewalt haben.«

»Werden sie ihn nicht einfach töten?«

»Es sieht nicht so aus. Ich bin in Fragen der Navigation nicht sachverständig, doch scheint es, dass weder das größere noch das kleinere Kampfschiff der Ungeheuer darauf aus sind. Sie hätten längst Gelegenheit dazu gehabt. Stattdessen, meldet Ossfil, haben sie kleine Hilfsfahrzeuge gestartet und werden wahrscheinlich versuchen, die Raumschwimmer einzufangen.«

»Wie steht es mit den astronomischen Daten in seinem Bordrechner?«

»Ich habe Befehl gegeben, dass er seinen Bordrechner zerstört und die Amnesie seines Navigators auslöst. Gelingt ihm dies nicht, so wird er sein Schiff natürlich zerstören.«

Der normalerweise ebenso gewandte wie umgängliche Priesterphilosoph ließ seine dreifach gespaltene Zunge zwischen den Zähnen vorzucken, während er ungewöhnlich lange zögerte. Als er endlich wieder das Wort ergriff, geschah es in einem fast unhörbaren Ton. Varlan stellte ihre Schlappohren an, um ihn besser zu verstehen.

»Ich bin zu dir gekommen, Varlan, weil ich den Rat eines Klügeren brauche.«

»Sicherlich gibt es hier keine solche Person, Salfador.«

»Du unterschätzt dich, Varlan von den Duftenden Wassern. Und in jedem Fall ist der ein schlechter Arzt, der seine eigene Krankheit diagnostiziert.«

»Dann fahre fort.«

»Ich habe dir niemals die Geschichte meiner Jugend erzählt, und wie ich ein Heiler wurde.«

»Das ist wahr«, sagte Varlan. »Es ist niemals ein Gegenstand der Sorge zwischen uns gewesen.«

»Wir haben noch nie eine Invasion von Ungeheuern erlitten.«

»Richtig.«

»Heilen und Priestertum waren nicht meine ursprüngliche Berufung. Ich war ein begabter Schüler, und meine Lehrer hielten mich für fähig, Naturphilosophie zu studieren. Ich machte eine Ausbildung als Sucher nach astronomischem Verständnis, als Sterngucker, wenn du so willst.«

»Ich weiß von deinem Interesse an solchen Dingen und dachte mir, dass es für einen Heiler ungewöhnlich sei«, erwiderte Varlan.

Salfador lächelte ironisch. »Da gebe ich dir Recht. Meine Kollegen sind nicht dafür bekannt, dass sie viel für galaktische Struktur oder die Unterschiede zwischen den großen Sternen übrig haben. Du tust gut daran, sie anzuhalten, dass sie bei Nacht zum Himmel aufblicken.«

»Worauf willst du hinaus?«

»Unglücklicherweise entdeckte ich, dass ich nicht die Fähigkeit besaß, die meine Lehrer in mir sahen. Ich hätte ein guter Naturphilosoph sein können, aber kein großer. Darum entschied ich mich für einen anderen Lebensweg und habe keine Ursache gehabt, diese Wahl zu bedauern ... das heißt, bis jetzt.«

»Ich verstehe nicht.«

»Es ist bedauerlich, Varlan von den Duftenden Wassern, aber ich habe in meinem Gehirn noch immer eine große Menge astronomischer Daten, einschließlich meiner Kenntnis der Positionen vieler Tore innerhalb der Hegemonie.«

Varlan reagierte mit Entsetzen auf Salfadors Geständnis. Wie alle Ryall, so war auch sie stolz auf die Leistungen ihrer Spezies. Sie war kaum aus dem Ei geschlüpft, als sie schon die Namen der Welten gelernt hatte, die von ihrer Spezies beherrscht wurden, und nur wenig älter, als sie die Geschichte jeder dieser Welten bis ins Detail kannte. Aber was sie nicht gelernt hatte, war die Methode, mittels derer Raumfahrzeuge von einer Welt zur anderen reisten. Solche Daten waren die Domäne von Astronomen und Navigatoren und wurden von den durchschnittlichen Ryall nicht benötigt. Tatsächlich hatte sie das Geheimnis der Tore zwischen den Sternen erst erfahren, als sie zur Betriebsleiterin des Corlis-Komplexes aufgestiegen war.

»Du musst mit einem Amnesiebann ausgestattet worden sein. Gib mir den Auslösercode, und ich werde das Wissen aus deinem Gehirn löschen«, sagte sie.

Salfadors jämmerliche Miene war Antwort genug. »Ich fürchte, dass ich niemals mit solch einem Bann ausgestattet wurde. Ich war nicht ausersehen, Navigator eines Raumfahrzeugs zu werden, und deshalb bestand kein Bedürfnis.«

Varlan starrte ihren vertrauten Berater an und überlegte, ob es einen Ausweg aus der misslichen Lage gebe. Sie dachte daran, ihn anzuweisen, dass er sich in den Dschungel zurückziehe und versteckt halte, bis die Ungeheuer Corlis wieder verlassen hätten, dann verwarf sie die Idee aus dem gleichen Grund, der sie bewogen hatte, das leitende Personal des Komplexes nicht auf die gleiche Art und Weise in Sicherheit zu bringen. Die einheimische Biochemie war den Ryall-Normen so nahe, dass sie Krankheit verursachen konnte, aber es fehlten ihr mehrere wichtige Bestandteile. Einen Priesterphilosophen aufzufordern, wie ein Tier in den Wäldern zu hausen, war undenkbar. Noch undenkbarer allerdings war, dass sie Salfador den Klauen der Ungeheuer ausliefern würde.

»Du weißt natürlich, was du tun musst«, sagte sie schließlich.

Salfador machte eine zustimmende Geste. »Ich habe es bereits getan. In den medizinischen Vorräten sind viele Gifte. Ich injizierte mir eines davon, bevor ich hierher kam. Sei unbesorgt, mein Tod wird ganz schmerzlos sein.«

»Dann bist du zu dem Zweck gekommen ...«

»... meinen Abschied von dir zu nehmen. Ich bitte, dass du meine Sippe von meinem Tod unterrichtest, solltest du eines Tages in die Hegemonie zurückkehren.«

»Das werde ich tun. Wie lange wird es dauern, bis das Gift Wirkung zeigt?«

»Mein Sehvermögen ist bereits beeinträchtigt. Das ist das erste Symptom. Nach weiteren tausend Herzschlägen werde ich tot sein.«

Varlan bewegte sich zu ihm und umarmte Salfador in einer Geste tiefer Zuneigung. »Dann geh in Frieden, Salfador vom Ewigen Feuer. Ich werde dich vermissen.«

»Und ich dich, Varlan von den Duftenden Wassern.«

Phillip Walkirk stieß sich ab und landete sicher zwischen zwei der großen Ladeluken auf der gekrümmten Rumpfoberfläche des Erztransporters. Kaum waren ihm die ersten seiner Gruppe gefolgt, begannen in Schiffsmitte Steuerungsraketen zu feuern. Zuerst dachte er, der Ryall-Captain setze sie in der Hoffnung ein, Mitglieder des Enterkommandos mit den glühenden Abgasstrahlen zu treffen. Als die Raketen jedoch weiterfeuerten, erriet Phillip ihren wahren Zweck. »Festhalten und verankern!«, befahl er. »Schnell! Sie lassen das Schiff rotieren, um uns abzuwerfen.«

Hastig machten die Marinesoldaten sich mit magnetischen Klampen am Rumpf fest. Die Stelle, wo das Enterkommando gelandet war, befand sich in der Mitte des Rumpfes, die einsetzende Rotationsbewegung beeinträchtigte sie also nicht sonderlich. Phillip fühlte einen leichten Zug an den Füßen, als sein Körper von der Fliehkraft gestreckt wurde. Die Marinesoldaten ringsum klebten wie Spinnen an der rostfleckigen Oberfläche. Die einzige Gestalt, die nicht am Schiffsrumpf verankert war, war Gefreiter Sayers, der mit den Manövrierdüsen seines Raumanzuges die Fliehkraft des langsam rotierenden Schiffskörpers kompensierte. Sayers war der Pionier der Gruppe und trug eine große Haftladung umgeschnallt. Bald geriet er hinter der Krümmung des Schiffsrumpfes außer Sicht. Eine halbe Minute später kam er zurück und steuerte mit den Manövrierdüsen Phillips Position an. Mit einem gekonnten Wendemanöver neutralisierte er die Vorwärtsbewegung und landete sicher neben dem Prinzen. Sie brauchten nicht lange zu warten, dann ging eine Erschütterung durch den Rumpf unter ihren Stiefeln. Etwas Großes und Flaches kam hinter der Krümmung in Sicht und segelte kreiselnd davon.

»Ich habe die Ladung an einer der mittelgroßen Luken angebracht, ungefähr ein Viertel des Umfangs von hier entfernt.«

Phillip Walkirk nickte und vergaß in seiner Erregung, dass niemand die Bewegung sehen konnte. Er schnallte seine Waffe los, eine Art Sturmgewehr, das Projektile verfeuerte, in diesem Fall aber mit Anästhesiepfeilen geladen war. Diese waren schwer genug, um das zähe Material eines Schutzanzugs zu durchschlagen, und enthielten eine Dosis, die einen Ryall innerhalb von Sekunden umwerfen musste. Er machte seine magnetischen Klampen los und winkte den anderen. »Alles folgt mit schussbereiten Waffen Gefreiter Sayers. Aber vergesst nicht, wir haben es auf Gefangene abgesehen!«

Durch schieres Glück hatte Sayers eine Luke gefunden, die unmittelbar in die Mannschaftsquartiere führte statt in die geräumigen Ladebunker. Nach der Sprengung hatte die explosionsartig ins Vakuum austretende Luft die aus den Angeln gerissene Tür in den Raum hinausgeschleudert. Phillip drang durch die Öffnung ins dunkle Innere vor und ging hinter einem Haufen durcheinandergeworfener Geräteschränke in Deckung. Einer nach dem anderen, kamen die übrigen Mitglieder der Gruppe von der hell angestrahlten Rumpfoberfläche in die Dunkelheit herein.

»Hoffentlich hatten die Zentauren so viel Verstand, dass sie Schutzanzüge anlegten, bevor wir ihnen die Eierschale aufpickten«, bemerkte einer der Marinesoldaten. Phillip hoffte das Gleiche, da ihre Sprengung den Innendruck des Schiffes aufgehoben hatte und die Luft ins Vakuum entwichen war. Sie würden auch weitere luftdichte Türen sprengen, die sie in ihrem Vordringen antrafen. Wenn die Ryall nicht durch Vakuumanzüge geschützt waren, würde die ganze Mission vergeblich sein.

Ein weiterer jäher Hammerschlag erschütterte das Deck.

»Das wird die Gruppe von der Horned Devil sein«, sagte Phillip. »Es wird nur nach eindeutiger Zielansprache geschossen! Sergeant Berthol übernimmt die Führung.«

Eine große Gestalt mit Rangabzeichen am Schutzanzug glitt in der beinahe vollkommenen Schwerelosigkeit des Korridors zu einer Kreuzung weiter voraus. Er blickte zuerst in die eine, dann in die andere Richtung, bevor er an der Kreuzung in Deckung ging und den anderen winkte, ihm zu folgen. So arbeiteten sie sich zehn Minuten weiter durch das Schiff, ohne auf Widerstand zu stoßen.

Phillip Walkirk begann sich zu fragen, ob es überhaupt noch lebende Ryall an Bord gab, als ein Marinesoldat namens Traconen einen Durchstieg in einem Schott aufstieß und plötzlich in einem Schauer kleiner Explosionen rückwärts durch den Gang geschleudert wurde. Er prallte gegen eine Seitenwand, und sein durchlöcherter Anzug versprühte roten Nebel, dann segelte er, sich langsam überschlagend, durch den Korridor davon.

»Carter, Sie bergen Traconen!«, befahl Phillip. »Zwei Mann geben Feuerschutz und halten in die Öffnung.«

Nicht alle Mitglieder des Enterkommandos waren mit Anästhesieprojektilen ausgerüstet. Einige hatten Sturmgewehre mit Explosivgeschossen und Maschinenpistolen. Zwei von diesen suchten gegen den Rückstoß ihrer Waffen Halt und eröffneten das Feuer auf den Durchstieg. Die Waffen feuerten in unheimlicher Stille, und die Explosionsgase aus ihren Mündungen expandierten im Vakuum und erzeugten einen leichten Wind im Korridor. Sergeant Berthol bewegte sich unter dem Feuer seiner Kameraden geduckt auf die Öffnung zu und löste eine Handgranate vom Gürtel.

»Feuer einstellen und in Deckung!«, befahl er. Die beiden Marinesoldaten, die Feuerschutz gegeben hatten, zogen sich zurück. Berthol zog die Handgranate ab und warf sie mit der unbeholfenen, seitwärts ausholenden Armbewegung eines Mannes in steifer Schutzausrüstung durch die Öffnung, dann zog er sich eilig zurück.

Die folgende Explosion blieb zwar lautlos, aber ihre Druckwelle stieß Phillip Walkirk gegen die Wand, so dass seine Zähne im Helm aufeinanderschlugen. Einen Augenblick später prallte ein Splitter mit hellem Klang vom Visier ab, wo er einen kleinen, sternförmigen Sprung vor dem linken Auge hinterließ. Phillip schluckte, dann schickte er einen Erkundungstrupp von zwei Mann in den Raum, aus dem heraus Traconen beschossen worden war. Dreißig Sekunden nachdem sie durch die tödliche Öffnung geschlüpft waren, meldeten die Kundschafter, dass alles frei sei.

Phillip stieß sich zur Öffnung ab und folgte Berthol hinein, um die Verteidiger mit eigenen Augen zu sehen. Was er sah, war geeignet, ihm den Magen umzudrehen. Zwei Ryall in Vakuumanzügen hatten hinter einer Barrikade aus Einrichtungsgegenständen auf der Lauer gelegen und auf das erste menschliche Gesicht gefeuert, das durch die Tür hereinspähte. Zu Phillip Walkirks Überraschung waren ihre Schusswaffen primitive Feuerrohre, die offenbar in der Bordwerkstatt angefertigt worden waren.

Phillip verließ den Raum und kehrte zurück in den Korridor, wo Sergeant Berthol und der Marinesoldat Carter über ihren Kameraden Traconen gebeugt standen.

»Lebt er noch?«

»Ich fürchte, er ist tot, Sir.«

»Dann lassen wir ihn hier zurück und nehmen ihn mit, nachdem wir das Schiff unter Kontrolle gebracht haben.«

»Ja, Sir.«

Der Rest der Aktion verlief ohne größere Zwischenfälle. Nach zehn Minuten hatte Phillip Walkirks Gruppe sich mit der zweiten Abteilung des Enterkommandos vereinigt, und gemeinsam durchkämmten sie systematisch das Schiff und machten Gefangene. Es waren insgesamt acht. Sieben der Zentauren ergaben sich, indem sie die Arme ausbreiteten. Einer versuchte Widerstand zu leisten.

Eine halbe Stunde nach ihrem Eindringen in den Erztransporter kehrte Gefreiter Sayers mit einem bewusstlosen Ryall im Schlepptau zum Versammlungspunkt zurück.

»Was ist mit dir?«, fragte Sergeant Berthol den Gefreiten, als er sah, wie vorsichtig der andere sich bewegte.

»Der verdammte Zentaur brach mir beinahe den Arm mit einer großen Brechstange, Willem.«

Berthol betrachtete den leblos wirkenden Außerirdischen, den Sayers hinter sich herzog. »Hast du ihn getötet?«

»Nein. Verpasste ihm einen Pfeil. Der wird schon wieder, aber ich glaube, er hat einen Sprung in der Schüssel.«

»Wieso?«

»Ich fand ihn mittschiffs in einer Art Kontrollraum. Er hatte diese große Brechstange und schlug damit auf etwas wie eine Instrumententafel mit Datenanschluss ein. Sah aus, als wollte er ein Loch hineinschlagen, um an die Maschinerie dahinter heranzukommen. Wie dem auch sei, ich leuchtete ihm mit meiner Lampe ins Gesicht. Im Nu warf er sich herum und griff mich mit diesem verdammten Ding an.« Sayers hielt die Brechstange in die Höhe. »Ich war so überrascht, dass ich nur noch dazu kam, den Arm hochzureißen, um den Schlag abzuwehren. Als er zum nächsten Schlag ausholte, schoss ich ihm einen Pfeil in den Pelz. Er konnte noch zweimal zuschlagen, bevor er umkippte.«

Berthol stieß den erschlafften Ryall mit der Stiefelspitze an. Das transparente Material des Schutzanzugs gab unter dem Druck nach, sprang dann elastisch zurück. »Wenn er aufwacht, werden wir erfahren, was es mit alledem auf sich hatte.«

Phillip Walkirk, der das Gespräch über sein integriertes Funksprechgerät mitgehört hatte, ging zu den beiden hinüber. In diesem Teil des Schiffes gab es durch die Rotation gerade genug Schwerkraft, dass seine Stiefel auf dem Deck gehalten wurden. »Was sagten Sie gerade, Gefreiter?«, fragte er.

»Ich sagte, dass dieser Verrückte sich mit einer Brechstange auf mich stürzte, Sir.«

»Nein, Sie erwähnten, er habe versucht, eine Maschine oder Anlage zu zerschlagen. Was war es?«

»Ich fürchte, ich kenne mich mit diesen fremdartigen Maschinerien nicht allzu gut aus, Sir.«

»Führen Sie mich hin.«

Sayers ging voraus, gefolgt von Phillip Walkirk und Sergeant Berthol. Sie bewegten sich durch düstere Korridore, bis sie einen relativ kleinen Raum beinahe im Mittelpunkt des Schiffskörpers erreichten.

»Da drüben, Sir!«, sagte Sayers und richtete den Lichtkegel seines Handscheinwerfers auf eine eingebeulte, beschädigte Instrumententafel. Phillip besah sie aus der Nähe und ließ ein leises Pfeifen hören.

»Ist das Ding wichtig, Sir?«, fragte Berthol.

»Kann man wohl sagen«, erwiderte Phillip. »Was Gefreiter Sayers für eine Maschinenanlage hielt, ist offenbar der Navigationsrechner. Der Umstand, dass der Ryall versuchte, ihn mit einer Brechstange zu zertrümmern, könnte bedeuten, dass der normale eingebaute Selbstzerstörungsmechanismus nicht funktionierte.«

»Gut für uns, nicht wahr, Sir?«

Phillip Walkirk erschreckte die beiden mit einem plötzlichen Auflachen. »In diesem Rechner, Sergeant, könnten Informationen enthalten sein, die für die Kriegführung von größter Bedeutung sind.«

»An welche Informationen denken Sie, Sir?«

»Wenn wir sehr, sehr viel Glück haben, könnte es gelingen, diesem Rechner ein Diagramm der Faltraumtopologie der gesamten Ryall-Hegemonie zu entlocken!«