18
Sandar war eine kalte Welt, die am Rande der Zone ihre Bahn zog, wo Wasser im Flüssigzustand existieren konnte. Bedingt durch diese Ferne, befand sich Sandar im Griff einer immerwährenden Eiszeit. Seit Milliarden von Jahren war Schnee auf die ausgedehnten polaren Eiskappen gefallen und dort zu einer immer dickeren Eisdecke verdichtet worden. Wo immer diese Eisdecke auf geneigtem Gelände lagerte, hatten sich Gletscher gebildet. Wenn auf Sandar etwas herrschte, so waren es die Gletscher. Im Laufe der Zeitalter hatten diese bis zu einem Kilometer dicken Eisströme Gebirgszüge überformt, Moränenwälle aufgeschüttet, tiefe Trogtäler ausgehobelt und Seen zugedeckt.
Der große Projektionsschirm des Brückenraums zeigte die rasch vorbeiziehende sandarische Wildnis. Hier und dort unterbrachen schwarze Flecken das Weiß, wo Felswände und Steilhänge keine Schneeauflagen zuließen. An anderen Stellen durchzogen tiefe Spalten und Eisbrüche die Gletscherströme. Wo diese das Meer erreichten, schoben sie breite Eisfächer in die See vor. Abgebrochene Stücke trieben als kilometerlange Tafeleisberge monatelang in den wärmeren Gewässern niederer Breiten, bis sie allmählich schmolzen. Nur in einem schmalen Streifen Land und See, der ungefähr von zwanzig Grad nördlicher Breite bis zwanzig Grad südlicher Breite reichte, gab das Eis seine Herrschaft widerwillig auf. Hier lagen die durchschnittlichen Jahrestemperaturen merklich über dem Gefrierpunkt. Das Schmelzwasser nährte ungezählte kleinere und größere Wasserläufe, die sich zu Flüssen und bisweilen mächtigen Strömen vereinten, bevor sie in die zwei relativ warmen Ozeane Sandars mündeten.
Vor Drakes Augen gingen die endlosen Ödländer von Eis und Schnee allmählich in das üppige Grün der bewohnten Äquatorialzone über. Selbst bei geringer Vergrößerung war es möglich, inmitten der Vegetation die Spuren menschlicher Besiedlung auszumachen.
Die Massenevakuierung von New Providence hatte die Bevölkerung Sandars auf das Zweitausendfache ihrer vorherigen Größe anschwellen lassen. Fast drei Milliarden Flüchtlinge mussten zwangsläufig auf einem Landstreifen angesiedelt werden, dessen bewohnbare Fläche nur ein Viertel jener von New Providence betrug. Das unvermeidliche Ergebnis war eine Bevölkerungsdichte, die an die der Japanischen Inseln auf der Erde heranreichte.
Sandars Städte ähnelten den alten Metropolen der Erde darin, dass die alten Stadtkerne im Laufe der vergangenen hundert Jahre von planlos ausufernden neuen Vierteln eingekreist worden waren, die sich wuchernd ins Land ausbreiteten. Und im weiten Umkreis der Städte war das Land wie eine einzige unübersehbare Gärtnerei mit Gewächshäusern und Spiegelsystemen überbaut – Gewächshäusern, um das Land optimal zu nutzen und die Kälte fern zu halten, und Spiegelsystemen, um die schwächlich wärmenden Strahlen Hellsgates für Pflanzen, die sich unter einem heißeren Stern entwickelt hatten, zu verstärken.
»Es ist erstaunlich, wie viel sie unter so schwierigen Bedingungen geschaffen haben«, bemerkte Bethany, als der Projektionsschirm eine ausgedehnte Großstadtregion und ihr umgebendes Grünland zeigte.
Drake nickte. »Vor allem, wenn man dabei in Betracht zieht, dass sie die längste Zeit ihrer Geschichte im Kriegszustand gelebt haben.«
Die Tatsache, dass Sandar sich im Krieg befand, war ihnen während ihres letzten Annäherungsmanövers in die zugewiesene Umlaufbahn deutlich vor Augen geführt worden. Als sie sich dem Planeten genähert hatten, waren Discovery und City of Alexandria hinter Vindicator in Kiellinie gegangen und durch einen streng kontrollierten Zugangskorridor in Sandars innere Verkehrszone geleitet worden, bevor sie in einer über beide Pole führenden Umlaufbahn zum Parken verlangsamt hatten. In ihrer ermäßigten Orbitalgeschwindigkeit waren sie nahe an einer großen Ansammlung von Objekten vorbeigeflogen, die in einer hohen stationären Umlaufbahn über Sandar stationiert war.
Die Ansammlung erwies sich als eine orbitale Schiffs- und Reparaturwerft. Zwischen den Dockeinrichtungen und Konstruktionshangars lagen Dutzende von Raumschiffen, deren Größe von Schlachtschiffen bis zu kleinen bewaffneten Aufklärern reichte. Bei maximaler Vergrößerung waren Hunderte von winzigen Funken wie Glühwürmchen um die beiden größten Schiffe in der Werft verteilt. In einem Fall schienen die Arbeiter den ganzen Bug eines Schiffes abzuschneiden, dessen Vorderteil bis zur Unkenntlichkeit zerstört war. Im anderen Fall war zu sehen, wie sich die blauen Acetylenflammen von vielen Schweißgeräten an den neuen Verkleidungsplatten eines Schiffes spiegelten, das entweder ein Neubau oder ein weiterer Reparaturfall kurz vor der Wiederherstellung war.
Neben den Schlachtschiffen und Aufklärern machte Drake mehrere mittelgroße Typen aus, darunter Kreuzer von ungefähr derselben Kategorie wie die Discovery und eine Anzahl von Schiffen, die nach ihrer Größe Zerstörer sein mochten.
Der Anblick der Werftanlagen und ihrer Ansammlung beschädigter Schiffe beeindruckte die Mannschaft der Discovery tiefer als die Ruinen auf New Providence. Für die meisten Altaner waren die seit langem toten Städte von New Providence eine Episode aus früherer Zeit. Die Reparaturwerft hingegen war ein greifbarer Beweis eines noch andauernden Krieges, der sich leicht ausbreiten und das System Valeria erfassen konnte.
Bald nach dem Eintritt in die Umlaufbahn wählte Drake die erste Delegation zur Landung auf der Oberfläche Sandars aus. Die Zusammensetzung der Delegation war eine Quelle eifriger Spekulation gewesen, seit sie vor zehn Tagen den Hellsgate-Napier-Faltpunkt verlassen hatten, und manchmal hatte es den Anschein, als wollte praktisch jeder von Bord gehen. Am Ende wählte Drake sich selbst, Bethany Lindquist, Stan Barren und Alicia Delevan aus, dazu die Assistenten der beiden – Nathan Kellog und Carl Aster – sowie Argos Cristobal. Letzerer sollte Hintergrundmaterial über die Sandarer sammeln, während die eigentliche Delegation mit Kontakten auf höherer Ebene beschäftigt war. Bethany verzichtete auf einen Assistenten.
Vor dem Landgang gab Drake der Delegation und der Bootsbesatzung, die sie transportieren würde, letzte Anweisungen. Er begann damit, dass er aus dem Expeditionsauftrag vorlas.
»Paragraph sieben. Alle Daten, die das Schlachtschiff Conqueror der Erde betreffen, sollen als altanisches Staatsgeheimnis behandelt und nichtaltanischem Personal keinesfalls mitgeteilt werden.«
»Ich möchte davon eine Ausnahme machen, Captain«, sagte Alicia Delevan.
Drake legte den Ausdruck beiseite, aus dem er vorgelesen hatte, zog die Brauen hoch und fragte: »Warum, Mrs. Delevan?«
»Wie Sie sich erinnern werden, war ich von Anfang an gegen unseren Besuch dieses Systems. Nun aber, da wir hier sind, halte ich es nicht für klug, den Sandarern die Wahrheit über die Conqueror vorzuenthalten.«
»Möchten Sie das genauer erklären?«
»Gewiss. Paragraph sieben war in den Expeditionsauftrag aufgenommen worden, weil der Beraterstab des Ministerpräsidenten dachte, wir würden uns inmitten eines Krieges sehen und keine Ahnung haben, wer gegen wen kämpft. Sie wollten nicht, dass wir über die Conqueror redeten, solange wir uns nicht vergewissert hätten, dass wir nicht mit den Gegnern der Conqueror sprechen. Zu dem Zeitpunkt schien das eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme.
Im Licht der jüngsten Ereignisse ist es aber offensichtlich eine Vorsichtsmaßnahme, die nicht mehr benötigt wird. Es ist ziemlich klar, dass die Conqueror in ein Gefecht mit den Ryall geriet. Darum sehe ich nicht, dass etwas zu gewinnen wäre, wenn wir den Sandarern die Wahrheit vorenthalten. Noch wesentlicher scheint mir, dass wir viel zu verlieren haben, wenn wir nicht aufrichtig zu ihnen sind. Befolgen wir Paragraph sieben, so werden sie früher oder später doch herausfinden, dass wir sie belogen haben. Das wird ihnen Anlass zu Überlegungen geben, in welchen anderen Punkten wir sie ebenfalls belogen haben könnten. Unsere Beziehungen würden dadurch ohne jeden Grund beeinträchtigt.«
»Woher wissen wir, dass die Sandarer völlig aufrichtig zu uns sind?«
»Wir wissen es nicht«, sagte Alicia Delevan. »Aber ist es nicht besser, ihnen im Zweifelsfall etwas zugute zu halten?«
»Meiner Ansicht nach«, erwiderte Drake, »ist es am besten, wenn keine Partei der anderen allzu sehr vertraut, solange wir einander nicht besser kennen. Das ist übrigens der Grund dafür, dass wir die Suitana als Rückendeckung im Faltpunkt zurückgelassen haben. Ich sehe keinen Grund, diese Politik zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu ändern.«
»Aber sie vertrauen uns!«
»Tun sie das?«
»Sie trauen uns genug, dass sie uns eine Parkumlaufbahn über ihrem Planeten zugewiesen haben«, sagte Alicia. »Wenn wir das Waffenarsenal der Discovery betrachten, dann gehen sie ein erhebliches Risiko ein, wenn sie uns so nahe heranlassen.«
»Es ist für sie kein so großes Risiko, wie Sie vielleicht denken.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Wir haben in den letzten dreißig Stunden Zeit gehabt, den Planeten ziemlich umfassend kartographisch aufzunehmen. Dabei haben wir zahlreiche große Installationen ausgemacht, die auf und in den polaren Eiskappen angelegt sind. Unsere Fachleute haben sie vorläufig als ein Netzwerk planetarischer Verteidigungszentren identifiziert. Nach ihrer Zahl zu urteilen, mag diese Welt durchaus die am besten verteidigte unter allen von Menschen bewohnten sein.«
»Wollen Sie damit sagen, dass die Sandarer uns in dieser Minute im Fadenkreuz haben?«, fragte Stan Barrett.
»Darauf können Sie sich verlassen, Mr. Barrett. Wenn die Installationen, die wir gesehen haben, die von uns geschätzte Feuerkraft haben, können die Sandarer uns in jeder Millisekunde, die ihnen geeignet erscheint, in eine Dampfwolke verwandeln.« Drake ließ seinen Blick über die ihm zugekehrten Gesichter wandern. »Was Mrs. Delevans Sorgen im Hinblick auf Paragraph sieben betrifft, so muss ich darauf bestehen, dass wir unsere Anweisungen befolgen. Sie haben die Freiheit, zu beobachten, Fragen zu stellen und Folgerungen zu ziehen. Aber Sie werden ihnen keinen Hinweis geben, dass wir im Besitz eines aufgegebenen Schlachtschiffes der Erde sind. Wenn sie das Thema zur Sprache bringen, haben Sie Unwissenheit vorzugeben. Ist das klar?«
Es gab mehrere gemurmelte Zustimmungen. Als alles wieder ruhig war, nahm Drake den Ausdruck auf und las weiter.
»Paragraph acht...«
Der Wind, der über die weite offene Fläche des Capitol-Raumhafens von Sandar blies, war bloße zehn Grad über dem Gefrierpunkt. Er biss Richard Drake scharf ins Gesicht, obwohl er seine Kaltwetterkleidung angezogen hatte. Er blieb einen Moment in der offenen Luftschleuse der Moliere stehen, um den Thermostat seiner Jacke höher zu stellen. Der Himmel über ihm war von einem so dunklen Blau, dass es beinahe in Purpur überging, denn die Atmosphäre Sandars war relativ dünn, verglichen mit jenen der meisten erdähnlichen Welten. Die geringe Dichte wurde aber durch einen Sauerstoffgehalt von 30 Prozent mehr als wettgemacht.
Im Abfertigungsgebäude erwartete die Delegation ein Empfangskomitee. Commodore Bardak und Fähnrich Kyle standen in der ersten Reihe, während mehrere hochrangige Offiziere ein paar Schritte hinter ihnen warteten. Nach ihren goldbetressten und ordensgeschmückten Uniformen mussten diese Männer die militärische Führungsspitze Sandars verkörpern. Eine Militärkapelle und eine Menge Zuschauer waren hinter einer Absperrung versammelt.
Der Rest der Delegation überquerte die Brücke, die vom Landungsboot hereinführte, und betrat die Abfertigungshalle. Drake signalisierte Stan Barrett, Alicia Delevan und Bethany Lindquist zu sich nach vorn. Dann ging er auf Commodore Bardak zu. Dieser nahm Haltung an und salutierte. Drake erwiderte die Ehrenbezeigung, und alle nahmen Haltung an, als die Militärkapelle eine ziemlich gute Wiedergabe der altanischen Hymne spielte und im Anschluss daran eine feierliche Melodie mit tragischen Untertönen, die Drake für die Nationalhymne Sandars hielt.
Als die Militärkapelle geendet hatte, trat Herzog Bardak vor und verkündete mit erhobener Stimme: »Fleet Captain Richard Drake, im Namen meines Königs und meiner Königin heiße ich Sie und Ihr Gefolge auf Sandar willkommen.«
»Ich danke Ihnen, Admiral. Es ist uns eine Freude, hier zu sein.«
Bardak nahm ihn beim Arm, drehte ihn herum und führte ihn zu der Reihe der Würdenträger. »Ich möchte Sie gern mit meinen Vorgesetzten bekannt machen, Sir. Darf ich Ihnen Admiral Fernando Zeilerbach vorstellen, den Grafen von Draga?«
Drake salutierte, dann streckte er die Hand aus. »Admiral, es ist mir eine Ehre ...«
Rasch arbeiteten sie sich durch die Reihe der Würdenträger. Außer Zeilerbach waren der Oberkommandierende der Kriegsoperationen, ein Admiral, ein General des Marinekorps und zwei Vizeadmirale anwesend. Drake bemerkte, dass die Offiziere zusätzlich zu ihren militärischen Rängen durchweg Titel hatten, obwohl ihre Ränge nicht immer mit ihrer Adelsstufe korrespondierten. Zum Beispiel wurde Commodore Bardak allgemein als Herzog Bardak angeredet, und der dritte Mann in der Reihe, Admiral Villiers, der nur ein Ritter von Sandar Erster Klasse war, hieß ›Sir Anthony‹.
»Fleet Captain Richard Drake, ich möchte Sie mit seiner Königlichen Hoheit Jonas Walkirk bekannt machen. Seine Königliche Hoheit ist ein Halbbruder des Königs.«
»Königliche Hoheit«, sagte Drake und salutierte, »ich bin geehrt, dass Sie gekommen sind, uns zu begrüßen.«
»Die Ehre ist auf meiner Seite, Fleet Captain. Offen gestanden hatten wir die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder ein altanisches Gesicht zu sehen. Als Herzog Bardak meldete, wer Sie sind, verbreitete sich die Nachricht schneller als die Schallwelle eines atmosphärischen Bombers in ganz Sandar. Bei allen Heiligen, wir können Ihre Hilfe gegen diese verdammten Zentauren gebrauchen!«
»So sagte man mir, Sir.«
Stan Barrett und Alicia Delevan, die neben Drake standen, erstarrten bei der selbstverständlichen Annahme des Oberbefehlshabers der Kriegsoperationen, dass Alta zusammen mit Sandar in den Kampf ziehen würde. Dabei war es nicht das erste Mal, dass ein Sandarer die Möglichkeit eines Bündnisses zwischen den beiden Ablegern von New Providence erwähnt hatte; Commodore Bardak hatte das Thema schon während einer Konferenzschaltung mit Drake und den Abgesandten des Ministerpräsidenten und des Parlaments zur Sprache gebracht, bevor sie den Hellsgate-Napier-Faltpunkt verlassen hatten. Damals hatte Stan Barrett geantwortet, dass die Frage eines Bündnisses von Parlament und Regierung Altas zu entscheiden sein würde. Aber, so hatte er bereitwillig hinzugefügt, die Angehörigen der Einsatzgruppe 001 seien gern bereit, Vorschläge entgegenzunehmen.
Der Oberkommandierende küsste den beiden Damen die Hand, dann bot er Bethany den Arm und führte die Gruppe zum Ausgang. Der General des sandarischen Marinekorps gab Alicia Delevan den Arm und folgte seinem Oberkommandierenden, Drake begleitete Commodore Bardak und Stan Barrett wurde von Admiral Villiers eskortiert. Andere Sandarer begleiteten Carl Aster, Nathan Kellog und Argos Cristobal; die ganze Gruppe schritt durch ein Spalier von Soldaten, die ihre Handfeuerwaffen präsentierten. Der Korridor führte in ein riesiges Hauptabfertigungsgebäude mehrere hundert Meter weiter. Mit einem Quadratkilometer Fläche war es annähernd fünfmal so groß wie der Raumhafen von Homeport auf Alta, der dort als der größte und modernste bewundert wurde. Das Doppelspalier der Soldaten reichte bis in und durch das belebte Hauptabfertigungsgebäude. Hinter den Soldaten hatte sich eine Menschenmenge versammelt und beobachtete den Einzug der Würdenträger mit ihren Besuchern. Drake machte eine Bemerkung über den hohen Prozentsatz von Uniformierten unter der Bevölkerung.
»Jeder muss seinen Teil zur Kriegsanstrengung beitragen, Captain«, antwortete Bardak. »Die uniformierten Dienste benötigen sehr viele Menschen. Hier auf Sandar ist praktisch jeder in dieser oder jener Weise in die Gemeinschaftsleistung einbezogen.«
»Wie ist es mit den anderen Planeten des von Menschen bewohnten Raumes?«, fragte Drake. »Helfen sie Ihnen bei Ihrem Kampf gegen die Ryall?«
Er vermerkte das leise Zögern, bevor Bardak antwortete. »Sie tun, was sie können. Unglücklicherweise finden viele von ihnen, dass sie nicht mehr tun können, als ihre eigene Verteidigung zu stärken.«
Das Gespräch wurde unterbrochen, als sie eine Wagenkolonne erreichten, die in der Halle des Hauptabfertigungsgebäudes parkte. Es waren lange, niedrig gebaute Fahrzeuge von aerodynamischer Schnittigkeit, die auf hohe Geschwindigkeit schließen ließ.
Der Oberkommandierende Walkirk wies zu den ersten beiden Wagen in der Kolonne. »Captain Drake und Botschafterin Delevan in den ersten Wagen, Botschafter Barrett und Miss Lindquist in den zweiten. Die anderen Wagen werden Ihre Begleiter befördern.«
»Wohin fahren wir?«, fragte Drake, als er einstieg.
Commodore Bardak setzte sich Drake gegenüber. »Zum Palast. Der König erwartet Sie.«
John-Phillip Walkirk VI. – Verteidiger der Faltpunkte, Generaladmiral der Flotte und Marineinfanterie, Geißel der Ryall-Hegemonie, Erster Vikar der Kirche von Sandar und von Gottes Gnaden, König der Systeme von Hellsgate und Napier – blickte von seinem Schreibtisch auf, als sein Hofmarschall die Ankunft der Besucher ankündigte.
John-Phillip war ein stattlicher Mann mit breiten Schultern, einer vorspringenden Nase und mächtigen Händen. Sein Haar war einmal dunkel gewesen, aber fünfundzwanzig Jahre auf dem Thron hatten es mit reichlich Silber durchzogen. Er streckte die Hand aus und schaltete die Gegensprechanlage ein.
»Minister Haliver, Majestät«, sagte die Stimme seines Sekretärs.
»Schicken Sie ihn herein«, erwiderte John-Phillip. Gleichzeitig unterbrach seine Hand eine Lichtschranke, und die Tür zu seinem Amtszimmer öffnete sich.
Der Erste Minister Terence Haliver trat über die Schwelle in das mit Bedacht unübersichtliche Arbeitszimmer des Königs. Haliver war ein kleiner Mann mit stahlgrauem Haar und einem meistens ernsten und oft grimmigen Gesichtsausdruck.
»Sie sind hier, Majestät. Das Boot landete vor ein paar Minuten.«
»Ja, ich wurde bereits verständigt. Ist für die Audienz und das anschließende Gespräch alles vorbereitet?«
»Alles ist bereit, Majestät.«
»Unterrichten Sie mich über die Persönlichkeiten unserer Gäste.«
»Ja, Sir. Seit wir zuletzt sprachen, hat sich unser Verdacht weitgehend bestätigt. An Bord der beiden Forschungsschiffe gibt es mehrere Fraktionen, die miteinander konkurrieren. Wir haben sie vorläufig als die Marine, die beiden größten Parteien im altanischen Parlament und die Wissenschaftler an Bord ihres großen Transporters identifiziert. Es gibt eine weitere Gruppe von Wirtschaftsvertretern, die sie als ›Verbandsrepräsentanten‹ bezeichnen. Ich fürchte, wir haben ihre Rolle in diesem ganzen Unternehmen noch nicht genau bestimmen können.«
»Und die Delegation, die unterwegs hierher ist, besteht aus Vertretern der Marine und der beiden politischen Parteien?«
»Das ist richtig, Majestät. Auch diese Miss Lindquist gehört dazu.«
»Was ist ihre Funktion?«
»Diese Frage, Majestät, ist schwierig zu beantworten. Sie behaupten, dass Miss Lindquist den erblichen Botschafter der Erde auf Alta vertrete. Offen gesagt ist uns nicht ganz klar, warum sie einen prominenten Platz in der Delegation einnimmt, wenn es sich so verhält.«
»Kann sie eine verborgene Machtgruppe vertreten?«
»Es ist denkbar. Sie könnte durchaus die eigentliche Macht an Bord ihres Schiffes sein, vielleicht sogar die eigentliche Leiterin des Expedition.«
John-Phillip nickte. »Ob sie es ist oder nicht, wir wollen vorgeben, dass wir ihrer Tarngeschichte glauben.«
»Natürlich, Majestät. Es ist nicht höflich, den Gästen ins Gesicht zu sagen, dass sie Lügner sind.«
»Wie viel wissen sie über unsere Situation?«
»Herzog Bardak informierte mich, dass er sich ganz eng an das sanktionierte Drehbuch gehalten habe, Majestät. Sie wissen, dass wir uns im Krieg mit den Ryall befinden, und dass es eine Verbindung zwischen unseren Einflusssphären im Aezer-System gibt. Darüber hinaus ist er absichtlich vage geblieben.«
»Wie war ihre Reaktion auf den Vorschlag eines Bündnisses?«
»Wie erwartet, nahmen sie den Gedanken zurückhaltend auf.«
»Wieso erwartet?«
»Dies ist eine Erkundungsmission, Majestät. Sie haben nicht die Autorität, über ein Bündnis zu verhandeln. Jedenfalls behaupten sie es.«
»Glauben Sie diese Behauptung?«
»Ich habe keine Ursache, daran zu zweifeln. Betrachtet man ihre Funktionen, so ist es klar, dass sie keine politischen Entscheidungsträger sind.«
»Gibt es eine Möglichkeit, dass sie von unseren jüngsten Rückschlägen wissen? Etwa durch aufgefangene Funksprüche und dergleichen?«
Haliver schüttelte energisch den Kopf. »Wir haben alle Funk- und TV-Programme, die seit ihrer Ankunft im System ausgestrahlt wurden, durch eine Computerprüfung durchsucht. Es hat nirgendwo einen Hinweis auf das Schicksal unserer Armada gegeben, nicht einmal einen indirekten. Die Zensur ist noch immer unvermindert in Kraft.
Aber es gibt ein Problem. Miss Lindquist wird zweifellos mit unserem irdischen Botschafter sprechen wollen.«
»Das sollte kein Problem sein. Nicht, wenn wir uns klug verhalten und uns einen ausreichenden zeitlichen Vorsprung verschaffen.«
Zum ersten Mal, seit er das Arbeitszimmer des Königs betreten hatte, lächelte Haliver. »Ich verstehe vollkommen, Majestät.«