16
Kurz bevor Grace kommt, hänge ich im Haus noch Eukalyptusblätter vom Baum aus dem Garten auf, schneide einen frischen Pinienzweig und etwas Efeu ab, deren herrlicher Duft sich mit dem Geruch nach Kaminfeuer mischt. Ich will, dass alles perfekt aussieht. Grace liebt Weihnachten ebenso sehr wie ich. Schließlich stürmt sie herein. Ihr langes Haar fliegt, ihre Augen funkeln vor Aufregung.
»Mum!« Sie wirft sich in meine Arme, wie früher als kleines Mädchen. Ich drücke sie an mich.
»Du hast mir so gefehlt …« Gierig sauge ich den zitronigen Duft ihres Shampoos in meine Lungen.
»Du mir auch.« Sie löst sich von mir. »Ich fasse es nicht, dass der Typ, den wir im Wald gesehen haben, Rosies Mörder ist.«
Ich nicke. »Geht mir genauso.«
»Es ist so traurig, nicht?« Tränen stehen in ihren Augen, als die alten, noch immer nicht vollends verheilten Wunden zum Vorschein kommen.
Wieder nicke ich, auch für sie und ihre Freunde müssen die letzten Monate sehr schwer gewesen sein. Bestimmt plagten sie Sorgen und Ängste, weil sie sich mitverantwortlich fühlten. Und auch wenn der Schmerz im Lauf der Zeit etwas nachgelassen hat, ist er erst merklich abgeklungen, seit der Mörder endlich hinter Schloss und Riegel sitzt.
»Es wird ein wunderschönes Weihnachten«, sage ich sanft, und ihre Augen beginnen wieder zu leuchten.
»Ich habe Geschenke dabei, die unter den Baum müssen. Und wir müssen ihn dringend schmücken. Machen wir das gleich heute?«
»Der Baum ist schon geschmückt, Grace …« Einen Moment lang verblasst ihr Lächeln. »Aber die Karten habe ich noch nicht geschrieben. Ich dachte, du willst sie dir bestimmt erst ansehen.«
Grace strahlt.
Wir gehen hinaus, um Angus zu helfen, ihre Sachen hereinzutragen. Während er das frisch gelieferte Kaminholz stapelt, verzieren wir den Kuchen. Vor uns liegt ein ganzer Monat, ehe sie zurück an die Uni muss – ein Monat, in dem unsere Familie wieder vollzählig ist. Ein seltenes Gefühl tiefen Friedens und der Dankbarkeit ergreift mich, dass ich Weihnachten mit meinem Mann und meiner Tochter feiere, die sicher zurückgekehrt ist. Mehr könnte ich mir im Augenblick nicht wünschen.
Und ich hoffe, dass wir jetzt, da Alex in Untersuchungshaft sitzt, endlich unser ruhiges Leben fortsetzen können. Doch erneut wird meine Welt erschüttert, und das flüchtige Gefühl von Geborgen- und Sicherheit findet ein jähes Ende, als Laura anruft und mir erzählt, dass Alex aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, während die Ermittlungen weiterlaufen. Es scheint keine ausreichenden Beweise gegen ihn zu geben.