Rosie
Was ihr nicht wisst, ist, dass es selbst in der finstersten, endlosesten Nacht irgendwo ein Licht gibt. Dass der Wind eigentlich aus Myriaden singender Seelen besteht, die von einer Welt in die nächste übergehen, wenn sie ihre Reise zu den Sternen antreten.
Plötzlich sind meine Gedanken nur noch einzelne Fetzen. Nicht die kurzlebige Blume muss gehegt und gepflegt werden, sondern das, was sich darunter befindet, genauso wie die Herzen der Menschen. Das weiß ich inzwischen. Und ich weiß auch, was passiert, wenn ein Herz nicht geliebt, niemals gehegt und gepflegt und gewürdigt wird, niemals sein wahres Potenzial entfalten kann.
Warum? Das Wort hallt in meiner Seele wider. Wieso bekommen Menschen Kinder? Ich verstehe es nicht. Schließlich hätte Joanna doch die Wahl gehabt. Aber auch hierfür gibt es Gründe, so wie für alles, egal ob in dieser Welt oder in der nächsten.
Ich bemerke zwei Lichter in der Ferne, die sich klar und rein gegen die Schwärze abheben, auf Kollisionskurs. Sie kommen näher, bis sich ihre Pfade berühren, und flammen auf wie eine Sternschnuppe, ehe sie sich in entgegengesetzte Richtungen entfernen.
Einst war ich die perfekte Tochter für meine Mutter. Ich konnte nichts verkehrt machen. Bis sie merkte, dass ich gar nicht perfekt war, ebenso wenig wie sie selbst, und diese Erkenntnis hat sie zerbrochen.
Auf einmal stehe ich wieder am Anfang. Ich sehe es vor mir. Allmählich erinnere ich mich, was fehlt, wen ich verloren habe, auf wen ich warte.
Und dann entdecke ich sie, durch die Bäume, nehme sie mit Alex’ Augen wahr, ihre helle Haut und das glänzende Haar, das genauso aussieht wie meines – weil es meines ist. Sie läuft durch den Wald auf mich zu, und als sie näherkommt, spüre ich die Liebe in mir aufwallen und uns beide umhüllen. Ich strecke die Arme aus, und als sie mit mir verschmilzt, ist diese gähnende Leere in mir auf einmal verschwunden.
Die Zeit bleibt stehen. Die Bäume, die Erde, der Himmel, alles verblasst, entgleitet mir, als der Wind mit seinem Stimmenchor kommt und ein glockenklarer, unbeschreiblich herrlicher Gesang uns davonträgt, hinauf in den Himmel, zu den Sternen, ins Licht.