13

Alex geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe mir immer vorgestellt, dass Rosies Beziehung zu ihrem Freund von Wärme, starken Armen und liebevollen Blicken geprägt ist, und nicht von unverhohlener Feindseligkeit und Verbitterung.

»Tut mir leid, aber ich kann ihn einfach nicht leiden.« Laura und ich sitzen bei Rachael in der Küche. Trotz des hohen Anteils männlicher Familienmitglieder ist keineswegs garantiert, dass sie pünktlich ein Mittagessen auf den Tisch bringt, aber wir haben Glück, denn sie serviert uns eine selbst gekochte Suppe, knuspriges Brot und ein großzügiges Stück Käse.

»Wieso denn nicht?«, fragt Rachael und schöpft die Suppe in die Schalen.

»Genau. Wieso nicht, Kate?« Lauras Neugier scheint geweckt zu sein.

»Er war schrecklich wütend, was ich auch verstehe. Aber da war noch etwas anderes … eine Aggressivität. Ich kann mir ihn und Rosie beim besten Willen nicht als Paar vorstellen. Er scheint eine enorme Wut in sich zu haben und macht den Eindruck, als könnte er ziemlich unangenehm werden, wenn man ihn reizt. Beschwören kann ich es natürlich nicht … es ist nur so ein Gefühl.«

Ich rudere zurück, will nicht, dass mein subjektiver Eindruck die Fakten verfälscht. »Eigentlich hätte ich ihn gern nach der Halskette gefragt, habe mich aber nicht getraut.«

»Vielleicht nächstes Mal«, sagt Rachael fröhlich und stellt die Suppenschalen vor uns auf den Tisch.

»Ehrlich gesagt bin ich nicht sonderlich scharf auf ein nächstes Mal. Und vor Neal hat er mich auch gewarnt.«

»Was?« Zwei Augenpaare richten sich auf mich.

»Ja. Er meinte, Rosie hätte ihn gehasst. Ihr hättet ihn hören sollen. Er kann Neal nicht ausstehen.«

»Weiß die Polizei davon? Von ihm und Rosie, meine ich?« Laura klingt ein wenig besorgt.

»Ich denke schon. Ich habe ihm erklärt, dass es vermutlich besser ist, wenn sie es von ihm selbst und nicht von anderen erfahren.« Aber sicher bin ich nicht. Alex wirkte nicht gerade überzeugt, und kurz danach war unser Gespräch zu Ende.

»Schwer zu sagen, wem man glaubt«, meint Laura. »Die nettesten Leute haben manchmal die schlimmsten Geheimnisse.«

Rachael und ich schauen sie an.

»Seht mich nicht so entsetzt an. Ihr wisst doch selbst, dass das so ist. Wir alle lassen uns vom ersten Eindruck leiten, aber häufig genug liegen wir komplett daneben.«

Doch egal, wie häufig ich Alex’ Worte im Geiste immer wieder durchgehe, kann ich mein Unbehagen nicht abschütteln. Natürlich hat alles zwei Seiten. Ein paar Tage danach treffe ich Laura wieder. Da sich die Ermittlungen noch länger hinziehen werden, ist sie in eines von Rachaels und Adams Ferienhäuschen in der Nähe der Farm gezogen.

»Zauberhaft ist es hier.« Ich liebe dieses kleine Steinhäuschen mit der herrlichen Aussicht, das oft viel zu lange leer steht.

»Ich auch, aber der Garten macht mir ein bisschen Sorgen«, erwidert Laura. »Wenn die Pflanzen erst mal anfangen zu wachsen, kriege ich vermutlich die Tür nicht mehr auf.«

»Bis zum Frühling passiert nichts. Bis dahin sollte der Fall bestimmt gelöst und du wieder zu Hause sein.«

»Ja, vermutlich. Komm, ich zeige dir alles. Es ist wirklich niedlich.«

Nachdem sie mich durch die fünf Zimmer geführt hat, macht sie Tee, den wir im Wohnzimmer vor dem Kamin trinken.

»Ich muss dich etwas fragen.« Besorgnis schwingt in ihrer Stimme mit.

Ich höre Angus’ Stimme: Du hast dich viel zu sehr in diese Geschichte hineinziehen lassen.

Ich denke an Alex’ unverhohlene Wut.

Und an Rosie, deren Stimme durch den Sturm hallt, als sie meinen Namen ruft.

»Nachdem du mit Alex gesprochen hast, war ich bei den Andersons. Neal weiß, weshalb ich hier bin, und ich habe ihm gesagt, dass ich gern helfen würde, Licht ins Dunkel zu bringen und Rosies Fall aufzuklären. Ich war nicht sicher, wie er reagieren würde, aber sie haben mich hereingebeten. Wir haben uns unterhalten. Darüber, wie isoliert sie sich als Familie gefühlt haben und wie frustrierend es war, dass es keinerlei Tathinweise gab. Sie war tieftraurig. Neal auch, aber er war trotzdem charmant. Die beiden machen einen völlig normalen Eindruck auf mich. Wie eine Familie, die zusammenhält. Oder irre ich mich? Übersehe ich etwas?«

»Nein, ich denke nicht. Ich glaube, Alex ist wütend und unsachlich, weil die Andersons ihn nicht mit offenen Armen empfangen haben. Und natürlich auch wegen seines Verlusts.«

»Ich habe auch mit Joanna allein gesprochen. Sie hält offenbar große Stücke auf Neal. Ein bemerkenswerter Mann, so hat sie ihn genannt. Was meinst du dazu?«

Ich schüttle den Kopf. »Genau dasselbe sagt sie zu mir auch immer.«

»Ah, okay. Nun ja, ein Durchschnittstyp ist er jedenfalls nicht, was? Ich habe mich auch mit Delphine unterhalten. Ein merkwürdiges Mädchen, findest du nicht auch? Es ist mir nicht gelungen herauszufinden, was in ihr vorgeht. Ich habe sie mehrmals nach ihrer Familie gefragt, und sie sagte immer nur, wie froh sie sei, so liebevolle Eltern zu haben.«

»Mit mir hat sie kaum ein Wort gewechselt.«

»Das war so ziemlich das Einzige, was ich aus ihr herausbekommen habe. Daher …« Sie trinkt einen großen Schluck Tee. »Das Problem ist Folgendes: Joanna hat erzählt, eine Woche vor ihrem Verschwinden hätte Rosie ihr gesagt, dass mit Alex Schluss sei. Es hätte Ärger deswegen gegeben. Nichts Ernstes, nur hätte Alex sich ein bisschen zu sehr reingehängt. Offenbar war er bei den Andersons, aber Joanna hat sich wohl geweigert, ihn ins Haus zu lassen, weil Rosie ihn nicht mehr sehen wollte. Das wollte er nicht akzeptieren, wurde wütend und drohte ihr. Aber irgendwann ging er doch, und das war’s dann.«

Ich runzle die Stirn. »Ich wünschte, sie hätte es mir gesagt. Jetzt, nachdem ich ihm begegnet bin, klingt das durchaus plausibel für mich. Allerdings hat er mir etwas völlig anderes erzählt. Ihm zufolge hatten Rosie und Neal Streit, und Rosie hat gedroht, von zu Hause auszuziehen.«

Laura schüttelt den Kopf. »Wem soll man glauben? Natürlich bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er auch der Mörder ist. Außerdem hat er ein Alibi. Er kann es nicht getan haben. Also bin ich zu den Nachbarn gegangen.«

»Die kenne ich noch nicht mal«, sage ich.

»Es war ganz interessant. Sie würden die Andersons kaum kennen, meinten sie, bloß vom Sehen. Aber eines Morgens, wenige Tage vor Rosies Verschwinden, hätten sie laute Stimmen gehört. Ein Mann und eine Frau, die sich angeschrien haben. Sie dachten, es sei Joanna. Der Mann brüllte irgendetwas, dass er sie sehen wolle, einen Namen hat er aber nicht genannt. Und die Frau hat zurückgeschrien.«

War es Neal? Oder Alex? Spielt das überhaupt eine Rolle?

»Neal war weg.« Laura scheint meine Gedanken gelesen zu haben. »Was die Frage aufwirft, ob es Alex war, was halbwegs plausibel wäre. Und ich stimme dir zu. Auch ich finde es seltsam, dass Joanna dir nichts davon erzählt hat.«

Aber inzwischen kenne ich Joanna ein wenig besser, daher ist es nicht allzu ungewöhnlich. »Ich weiß, wie sie tickt. Für sie war die Vorstellung, ihre Tochter könnte mit dem Gärtner zusammen sein, absolut indiskutabel. Alex hat dasselbe gesagt. Jo fand, er sei ihrer nicht würdig. Außerdem hat sie mich im Grunde nicht angelogen. Als ich mit ihr geredet habe, war es längst vorbei zwischen den beiden.«

Mir fällt die Halskette wieder ein. »Aber einen Punkt gibt es noch. Wenn Alex ihr tatsächlich diese Kette geschenkt hat, hätte Rosie sie wohl kaum getragen, nachdem sie sich getrennt hatten.«

Nachdenklich blickt Laura mich an. »Du meinst die Kette, die sie am Abend ihres Verschwindens trug? Sie wurde nie gefunden.«

»Genauso wenig wie die Mordwaffe.« Was nur schwer zu glauben ist, nachdem die Polizei praktisch das ganze Dorf abgesucht hat und sämtliche Bewohner die Augen offen halten.

Unsere Blicke begegnen sich. »Das ist alles sehr merkwürdig, findest du nicht auch?«

Seit Jos Ausbruch bin ich ihr nur flüchtig auf der Straße begegnet. Nicht dass ich es ihr übelnehmen würde, aber Angus’ Worte stimmen mich nachdenklich: Keiner von uns kann nachvollziehen, wie sie sich wirklich fühlt.

Das ist mir klar. Trotzdem will ich nicht als Mahnung herhalten müssen, dass meine Tochter noch am Leben ist. Aber wenn sie meine Freundschaft möchte, werde ich sie mit offenen Armen empfangen.

Als hätte sie meine Gedanken gelesen, ruft sie mich an diesem Abend zerknirscht an.

»Kate, es tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich war unmöglich zu dir. Es war ein fürchterlicher Tag, eine fürchterliche Zeit. Kannst du mir verzeihen?«

»Oh, Jo, da gibt es nichts zu verzeihen.« Was sie mir auch immer an den Kopf geworfen hat, es muss sie all ihre Kraft kosten, sich jeden Morgen aufzuraffen und den Tag zu überstehen.

»Doch, Kate. Du warst so nett zu mir, und ich habe mich gehen lassen. Es tut mir aufrichtig leid«, sagt sie kleinlaut.

Neals Worte über Schuldgefühle kommen mir wieder in den Sinn. Und meine eigenen, wenn auch noch so irrationalen Gewissensbisse, weil ich sie mit ihrem Kummer allein gelassen habe, sind so groß, dass ich ihr alles verzeihe.

Es ist Jos Idee, sich auf neutralem Boden zu verabreden. Also verabreden wir uns im Green Man, einem Pub am Rand des Dorfes.

»Wie schön, dass wir uns treffen, Kate. Du siehst gut aus.« Strahlend und mit ungewohnter Herzlichkeit umarmt sie mich.

»Hi! Du auch!«

Ihre Überschwänglichkeit erstaunt mich ebenso wie die Tatsache, dass sie blendend aussieht. Sie wirkt jünger, ist sehr schlank und ihr Haar länger. Nachdem sie wochenlang am Boden zerstört war, scheint es nun endlich wieder aufwärtszugehen. Wenn man sie sieht, würde man nie im Leben darauf kommen, was sie durchgemacht hat.

»Ich wollte mich unbedingt bei dir bedanken, Kate, aus tiefstem Herzen, für deine Freundschaft. Ohne dich …«

»Ist schon gut, Jo. Das habe ich doch gern getan. Ehrlich.« Es macht mich ein wenig verlegen, weil es nicht der Grund ist, weshalb ich hier bin. Ich gehe voran an die Bar, wo wir uns etwas zum Mittagessen bestellen. Jo besteht darauf, die Rechnung zu übernehmen. Danach setzen wir uns an einen Tisch am Fenster.

»Als du letztes Mal bei mir warst, als ich dich so angeschrien habe, war mir auf einmal alles zu viel. Es tut mir so leid, dass du das abbekommen hast«, platzt Jo heraus, kaum dass wir uns hingesetzt haben.

»Ist schon gut«, beteuere ich. »Ich verstehe das doch.« Ich hole tief Luft. »Ich habe von dem Ärger mit Alex gehört. Es muss so ziemlich das Letzte gewesen sein, was du gebraucht hast.«

Ihre Augen weiten sich, dann schüttelt sie den Kopf. »Ich habe versucht, nicht darüber nachzudenken. Vermutlich redet längst das ganze Dorf darüber.«

Ich erwidere nichts darauf. »Ich weiß ja, dass die Leute gern klatschen«, fährt sie fort, »aber es war nichts Ernstes. Nur eine Schwärmerei. Du weißt doch, wie Teenager sind. Heute dieser, morgen jener. Rosanna war längst über ihn hinweg und hat sich auf die Uni vorbereitet …«

Eine einzelne Träne rollt ihr über die Wange. Ich berühre ihren Arm. Sie ringt sich ein Lächeln ab, aber ich bemerke die Traurigkeit in ihren Augen.

»Es gibt keine Entschuldigung dafür, wie ich mich dir gegenüber benommen habe«, sagt sie leise. »Aber ich hatte solche Angst, Kate. Es war, als hätte ich auf einmal die Kontrolle über alles verloren.« Sie hält inne. »Ich habe weder dir noch sonst jemandem erzählt, dass ich letztes Jahr schwer krank war. Ich habe wohl Probleme damit, mit allem klarzukommen. Ich habe zu viel getrunken, und am Ende bin ich in einer Entzugsklinik gelandet. Inzwischen geht es mir besser. Ich trinke nicht mehr, zumindest nicht mehr so viel wie damals, aber nach Rosanna … Nun ja, Neal hat es dir ja erzählt, oder? Dass ich eine Weile weg war. Ich konnte einfach nicht mehr klar denken. Ich habe diese Tabletten genommen, nur damit ich irgendwie weitermachen kann. Aber jetzt nehme ich sie nicht mehr. Zumindest im Moment nicht.«

Das habe ich mir beinahe gedacht, und in gewisser Weise erklärte es ihre tonlose Stimme und die scheinbare Gefühllosigkeit, mit der sie über Delphine gesprochen hat.

»Das muss alles sehr schwer für dich sein, Jo. Aber bestimmt geht es dir jetzt schon ein bisschen besser, nachdem du sie abgesetzt hast.«

Sie seufzt. »Ja, mehr oder weniger. Durch sie wird der Schmerz gedämpft. Er verliert an Schärfe, und das Unerträgliche wird ein wenig erträglicher, aber sobald man sie absetzt, wird es anstrengend. Der Schmerz ist immer noch da, und man muss sich ihm stellen. Von allein geht er nicht weg.«

»Vor mir brauchst du ihn nicht zu verstecken«, sage ich und frage mich, was ihren Ausbruch damals ausgelöst hat. »Oder dich dafür zu entschuldigen. Du hast jedes Recht, wütend oder gekränkt oder sonst etwas zu sein. Du darfst mich auch anschreien. Okay?«

Sie blickt auf ihre glatten, schmalen Hände, die kaum merklich zittern. »Zu Hause ist es wesentlich schwieriger. In der Klinik war es einfach, weil ich all die Leute um mich hatte, die mich verstanden. Jeder von ihnen hat ein traumatisches Erlebnis hinter sich, aber jetzt bin ich wieder allein und muss die Finger davon lassen …«

»Du bist nicht allein, Jo. Du hast mich. Und Neal.«

Sie nickt. »Das weiß ich.«

Wir essen – besser gesagt, ich esse, wohingegen Jo meint, ihr Essen sei nicht besonders lecker, aber ich solle mir keine Gedanken machen, sie hätte ohnehin keinen großen Hunger.

»Wie geht es eigentlich Delphine?«, frage ich schließlich. »Sie muss dich schrecklich vermisst haben.«

Jos Miene verändert sich. »Sie war so lange bei einer Schulfreundin. Du erinnerst dich bestimmt daran, dass ich gesagt habe, sie sei ein sehr starkes Mädchen, oder? Na ja, inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich sollte mit ihr reden, oder? Ich war ihr keine große Hilfe.«

Ich bin sehr erleichtert über ihre Einschätzung, denn würde Grace ihre Gefühle so unter den Teppich kehren und sich vollkommen in sich zurückziehen, würde ich mir gewaltige Sorgen um sie machen, obwohl sie ein gutes Stück älter und reifer ist als Delphine.

»Du solltest dir deswegen keine Vorwürfe machen, aber trotzdem wachsam bleiben. Es ist eine enorme Last für so ein junges Mädchen.«

»Ich weiß. Und du hast vollkommen recht. Aber jeder hat seine eigene Art, damit umzugehen. Und Delphine verhält sich immer so. Wenn ihr etwas zu viel wird, zieht sie sich in sich selbst zurück. Vermutlich ist dir schon aufgefallen, dass ich genau dasselbe tue.«

Das ist wahr. Ich habe häufig beobachtet, wie verschlossen Jo ist, allein mit ihren Gedanken, niemand kommt dann an sie heran.

»Und Neal?«

Ihre Züge erhellen sich. »Oh, ihm geht es gut, sogar sehr gut. Ich habe völlig vergessen zu erzählen, dass er für eine Auszeichnung nominiert wurde und am Freitag zu einer Gala eingeladen ist, bei der auch ganz viele Stars erwartet werden. Sogar ein Vertreter des Königshauses, wenn man den Gerüchten glauben darf. Jedenfalls verbringen wir das Wochenende in London, mit 5-Sterne-Luxushotel und allen Schikanen. Ich kann es kaum erwarten!«

»Wow, das ist ja Wahnsinn! Ich liebe London in der Vorweihnachtszeit … durch die Geschäfte zu bummeln, und alles ist so schön erleuchtet. Was wirst du anziehen?«

Sie sieht sich kurz um, dann beugt sie sich mit verschwörerischer Miene vor. »Ich habe mir extra ein Kleid schneidern lassen«, flüstert sie. »Es hat ein Vermögen gekostet, aber das ist es mir wert. Es ist grün, schmal, aber nicht zu eng geschnitten, aus einem fließenden Stoff.« Ihre Augen leuchten. »Sie würde wollen, dass wir feiern.«

Ich habe eine Idee. »Wieso kommt Delphine nicht so lange zu uns?«

Ein eigentümlicher Ausdruck tritt in Jos Augen, als hätte sie gar nicht richtig zugehört. »Danke, aber sie übernachtet bei ihrer Freundin«, sagt sie.

Ich war immer der Ansicht, eine Freundschaft bestehe nicht nur darin, dass man sich Dinge anvertraut, sondern auch, dass manches unausgesprochen bleibt, weil der andere sich selbst einen Reim darauf machen kann. Wie innig ist unser Verhältnis eigentlich? Natürlich unterstütze ich Jo, doch gleichzeitig enthalte ich ihr wichtige Details vor, wie Grace’ Kurzbesuch zu Hause, meine Begegnung mit Alex und meine Gespräche mit Laura über Rosie. Diese Dinge, von denen ich zum Teil noch nicht einmal Angus erzählt habe, kann ich ihr nicht sagen.

Wir trinken noch einen Kaffee, bevor wir aufbrechen.

»Ich wünsche dir und Neal ein wunderschönes Wochenende. Du hast es dir wirklich verdient.« Ich gebe Jo einen Kuss auf die Wange.

»Danke. Wir werden es genießen! Und komm doch bald mal vorbei, dann erzähle ich dir alles.«

Ich nicke. Ich sehe mich bereits auf ihrem nagelneuen Sofa sitzen, wo ich ein klein wenig neidisch ihrer Schilderung lausche: Jo in ihrem neuen Abendkleid, mit der Prominenz auf Du und Du. Immer lächelnd und doch stets mit den Gedanken bei ihrer Tochter und daran, nicht rückfällig zu werden und die Finger von den Tabletten zu lassen. Unwillkürlich sehe ich einen strahlenden Stern vor mir, der alle mit seiner Leuchtkraft blendet und ein letztes Mal aufblitzt, ehe er unwiederbringlich implodiert.

Meine Gedanken wandern zu Jo, als ich am Freitagabend gegen sieben am Dorfladen vorbeikomme und eine schlanke Gestalt auf dem Bürgersteig bemerke. In dem Moment, als ich an ihr vorbeifahre, tritt sie auf die Straße. Ich steige voll auf die Bremse und komme glücklicherweise gerade noch rechtzeitig zum Stehen.

Ich springe aus dem Wagen, um diesem Idioten ordentlich die Meinung zu geigen. Und bleibe abrupt stehen, als ich erkenne, wer vor mir steht.

Mein Tod ist dein
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