Rosie
Hinter jedem Menschen stehen dreißig Geister, heißt es so schön. Manche sind sogar Teil ihres Lebens, auch wenn diejenigen es nicht merken. Leute wie Kate, Grace, Tante Carol.
Joanna hingegen nicht. Sie hat ihre Geister längst verloren, hat keine Liebe, die sie begleitet, niemanden an ihrer Seite. Ihr Leben ist leer und einsam – bis zu jenem sonnigen Tag, als sie auf der Hochzeit einer gemeinsamen Freundin Neal begegnet. Es ist ein Tag unzähliger Versprechungen, wie das Konfetti vor der Kirche. Als er sie sieht – zart, bildschön, anpassungsfähig, und beobachtet, wie sie ihr Seidenjäckchen abstreift, das sie eigens für diesen Moment im Kleiderschrank verwahrt hat, sich die Sonne in ihrem hellen Haar fängt, sie sich umschaut auf der Suche nach einem bekannten Gesicht und dabei an seinem hängen bleibt, entspinnt sich eine schicksalhafte Anziehung zwischen ihnen. Es scheint ein kollektives Seufzen durchs Universum zu gehen, ein hoffnungsvolles Flüstern, in dem ein Hauch von Erleichterung mitschwingt. Und von Gefahr.
In diesem Moment geschieht etwas Seltsames mit Joanna. Es liegt nicht am Wodka, den sie getrunken hat, um ein wenig Mut zu fassen – seine Wirkung kennt sie bereits. Nein, es ist wie ein Déjà-vu. Zwar hat sie keine Ahnung, wieso, aber in dem Augenblick, als sie ihn erblickt, weiß sie es, spürt es mit jeder Faser ihres einsamen, verdorrten Herzens. Das ist er. Von diesem ersten Moment an sind sie wie Pulver und Flamme, eine brandgefährliche Mischung, die unweigerlich explodieren muss.
Ein Feuerball, der alles auf seinem Weg verschlingt, im Inferno unter sich begräbt, nur dass es dabei weder um Liebe noch Leidenschaft geht, sondern um die Frage, wer die Oberhand hat und wer sich unterordnet. Mit seiner Autorität, seiner Attraktivität, seinem Selbstbewusstsein gelingt es ihm wie keinem anderen zuvor, ihr das Gefühl zu geben, klein und unbedeutend zu sein. Er besitzt Macht, auf die sie instinktiv reagiert, die sie dazu bringt, seine Launen hinzunehmen, sich ihnen zu unterwerfen. Sie kann nicht anders.
Sie hat ihn gefunden, den Beginn vom Rest ihres Lebens. Sie kann nicht von ihm ablassen, denn sie hat die Lücke in seinem Innern erkannt – jene Lücke, die genau so groß ist, dass sie sie mit ihrem Körper ausfüllen kann.