39

Ich starre Laura an, dann schüttle ich den Kopf. Sie irrt sich. Rosie war definitiv nicht schwanger. Ich erinnere mich ganz genau Joannas Worte.

»Aber Jo hat klipp und klar gesagt, dass sie nicht schwanger war. Was in den Zeitungen stand, sind bloß Gerüchte. Sie war fest entschlossen, sich nicht davon aus dem Konzept bringen zu lassen.«

»Noch eine Lüge«, sagen wir wie aus einem Munde.

Laura blickt mich an. »Wieso?«

»Jo will, dass immer alles perfekt ist.« In dem Moment, als ich es ausspreche, begreife ich, dass es wahr ist. »Ihre Art, sich anzuziehen, das Haus, ihr Mann, den sie immer so in den Himmel lobt. Und ihre halbwüchsige Tochter? Für sie war es die reinste Katastrophe, dass Rosie mit Alex zusammen war, ganz zu schweigen davon, dass sie von ihm schwanger gewesen sein könnte. Dass das bekannt wird, kann sie nicht gewollt haben.«

»Aber es stand trotzdem in der Zeitung, Kate. Nicht in allen, aber ein oder zwei dieser fürchterlichen Klatschblätter haben geschrieben, dass sich die Mehrzahl der Wunden im Bauchbereich befanden. Sie konnte doch nicht ernsthaft glauben, dass das nicht herauskommt. Spätestens wenn der Prozess anfängt, wäre es ans Licht gekommen. Seltsam finde ich, dass sie sich dir nicht anvertraut hat.«

»Das stimmt, andererseits gibt es vieles, worüber wir nie geredet haben. Und ich wollte nicht ständig mit Dingen ankommen, die schmerzhaft für sie sind. Schließlich muss sie jeden Tag mit der Tragödie leben und braucht nicht noch mich, die pausenlos damit anfängt. Außerdem weiß jedes Kind, dass die Zeitungen auch viel Unsinn verbreiten.«

»Wäre nicht alles so tragisch, müsste man wirklich staunen …«, sagt Laura nachdenklich. »Hast du dir jemals überlegt … diese Nachrichten … Derjenige, der sie geschrieben hat, wusste vielleicht gar nichts von Jos Totgeburt, sondern hat Rosies Baby damit gemeint. Vielleicht ist der Fötus ja das zweite Kind …«

»Und das dritte?«

Unsere Blicke begegnen sich, und ich verspüre eine Welle der Übelkeit.

Aber doch nicht Delphine …

Aus heiterem Himmel wird Alex wieder in Untersuchungshaft genommen. Ich höre es in den Radionachrichten.

Nein! Das Wort hallt laut in meinem Kopf. Ich weiß zwar nicht, wieso, aber es ist ein schrecklicher Irrtum.

Die Halskette. Sie ist der entscheidende Faktor in dieser ganzen Geschichte. Hätten er und Rosie sich ernsthaft verkracht, hätte sie sie niemals getragen.

Und Neal. Die Art, wie er mit seinen Töchtern umsprang. Jo … die Beweise auf dem Laptop. Die Polizei muss ihn doch dafür belangen, oder etwa nicht? Oder haben sie noch etwas anderes gefunden?

Nach einer weiteren Befragung wird diesmal tatsächlich Anklage gegen Alex erhoben, allerdings wird er kurz danach gegen Kaution wieder freigelassen. Für meinen Geschmack gibt es viel zu viele Lügen und offene Fragen. Daher schlage ich sämtliche Warnungen in den Wind und fahre zu ihm, ohne jemandem davon zu erzählen.

»Was wollen Sie hier?« Mit feindseliger Miene steht er im Türrahmen und macht keine Anstalten, mich hereinzubitten.

»Ich muss mit Ihnen reden. Dürfte ich vielleicht reinkommen? Nur für ein paar Minuten?«

»Ist das eine Falle? Wenn dieser Anderson dahintersteckt …« Die Drohung in seiner barschen Stimme ist unüberhörbar.

Einen Moment lang bin ich versucht, kehrtzumachen, aber dann siegt meine Neugier. Ich hole tief Luft.

»Nein, er steckt nicht dahinter, das verspreche ich Ihnen.«

Ich versuche, nicht daran zu denken, dass er jemanden krankenhausreif geprügelt hat und unter Mordverdacht steht. Stattdessen verlasse ich mich auf meinen Instinkt und nehme all meinen Mut zusammen, als er einen Schritt zur Seite tritt, um mich hereinzulassen.

Ich folge ihm in das kleine Wohnzimmer im vorderen Teil des Hauses, das eigentlich sehr gemütlich und nett wäre, würde nicht ein fürchterliches Chaos herrschen – vermutlich spiegelt es wider, wie es in seinem Innern aussieht.

»Normalerweise sieht es hier nicht so aus, aber die Polizei räumt leider nicht wieder auf, nachdem sie einem die Bude auf den Kopf gestellt hat. Also, was wollen Sie?« Er sieht sich angespannt um.

»Das tut mir leid.« Ich zögere, weil ich einfach so in seine Privatsphäre eingedrungen bin. »Aber Sie wissen ja, dass ich Rosie kannte. Natürlich nicht so gut wie Sie, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sie getötet haben. Mir ist klar, dass das eigentlich die Aufgabe der Polizei ist, aber wir müssen herausfinden, wer das getan hat.«

»Ich habe der Polizei längst gesagt, was an diesem Abend passiert ist. Es war dieser Dreckskerl Neal«, antwortet Alex wütend, und einen Augenblick steigen Zweifel wieder in mir auf. Wenn er so wütend war, könnte er vielleicht doch …?

Ich beschließe, mich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen.

»Offenbar hat ihn jemand an diesem Abend gesehen. Sturzbetrunken im Stadtpark. Die Leute haben versucht, ihn aufzuwecken, aber er war komplett weggetreten«, sage ich.

Alex sieht mich ungläubig an. »Aber da muss man doch mal nachfragen, wieso dieser Jemand sich erst jetzt meldet, oder?«

»Es war ein Mann, der seine Frau betrogen hat«, fahre ich fort. »Er war auf dem Heimweg von einem heimlichen Rendezvous und wollte nicht, dass es herauskommt – bis jetzt.« Ich mustere ihn. »Aber inzwischen ist seine Frau dahintergekommen.«

Seufzend lässt er sich auf einen Sessel sinken und bedeutet mir, mich ebenfalls hinzusetzen.

»Ich habe der Polizei die Wahrheit gesagt.« Er schlägt die Hände vors Gesicht. »Es ist alles komplett schiefgelaufen.« Als er aufschaut, liegt ein gequälter Ausdruck auf seinem Gesicht. »Wir haben versucht, es für uns zu behalten, aber nach dem Müll, den die Zeitungen verbreitet haben, weiß es ja sowieso jeder. Rosie war schwanger.«

»Das ist mir erst jetzt klar geworden«, sage ich wahrheitsgetreu. »Aber Jo hatte keine Ahnung. Mir hat sie gesagt, es seien nur Lügen, was die Zeitungen schreiben.«

»Aha.« Er scheint keineswegs überzeugt zu sein.

»Hatten Sie und Jo Streit?«

Erschrocken sieht er mich an. »In der Woche vor Rosies Tod, ja. Sie wollte mir nicht erlauben, dass ich Rosie sehe, und hat alles darangesetzt, uns auseinanderzubringen.«

»Sind Sie deswegen wütend geworden?«

Er nickt langsam. »Ja, ich habe die Beherrschung verloren, aber mir ist klar, dass das nicht hätte geschehen dürfen. Sie war achtzehn, verdammt noch mal! Was für eine Mutter tut so was?«

Eine Mutter, die lügt und Laura erzählt, dass Alex ihnen auf die Pelle gerückt und es zwischen ihm und Rosie längst Schluss gewesen sei. Aber wieso?

»Was ist mit diesem letzten Abend? Rosie war doch bei Poppy, richtig?«

»Rosie und ich haben uns an diesem Abend gegen acht getroffen. Sie war bei Poppy, das stimmt. Poppy hatte angeboten, sie zu decken, falls jemand fragen sollte. Für so was war sie immer zu haben. Ein nettes Mädchen übrigens, aber egal. Jedenfalls kam Rosie her. Ich habe für uns gekocht. Wir waren hier … haben uns wieder gestritten. Sie wollte, dass wir ein Weilchen auf Abstand gehen, bis sich alles etwas beruhigt hat. Nur bis sie auf die Uni geht. Weil Joanna ein Riesentheater gemacht hat. Und auch wegen ihrer Schwester. Ich bin echt sauer geworden. Ich meine, auf kurz oder lang hätte ihre Schwester ohnehin zusehen müssen, wie sie ohne Rosie klarkommt. Ich habe einfach nicht kapiert, was es bringen soll, es hinauszuzögern.«

Er seufzt. »Es war ein schlimmer Abend. Am Ende wollte sie gehen, aber dann konnte ich sie überreden, doch noch hierzubleiben. Wir haben uns versöhnt. Gegen elf rief ihre Mutter an, um sie zu warnen. Sie war komplett von der Rolle. Neal hätte das mit uns herausgefunden und sei schon unterwegs. Er hätte sie geschlagen und sei außer sich vor Wut. Ich erinnere mich noch genau an Rosies Gesicht – sie war auf einmal kreidebleich. Man hat ihr angesehen, welche Angst sie hat.« Seine Züge verdüstern sich. »Ich habe keine Ahnung, woher Rosies Mutter wusste, wo sie steckt.«

Er hält inne und birgt neuerlich das Gesicht in den Händen. »Joanna hat gesagt, Rosie solle, so schnell es geht, verschwinden. Sie könnte nicht herkommen, weil er ihr die Schlüssel weggenommen hätte. Sie solle sich beeilen. Dann hat sie aufgelegt. Ich wollte, dass sie zu Poppy geht, weil sie dort sicher gewesen wäre. Ich wollte hierbleiben und mit Neal reden, die Sache ein für alle Mal klären.«

Schuldbewusst blickt er mich an. »Wäre ich doch nur mitgegangen … Als Neal nicht kam, bin ich zu Poppy gefahren. Wie konnte ich nur meine Freundin allein durch die Gegend laufen lassen, obwohl ich wusste, dass ihr durchgeknallter Vater nach ihr sucht? Aber sie ist nie bei Poppy angekommen. Ihr verdammter Vater war schneller …«

»Aber … sein jüngstes Alibi …« Ich bin völlig durcheinander.

»Kapieren Sie nicht?«, braust Alex auf. »Neal hat geblufft. Nach der Tat hat er den Wagen zu Hause abgestellt, die Flasche aus dem Kofferraum geholt und ist damit in den Stadtpark gegangen, um sich volllaufen zu lassen. Ist doch ein Kinderspiel, oder? Der Typ, der seine Frau betrogen hat, sieht ihn auf dem Heimweg und …« Er zuckt hilflos die Achseln.

Meine Haut beginnt zu prickeln. Was, wenn er lügt? Wenn Alex gar nicht auf Neal gewartet hat, sondern Rosie gefolgt ist und erneut mit ihr in Streit geraten ist, weil ihm das Ganze zu blöd wurde? Wenn er sich in seiner Wut vergessen hat und auf sie losgegangen ist?

»Es muss etwas Stichhaltigeres sein. Sonst hätte die Polizei es doch überprüft, oder?«

Was ist, wenn ich mich irre und Alex doch der Mörder ist?

Alex ringt die Hände, und ein eigentümlicher Ausdruck huscht über sein Gesicht. Mir wird mulmig. Ich schaue auf die Uhr und stehe auf.

»Ich muss los. Ich habe Angus versprochen, dass ich nicht lange wegbleibe.«

Meine Kehle ist staubtrocken, und die Worte wollen mir kaum über die Lippen kommen. Trotzdem bemühe ich mich, ruhig zu wirken. Mit klopfendem Herzen gehe ich zur Tür. Gerade als ich sie öffnen will, schließt sich seine Hand um meinen Arm.

Mein Tod ist dein
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