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Im Verlauf dieses Wochenendes lerne ich den Freund meiner Tochter etwas besser kennen. Es gefällt mir, wie er sie anlächelt, wie seine Augen ihr folgen, wenn sie das Zimmer durchquert, wie schnell er sich in meiner Küche zurechtfindet und Tee für uns alle zubereitet. Am Samstag reserviere ich den Tisch am Kamin im Pub, und beim Abendessen verfliegt der letzte Rest von Verlegenheit.
Als ich die beiden beobachte, ertappe ich mich dabei – auch wenn ich es noch so vehement leugne –, dass ich mir sehnlichst wünsche, Angus könnte hier sein und mit eigenen Augen sehen, wie gut sie sich verstehen.
Zu Hause gehe ich auf direktem Weg in mein Arbeitszimmer, schließe die Tür hinter mir und rufe ihn an. Ich hoffe inständig, dass er abhebt, sich alles anhört, was ich ihm unbedingt sagen möchte – dass es mir leidtut, dass ich ihn liebe und nie wieder ohne ihn sein will.
Aber er geht nicht ran.
Grace mustert mich besorgt, als ich ins Wohnzimmer zurückkehre. »Alles in Ordnung, Mom?«
»Ja, ja, mir ist nur gerade etwas eingefallen, was ich noch erledigen wollte, das ist alles. Möchte jemand Tee?«
»Ich übernehme das.« Ned löst sich aus Grace’ Umarmung.
»Lasst nur, ich gehe schon. Ihr könnt solange den Kamin anzünden.« Ich haste in die Küche, bevor Grace Gelegenheit bekommt, mit ihrem Röntgenblick in mein Innerstes zu blicken.
Ihre Abreise löst ein Gefühl großer Leere in mir aus, was idiotisch ist, da Grace in wenigen Tagen wieder hier sein wird. Aber ich bin melancholisch, außerdem könnte dies ein Vorgeschmack darauf sein, was mir bald bevorsteht.
Ich verbringe eine Stunde bei den Pferden, die meine Stimmung spüren und mich aufmerksam beäugen. Schließlich kommt Oz angetrottet und stupst mich an, als wolle er herausfinden, was mich belastet. Blind vor selbstmitleidigen Tränen schlendere ich über das Feld zum Haus.
Gerade als ich an der Hintertür die Gummistiefel ausziehen will, höre ich einen Wagen vorfahren. Schnell gehe ich hinein, um mir die Tränen abzuwischen. Ich will nicht, dass mich jemand so sieht. Wer mag das sein? Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich Schritte höre und eine Männerstimme, die ich unter Tausenden wiedererkennen würde.
»Kate?«
»Angus?«
Er betritt die Küche, und ich eile zu ihm. Meine Arme umfangen ihn, mein Gesicht liegt an seinem Hals, und als er mich langsam umarmt, lasse ich all meinen angestauten Tränen freien Lauf.
Er merkt es nicht, aber dann löst er sich von mir und sieht mich an.
»Du weinst ja. Bitte nicht. Du hast mir so gefehlt.«
»Du mir auch«, schluchze ich. Plötzlich ist mir alles zu viel. »Es tut mir so leid, Angus … ich habe nichts Schlimmes getan, aber es tut mir so leid, dass ich dir wehgetan habe.«
»Shh.« Er zieht mich wieder an sich. »Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss, weil ich dich im Stich gelassen habe und du mit allem ganz allein fertigwerden musstest.«
»Aber eigentlich gab es doch nichts, womit ich fertigwerden musste. Nur eine Freundin, aus deren chaotischem Leben ich mich nicht heraushalten kann, und Zappa …«
Der Gedanke an Zappa zieht mir endgültig den Boden unter den Füßen weg. Ich bringe kaum seinen Namen heraus, bevor mich meine Gefühle übermannen.
Wieder wird mir bewusst, was für ein großes Herz mein Ehemann hat. Und wie froh wir uns schätzen können, dass wir zusammen glücklicher sind als jeder für sich allein.
»Wie lange bleibst du?«, frage ich später, weil ich die Stimmung nicht verderben will, als wir nebeneinander im Bett liegen, wo wir noch nie viele Worte gebraucht haben.
»So lange, wie du mich hierhaben willst«, antwortet er sanft und streicht mir das Haar aus dem Gesicht.
»Was meinst du damit?« Ich stütze mich auf die Ellbogen und sehe ihn an. »Natürlich will ich dich hier haben.«
Seine Miene ist ernst. »Einen Moment lang war ich mir nicht ganz sicher.«
Ich lehne mich vor und küsse ihn. »Ich fand es schrecklich, dass du weg warst.«
»Das ist gut«, erwidert er mit einer Mischung aus Besorgnis und Erleichterung. »Weil ich dort oben nämlich so weit fertig bin. Ich muss vielleicht noch mal hin, aber das nächste Mal müssen sie jemand anderen schicken.«
Bei diesen Worten senkt sich ein Gefühl des Friedens über mich und meine Welt.