33
»Du warst mir heute eine Riesenhilfe«, sage ich zu Delphine, als ich sie zu Hause absetze.
Ihre Augen leuchten. »Es hat Spaß gemacht. Vor allem das Reiten.«
»Das werden wir bald wiederholen, versprochen. Wo wir gerade dabei sind, ich könnte doch mit hineinkommen und es mit deiner Mum besprechen.«
»Ich glaube, sie ist nicht da.« Der gewohnte leere Ausdruck tritt in ihre Augen, als sie zum Haus hinübersieht. »Aber ich würde gern wieder vorbeikommen. Vielen Dank.«
Ich schaue ihr nach, als sie aussteigt und die Einfahrt entlanggeht. Von Jo ist weit und breit nichts zu sehen. Ob sie tatsächlich nicht zu Hause ist, oder warum bittet Delphine mich nicht hinein? Aber wahrscheinlich mache ich mir viel zu viele Gedanken. Ich wende und fahre nach Hause.
Ein paar Tage später flattert eine weitere Nachricht durch meinen Briefschlitz. Der Inhalt jagt mir einen gehörigen Schrecken ein.
Ich zeige ihn Angus, als er von der Arbeit zurückkommt.
»Tut mir leid, aber das hier klingt ernster als das Geschwätz von irgendeinem Schwachkopf«, sage ich.
Er runzelt die Stirn.
»Möglich. Zeig es doch mal Laura. Wenn sich jemand mit Spinnern auskennt, dann wohl sie.«
Als ich das Telefon holen will, meint Angus: »Warte lieber bis morgen, es ist schon spät.«
Aber ich will nicht warten. Dieser Brief macht mir große Angst. Und Laura geht es genauso, nachdem ich ihr den Inhalt vorgelesen habe.
»Du musst ihn der Polizei geben«, sagt sie.
»Ich weiß. Ich rufe gleich morgen früh an.«
In dieser Nacht schlafe ich schlecht, sehe eine grauenerregende Gestalt vor mir, die mir aus eiskalter Berechnung Nachrichten schickt. Aber weshalb mir? Inwiefern sollte ich schon helfen können? Oder weiß ich etwas, was sonst niemand weiß?
Um zwei Uhr früh liege ich hellwach im Bett. Am Ende gebe ich auf, stehe auf und gehe nach unten. Der Wind hat aufgefrischt, und die Äste der Bäume schlagen gegen die Fenster.
Ich lese den Brief ein weiteres Mal.
Drei kleine Babys sitzen auf dem Bett.
Erst stirbt das eine, dann das zweite.
Das dritte will nicht sterben.
Haben diese Zeilen überhaupt etwas mit Rosie zu tun? Welches andere Baby ist gemeint? Wer ist das dritte Baby?
Zitternd lehne ich mich gegen den Herd.
Was um alles in der Welt steckt dahinter?
»Es muss ein Zusammenhang mit dem Mord an Rosie bestehen«, sagt PC Beauman stirnrunzelnd. »Ganz sicher können wir es natürlich nicht sagen, aber wenn man eins und eins zusammenzählt …«
»Ich weiß.« Sie spricht mir aus der Seele.
Sie nickt. »Er sieht genauso aus wie die anderen. Ich werde ihn mit den anderen vergleichen. Sagen Sie bitte Bescheid, wenn Sie noch weitere bekommen.«
Laura kommt vorbei.
»Du wirst nicht glauben, was ich herausgefunden habe. Aber meine Kontaktperson sagt, es hätte noch ein drittes Kind gegeben. Joanna hat einen kleinen Jungen zur Welt gebracht. Vor Rosie. Drei Monate zu früh. Eine Totgeburt.«
»Wer auch immer das geschrieben hat, weiß offenbar davon. Und die Polizei wird es auch herausfinden. Wenn ein Kind stirbt – in diesem Fall Rosie –, werden sämtliche anderen Todesfälle in der Familie routinemäßig überprüft.«
»Also auch der ihrer Eltern.«
Laura runzelt die Stirn. »Was ist mit ihnen?«
»Na ja, sie sind beide gestorben. Vor fünf Jahren. Das hat sie mir erst kürzlich gesagt.«
»Bist du sicher?«
»Ja, sie wollte nicht über sie sprechen, aber sie bezeichnete ihren Vater als bösartig und grausam.«
»Interessant«, meint Laura. »Aber ihr Vater ist doch Edward Pablo, stimmt’s? Und laut den Unterlagen, die ich überprüft habe, sind Mr. und Mrs. Edward Pablo gesund und munter. Sie leben in der Schweiz.«
Unsere Blicke begegnen sich.
»Weshalb dann die Lügen?«
»Vermutlich meinte sie damit, dass sie für sie tot sind. Vielleicht gab es Streit, und sie haben sich nicht wieder versöhnt.«
Ich schüttle den Kopf. »Für mich hörte es sich nicht so an. Ich habe gesagt, dass mir ihr Verlust sehr leidtue, woraufhin sie antwortete, es sei damals hart gewesen.«
»Vielleicht hat sie den Streit gemeint«, sagt Laura.
Könnte es so gewesen sein? Im Geiste lasse ich das Gespräch noch einmal Revue passieren.
»Leider haben wir immer noch keine konkreten Anhaltspunkte, wer die Nachrichten geschickt haben könnte. Gibt es ein Muster, wann und wie du sie bekommst?«
»Nein«, entgegne ich, »nur dass es immer dunkel ist, wenn sie eingeworfen werden.«
»Noch was. Ich will versuchen, mit Neal zu reden. Offenbar wurde dieses Gerücht, er hätte ein minderjähriges Mädchen verführt, von einem eifersüchtigen Kollegen gestreut, dessen Frau eine kleine Schwäche für Neal hatte. Er war wirklich für diese Auszeichnung nominiert. Wusstest du das?«
Ich sehe Jos strahlendes Gesicht vor mir, als sie mir von ihrem neuen Kleid erzählt hat, dann die grünen Fetzen auf dem Boden.
»So viele Leute haben etwas gegen ihn«, fährt Laura fort. »Andererseits muss man wohl damit rechnen, wenn man die Ehefrauen anderer Männer verführt.«
»Und Jo hat von seinen Eskapaden gewusst.«
Laura nickt. »Unglaublich, womit manche Leute sich so arrangieren. Hast du dich noch nie gefragt, wieso?«