GERICHT

e9783641094324_i0107.jpgLarens Wächter zischte und fluchte wütend, während er versuchte, mit ihr Schritt zu halten. Er war nicht mehr der Jüngste und hinkte, da er ein verletztes Knie hatte. Ich kann ihm nicht helfen, dachte sie. Sie war viel zu lange eingesperrt gewesen, mochte die Unterkunft auch noch so groß und komfortabel gewesen sein, und es fühlte sich wunderbar an, sich wieder ungehindert zu bewegen und das Blut durch ihre Adern pumpen zu spüren, aus dem Käfig befreit, auch wenn sie Angst vor dem hatte, was auf sie zukam.

Vor den Türen zum Thronsaal blieb sie stehen, um Atem zu schöpfen und ihre Jacke glatt zu ziehen, und ihr Wächter holte sie stolpernd ein. Sie erkannte den Türfeldwebel, der mit seinem gewaltigen Schlüsselring am Gürtel vor ihr stand. Sie nickte ihm zu, und er nickte zurück. Ihrem Wächter befahl er wegzutreten. Dann öffneten er und ein Subalterner die Türen des Thronsaales, um sie eintreten zu lassen. Sie ging hinein, ohne sich umzublicken.

So schnell es die Etikette zuließ, eilte sie über den langen Teppich, vorbei an Säulen aus Sonnenlicht, die durch die hohen Fenster hereinfielen und sich mit Schatten abwechselten. Das Licht, die Dunkelheit, die Wärme, die Kälte. Sie sah, dass einige Leute schon auf sie warteten: Kastellan Sperren, der sich auf seinen Amtsstab stützte, die unverkennbare kantige Gestalt von General Harborough, Meister Destarion, zu dessen Füßen sein Heilerbeutel lag, und Colin Dovekey, der aufgrund seiner schwarzen Kleidung fast mit den Schatten verschmolz.

Estora saß sehr still und mit leerem Gesicht auf ihrem Thron und schien zu Stein erstarrt zu sein. Laren hatte unwillkürlich Mitleid mit ihr, weil sie in eine so schwierige Situation geraten war.

Laren hatte die Versammelten in wenigen Augenblicken erfasst, während sie vorwärtshastete, aber ihre Hauptaufmerksamkeit galt ihm. Zacharias saß zusammengesunken auf seinem Thron neben Estora, den Kopf auf die Hand gestützt. Freude beschleunigte ihren Schritt. Er war wach! Er war sogar aus dem Bett aufgestanden! Sie musste sich sehr zusammennehmen, um nicht zu ihm zu rennen und ihn zu umarmen, aber so etwas ließ das Protokoll nicht zu. Momentan war er der König und sie seine Dienerin.

Ihre Freude wurde außerdem von Sorge gedämpft, weil seine Schultern so gebeugt waren und er so abgezehrt und bleich aussah. Er war immer robust und stark gewesen, und es war hart, ihn so zu sehen – er erschien ihr geradezu zerbrechlich.

Als sie das Podium erreicht hatte, fiel sie mit gesenktem Kopf auf die Knie. »Eure Hoheit…en.« Sie biss sich auf die Lippen, denn sie hätte beinah vergessen, dass es nun zwei gab.

»Stehen Sie auf, Hauptmann Mebstone«, sagte Zacharias. Seine Stimme klang so, wie sie sie in Erinnerung hatte, nur etwas stiller. »Stehen Sie auf und stellen Sie sich neben mich, wie Sie es gewohnt sind.«

Als sie aufgestanden war und ihn ansah, lächelte er sie warm an, und ihre Augen verschwammen vor Rührung. Während sie sich auf seine Seite des Podiums stellte, fügte er hinzu: »Sie sehen gesund aus. Man sagte mir«, und nun klang seine Stimme beißend, »Sie wären krank gewesen.«

»Jetzt, wo ich Euch wieder auf den Beinen sehe, geht es mir gut, mein Herr. Ich hatte gar nicht gehört …« Sie schluckte und beschloss, dass sie besser schwieg. Außerdem war sie nicht sicher, ob sie dazu in der Lage gewesen wäre, ohne in eine Tränenflut auszubrechen. Alle ihre Ängste um sein Leben und davor, was alles hätte passieren können, waren noch zu frisch und lagen zu dicht unter der Oberfläche.

»Ja«, sagte der König nachdenklich und strich sich den Bart. »Man hört so manch Interessantes, und anderes hört man nicht. Ich habe Sie alle versammelt, meine engsten, meine vertrautesten Räte, weil ich gewisse Dinge erfahren habe, und weil ein Urteil gefällt werden muss.«

In seiner Stimme schwang Erschöpfung mit, aber sein Gesichtsausdruck war streng, als er auf die anderen herabsah. Alle senkten die Köpfe und sahen ernst und sogar nervös aus.

»Kastellan Sperren.«

Der alte Mann trat vor. Laren meinte, er würde gleich vor aller Augen zu Staub zerfallen. »Eure Hoheit?«

»Wie ich höre, haben Sie nicht aktiv gegen mich intrigiert, während ich mich von meinem sogenannten Reitunfall erholte. Sie waren sogar selbst unpässlich. Dennoch habe ich den Eindruck, dass Sie auch nicht gegen die Vorgänge protestierten, was mich persönlich traurig macht, aber kein Verbrechen ist. Sie haben dem Reich seit der Zeit meines Großvaters treu gedient, und als der Kastellan, der mir vor Ihnen diente, sich als Verräter entpuppte, kehrten Sie willig in meinen Dienst zurück, obwohl Sie längst pensioniert waren. Mir scheint, ich habe Ihnen allzu viel abverlangt, indem ich Sie hier viel länger festhielt, als wir ursprünglich vereinbart hatten, und deshalb entlasse ich Sie nun mit allen Ehren wieder in den Ruhestand. Ich hoffe, dass Sie sich daran erfreuen und Frieden finden, alter Freund.«

Sperren wankte und seine runzligen Wangen schimmerten tränennass. Er verneigte sich und trat zurück. Laren fand, dass diese Maßnahme längst hätte erfolgen sollen. Während der Beratung traf man Sperren häufiger schlafend als wach an, und sein ehemals klarer Verstand war in den letzten Jahren deutlich trüber geworden. Früher waren seine Weisheit und sein Rat unverzichtbar gewesen, aber aufgrund der vielen Herausforderungen, denen Sacoridien begegnen musste, musste Zacharias die fähigsten, schärfsten Denker um sich scharen, die er auftreiben konnte.

»Man hat mir mitgeteilt, was um mich herum geschah, während ich bewusstlos war«, sagte Zacharias. »Ich bedaure, dass mit einer einzigen Ausnahme alle meine persönlichen Ratgeber, die mir am nächsten stehen, meinem Urteil nicht vertrauten und nicht bereit waren zu akzeptieren, was ich in Bezug auf meinen Erben im königlichen Treuhanddokument bestimmt oder nicht bestimmt hatte. Ich hatte gehofft, sie würden mich besser kennen. Für den Fall meines vorzeitigen Todes hatte ich Pläne gemacht, die gewährleisteten, dass der Machtübergang so reibungslos wie möglich verlief. Doch meine Ratgeber waren nicht bereit, auf die offizielle Öffnung der Schatulle zu warten, um dann zu tun, was das Treuhanddokument vorsah. Stattdessen nahmen sie die Sache selbst in die Hand und verlegten meine Hochzeit vor. Eine Hochzeit, derer ich mir gar nicht bewusst war.

Unterdessen wurde die einzige Ratgeberin, die im vollen Vertrauen auf mich handeln wollte, unter Hausarrest gestellt, damit sie die Pläne, die Sie, meine Herren, geschmiedet hatten, nicht durchkreuzen konnte. Gewiss, ich habe alle Gründe dafür gehört, warum Sie so und nicht anders gehandelt haben, und ich habe jeden von Ihnen angehört, aber letzten Endes läuft alles auf Vertrauen hinaus. Ich kann mich nicht mit Menschen umgeben, die meine Wünsche nicht respektieren, die das königliche Gesetz ignorieren und die mir nicht auch persönlich vertrauen. Meisterheiler Destarion.«

Der Heiler trat vor und schluckte schwer. »Eure Majestät.«

»Genau wie Sperren haben auch Sie dem Reich lange und gut gedient. Bis auf dieses eine Mal haben Sie mir stets Ihre Treue bewiesen. Wie Sie wissen, fordern Ihre jüngsten Handlungen jedoch die schwersten Strafen. Dass Sie einen meiner Offiziere, meinen persönlichen Boten, einfach bei der Ausübung ihrer Pflichten ausgeschaltet haben, ist allein schon ein Vergehen, das schlimmste Bestrafung erfordert.«

»Ja, mein König«, flüsterte Destarion. »Das weiß ich.«

»Dennoch zögere ich«, fuhr Zacharias fort, »einen Gelehrten zum Tode zu verurteilen, der im Lauf seines Dienstes wesentlich mehr Gutes als Böses bewirkt hat. Deshalb werde ich Sie Ihres Amtes als oberster Heiler entkleiden und Sie zur Flusseinheit abkommandieren, und zwar zu einem Außenposten im äußersten Norden, an der Mündung des Flusses Terrygood. Dort gab es seit Langem keinen echten Heiler, und ich bin sicher, den Siedlern und Holzfällern des Gebietes werden Ihre Fähigkeiten hilfreich sein.«

Die Gnade des Königs demütigte Destarion, ängstigte ihn jedoch auch. Er war nicht mehr jung, und die Lebensbedingungen im Norden würden wesentlich rauer sein als im zivilisierten und warmen Lazarettflügel des Schlosses.

»General Harborough.«

Der General schlug seine Hacken zusammen und verbeugte sich.

»Sie planten, die Verschwörung durch die Loyalität der Armee zu unterstützen. Sie, einer meiner besten Strategen.« Zacharias schüttelte den Kopf. »Dies ist ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe steht. Ich werde Ihr Schicksal jedoch einem Militärgericht überantworten. Bis dahin sind Sie Ihres Ranges, Ihrer Befehlsgewalt und Ihrer Insignien enthoben, und Sie werden im Gefängnis verbleiben, bis das Tribunal mir seine Vorschläge unterbreitet hat.«

Zacharias machte eine Handbewegung und zwei Wachen erschienen, die den General wegführten. Als er den Thronsaal verließ, ließ er den Kopf hängen wie ein geprügelter Hund.

»Colin Dovekey.«

Colin trat vor das Podium. Er sah älter aus als je zuvor und bewegte sich steif.

»Wenn es überhaupt etwas gibt, dass mich mehr erzürnt als die Verschwörung, die Sie organisiert haben, dann ist es die Tatsache, dass ich nun hier sitzen und gute Männer verurteilen muss. Sie waren der Anführer.«

Colin sank auf die Knie. »Ich flehe Euch an, Majestät, verurteilt mich dazu, das Schicksal Saverills zu teilen.«

»So gnädig werde ich nicht sein«, versetzte Zacharias.

Gnädig? Die geschichtlichen Aufzeichnungen berichteten von einer verräterischen Waffe namens Saverill, der aufgrund seiner Verbrechen zu wochenlanger Folter verurteilt worden war, bevor man ihn auf dem Dach des Schlosses festband, wo die Geier sich von ihm ernährten, während er noch am Leben war.

»Sie sind Ihrer Befehlsgewalt über die Waffen entkleidet, und ich kommandiere Sie auf die Wogeninsel ab. Sie werden diese Insel nie wieder verlassen, und jene, die Ihnen im Rang ebenbürtig sind, sollen über Ihr weiteres Schicksal entscheiden. Möglicherweise werden diese Ihnen Saverills Schicksal bestimmen, möglicherweise auch nicht. Jedenfalls werden sie dafür sorgen, dass im Regierungsrat dieses Reiches Ihre Stimme nie wieder gehört werden wird.«

Zwei Waffen führten Colin aus dem Thronsaal, gefolgt von Sperren und Destarion, die ebenfalls entlassen waren.

Laren konnte nicht fassen, dass sie so leicht davonkommen sollten.

»Sprechen Sie, Hauptmann«, sagte Zacharias. »Sie sehen … besorgt aus.«

»Sie hätten alle die Todesstrafe verdient. Ohne jeden Zweifel. Aber Ihr habt etwas anderes für sie vorgesehen.«

»Das mag sein. Für Destarion wird es schwer sein, den Norden zu ertragen, und ich gehe davon aus, dass diejenigen, die über Harborough und Colin richten werden, mit größter Strenge vorgehen. Würde ich sie alle pauschal zum Tode verurteilen  – Männer, von denen jeder weiß, dass sie mir nahestanden  –, kämen Fragen auf mich zu, die ich lieber vermeiden möchte, unter anderem, weil ich ohnehin dem Tod so nah war, und auch aufgrund der Fragwürdigkeit meiner Eheschließung. Außerdem habe ich berücksichtig, dass sie alle im Prinzip treue Männer waren, die meinten, im besten Interesse des Reiches zu handeln, und je nach dem, wie sich die Dinge entwickeln werden, mag es sogar sein, dass ich sie wieder zu mir berufe. Ihre vielen Jahre der Erfahrung lassen sich nicht ohne Weiteres ersetzen, und mir scheint, dass problematische Zeiten vor uns liegen.

Und nun zu meiner Dame Estora …«

Estora versteifte sich, und sie umklammerte die Armstützen ihres Thrones so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. »Ich würde es verstehen«, sagte sie, »wenn Ihr unseren Ehevertrag zu annullieren wünschtet.«

Er sah sie mit hartem Blick an. »Unter den gegebenen Umständen wäre das kein Problem. Meine Dame, Ihr befandet Euch in einer ausweglosen Situation, und es war Euer Vetter, der die darauf folgenden Ereignisse initiierte. Ihr wart bei all diesen Vorgängen lediglich ein Opfer. Dennoch schmerzt es mich, dass Ihr entschieden habt, Hauptmann Mebstone vom Dienst zu suspendieren und sie unter Hausarrest zu stellen.«

»Mein Herr«, sagte Laren.

Er ignorierte sie. »Laren Mebstone steht mir näher als jeder Blutsverwandte. Sie hat mich sozusagen aufgezogen.«

»Zacharias«, versuchte Laren es erneut.

»Überdies ist sie offenbar die Einzige, die meinem Urteil vertraute.«

»Mondling!« Dies erregte seine Aufmerksamkeit. »Königin Estora verurteilte mich zum Hausarrest, um mich zu beschützen.«

»Wie bitte?«

»Sie wusste, dass Lord Spane und die anderen mir aufgrund meines Widerstandes gegen die Verschwörung gefährlich werden konnten, deshalb hat sie mich ihrem Zugriff entzogen. Sie waren sehr froh darüber, dass ich fort war, ihnen nicht mehr widersprechen konnte und nicht den gesamten Botendienst gegen sie aufbrachte. Ihr wisst, was für eine Katastrophe das gewesen wäre.«

Er nickte langsam. Boten, die ungehindert die Wahrheit in allen Ecken des Reiches bekannt gemacht hätten – das hätte den Verschwörern gewaltige Probleme bereitet.

»Außerdem«, fuhr Laren fort, »wollte sie mich vor Euch schützen.«

»Was?«

»Ich bot ihr meine Treue an, aber sie entschied, dass es besser war, wenn ich mit dem ganzen Aufruhr nichts zu tun hatte, denn wir alle wussten, dass Ihr zornig sein würdet, sobald Ihr Euch erholtet … wenn überhaupt. Und sie wollte nicht, dass Ihr an meinem Verhalten etwas auszusetzen fändet.«

»So kurzsichtig wäre ich nicht gewesen«, überlegte er, »jedenfalls hoffe ich das.«

»Ihr neigt zu Wutausbrüchen«, sagte Laren, »auch wenn Ihr das selten zeigt.«

Er hob eine Augenbraue und sah sie an, dann wandte er sich wieder an Estora. »Also danke ich Euch, dass Ihr Laren beschützt habt, die trotz meiner offenbar beträchtlichen Wutausbrüche hinter mir steht.«

Laren lächelte.

»Ich weiß, wie hoch Ihr sie schätzt«, antwortete Estora. »Und ich dachte, Ihr würdet sie vielleicht auch in den kommenden Jahren brauchen.«

Er nickte ernst. »Dies war zwar kein besonders glücksverheißender Beginn unserer Ehe, aber ich möchte unseren Ehevertrag dennoch ungern annullieren. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was für ein Chaos das auslösen würde, und wir haben schon genug Probleme mit dem Schwarzschleierwald und dem Zweiten Reich.

Im Übrigen hat Colin mir nicht nur alles gestanden und mich über die jüngsten Entwicklungen des Reiches informiert, sondern er hat mir auch erzählt, dass Ihr Euch eine kluge Taktik ausgedacht habt, um Birch und seinen Truppen eine Falle zu stellen. Nachdem ich nun einige sehr wertvolle Kronräte eingebüßt habe, scheint mir, dass ich mir Euer scharfes Denken zunutze machen sollte.«

»Karigan ist diejenige, die scharf denken kann«, sagte Estora und starrte auf ihre Knie. Laren spürte, dass Zacharias kaum merklich aufhorchte. »Ich bin nur ihrem Beispiel gefolgt.«

 

Laren erfuhr, dass Estora sich Karigans Verhalten, als die Reiterin sie im Herbst vor ihren Entführern gerettet hatte, zum Vorbild genommen hatte. Karigan hatte sich als Estora verkleidet und sich dann ein Ablenkungsmanöver ausgedacht, das die Entführer zu einer sinnlosen Jagd verleitet hatte, sodass die echte Estora unverletzt hatte fliehen können. Karigans Plan war gefährlich gewesen, aber er hatte funktioniert.

Estora hatte dieses Vorgehen auf die Situation im Norden übertragen. Birch benutzte ausgebildete Soldaten, um kleine, unzulänglich geschützte Siedlungen zu überfallen. Sie hatte den Siedlern befohlen, mehrere Dörfer zu evakuieren, und sie durch sacoridische Truppen ersetzt, die hervorragend trainiert und gut bewaffnet, aber als Zivilisten verkleidet waren, sodass sie lediglich wie die Bewohner einer weiteren, leicht zu bezwingenden Siedlung wirkten. Ihre Wachtposten informierten sie über Birchs Truppenbewegungen, sodass er sie nicht unvorhergesehen überfallen konnte, und man hatte ihnen befohlen, sich genau wie die Siedler zu verhalten, sodass Birchs Spionen nichts Ungewöhnliches auffiel.

Eine derartige Falle hatte den Vorteil, dass die sacoridischen Truppen Birchs Armee nicht durch den ganzen Norden zu verfolgen brauchten, aber dennoch folgte ihm ein Kontingent weiterhin, damit Birch keinen Verdacht schöpfte.

Während Estora ihm diesen Plan auseinandersetzte, schlummerte Zacharias, der bereits alle Einzelheiten kannte, auf seinem Thron ein. Laren rief Fastion und Willis herbei, damit sie den König in seine Gemächer führten.

»Ich kann selber gehen«, protestierte Zacharias, als sie ihn aus seinem Thronsessel hoben. Als sie ihn losließen, verließ er den Raum aus eigener Kraft und hielt nur kurz an, um Larens Wange zu küssen. Sie umarmte ihn fest, aber vorsichtig, um die heilende Wunde zu schonen.

Als er fort war, wandte sich Laren an Estora. »Meine Herrin, ich möchte Euch für Euren Schutz danken, obwohl ich nicht weiß, was letztlich aus mir geworden wäre, wenn Zacharias sich nicht erholt hätte.«

Estora lächelte. »Ich weiß, was es heißt, eine Schachfigur auf einem Spielbrett der Intrigen zu sein, Hauptmann. Man muss mit äußerster Vorsicht handeln. Ich hätte nicht zugelassen, dass Ihnen ein Leid geschieht.«

Laren neigte den Kopf. »Das hatte ich gehofft, aber ich war nicht sicher.«

»Sie haben mein volles Vertrauen, Hauptmann.«

»Danke. Und Ihr habt das meine.«

Estora seufzte. »Ich fürchte allerdings, dass Ihre Reiter nicht allzu viel von mir halten.«

»Falls das der Fall sein sollte«, antwortete Laren, »wird es sich bald ändern.«

Estora nickte zustimmend. »Es gibt einen ganz bestimmten Reiter, den ich unbeabsichtigt einer zusätzlichen Gefahr ausgesetzt habe.«

Nun erfuhr Laren von dem treuen Forstmeister aus Coutre, der auf Lord Spanes Betreiben der Gruppe angehörte, die Zacharias in den Schwarzschleierwald geschickt hatte.

»Ich habe ihm meinen Segen gegeben«, sagte Estora, »weil ich nicht wusste, worin seine eigentliche Aufgabe bestand.«

Laren erinnerte sich vage an den Mann. Er war nicht außergewöhnlich und ziemlich bescheiden gewesen. »Welcher Reiter war sein Ziel?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte.

»Karigan. Richmont wollte um jeden Preis verhindern, dass der Ehevertrag gefährdet wird. Und Ard sollte dafür sorgen, dass Karigan nicht zurückkommt, womit eine der diesbezüglichen Gefahren eliminiert wäre.«

»Ihr wisst also Bescheid über …«

»Über Zacharias’ Gefühle für Karigan? Ja. Es erklärt vieles.«

Laren nickte und wusste nicht genau, was sie sagen sollte. »Ich habe versucht, die beiden voneinander getrennt zu halten.«

»Ich glaube nicht, dass es viel genützt hat.« Estora sagte das ohne jede Ironie, sie nahm es einfach als Tatsache hin. Politische Ehen waren häufig von dieser Art – eine gesetzliche Verbindung, deren Zweck darin bestand, Erben zu zeugen und Bündnisse zu festigen, und die nichts mit Liebe zu tun hatten.  Estora wusste das nur allzu gut. »Einen Moment lang wünschte ich mir, dass … dass Karigan nicht zurückkommen würde. Nur einen winzigen Moment lang«, fügte sie hastig hinzu, den Blick gesenkt.

»Ihr liebt ihn«, stellte Laren fest.

Estora nickte. »Aber Karigan ist meine Freundin, und ich habe zugelassen, dass ein Mörder ihr in den Schwarzschleierwald folgte.«

»Ihr habt es ja nicht gewusst«, sagte Laren leise. »Außerdem ist sie sehr einfallsreich, auch wenn Ihr sie im Augenblick nicht beschützen könnt. Und die anderen beiden Reiter in der Gruppe werden auf sie aufpassen.«

»Ich bete, dass es so sein möge«, sagte Estora, und Laren glaubte ihr.

Laren zögerte, doch dann erinnerte sie sich an etwas, das Ben vorher erwähnt hatte, und fragte: »Herrin, habt Ihr Zacharias etwas vorgelesen, als er bewusstlos war?«

»Ja. Die Sagen der Seekönige. Auf diese Weise konnte ich zumindest irgendwie mit ihm sprechen und ihn trösten und mich zugleich von meinen anderen Problemen ablenken.«

Laren freute sich, dass Estora sich auf so intime Weise um Zacharias gekümmert hatte. »Darf ich Euch einen Rat geben?«

Estora sah neugierig aus. »Natürlich.«

»Geht zu ihm. Geht zu Zacharias, verbringt Zeit mit ihm. Ihr seid seine Gemahlin. Vielleicht behauptet er, er hätte keine Zeit, aber er hat nie Zeit, und daran wird sich nie etwas ändern. Ihr müsst ein unverzichtbarer Teil seines Privatlebens werden. Ich finde, es ist eine großartige Idee, ihm vorzulesen.«

»Aber er ist müde …«

»Genau das ist die perfekte Gelegenheit, ihm vorzulesen: wenn er zu erschöpft ist, um irgendetwas anderes zu tun als zu schlafen oder Eurer Stimme zuzuhören.«

Estora nickte. Sie nahm den Rat an. »Ja, das werde ich tun. Ich gehe gleich zu ihm.«

Laren lächelte sehr erfreut. »Besonders liebt er die Dichtungen von Tervalt. Sie handeln von großen Heldentaten: von Kämpfen gegen Drachen, tollkühnen Jagden im Hochland der Hillander, der Verehrung schöner Jungfrauen und der Seefahrt.«

»Wunderbar. Ich werde mir Tervalts Dichtungen aus der Bibliothek kommen lassen.« Nun erwiderte Estora Larens Lächeln. »Obwohl ich persönlich Annaliese von Grauwalds Naturgedichte vorziehe.« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Ich merke schon, Hauptmann, dass Sie bereits meine wichtigste Ratgeberin geworden sind.«

 

Die Königin hatte Laren entlassen. Sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Verbindung zwischen Zacharias und Estora zu stärken und die beiden einander näherzubringen. Das zukünftige Schicksal des Reiches verlangte nicht, dass sie sich liebten, sondern dass sie Erben zeugten. Aber Laren liebte Zacharias zu sehr, als dass sie nicht alles getan hätte, um ihm auch persönliche Erfüllung zu wünschen und diese auf jede ihr nur mögliche Weise zu fördern.

Nach ihrer Audienz mit der Königin wurde Laren bewusst, dass sie nun nicht mehr unter Bewachung stand und auch nicht länger in ihren luxuriösen Gemächern bleiben musste. Als Erstes würde sie Connly und Elgin aufsuchen und erfahren, wie die augenblickliche Situation ihrer Reiter war, und dann würde sie ihr geliebtes Pferd Rotkehlchen besuchen.

Doch als sie durch die Türen des Thronsaales trat, erwarteten sie draußen im Flur zwei Reihen grün gekleideter Boten in Habtachtstellung. Elgin stand mit einem breiten Grinsen im Gesicht daneben. Laren war so überwältigt, dass sie zunächst gar nicht sprechen konnte. Sie hatten die Nachricht ihrer Befreiung erstaunlich schnell erhalten.

»Steht bequem, Reiter«, sagte sie schließlich.

Sie brachen in Jubel aus und klatschten in die Hände, und Larens Wangen schmerzten beinah, weil sie so breit lächeln musste.

Connly kam zu ihr und schüttelte ihr die Hand. »Hauptmann, ich habe mich noch nie so gefreut, Sie zu sehen. Es ist mir eine große Freude, Ihnen das Kommando über die Reiter wieder zu übergeben.«

»Nicht so schnell, Leutnant«, sagte sie. »Vor einiger Zeit hat ein Freund mich eingeladen, ihn in Corsa zu besuchen. Weißt du, dass es Jahre her ist, seit ich das letzte Mal Urlaub hatte?«

Connlys Gesicht erstarrte. Er sah vollkommen entsetzt aus. »Aber … aber die vielen Beratungen, diese Beratungen, bei denen einem das Hirn einschläft …«

Laren lächelte ihm zu und ging weiter, um jeden Reiter einzeln zu begrüßen. Ja, ein Urlaub wäre wundervoll und sie glaubte nicht, dass Zacharias ihn ihr verweigern würde.

Ihr Lächeln gefror jedoch, als ihr klar wurde, dass sie bei ihrer Ankunft in Corsa ihrem dortigen Freund, der zufällig ein ganz bestimmter Händler war, würde erklären müssen, warum man seine Tochter in den Schwarzschleierwald geschickt hatte. Sie vermutete, dass er ihr das nie verzeihen würde, insbesondere, falls Karigan nicht zurückkehrte.

Pfad der Schatten reiter4
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