48
Alex
»Lass uns abhauen. Du und ich, mi amor.
Vamos!«
Ich atme auf, als ich mich auf Julios Sattel
schwinge und Brittany hinter mir aufsitzt. Sie schlingt die Arme um
meine Taille und presst sich an mich, als ich mit ihr vom Parkplatz
rase.
Wir jagen durch die Straßen, bis wir sie nur noch
als vorbeihuschende Schatten wahrnehmen. Ich halte noch nicht
einmal dann, als es zu schütten beginnt.
»Können wir jetzt anhalten?«, brüllt sie durch den
ohrenbetäubenden Sturm.
Ich parke unter einer alten, verlassenen Brücke am
See. Der Regen prasselt auf den Zement, der uns umgibt, aber wir
haben unser kleines, privates Nest.
Brittany springt vom Motorrad. »Du bist ein
dämlicher Vollidiot«, sagt sie. »Du kannst nicht mit Drogen dealen.
Es ist gefährlich und dämlich und du hast es mir versprochen. Du
riskierst, dafür in den Knast zu gehen. In den Knast, Alex. Dir ist
das vielleicht egal, aber mir nicht. Ich werde nicht zulassen, dass
du dein Leben ruinierst.«
»Was willst du von mir hören?«
»Nichts. Alles. Sag irgendwas, damit ich nicht
länger hier stehe und mir total bescheuert vorkomme.«
»Die Wahrheit ist … Brittany, bitte sieh mich
an.«
»Ich kann nicht«, sagt sie und starrt weiter in den
strömenden
Regen. »Ich bin es so leid, ständig diese fürchterlichen Szenarien
vor Augen zu haben.«
Ich ziehe sie an mich. »Denk nicht daran,
muñeca. Alles wird gut.«
»Aber …«
»Kein Aber. Vertrau mir.« Mein Mund schließt sich
über ihrem. Der Geruch nach Regen und Plätzchen hilft mir zu
entspannen.
Ich umfasse ihre schmale Taille. Ihre Hände
klammern sich an meine durchnässten Schultern, drängen mich zu
mehr. Meine Hände gleiten unter ihr T-Shirt und meine Finger
kreisen um ihren Bauchnabel.
»Komm her«, sage ich und hebe sie hoch, sodass sie
mit dem Gesicht zu mir auf dem Motorrad sitzt.
Ich kann nicht aufhören, sie zu küssen. Ich
flüstere ihr zu, wie gut sie sich anfühlt, vermische Spanisch und
Englisch in jedem Satz. Meine Lippen wandern ihren Hals hinunter
und verweilen an ihrem Schlüsselbein, bis sie sich zurücklehnt und
mich ihr das T-Shirt ausziehen lässt. Ich kann dafür sorgen, dass
sie die schlimmen Dinge vergisst. Wenn wir auf diese Weise zusammen
sind – Himmel, dann kann ich an nichts anderes denken als an
sie.
»Ich verliere gleich die Kontrolle«, gibt sie zu
und beißt sich auf die Unterlippe. Ich liebe diese Lippen.
»Mamacita, ich habe sie schon verloren«,
sage ich und reibe mich an ihr, damit sie genau spürt, wie viel
Kontrolle ich bereits verloren habe.
Sie bewegt ihre Hüften in einem langsamen Rhythmus
gegen meine, eine Einladung, die man mir nicht zweimal machen muss.
Meine Fingerspitzen liebkosen ihren Mund. Sie küsst sie, bevor ich
langsam meine Hand von ihrem Mund über ihren Hals zu der Stelle
zwischen ihren Brüsten gleiten lasse.
Sie hält meine Hand dort fest. »Ich möchte nicht
aufhören, Alex.«
Statt etwas zu erwidern, bedecke ich ihren Körper
mit meinem.
Ich könnte sie leicht nehmen. Himmel, sie will es.
Aber Gott helfe mir, wenn ich in diesem Moment kein Gewissen
zeige.
Es ist zum einen diese loco, Wette, die ich
mit Lucky am laufen habe. Und zum anderen das, was meine Mom
darüber gesagt hat, wie leicht man ein Mädchen schwängern
kann.
Als ich mich auf die Wette eingelassen habe, hatte
ich keinerlei Gefühle für dieses besondere weiße Mädchen. Doch nun
… Scheiße. Ich möchte nicht über meine Gefühle nachdenken. Ich
hasse Gefühle. Sie versauen einem nur das Leben. Wenn mich jetzt
doch nur der Blitz träfe, denn ich möchte Brittany lieben und sie
nicht auf meinem Motorrad vögeln wie eine billige Hure.
Ich nehme meine Hände von ihrem cuerpo
perfecto, die erste vernünftige Sache, die ich heute Abend tue.
»Ich kann dich nicht so nehmen. Nicht hier«, sage ich. Meine Stimme
klingt heiser, da meine Gefühle mich zu überwältigen drohen. Dieses
Mädchen wollte mir seinen Körper schenken, obwohl es weiß, wer ich
bin und was ich bald tun werde. Diese Tatsache ist hart zu
verdauen.
Ich erwarte, dass sie sich bloß gestellt fühlt,
vielleicht sogar wütend auf mich ist. Doch sie kuschelt sich an
meine Brust und umarmt mich. Tu mir das nicht an, will ich sagen.
Stattdessen schlinge ich meine Arme um sie und halte sie
fest.
»Ich liebe dich«, höre ich sie so leise sagen, dass
es auch ihre Gedanken gewesen sein können.
Nicht, bin ich versucht zu sagen. No!
No!
Mein Magen zieht sich zusammen und ich drücke sie
noch fester an mich. Dios mío, wenn die Dinge anders lägen,
würde
ich sie niemals aufgeben. Ich vergrabe mein Gesicht in ihren
Haaren und stelle mir vor, wie ich sie aus Fairfield
entführe.
Wir verharren sehr lange so, noch lange, nachdem
der Regen aufgehört hat und die Realität uns wieder einholt. Ich
helfe ihr vom Motorrad hinunter, damit sie ihr T-Shirt wieder
anziehen kann.
Brittanys Blick ist voller Hoffnung, als sie mich
fragt: »Wirst du diesen Drogendeal durchziehen?«
Was soll ich ihr darauf antworten? Ich steige von
Julio und gehe bis zum Ende der Unterführung. Dort halte ich die
Hand in das Wasser, das immer noch an der Wand hinunterläuft. Ich
lasse das kalte Nass durch meine Finger rinnen.
»Ich muss«, sage ich mit dem Rücken zu ihr.
Sie tritt neben mich, nicht bereit, es damit auf
sich beruhen zu lassen. »Warum? Warum musst du etwas tun, für das
du im Gefängnis landen könntest?«
Ich umfange mit der Hand ihre weiche, blasse Wange
und schenke ihr ein wehmütiges Lächeln. »Wusstest du nicht, dass
Gangmitglieder mit Drogen handeln? Es ist Teil des Jobs.«
»Dann kündige. Es gibt sicher einen Weg …«
»Wenn du aussteigen willst, fordern sie dich
heraus. Manchmal foltern sie einen, manchmal schlagen sie einen
zusammen. Wenn du es überlebst, bist du draußen. Ich kann dir
sagen, preciosa, ich habe nur einen gesehen, der diese
Herausforderung überlebt hat. Der Typ wünscht sich bis heute, tot
zu sein, so haben sie ihn zugerichtet. Gott, du wirst es nie
verstehen. Ich muss es für meine Familie tun.«
»Wegen des Geldes?«
Meine Hand löst sich von ihrer Wange. »Nein, nicht
wegen des Geldes.« Ich werfe den Kopf zurück und verdrehe
frustriert die Augen. »Können wir bitte das Thema wechseln?«
»Ich bin dagegen, dass du etwas Illegales
machst.«
»Querida, was du brauchst, ist ein Heiliger.
Oder zumindest ein Pfarrer. Ich bin keins von beiden.«
»Bedeute ich dir denn nichts?«
»Doch.«
»Dann beweise es mir.«
Ich ziehe das Bandana vom Kopf und fahre mir mit
den Fingern durchs Haar. »Weißt du, wie schwer das für mich ist?
Mi madre erwartet von mir, ein Latino Blood zu sein, um die
Familie zu beschützen, verschließt aber gleichzeitig die Augen
davor, was das bedeutet. Hector will, dass ich meine Loyalität
gegenüber der Bruderschaft beweise und du … ausgerechnet die
Person, mit der ich eines Tages vielleicht ein neues Leben beginnen
könnte, ausgerechnet du willst, dass ich dir meine Liebe beweise,
indem ich etwas tue, das meine Familie in Gefahr bringt. Ich muss
das einfach tun, verstehst du? Und niemand, nicht einmal du, wird
an meiner Meinung etwas ändern. Oluídalo.«
»Du setzt alles aufs Spiel, das wir haben?«
»Verdammt, tu das nicht. Es muss nichts auf dem
Spiel stehen.«
»Wenn du anfängst, mit Drogen zu dealen, ist es
vorbei. Ich habe alles für dich aufs Spiel gesetzt … für uns. Die
Beziehung zu meinen Freunden, meinen Eltern. Kannst du das nicht
auch?«
Ich werfe ihr meine Jacke zu, weil ihre Zähne zu
klappern beginnen. »Hier, zieh die an.«
Genug geredet. Das ist mein Leben. Wenn sie damit
nicht klarkommt, kann sie ja zurück zu Colin Adams gehen. Oder wen
auch immer sie in ihren persönlichen Ken verwandeln will.
Sie befiehlt mir, sie zum Haus ihrer Freundin
Sierra zu bringen. »Ich finde, wir sollten getrennt an dem
Chemieprojekt weiterarbeiten«, sagt Brittany. Sie gibt mir meine
Jacke zurück, als
wir das große Haus am Strand erreichen. »Möchtest du die
Handwärmer fertig machen oder den Bericht schreiben?«
»Wie es dir lieber ist.«
»Na ja, ich kann ziemlich gut schreiben …«
»Gut. Dann übernehme ich den Rest.«
»Alex, es muss nicht auf diese Weise enden.«
Ich sehe, wie ihr Tränen in die Augen steigen. Ich
muss hier weg, bevor sie ihre Wangen hinunterrollen. Das wäre mein
Untergang.
»Doch, das muss es«, sage ich und fahre
davon.