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Alex
Wenn ich weiter ihre langen Beine anstarre, werde
ich noch einen Unfall bauen. »Wie geht es deiner Schwester?«, frage
ich, um das Thema zu wechseln.
»Sie freut sich darauf, dich wieder beim
Damespielen zu schlagen.«
»Ach, tatsächlich? Sag ihr, ich habe es ihr einfach
gemacht – ich habe nur versucht, bei dir zu punkten.«
»Indem du verlierst?«
Ich zucke mit den Schultern. »Hat doch
funktioniert, oder?«
Mir fällt auf, dass sie an ihrem Kleid rumzupft,
als müsste sie es richten, um mir zu gefallen. Da ich ihre Unruhe
lindern will, fahre ich mit den Fingern ihren Arm bis zum
Handgelenk entlang und nehme ihre Hand in meine.
»Du kannst Shelley erzählen, dass ich für eine
Revanche wiederkomme«, sage ich.
Sie wendet sich mir zu, ihre blauen Augen strahlen.
»Wirklich?«
»Aber klar.«
Während der Fahrt versuche ich Smalltalk zu machen.
Aber es funktioniert nicht. Ich bin kein Typ für belangloses
Gequatsche. Umso besser ist es, dass Brittany vollkommen zufrieden
damit scheint, schweigend neben mir zu sitzen.
Nicht lange danach halte ich vor einem kleinen,
zweigeschossigen Backsteinhaus.
»Ist die Hochzeit nicht in einer Kirche?«
»Nein. Elena wollte im Haus ihrer Eltern
heiraten.«
Ich lege meine Hand auf ihren Rücken, als wir auf
das Haus zugehen. Fragt mich nicht, warum ich das Bedürfnis habe,
allen zu zeigen, dass sie mir gehört. Vielleicht bin ich tief in
mir drin doch ein Neandertaler.
Als wir das Haus betreten, werden wir von
Mariachimusik aus dem Garten begrüßt. Jeder Zentimeter Raum ist mit
Menschen gefüllt. Unauffällig checke ich Brittanys Reaktion und
frage mich, ob sie vielleicht das Gefühl hat, auf magische Weise
nach Mexiko entführt worden zu sein. Keiner aus meiner Familie lebt
in einer großen Villa mit Swimmingpool, wie sie es gewohnt
ist.
Enrique und ein paar meiner anderen Cousins rufen
uns Begrüßungen zu. Sie sprechen alle Spanisch, was völlig normal
wäre, hätte ich nicht eine Freundin bei mir, die nur Englisch
versteht. Ich bin daran gewöhnt, von meinen Tanten zu Tode
geknutscht zu werden und von meinen Onkeln ordentliche Schläge auf
den Rücken zu bekommen. Doch Brittany wirkt so, als wären ihr all
diese Rituale ziemlich fremd. Deshalb ziehe ich sie näher an mich,
damit sie weiß, dass ich sie nicht vergessen habe. Und ich
versuche, sie meiner Familie vorzustellen, gebe aber auf, als mir
klar wird, dass sie sich nie im Leben sämtliche Namen merken
kann.
»Ese!«, ertönt eine Stimme hinter uns.
Ich drehe mich zu Paco um. »Was geht?«, sage ich
und haue meinem Freund auf den Rücken. »Brittany, du kennst mi
mejor amigo bestimmt aus der Schule. Mach dir keine Sorgen, er
wird niemandem verraten, dass er dich hier gesehen hat.«
»Meine Lippen sind versiegelt«, sagt Paco, dann tut
der Gehirnamputierte so, als würde er seinen Mund abschließen und
den Schlüssel wegwerfen.
»Hallo, Paco!«, sagt Brittany lachend.
Jorge stellt sich zu uns. Er trägt einen weißen
Tuxedo und eine rote Rose im Revers.
Ich schlage meinem Cousin auf die Schulter. »Du
siehst toll aus, Mann.«
»Du siehst auch nicht schlecht aus. Willst du mich
deiner Freundin vorstellen oder nicht?«
»Brittany, das ist Jorge. Er ist der arme Kerl …
ich meine, der Glückspilz, der meine Cousine Elena heiraten
wird.«
Jorge umarmt sie. »Alle Freunde von Alex sind auch
unsere Freunde.«
»Wo ist die Braut?«, fragt Paco.
»Sie ist oben, im Schlafzimmer ihrer Eltern, und
heult sich die Augen aus.«
»Vor Glück?«, rate ich.
»Nein, Mann. Ich bin reingegangen, um ihr einen
Kuss zu geben, und jetzt denkt sie darüber nach, die Hochzeit
abzusagen, weil es Pech bringt, wenn der Bräutigam die Braut vor
der Trauung sieht«, erzählt Jorge schulterzuckend.
»Na dann, viel Glück«, wünsche ich ihm. »Elena ist
schrecklich abergläubisch. Sie wird dich wahrscheinlich irgendeinen
verrückten Scheiß tun lassen, um das Pech abzuwenden.«
Während Paco und Jorge darüber nachgrübeln, wozu
Elena ihn wohl zwingen wird, um dem drohenden Schicksal ein
Schnippchen zu schlagen, nehme ich Brittanys Hand und führe sie in
den Garten. Eine Band spielt. Auch wenn wir pochos sind,
halten wir unsere Traditionen und Kultur hoch: Unser Essen ist
scharf, unsere Familien sind groß und der Familienzusammenhalt geht
uns über alles. Und wir tanzen gerne zu Musik, die uns so richtig
in die Glieder fährt.
»Ist Paco dein Cousin?«, fragt Brittany.
»Nein, er hält sich nur gern dafür. Carlos, das ist
Brittany«, sage ich, als wir auf meinen Bruder stoßen.
»Ja, ich weiß«, erwidert Carlos. »Erinnerst du
dich, ich habe euch Speichel austauschen sehen.«
Brittany ist sprachlos.
»Pass gefälligst auf, was du sagst«, ermahne ich
Carlos und verpasse ihm eine Kopfnuss.
Brittany legt ihre Hand auf meine Brust. »Schon
okay, Alex. Du musst mich nicht vor allen beschützen.«
Carlos baut sich großspurig vor mir auf. »Das
stimmt, Bruderherz. Du musst sie nicht beschützen. Außer vielleicht
vor mamá.«
Das reicht. Ich liefere mir ein heißes Wortgefecht
mit Carlos auf Spanisch, damit Brittany uns nicht versteht.
»Vete, cabrón no molestes.« Versucht er, meinem Date den Tag
zu vermiesen? Mit einem wütenden Schnauben verabschiedet sich
Carlos zum Büfett.
»Wo ist dein anderer Bruder?«, will Brittany
wissen.
Wir sitzen an einem der vielen kleinen, gemieteten
Tische mitten im Garten. Ich lege meinen Arm auf ihre
Stuhllehne.
»Luis ist da vorne.« Ich zeige in eine Ecke des
Gartens, wo mein kleiner Bruder Tierstimmen nachmacht und damit im
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Ich habe ihn noch nicht
darüber aufgeklärt, dass er mit diesem Talent kein Mädchen mehr
aufreißen wird, wenn er erst mal auf der Junior High ist.
Brittanys Blicke sind auf die vier kleinen Kinder
meiner Cousine gerichtet, die im Garten herumtoben. Die zweijährige
Marissa hat beschlossen, dass ihr Kleid unbequem ist und es in die
Ecke geschmissen.
»Für dich sehen sie wahrscheinlich wie ein Haufen
wilder mojados aus.«
Sie lächelt. »Nein. Sie sehen wie ein Haufen Leute
aus, die so
richtig Spaß an einer Hochzeit unter freiem Himmel haben. Wer ist
das?«, fragt sie, als ein Typ in Militäruniform an uns vorbeigeht.
»Noch ein Cousin von dir?«
»Yep. Paul ist gerade aus dem Nahen Osten zurück.
Ob du’s glaubst oder nicht, er war mal bei den Python Trios, einer
Gang aus Chicago. Mann, bevor er zu den Marines gegangen ist, hatte
er ein krasses Drogenproblem.«
Sie wirft mir einen Blick zu.
»Ich hab dir schon gesagt, ich hab nichts mit
Drogen am Hut. Zumindest nicht mehr«, sage ich fest, weil ich
möchte, dass sie mir glaubt. »Und ich deale auch nicht.«
»Versprochen?«
»Ja«, sage ich und denke an den Abend am Strand,
als ich mich mit Carmen zugedröhnt habe. Das war das letzte Mal.
»Egal, was du gehört hast, ich lass die Finger vom Koks, denn mit
dem Zeug ist echt nicht zu spaßen. Ob du es glaubst oder nicht, ich
würde gern alle Gehirnzellen behalten, mit denen ich auf die Welt
gekommen bin.«
»Was ist mit Paco?«, fragt sie. »Nimmt er
Drogen?«
»Ab und zu.«
Sie beobachtet Paco, der mit meiner Familie lacht
und scherzt und dem man ansieht, wie sehr er sich wünscht, sie wäre
auch seine. Pacos Mutter ist vor ein paar Jahren einfach
verschwunden und hat ihn in einer beschissenen Situation mit seinem
Vater zurückgelassen. Ich verstehe, dass er dem entkommen
will.
Meine Cousine Elena erscheint endlich in einem
weißen Spitzenkleid und die Zeremonie beginnt.
Während die Eheversprechen vorgetragen werden,
stehe ich hinter Brittany und lege meine Arme um sie. Ich drücke
sie fest an mich und frage mich, was sie wohl zu ihrer Hochzeit
tragen wird. Sie wird wahrscheinlich von professionellen Fotografen
und Videofilmern umgeben sein, die den Moment für die Ewigkeit
festhalten.
»Ahora los declar Marido y Mujer«, sagt der
Pastor.
Die Braut und der Bräutigam küssen sich und alle
applaudieren.
Brittany drückt meine Hand.