20
Alex
Ich blicke auf die Brocken auf meinem Schuh. »Mir
ist schon Schlimmeres passiert.«
Sie richtet sich auf, also lasse ich ihr Haar los,
das ich einfach davor bewahren musste, während der Kotzepisode in
ihr Gesicht zu fallen. Ich versuche, nicht daran zu denken, wie es
sich angefühlt hat, als ihr Haar wie gesponnene Seide durch meine
Finger geglitten ist.
Fantasien, ein Pirat zu sein und sie auf mein
Schiff zu entführen, jagen durch meinen Kopf. Aber ich bin kein
Pirat und sie ist keine Prinzessin, die ich gefangen nehmen könnte.
Wir sind nur zwei Menschen, die einander hassen. Okay, ich hasse
sie in Wahrheit gar nicht.
Ich streife das Bandana von meinem Kopf und gebe es
ihr. »Hier, wisch dir das Gesicht ab.«
Sie nimmt es mir ab und tupft sich damit die
Mundwinkel, als wäre es eine Serviette aus einem
Fünfsternerestaurant, während ich meine Schuhe im kalten Wasser des
Lake Michigan säubere.
Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun soll. Ich
bin allein … mit einer sehr betrunkenen Brittany Ellis. Ich bin es
nicht gewöhnt, mit volltrunkenen weißen Bräuten allein zu sein.
Noch dazu mit solchen, die ich gern vögeln würde. Ich kann die
Situation jetzt entweder ausnutzen und die Wette
gewinnen, was bei ihrem Zustand ein Durchmarsch wäre oder …
»Lass mich jemanden holen, der dich nach Hause
fährt«, sage ich, bevor mein krankes Hirn sich eine Million Wege
ausdenkt, wie ich sie auf der Stelle nehmen könnte. Ich bin
zugedröhnt von Alkohol und Drogen. Wenn ich mit diesem Mädchen
schlafe, möchte ich voll da sein.
Sie schürzt ihre Lippen und schmollt wie ein
kleines Kind: »Nein. Ich möchte nicht nach Hause. Überallhin, aber
nicht nach Hause.«
Oh Mann.
Ich stecke in Schwierigkeiten. Tengo un problema
grande.
Sie sieht zu mir hoch, im Mondschein funkeln ihre
Augen wie seltene teure Diamanten. »Colin glaubt, ich will dich,
weißt du. Er bezeichnet unsere Streitereien als Vorspiel.«
»Sind sie das?«, frage ich und erwarte mit
angehaltenem Atem ihre Antwort. Bitte, bitte, lass mich die Antwort
am Morgen noch wissen.
Sie hebt einen Finger und sagt: »Merk dir, was du
gerade gefragt hast.«
Dann kniet sie sich auf den Boden und kotzt sich
wieder die Seele aus dem Leib. Als sie damit fertig ist, ist sie zu
schwach zum Laufen. Sie sieht aus wie eine Stoffpuppe vom
Flohmarkt, die keinen Käufer gefunden hat. Ich trage sie dorthin,
wo meine Freunde ein riesiges Lagerfeuer errichtet haben, weil ich
nicht weiß, was ich sonst tun soll.
Als sie ihre Arme um meinen Nacken schlingt, spüre
ich, dass sie einen Prinzen in ihrem Leben braucht. Colin ist
bestimmt nicht der richtige Mann für den Job. Aber ich bin es auch
nicht. Ich habe gehört, in ihrem ersten Jahr an der Highschool,
noch vor Colin, war sie mit einem aus der Stufe über uns zusammen.
Dieses Mädchen muss eine Menge Erfahrung haben.
Wie kommt es dann, dass sie in diesem Moment so
unschuldig aussieht? Verteufelt sexy, aber unschuldig.
Als ich mich meinen Freunden nähere, sind alle
Blicke auf mich gerichtet. Sie sehen ein regloses, reiches weißes
Mädchen in meinen Armen und gehen sofort vom Schlimmsten aus. Ich
habe vergessen zu erwähnen, dass meine Chemiepartnerin unterwegs
beschlossen hat, in meinen Armen einzuschlafen.
»Was hast du mit ihr gemacht?«, fragt Paco.
Lucky sieht total angepisst aus. »Scheiße, Alex.
Habe ich meinen RX-7 verloren?«
»Nein, Volltrottel. Ich vögle keine bewusstlosen
Bräute.«
Aus dem Augenwinkel entdecke ich eine wutschäumende
Carmen. Shit. Ich habe sie heute Nacht nach Strich und Faden
benutzt und verdiene ihren gerechten Zorn.
Ich winke Isabel zu mir. »Isa, ich brauche deine
Hilfe.«
Isa wirft einen Blick auf Brittany. »Was soll ich
tun?«
»Hilf mir, sie hier wegzuschaffen. Ich bin total
breit und kann nicht fahren.«
Isa schüttelt den Kopf. »Dir ist klar, dass sie
einen Freund hat. Und sie ist reich. Und weiß. Und sie trägt
Designerklamotten, die du dir nie im Leben wirst leisten
können.«
Ja, ich weiß das alles. Und ich bin es leid,
ständig daran erinnert zu werden.
»Ich brauche deine Hilfe, Isa. Keinen Vortrag. Paco
hat mir schon genug Müll an den Kopf geworfen.«
Isa hebt abwehrend die Hände. »Ich weise nur auf
die Fakten hin. Du bist ein cleverer Kerl, Alex. Zieh deine eigenen
Schlüsse. Egal, wie sehr du sie dir in dein Leben hineinwünschst,
sie gehört dort nicht rein. Ein Dreieck passt nicht in ein Quadrat.
Und jetzt halte ich die Klappe.«
»Gracias.« Ich weise nicht darauf hin, dass
ein kleines Dreieck sehr wohl in ein Quadrat passt, wenn dieses nur
groß genug
ist. Alles, was man dazu tun muss, ist ein paar kleine Anpassungen
in der Gleichung vorzunehmen. Ich bin zu betrunken und high, um es
ihr zu erklären.
»Ich stehe auf der anderen Straßenseite«, sagt Isa.
Sie stößt einen tiefen, unwilligen Seufzer aus. »Komm mit.«
Ich folge Isabel zu ihrem Wagen und hoffe darauf,
dass wir schweigend nebeneinander hergehen werden. Doch so viel
Glück habe ich nicht.
»Ich war letztes Jahr auch in einem Kurs mit ihr«,
sagt Isa.
»Mm.«
Sie zuckt mit den Schultern. »Nettes Mädchen. Trägt
zu viel Make-up.«
»Die meisten Mädchen hassen sie.«
»Die meisten wünschen sich, so auszusehen wie sie.
Und sie hätten gern ihr Geld und ihren Freund.«
Ich bleibe stehen und sehe sie angewidert an.
»Eselsgesicht?«
»Ach komm schon, Alex. Colin Adams ist süß, er ist
der Kapitän des Footballteams und Fairfields Held. Du bist wie
Danny Zuko aus Grease. Du rauchst, bist in einer Gang und warst mit
den aufregendsten Flammen zusammen. Brittany ist wie Sandy, eine
Sandy, die niemals in schwarzer Lederjacke und’ner Fluppe im
Mundwinkel in der Schule auftauchen wird. Hör auf zu
fantasieren.«
Ich lege meine Fantasie auf den Rücksitz von Isas
Wagen und gleite neben sie. Sie kuschelt sich an mich, benutzt mich
als ihr privates Kissen, ihre blonden Locken sind über meinem
Schritt verteilt. Ich schließe für einen Moment die Augen,
versuche, das Bild aus meinem Kopf zu kriegen. Und ich weiß nicht,
was ich mit meinen Händen machen soll. Die rechte ruht auf der in
der Tür eingelassenen Armlehne. Meine linke schwebt über
Brittany.
Ich zögere. Was soll diese vornehme Zurückhaltung?
Ich bin
schließlich keine Jungfrau mehr. Ich bin ein achtzehnjähriger
Kerl, der damit klarkommt, eine heiße, bewusstlose Braut an seiner
Seite zu haben. Warum also habe ich solche Angst, meinen Arm dort
abzulegen, wo es bequem wäre, direkt auf ihrer Hüfte?
Ich halte die Luft an, während ich vorsichtig
meinen Arm auf ihr ablege. Sie kuschelt sich enger an mich und ich
fühle mich seltsam schwerelos. Entweder sind es die Nachwirkungen
des Joints oder … Ich will nicht über das Oder nachdenken. Ihr
langes Haar fließt über meinen Oberschenkel. Gedankenverloren fahre
ich mit den Händen durch ihr Haar und sehe zu, wie die seidigen
Strähnen langsam durch meine Finger gleiten. Doch dann höre ich
abrupt damit auf. Da ist eine große, entzündete kahle Stelle an
ihrem Hinterkopf. Als ob sie für eine Bewerbung einen Drogentest
hätte machen müssen und sie ihr ein großes Büschel ausgerissen
hätten, um es zu untersuchen.
Als Isa den Wagen zurücksetzt, bringt Paco sie
dazu, anzuhalten, und hüpft auf den Beifahrersitz. Ich bedecke
Brittanys kahle Stelle rasch, weil ich nicht will, dass jemand ihre
Unvollkommenheit bemerkt. Ich habe nicht die Absicht, über meine
Beweggründe für diese Tat nachzudenken, denn dabei würde ich zu
sehr ins Grübeln geraten. Und in meinem Zustand wäre jede Grübelei
mit großen Schmerzen verbunden.
»Hey, Leute, ich dachte ich komme besser mit euch«,
sagt Paco.
Er dreht sich um und sieht meinen Arm auf Brittanys
Hüfte ruhen. Er macht »tztztz« und schüttelt seinen Kopf.
»Halt die Klappe«, befehle ich.
»Ich hab doch gar nichts gesagt.«
Ein Handy klingelt. Ich fühle die Vibrationen durch
Brittanys Hose.
»Es ist ihres«, stelle ich fest.
»Geh ran«, weist Isa mich an.
Ich fühle mich sowieso schon, als hätte ich das
Mädchen gekidnappt. Und jetzt soll ich an ihr Handy gehen? Mist.
Ich drehe sie ein bisschen zur Seite und taste nach der Beule in
ihrer Gesäßtasche.
»Contesta«, flüstert Isa hörbar, diesmal auf
Spanisch.
»Mach ich ja«, zische ich, während ich mit
unbeholfenen Fingern an ihrer Jeanstasche herumfummle.
»Ich mach es«, sagt Paco, lehnt sich über den Sitz
nach hinten und streckt die Hand in Richtung Brittanys Hintern
aus.
Ich schlage seine Hand weg. »Nimm deine dreckigen
Pfoten weg.«
»Mensch, Alex, ich wollte nur helfen.«
Meine Antwort ist ein flammender Blick.
Ich fahre mit den Fingern in ihre Hosentasche und
versuche, nicht darüber nachzudenken, wie es sich anfühlen würde,
wenn ihre Jeans nicht im Weg wäre. Zentimeter um Zentimeter ziehe
ich das vibrierende Telefon hervor. Als ich es endlich in der Hand
halte, verrät mir das Display die Identität des Anrufers.
»Es ist ihre Freundin Sierra.«
»Geh dran«, sagt Paco.
»¿Estás loco, güey? Ich rede doch nicht mit
einer von denen.«
»Warum hast du es dann aus ihrer Tasche
gezogen?«
Das ist eine gute Frage. Eine, auf die ich die
Antwort nicht kenne.
Isa schüttelt den Kopf. »Das ist der Preis, den man
bezahlt, wenn man sich auf ein Quadrat einlässt.«
»Wir sollten sie nach Hause bringen«, sagt Paco.
»Du kannst sie nicht behalten.«
Ich weiß das. Aber ich bin noch nicht bereit, sie
wieder herzugeben. »Isa, bring sie zu dir nach Hause.«