11
Brittany
Von der Sportstunde ist nur noch eine halbe Stunde übrig. Während ich mich umziehe, denke ich über das nach, was in Dr. Aguirres Büro passiert ist. Mrs Peterson hat mich ebenso zusammengestaucht wie Alex.
Mein Jahr als Senior hat kaum begonnen und Alex Fuentes hält bereits alle Fäden in der Hand.
Als ich meine Sporthose hochziehe, verrät mir ein Klackklackklack auf dem harten Zementboden, dass ich nicht länger allein in der Umkleide bin. Ich presse erschrocken mein T-Shirt an die Brust. Es ist Carmen Sanchez, die auf mich zukommt.
Oh nein.
»Heute muss mein Glückstag sein«, sagt sie. Ihr Blick versucht, mich einzuschüchtern. Sie gleicht einem zum Angriff bereiten Puma, auch wenn Pumas kein langes, glattes braunes Haar haben. Aber sie besitzen Krallen. Und Carmens Krallen sind knallrot lackiert.
Sie kommt ein paar Schritte näher.
Ich will zurückweichen. Ehrlich gesagt, will ich davonlaufen. Aber ich tue es nicht, hauptsächlich, weil sie bestimmt hinter mir her käme.
»Weißt du«, sagt sie und verzieht ihren Mund zu einem boshaften Grinsen, »ich habe mich schon immer gefragt, welche Farbe wohl der BH von Brittany Ellis hat. Rosa. Wie passend. Ich wette, er war genauso teuer wie deine Blondierung.«
»Du bist doch nicht hier, um über BHs und Blondierungen zu reden, Carmen«, erwidere ich, während ich mir mein T-Shirt über den Kopf ziehe. Ich schlucke schwer, bevor ich hinzufüge: »Du willst mich fertigmachen.«
»Wenn sich eine ho an meinen Mann ranmacht, muss ich mein Revier verteidigen.«
»Ich will nichts von deinem Mann, Carmen. Ich habe meinen eigenen.«
»Oh, bitte! Mädchen wie du wollen doch, dass alle Typen sich in sie verknallen, nur damit ihr die freie Wahl habt, wann immer ihr wollt.« Oh, oh, ich stecke in großen Schwierigkeiten. Sie redet sich immer mehr in Rage. »Ich habe gehört, du verbreitest Müll über mich. Du glaubst wohl, du kannst dir alles erlauben, du piekfeines Miststück. Mal gucken, wie du mit einer aufgeplatzten Lippe und einem großen blauen Auge aussiehst. Kommst du dann mit einer Mülltüte über dem Kopf zur Schule? Oder verkriechst du dich in deinem großen Haus und kommst nie wieder raus?«
Ich sehe Carmen an, während sie auf mich zukommt. Sehe sie wirklich an. Woher weiß sie nur so genau, wie wichtig mir das Bild ist, das alle von mir haben? Wie viel mir die Kontrolle darüber bedeutet. Ihr dagegen ist es völlig egal, ob sie suspendiert wird oder gar von der Schule fliegt.
»Antworte gefälligst!«, brüllt sie und verpasst mir einen kräftigen Schubser. Ich knalle mit der Schulter gegen den Spind hinter mir.
Ich habe ihr wohl nicht zugehört, denn ich habe keinen Schimmer, auf welche Frage sie eine Antwort erwartet. Mir schießt durch den Kopf, was mich wohl erwartet, wenn ich mit blauen Flecken nach Hause komme und zugeben muss, dass sie von einem Kampf stammen. Meine Mom wird außer sich sein und mir vorwerfen, es nicht verhindert zu haben. Ich bete zu Gott, dass sie nicht wieder damit anfängt, Shelley wegzuschicken. Jedes Mal, wenn etwas schiefläuft, reden meine Eltern davon, Shelley wegzuschicken. Als würden sich alle Probleme der Ellis-Familie auf magische Weise in Luft auflösen, wenn Shelley nicht mehr da wäre.
»Meinst du nicht, dass Mrs Bautista sich wundern wird, wo ich bleibe und nach mir suchen wird? Willst du etwa suspendiert werden?« Ich weiß, schwache Fragen. Aber ich versuche hier Zeit zu schinden.
Sie feixt. »Soll ich dir mal was verraten? Es interessiert mich einen Scheiß, ob ich suspendiert werde oder nicht.«
Das dachte ich mir schon, aber einen Versuch war es wert.
Anstatt mich schützend neben meinem Spind zusammenzukauern, richte ich mich kerzengrade auf. Carmen versucht wieder, mich an der Schulter zu stoßen, aber dieses Mal gelingt es mir, ihren Arm beiseite zu schlagen.
In wenigen Sekunden werde ich meinen ersten Faustkampf austragen. Einen Kampf, den ich verlieren werde. Es fühlt sich an, als müsste mir das Herz aus der Brust springen. Mein ganzes Leben habe ich Situationen wie diese vermieden, aber hier und jetzt bleibt mir keine Wahl. Ich überlege, ob ich den Feueralarm auslösen soll, um aus der Sache herauszukommen. Das habe ich mal in einem Film gesehen. Aber natürlich ist weit und breit keines der kleinen roten Kästchen zu entdecken.
»Carmen, lass sie in Ruhe.«
Als die Stimme des Mädchens ertönt, fahren wir beide herum. Es ist Isabel. Meine Nichtfreundin. Die mein Gesicht vielleicht gerade davor bewahrt, zu Brei geschlagen zu werden.
»Isa, halt dich da raus«, knurrt Carmen.
Isabel kommt auf uns zu, ihr dunkelbraunes Haar ist hoch am Kopf zu einem Pferdeschwanz gebunden, der bei jedem Schritt mitwippt. »No chingues con ella, Carmen.«
»¿Por qué no?«, fragt Carmen. »Weil Blondie deine neue beste Freundin ist, seit ihr zusammen eure Dumpfbacken-Pompons schwingt?«
Isa stützt die Hände in die Hüften. »Du bist sauer auf Alex, Carmen. Deshalb benimmst du dich wie eine perra
Als Alex’ Name fällt, flippt Carmen aus. »Halt’s Maul, Isa. Du hast doch keine Ahnung.«
Carmens Wut richtet sich nun gegen Isabel und sie schreit sie auf Spanisch an. Isabel lässt sich davon nicht beeindrucken. Sie steht selbstbewusst vor Carmen und schreit auf Spanisch zurück. Isabel ist relativ klein und wiegt wahrscheinlich weniger als ich. Dass sie Carmen so entschieden in die Schranken verweist, schockt mich. Aber sie ist durchaus in der Lage, ihre Kämpfe auszufechten. Das erkenne ich daran, wie ihre Worte Carmen den Rückzug antreten lassen.
Mrs Bautista erscheint hinter Carmen. »Feiert ihr drei etwa eine Party, ohne den Rest der Klasse dazuzubitten?«
»Wir haben nur etwas miteinander gequatscht«, sagt Carmen, die von einem Moment zum anderen so tut, als wären wir drei die besten Freundinnen.
»Nun, dann schlage ich vor, ihr unterhaltet euch nach der Schule, statt während des Unterrichts. Miss Ellis und Miss Avila kommen bitte mit in die Halle. Miss Sanchez wird sicher auch irgendwo erwartet, oder?«
Carmen zeigt mit dem rot lackierten Fingernagel auf mich. »Wir sehen uns«, sagt sie, dann verlässt sie die Umkleide. Natürlich geht sie nicht einfach so. Sie nötigt Isabel, beiseitezutreten, um ihr den Weg freizumachen.
»Danke«, sage ich leise zu Isabel.
Ihre Antwort ist ein Nicken.
Du oder das ganze Leben
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