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Brittany
»Bitte erklär mir noch mal, warum wir Alex Fuentes
abholen und mit zum Lake Geneva nehmen«, sagt Sierra zu mir.
»Meine Mom hat mir Übles angedroht, wenn ich ihn
außerhalb der Schule treffe, also ist Lake Geneva der perfekte Ort,
um mit ihm zusammen zu sein. Niemand dort kennt uns.«
»Außer uns.«
»Und ich weiß, ihr zwei werdet mich nicht verraten,
hab ich recht?«
Ich erwische Doug dabei, wie er die Augen verdreht.
Es schien so eine gute Idee zu sein. Für einen Tag zu viert zum
Lake Geneva zu fahren, wird bestimmt lustig werden. Jedenfalls
sobald Sierra und Doug den ersten Schock überwunden haben, dass
Alex und ich ein Paar sind. »Bitte hört auf, mich deswegen
fertigzumachen.«
»Der Typ ist ein Loser, Brit«, sagt Doug, während
er auf den Schulparkplatz einbiegt, wo Alex uns treffen soll. »Sie
ist deine beste Freundin, Sierra. Trichter ihr etwas Vernunft
ein.«
»Ich hab es versucht, aber du kennst sie. Sie ist
stur.«
Ich seufze. »Könnt ihr bitte damit aufhören, über
mich zu reden, als sei ich nicht da? Ich mag Alex. Und er mag mich.
Ich möchte dieser Sache eine Chance geben.«
»Und wie genau willst du das anstellen? Indem du
ein Geheimnis aus ihm machst?«, fragt Sierra.
Gott sei Dank sind wir auf dem Parkplatz
angekommen, was mir eine Antwort auf diese Frage erspart. Alex
sitzt auf der Bordsteinkante neben seinem Motorrad. Die langen
Beine hat er lässig von sich gestreckt. Ich kaue nervös auf meiner
Unterlippe und öffne ihm die hintere Wagentür von innen.
Als er Doug am Steuer sieht und Sierra neben ihm,
verhärten sich seine Gesichtszüge.
»Spring rein, Alex«, sage ich und mache ihm
Platz.
Er steckt den Kopf in den Wagen. »Ich glaube nicht,
dass das so eine gute Idee ist.«
»Unsinn. Doug hat mir versprochen, nett zu sein.
Stimmt doch, Doug?« Ich halte gespannt den Atem an.
Doug nickt gleichgültig. »Klar«, sagt er, ohne jede
Regung in der Stimme.
Jeder andere hätte sich an dieser Stelle
davongemacht, da bin ich mir sicher. Aber Alex lässt sich neben
mich auf den Rücksitz fallen. »Wo soll es hingehen?«, fragt
er.
»Lake Geneva«, erwidere ich. »Warst du schon mal
da?«
»Nein.«
»Es ist ungefähr eine Stunde entfernt. Dougs Eltern
haben dort eine Hütte.«
Während der Fahrt könnte man meinen, wir wären in
einer Bibliothek und nicht in einem Auto. Niemand sagt etwas. Als
Doug anhält, um zu tanken, steigt Alex aus, geht davon und zündet
sich eine Zigarette an.
Ich lasse mich tiefer in meinen Sitz sinken. Bis
jetzt haben sich die Dinge nicht so angelassen, wie ich es mir
erhofft hatte. Sierra und Doug sind normalerweise ein Paar, das vor
Witz nur so sprüht, aber im Moment haben wir so viel Spaß wie auf
einer Beerdigung.
»Kannst du nicht wenigstens versuchen, mit ihm zu
reden?«, frage ich meine beste Freundin. »Du hast kein Problem,
stundenlang
darüber zu diskutieren, welchen Hund du lieber küssen würdest,
aber du schaffst es nicht in Gegenwart eines Typen, den ich mag,
zwei Worte aneinanderzureihen.«
Sierra dreht sich in ihrem Sitz nach hinten, um
mich anzusehen. »Es tut mir leid. Es ist nur … Brit, du hast etwas
Besseres verdient. Etwas sehr viel Besseres.«
»Wie Colin, meinst du?«
»Wie jeder andere.« Sierra verzieht genervt das
Gesicht und dreht sich wieder nach vorn.
Alex steigt in den Wagen und ich schenke ihm ein
schwaches Lächeln. Als er nicht zurücklächelt, nehme ich seine
Hand. Er erwidert den Händedruck nicht, aber er zieht die Hand auch
nicht weg. Ist das ein gutes Zeichen?
Als wir die Tankstelle hinter uns lassen, sagt
Alex: »Hinten links der Reifen ist locker. Hörst du das
Geräusch?«
Doug zuckt mit den Schultern. »Das habe ich schon
seit einem Monat. Ist nicht weiter schlimm.«
»Fahr rechts ran, ich bring das in Ordnung«,
fordert Alex ihn auf. »Wenn er auf dem Highway abgeht, sind wir
Entenfutter.«
Doug ist deutlich anzusehen, dass er lieber nichts
auf Alex’ Einschätzung geben würde, aber nach ungefähr einer Meile
hält er widerwillig am Straßenrand an.
»Doug«, sagte Sierra und deutet mit dem Finger auf
den Erotikbuchladen, vor dem wir gehalten haben. »Weißt du, was für
Leute da reingehen?«
»Im Moment, mein Engel, geht mir das offen gesagt
am Arsch vorbei.« Er wendet sich Alex zu. »Okay, Großmaul. Bring
den Wagen auf Vordermann.«
Alex und Doug steigen aus. »Es tut mir leid, dass
ich so rumgezickt habe«, entschuldige ich mich bei Sierra.
»Mir tut es auch leid.«
»Meinst du, Alex und Doug springen sich gleich an
die Gurgel?«
»Vielleicht. Wir steigen besser aus und lenken sie
ein bisschen ab.«
Draußen holt Alex gerade das Werkzeug aus dem
Kofferraum.
Nachdem er den Wagen aufgebockt hat, nimmt er das
Montiereisen in die Hand. Doug steht mit in die Hüften gestützten
Händen und trotziger Miene da.
»Was ist los, Thompson?«, fragt Alex.
»Ich kann dich nicht ausstehen, Fuentes.«
»Und du glaubst, ich wäre dein größter Fan?«,
schnaubt Alex verächtlich. Dann kniet er sich neben den Reifen und
zieht die Radmuttern an.
Ich werfe Sierra einen fragenden Blick zu. Sollen
wir uns einmischen? Sierra zuckt die Achseln. Ich zucke die
Achseln. Es ist ja nicht so, als würden sie jeden Moment
aufeinander losgehen. Noch nicht.
Ein Wagen, in dem vier hispanische Typen sitzen,
hält mit quietschenden Reifen neben uns. Zwei sitzen vorn, zwei
hinten. Alex ignoriert sie und kurbelt weiter am Wagenheber, bis
das Auto wieder auf allen vier Rädern steht. Dann legt er den
Wagenheber zurück in den Kofferraum.
»Hey, mamacitas! Was haltet ihr davon, diese
zwei Loser stehen zu lassen und bei uns mitzufahren? Wir zeigen
euch, wie man anständig Spaß hat«, ruft einer von ihnen durch das
heruntergelassene Fenster.
»Verpisst euch«, brüllt Doug.
Einer der Typen stolpert aus dem Auto und kommt auf
Doug zu. Sierra ruft etwas, aber ich höre nicht richtig hin.
Stattdessen kann ich den Blick nicht von Alex abwenden, der seine
Jacke von sich wirft und sich dem Typen in den Weg stellt.
»Geh mir aus dem Weg«, befiehlt der. »Es sollte
unter deiner Würde sein, diesen weißen Schwanzlutscher zu
beschützen.«
Alex steht dem Typen Angesicht zu Angesicht
gegenüber, das Montiereisen fest in der Hand. »Sich mit diesem
weißen Schwanzlutscher anzulegen, heißt, sich mit mir anzulegen.
Comprendes, amigo?«
Ein zweiter Kerl steigt aus dem Wagen. Wir stecken
in ernsthaften Schwierigkeiten.
»Mädchen, nehmt die Schlüssel und steigt in den
Wagen«, befiehlt uns Alex sehr bestimmt.
»Aber …«
In seinem Blick liegt eine tödliche Ruhe. Oh, Mann.
Er meint es wirklich ernst.
Doug wirft Sierra die Autoschlüssel zu. Was jetzt?
Erwarten sie etwa von uns, dass wir uns ins Auto setzen und ihnen
zusehen, wie sie sich prügeln? »Ich gehe nirgendwohin«, verkünde
ich.
»Ich auch nicht«, sagt Sierra gleichermaßen
entschlossen.
Einer aus dem anderen Wagen steckt den Kopf aus dem
Fenster. »Alejo, bist du das?«
Alex’ Haltung entspannt sich. »Tiny? Was zum Teufel
treibst du mit diesen pendejos?«
Der Typ namens Tiny sagt etwas auf Spanisch zu
seinen Kumpels und sie springen wieder in den Wagen. Fast scheint
es, als seien sie erleichtert, nicht mit Alex und Doug kämpfen zu
müssen.
»Das erzähl ich dir, sobald du mir gesagt hast,
weshalb du dich mit einem Haufen gringos rumtreibst«,
erwidert Tiny.
Alex lacht in sich hinein. »Haut ab hier.«
Als wir alle wieder im Auto sitzen, höre ich Doug
sagen: »Danke, dass du mir den Rücken freigehalten hast.«
Alex murmelt: »Jetzt übertreib mal nicht.«
Danach sagt niemand mehr ein Wort, bis wir die
Ausläufer des Lake Geneva erreicht haben. Doug parkt vor einer
Sportsbar, in der wir etwas zu Mittag essen wollen. Nachdem wir
reingegangen sind und einen Tisch gefunden haben, bestellen Sierra
und ich gemischte Salate und Alex und Doug Burger.
Dann sitzen wir in unserer Nische und warten auf
unser Essen. Niemand sagt etwas. Ich verpasse Sierra unter dem
Tisch einen Tritt.
»Ähm, also Alex«, beginnt sie. »Hast du in letzter
Zeit irgendwelche guten Filme gesehen?«
»Nö.«
»Hast du dich bei irgendwelchen Colleges
beworben?«
Alex schüttelt den Kopf.
Völlig unerwartet beugt Doug sich vor und
übernimmt. »Wer hat dir so viel über Autos beigebracht?«
»Mein Cousin«, antwortet Alex. »An den Wochenenden
habe ich bei ihm rumgehangen und zugesehen, wie er schrottreife
Karren wieder zum Leben erweckt hat.«
»Mein Dad hat einen zweiundsiebziger Karmann Ghia
in der Garage stehen. Er denkt, er wird auf magische Weise
irgendwann von allein wieder laufen.«
»Was ist das Problem?«, will Alex wissen.
Während Doug es ihm erläutert, hört Alex aufmerksam
zu. Sie diskutieren das Für und Wider, gebrauchte Motorteile bei
Ebay zu ersteigern, und ich entspanne mich langsam. Die Aversion
gegeneinander, die sie am Morgen so offen zur Schau getragen haben,
scheint sich in Luft aufzulösen, je länger sie miteinander
reden.
Nachdem wir mit Essen fertig sind, spazieren wir
die Main Street entlang. Alex nimmt meine Hand und für mich gibt es
in diesem Moment nichts Schöneres, als hier mit ihm zu sein.
»Oh, da hat eine neue Galerie aufgemacht«, meint
Sierra
kurz darauf und zeigt auf die andere Straßenseite. »Guckt mal, sie
feiern gerade ihre Eröffnung. Lasst uns reingehen!«
»Cool«, sage ich begeistert.
»Ich warte draußen«, erklärt Alex, als wir Sierra
und Doug auf die andere Straßenseite folgen. »Ich bin nicht der
Galerietyp.«
Das stimmt einfach nicht. Wann wird er erkennen,
dass er nicht in der Schublade bleiben muss, in die alle anderen
ihn gesteckt haben? Wenn er erst mal drinnen ist, wird ihm klar
werden, dass er in der Galerie ebenso willkommen ist wie in der
Autowerkstatt. »Komm schon«, sage ich und ziehe ihn mit hinein.
Innerlich lächle ich, als wir die Galerie betreten.
Ein riesiges Büfett erwartet uns. Ungefähr vierzig
Leute wandern umher und betrachten die Kunstwerke.
Ich sehe mich mit Alex in der Galerie um, der steif
neben mir her geht. »Entspann dich«, fordere ich ihn auf.
»Für dich sagt sich das so leicht«, murmelt
er.