43
Brittany
»Bitte erklär mir noch mal, warum wir Alex Fuentes abholen und mit zum Lake Geneva nehmen«, sagt Sierra zu mir.
»Meine Mom hat mir Übles angedroht, wenn ich ihn außerhalb der Schule treffe, also ist Lake Geneva der perfekte Ort, um mit ihm zusammen zu sein. Niemand dort kennt uns.«
»Außer uns.«
»Und ich weiß, ihr zwei werdet mich nicht verraten, hab ich recht?«
Ich erwische Doug dabei, wie er die Augen verdreht. Es schien so eine gute Idee zu sein. Für einen Tag zu viert zum Lake Geneva zu fahren, wird bestimmt lustig werden. Jedenfalls sobald Sierra und Doug den ersten Schock überwunden haben, dass Alex und ich ein Paar sind. »Bitte hört auf, mich deswegen fertigzumachen.«
»Der Typ ist ein Loser, Brit«, sagt Doug, während er auf den Schulparkplatz einbiegt, wo Alex uns treffen soll. »Sie ist deine beste Freundin, Sierra. Trichter ihr etwas Vernunft ein.«
»Ich hab es versucht, aber du kennst sie. Sie ist stur.«
Ich seufze. »Könnt ihr bitte damit aufhören, über mich zu reden, als sei ich nicht da? Ich mag Alex. Und er mag mich. Ich möchte dieser Sache eine Chance geben.«
»Und wie genau willst du das anstellen? Indem du ein Geheimnis aus ihm machst?«, fragt Sierra.
Gott sei Dank sind wir auf dem Parkplatz angekommen, was mir eine Antwort auf diese Frage erspart. Alex sitzt auf der Bordsteinkante neben seinem Motorrad. Die langen Beine hat er lässig von sich gestreckt. Ich kaue nervös auf meiner Unterlippe und öffne ihm die hintere Wagentür von innen.
Als er Doug am Steuer sieht und Sierra neben ihm, verhärten sich seine Gesichtszüge.
»Spring rein, Alex«, sage ich und mache ihm Platz.
Er steckt den Kopf in den Wagen. »Ich glaube nicht, dass das so eine gute Idee ist.«
»Unsinn. Doug hat mir versprochen, nett zu sein. Stimmt doch, Doug?« Ich halte gespannt den Atem an.
Doug nickt gleichgültig. »Klar«, sagt er, ohne jede Regung in der Stimme.
Jeder andere hätte sich an dieser Stelle davongemacht, da bin ich mir sicher. Aber Alex lässt sich neben mich auf den Rücksitz fallen. »Wo soll es hingehen?«, fragt er.
»Lake Geneva«, erwidere ich. »Warst du schon mal da?«
»Nein.«
»Es ist ungefähr eine Stunde entfernt. Dougs Eltern haben dort eine Hütte.«
Während der Fahrt könnte man meinen, wir wären in einer Bibliothek und nicht in einem Auto. Niemand sagt etwas. Als Doug anhält, um zu tanken, steigt Alex aus, geht davon und zündet sich eine Zigarette an.
Ich lasse mich tiefer in meinen Sitz sinken. Bis jetzt haben sich die Dinge nicht so angelassen, wie ich es mir erhofft hatte. Sierra und Doug sind normalerweise ein Paar, das vor Witz nur so sprüht, aber im Moment haben wir so viel Spaß wie auf einer Beerdigung.
»Kannst du nicht wenigstens versuchen, mit ihm zu reden?«, frage ich meine beste Freundin. »Du hast kein Problem, stundenlang darüber zu diskutieren, welchen Hund du lieber küssen würdest, aber du schaffst es nicht in Gegenwart eines Typen, den ich mag, zwei Worte aneinanderzureihen.«
Sierra dreht sich in ihrem Sitz nach hinten, um mich anzusehen. »Es tut mir leid. Es ist nur … Brit, du hast etwas Besseres verdient. Etwas sehr viel Besseres.«
»Wie Colin, meinst du?«
»Wie jeder andere.« Sierra verzieht genervt das Gesicht und dreht sich wieder nach vorn.
Alex steigt in den Wagen und ich schenke ihm ein schwaches Lächeln. Als er nicht zurücklächelt, nehme ich seine Hand. Er erwidert den Händedruck nicht, aber er zieht die Hand auch nicht weg. Ist das ein gutes Zeichen?
Als wir die Tankstelle hinter uns lassen, sagt Alex: »Hinten links der Reifen ist locker. Hörst du das Geräusch?«
Doug zuckt mit den Schultern. »Das habe ich schon seit einem Monat. Ist nicht weiter schlimm.«
»Fahr rechts ran, ich bring das in Ordnung«, fordert Alex ihn auf. »Wenn er auf dem Highway abgeht, sind wir Entenfutter.«
Doug ist deutlich anzusehen, dass er lieber nichts auf Alex’ Einschätzung geben würde, aber nach ungefähr einer Meile hält er widerwillig am Straßenrand an.
»Doug«, sagte Sierra und deutet mit dem Finger auf den Erotikbuchladen, vor dem wir gehalten haben. »Weißt du, was für Leute da reingehen?«
»Im Moment, mein Engel, geht mir das offen gesagt am Arsch vorbei.« Er wendet sich Alex zu. »Okay, Großmaul. Bring den Wagen auf Vordermann.«
Alex und Doug steigen aus. »Es tut mir leid, dass ich so rumgezickt habe«, entschuldige ich mich bei Sierra.
»Mir tut es auch leid.«
»Meinst du, Alex und Doug springen sich gleich an die Gurgel?«
»Vielleicht. Wir steigen besser aus und lenken sie ein bisschen ab.«
Draußen holt Alex gerade das Werkzeug aus dem Kofferraum.
Nachdem er den Wagen aufgebockt hat, nimmt er das Montiereisen in die Hand. Doug steht mit in die Hüften gestützten Händen und trotziger Miene da.
»Was ist los, Thompson?«, fragt Alex.
»Ich kann dich nicht ausstehen, Fuentes.«
»Und du glaubst, ich wäre dein größter Fan?«, schnaubt Alex verächtlich. Dann kniet er sich neben den Reifen und zieht die Radmuttern an.
Ich werfe Sierra einen fragenden Blick zu. Sollen wir uns einmischen? Sierra zuckt die Achseln. Ich zucke die Achseln. Es ist ja nicht so, als würden sie jeden Moment aufeinander losgehen. Noch nicht.
Ein Wagen, in dem vier hispanische Typen sitzen, hält mit quietschenden Reifen neben uns. Zwei sitzen vorn, zwei hinten. Alex ignoriert sie und kurbelt weiter am Wagenheber, bis das Auto wieder auf allen vier Rädern steht. Dann legt er den Wagenheber zurück in den Kofferraum.
»Hey, mamacitas! Was haltet ihr davon, diese zwei Loser stehen zu lassen und bei uns mitzufahren? Wir zeigen euch, wie man anständig Spaß hat«, ruft einer von ihnen durch das heruntergelassene Fenster.
»Verpisst euch«, brüllt Doug.
Einer der Typen stolpert aus dem Auto und kommt auf Doug zu. Sierra ruft etwas, aber ich höre nicht richtig hin. Stattdessen kann ich den Blick nicht von Alex abwenden, der seine Jacke von sich wirft und sich dem Typen in den Weg stellt.
»Geh mir aus dem Weg«, befiehlt der. »Es sollte unter deiner Würde sein, diesen weißen Schwanzlutscher zu beschützen.«
Alex steht dem Typen Angesicht zu Angesicht gegenüber, das Montiereisen fest in der Hand. »Sich mit diesem weißen Schwanzlutscher anzulegen, heißt, sich mit mir anzulegen. Comprendes, amigo
Ein zweiter Kerl steigt aus dem Wagen. Wir stecken in ernsthaften Schwierigkeiten.
»Mädchen, nehmt die Schlüssel und steigt in den Wagen«, befiehlt uns Alex sehr bestimmt.
»Aber …«
In seinem Blick liegt eine tödliche Ruhe. Oh, Mann. Er meint es wirklich ernst.
Doug wirft Sierra die Autoschlüssel zu. Was jetzt? Erwarten sie etwa von uns, dass wir uns ins Auto setzen und ihnen zusehen, wie sie sich prügeln? »Ich gehe nirgendwohin«, verkünde ich.
»Ich auch nicht«, sagt Sierra gleichermaßen entschlossen.
Einer aus dem anderen Wagen steckt den Kopf aus dem Fenster. »Alejo, bist du das?«
Alex’ Haltung entspannt sich. »Tiny? Was zum Teufel treibst du mit diesen pendejos
Der Typ namens Tiny sagt etwas auf Spanisch zu seinen Kumpels und sie springen wieder in den Wagen. Fast scheint es, als seien sie erleichtert, nicht mit Alex und Doug kämpfen zu müssen.
»Das erzähl ich dir, sobald du mir gesagt hast, weshalb du dich mit einem Haufen gringos rumtreibst«, erwidert Tiny.
Alex lacht in sich hinein. »Haut ab hier.«
Als wir alle wieder im Auto sitzen, höre ich Doug sagen: »Danke, dass du mir den Rücken freigehalten hast.«
Alex murmelt: »Jetzt übertreib mal nicht.«
Danach sagt niemand mehr ein Wort, bis wir die Ausläufer des Lake Geneva erreicht haben. Doug parkt vor einer Sportsbar, in der wir etwas zu Mittag essen wollen. Nachdem wir reingegangen sind und einen Tisch gefunden haben, bestellen Sierra und ich gemischte Salate und Alex und Doug Burger.
Dann sitzen wir in unserer Nische und warten auf unser Essen. Niemand sagt etwas. Ich verpasse Sierra unter dem Tisch einen Tritt.
»Ähm, also Alex«, beginnt sie. »Hast du in letzter Zeit irgendwelche guten Filme gesehen?«
»Nö.«
»Hast du dich bei irgendwelchen Colleges beworben?«
Alex schüttelt den Kopf.
Völlig unerwartet beugt Doug sich vor und übernimmt. »Wer hat dir so viel über Autos beigebracht?«
»Mein Cousin«, antwortet Alex. »An den Wochenenden habe ich bei ihm rumgehangen und zugesehen, wie er schrottreife Karren wieder zum Leben erweckt hat.«
»Mein Dad hat einen zweiundsiebziger Karmann Ghia in der Garage stehen. Er denkt, er wird auf magische Weise irgendwann von allein wieder laufen.«
»Was ist das Problem?«, will Alex wissen.
Während Doug es ihm erläutert, hört Alex aufmerksam zu. Sie diskutieren das Für und Wider, gebrauchte Motorteile bei Ebay zu ersteigern, und ich entspanne mich langsam. Die Aversion gegeneinander, die sie am Morgen so offen zur Schau getragen haben, scheint sich in Luft aufzulösen, je länger sie miteinander reden.
Nachdem wir mit Essen fertig sind, spazieren wir die Main Street entlang. Alex nimmt meine Hand und für mich gibt es in diesem Moment nichts Schöneres, als hier mit ihm zu sein.
»Oh, da hat eine neue Galerie aufgemacht«, meint Sierra kurz darauf und zeigt auf die andere Straßenseite. »Guckt mal, sie feiern gerade ihre Eröffnung. Lasst uns reingehen!«
»Cool«, sage ich begeistert.
»Ich warte draußen«, erklärt Alex, als wir Sierra und Doug auf die andere Straßenseite folgen. »Ich bin nicht der Galerietyp.«
Das stimmt einfach nicht. Wann wird er erkennen, dass er nicht in der Schublade bleiben muss, in die alle anderen ihn gesteckt haben? Wenn er erst mal drinnen ist, wird ihm klar werden, dass er in der Galerie ebenso willkommen ist wie in der Autowerkstatt. »Komm schon«, sage ich und ziehe ihn mit hinein. Innerlich lächle ich, als wir die Galerie betreten.
Ein riesiges Büfett erwartet uns. Ungefähr vierzig Leute wandern umher und betrachten die Kunstwerke.
Ich sehe mich mit Alex in der Galerie um, der steif neben mir her geht. »Entspann dich«, fordere ich ihn auf.
»Für dich sagt sich das so leicht«, murmelt er.
Du oder das ganze Leben
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