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Brittany
Ich rase vor Wut, als ich auf den Parkplatz der
Bücherei biege und den Wagen in der hintersten Ecke beim Wäldchen
abstelle. Das Chemieprojekt ist in diesem Moment meine letzte
Sorge.
Alex erwartet mich schon, er lehnt an seinem
Motorrad. Ich ziehe den Schlüssel aus dem Schloss und stürme auf
ihn zu. »Wie kannst du es wagen, mich so herumzukommandieren!«,
brülle ich. Mein ganzes Leben ist voll von Leuten, die versuchen,
mich zu kontrollieren. Meine Mom … Colin. Und jetzt auch noch Alex.
Mir reicht’s. »Wenn du glaubst, du bringst mich mit Drohungen dazu
…«
Ohne ein Wort zu sagen, schnappt sich Alex die
Schlüssel aus meiner Hand und setzt sich auf den Fahrersitz meines
BMWs.
»Alex, was glaubst du, tust du da?«
»Steig ein.«
Der Motor röhrt. Er wird davonfahren und mich
gestrandet auf dem Parkplatz der Bücherei zurücklassen.
Mit zusammengeballten Fäusten stürme ich auf die
Beifahrerseite. Als ich im Wagen sitze, lässt Alex den Motor
aufheulen.
»Wo ist das Bild von Colin?«, frage ich, die Ablage
absuchend. Es war vor einer Minute noch da.
»Keine Sorge, du kriegst es zurück. Mein Magen ist
nur nicht robust genug, um seinen Anblick zu ertragen, während ich
fahre.«
»Weißt du überhaupt, wie man ein Auto mit
Gangschaltung fährt?«, belle ich.
Ohne zu blinzeln oder nach unten zu gucken, legt er
den ersten Gang ein und das Auto verlässt mit quietschenden Reifen
den Parkplatz. Mein BMW schnurrt unter seinen Händen, als ob der
Wagen und Alex eine Einheit wären.
»Das ist Autodiebstahl, falls du es nicht wissen
solltest.« Schweigen. »Und Entführung«, füge ich hinzu.
Wir halten an einer Ampel. Ich werfe einen Blick
auf die anderen Autos in unsere Nähe und bin froh, dass das Verdeck
zu ist und niemand uns sehen kann.
»Mira, du bist freiwillig in den Wagen
gestiegen«, sagt er.
»Es ist mein Auto. Was, wenn jemand uns
sieht?«
Er scheint extrem angepisst von meinen Worten, denn
die Reifen quietschen aggressiv, als die Ampel auf Grün schaltet.
Er macht meinen Wagen mit Absicht kaputt.
»Hör auf damit!«, befehle ich. »Bring mich zurück
zur Bücherei.«
Aber das tut er nicht. Er schweigt, während er mein
Auto durch mir unbekannte Vororte und menschenleere Straßen lenkt,
genau wie die Leute in Filmen, wenn sie auf dem Weg zu einem
gefährlichen Drogendeal sind.
Großartig. Ich bin auf dem Weg zu meinem ersten
Drogendeal. Wenn sie mich verhaften, werden meine Eltern dann
kommen, um die Kaution zu bezahlen? Ich frage mich, wie meine
Mutter das ihren Freunden erklären wird. Vielleicht schicken sie
mich in ein Umerziehungslager für jugendliche Straftäter. Ich
wette, das würde ihnen gefallen … Shelley in irgendein Heim zu
stecken und mich in ein Erziehungslager.
Mein Leben würde noch ätzender werden.
Ich werde an nichts Illegalem teilnehmen. Ich bin
Herr über
mein Schicksal, nicht Alex. Ich packe den Türgriff. »Lass mich
sofort raus oder ich schwöre, ich springe aus dem Auto.«
»Du bist angeschnallt.« Er rollt mit den Augen.
»Entspann dich. Wir sind in zwei Minuten da.« Er schaltet in einen
niedrigeren Gang und verlangsamt den Wagen. Wir fahren auf ein
altes, verlassenes Flughafengelände. »Okay, hier sind wir«, sagt er
und zieht die Handbremse an.
»Na toll. Und wo ist hier? Falls du es nicht
mitbekommen hast, das letzte bewohnte Gebäude haben wir vor über
drei Meilen passiert. Ich steige nicht aus dem Wagen, Alex. Du
kannst deine Drogengeschäfte allein erledigen.«
»Wenn ich noch irgendwelche Zweifel gehabt habe, ob
du eine echte Blondine bist, hast du sie gerade zerstreut«, sagt
er. »Als ob ich dich zu einem Drogendeal mitnehmen würde. Steig aus
dem Wagen.«
»Sag mir einen Grund, warum ich das tun
sollte.«
»Weil ich dich herauszerren werde, wenn du es nicht
tust. Glaub mir, mujer.«
Er steckt die Schlüssel in seine Gesäßtasche und
steigt aus dem Auto. Da ich keine andere Wahl habe, folge ich
seinem Beispiel. »Hör zu, wenn du über unsere Handwärmer reden
wolltest, hätten wir das am Telefon erledigen können.«
Er trifft mich am Kofferraum meines Wagens. Wir
stehen uns mitten im Nirgendwo gegenüber.
Es gibt etwas, das mich schon den ganzen Tag
beschäftigt. Da ich schon mal mit ihm hier stehe, kann ich ihn
genauso gut danach fragen. »Haben wir uns letzte Nacht
geküsst?«
»Ja.«
»Dann war es nicht sehr denkwürdig, denn ich kann
mich nicht daran erinnern.«
Er lacht. »Ich mach nur Witze. Wir haben uns nicht
geküsst.«
Er beugt sich zu mir. »Wenn wir uns küssen, wirst
du dich daran erinnern. Für immer.«
Oh Gott. Ich wünschte, meine Knie würden nicht zu
Pudding bei diesen Worten. Ich weiß, ich sollte Angst haben, so
allein mit einem Gangmitglied an einem einsamen Ort und wir reden
auch noch übers Küssen. Aber ich habe keine. Tief in meinem Inneren
weiß ich, er würde mir nie absichtlich wehtun oder mich zu etwas
zwingen.
»Warum hast du mich gekidnappt?«, frage ich.
Er nimmt meine Hand und führt mich zur Fahrerseite.
»Steig ein.«
»Warum?«
»Ich bringe dir jetzt bei, wie man diesen Wagen
anständig fährt, bevor dein misshandelter Motor den Geist
aufgibt.«
»Ich dachte, du wärst sauer auf mich. Warum hilfst
du mir?«
»Weil ich es will.«
Oh. Das habe ich nicht erwartet. Mein Herz beginnt
zu schmelzen, weil es sehr lange her ist, dass jemand etwas für
mich getan hat, nur um mir zu helfen. Wobei … »Das tust du nicht
etwa, damit ich dir einen Gefallen schulde, oder?«
Er schüttelt seinen Kopf.
»Echt?«
»Echt.«
»Und du bist nicht sauer auf mich, wegen etwas, das
ich getan oder gesagt habe?«
»Ich bin frustriert, Brittany. Wegen dir. Und wegen
meinem Bruder. Wegen einer Menge Mist.«
»Warum hast du mich dann hergebracht?«
»Stell keine Fragen, auf die du nicht die Antwort
hören willst, okay?
»Okay.« Ich lasse mich auf den Fahrersitz gleiten
und warte, bis er neben mir Platz nimmt.
»Bist du so weit?«, fragt er, nachdem er sich
angeschnallt hat.
»Jawohl.«
Er lehnt sich rüber und steckt den Schlüssel in die
Zündung. Als ich die Handbremse löse und den Wagen anlasse, säuft
der Motor ab.
»Du hattest noch den Gang drin. Wenn du nicht mit
dem Fuß auf der Kupplung bist, säuft dir der Motor ab, wenn du
einen Gang drinhast.«
»Das weiß ich«, sage ich und komme mir saudumm vor.
»Du machst mich nur nervös.«
Er nimmt für mich den Gang raus. »Stell deinen
linken Fuß auf die Kupplung und deinen rechten auf die Bremse und
leg den ersten Gang ein«, weist er mich an.
Ich setze meinen rechten Fuß auf das Gaspedal, löse
den linken von der Kupplung und der Wagen schießt ruckartig
vorwärts.
Er stützt sich mit der Hand auf dem Armaturenbrett
ab. »Stopp.«
Ich halte den Wagen an und nehme den Gang
raus.
»Du musst ihn langsam kommen lassen.«
Ich sehe ihn an. »Ihn kommen lassen?«
»Ja. Du weißt schon, mit Gas und Kupplung spielen.«
Er zeigt mir mit den Händen, was er meint, und tut so, als seien
seine Hände die Pedale. »Du nimmst den Fuß zu schnell von der
Kupplung. Tarier Gas und Kupplung aus, fühle, wie sie
ineinandergreifen. Versuch’s noch mal.«
Ich lege wieder den ersten Gang ein und lasse die
Kupplung kommen, während ich aufs Gas trete.
»Langsam«, sagt er. »Spür, wie er kommt.«
Ich lasse die Kupplung noch ein Stück kommen,
drücke das Gaspedal aber nicht völlig durch. »Ich glaube, ich hab
es.«
»Lass die Kupplung jetzt los, aber gib nicht zu
viel Gas.«
Ich versuche es, aber das Auto fährt ruckweise an
und geht dann aus.
»Du hast den Motor abgewürgt. Nimm den Fuß nicht zu
schnell von der Kupplung. Versuch’s noch mal«, sagt er völlig
unbeeindruckt. Er regt sich nicht auf, ist nicht genervt oder will
das Handtuch werfen. »Du musst mehr Gas geben. Lass den Motor nicht
aufheulen, gib ihm nur genug Saft, um den Wagen in Bewegung zu
setzen.«
Ich mache dieselben Dinge, aber dieses Mal fährt
der Wagen an ohne zu ruckeln. Wir sind auf der Landebahn und
bewegen uns in Schrittgeschwindigkeit.
»Tritt die Kupplung«, weist er mich an, dann legt
er seine Hand über meine auf dem Schaltknüppel und hilft mir, in
den Zweiten zu schalten. Ich versuche, seine sanfte Berührung und
die Wärme seiner Hand zu ignorieren, die in einem solch
unglaublichen Gegensatz zu seiner Persönlichkeit stehen, und mich
auf die Aufgabe zu konzentrieren.
Er beweist sehr viel Geduld, als er mir bis ins
Kleinste Anweisungen gibt, wie ich runterschalten soll, bis wir
schließlich am Ende der Landebahn angekommen sind. Seine Finger
sind immer noch um meine geschlungen.
»Fahrstunde vorbei?«, frage ich.
Alex räuspert sich. »Hm, ja.« Er nimmt seine Hand
von meiner und fährt sich mit den Fingern durch seine schwarze
Mähne, deren Strähnen ihm lose in die Stirn fallen.
»Danke«, sage ich.
»Schon gut, meine Ohren sind jedes Mal fast
abgefallen, wenn ich deinen Motor auf dem Schulparkplatz hab röhren
hören. Ich hab’s nicht getan, um nett zu sein.«
Ich drehe meinen Kopf zur Seite und versuche, ihn
dazu zu bewegen, mich anzusehen. Was er nicht tut. »Warum ist es so
wichtig für dich, als knallharter Typ zu gelten? Verrat es
mir.«