23
Brittany
Ich rase vor Wut, als ich auf den Parkplatz der Bücherei biege und den Wagen in der hintersten Ecke beim Wäldchen abstelle. Das Chemieprojekt ist in diesem Moment meine letzte Sorge.
Alex erwartet mich schon, er lehnt an seinem Motorrad. Ich ziehe den Schlüssel aus dem Schloss und stürme auf ihn zu. »Wie kannst du es wagen, mich so herumzukommandieren!«, brülle ich. Mein ganzes Leben ist voll von Leuten, die versuchen, mich zu kontrollieren. Meine Mom … Colin. Und jetzt auch noch Alex. Mir reicht’s. »Wenn du glaubst, du bringst mich mit Drohungen dazu …«
Ohne ein Wort zu sagen, schnappt sich Alex die Schlüssel aus meiner Hand und setzt sich auf den Fahrersitz meines BMWs.
»Alex, was glaubst du, tust du da?«
»Steig ein.«
Der Motor röhrt. Er wird davonfahren und mich gestrandet auf dem Parkplatz der Bücherei zurücklassen.
Mit zusammengeballten Fäusten stürme ich auf die Beifahrerseite. Als ich im Wagen sitze, lässt Alex den Motor aufheulen.
»Wo ist das Bild von Colin?«, frage ich, die Ablage absuchend. Es war vor einer Minute noch da.
»Keine Sorge, du kriegst es zurück. Mein Magen ist nur nicht robust genug, um seinen Anblick zu ertragen, während ich fahre.«
»Weißt du überhaupt, wie man ein Auto mit Gangschaltung fährt?«, belle ich.
Ohne zu blinzeln oder nach unten zu gucken, legt er den ersten Gang ein und das Auto verlässt mit quietschenden Reifen den Parkplatz. Mein BMW schnurrt unter seinen Händen, als ob der Wagen und Alex eine Einheit wären.
»Das ist Autodiebstahl, falls du es nicht wissen solltest.« Schweigen. »Und Entführung«, füge ich hinzu.
Wir halten an einer Ampel. Ich werfe einen Blick auf die anderen Autos in unsere Nähe und bin froh, dass das Verdeck zu ist und niemand uns sehen kann.
»Mira, du bist freiwillig in den Wagen gestiegen«, sagt er.
»Es ist mein Auto. Was, wenn jemand uns sieht?«
Er scheint extrem angepisst von meinen Worten, denn die Reifen quietschen aggressiv, als die Ampel auf Grün schaltet. Er macht meinen Wagen mit Absicht kaputt.
»Hör auf damit!«, befehle ich. »Bring mich zurück zur Bücherei.«
Aber das tut er nicht. Er schweigt, während er mein Auto durch mir unbekannte Vororte und menschenleere Straßen lenkt, genau wie die Leute in Filmen, wenn sie auf dem Weg zu einem gefährlichen Drogendeal sind.
Großartig. Ich bin auf dem Weg zu meinem ersten Drogendeal. Wenn sie mich verhaften, werden meine Eltern dann kommen, um die Kaution zu bezahlen? Ich frage mich, wie meine Mutter das ihren Freunden erklären wird. Vielleicht schicken sie mich in ein Umerziehungslager für jugendliche Straftäter. Ich wette, das würde ihnen gefallen … Shelley in irgendein Heim zu stecken und mich in ein Erziehungslager.
Mein Leben würde noch ätzender werden.
Ich werde an nichts Illegalem teilnehmen. Ich bin Herr über mein Schicksal, nicht Alex. Ich packe den Türgriff. »Lass mich sofort raus oder ich schwöre, ich springe aus dem Auto.«
»Du bist angeschnallt.« Er rollt mit den Augen. »Entspann dich. Wir sind in zwei Minuten da.« Er schaltet in einen niedrigeren Gang und verlangsamt den Wagen. Wir fahren auf ein altes, verlassenes Flughafengelände. »Okay, hier sind wir«, sagt er und zieht die Handbremse an.
»Na toll. Und wo ist hier? Falls du es nicht mitbekommen hast, das letzte bewohnte Gebäude haben wir vor über drei Meilen passiert. Ich steige nicht aus dem Wagen, Alex. Du kannst deine Drogengeschäfte allein erledigen.«
»Wenn ich noch irgendwelche Zweifel gehabt habe, ob du eine echte Blondine bist, hast du sie gerade zerstreut«, sagt er. »Als ob ich dich zu einem Drogendeal mitnehmen würde. Steig aus dem Wagen.«
»Sag mir einen Grund, warum ich das tun sollte.«
»Weil ich dich herauszerren werde, wenn du es nicht tust. Glaub mir, mujer
Er steckt die Schlüssel in seine Gesäßtasche und steigt aus dem Auto. Da ich keine andere Wahl habe, folge ich seinem Beispiel. »Hör zu, wenn du über unsere Handwärmer reden wolltest, hätten wir das am Telefon erledigen können.«
Er trifft mich am Kofferraum meines Wagens. Wir stehen uns mitten im Nirgendwo gegenüber.
Es gibt etwas, das mich schon den ganzen Tag beschäftigt. Da ich schon mal mit ihm hier stehe, kann ich ihn genauso gut danach fragen. »Haben wir uns letzte Nacht geküsst?«
»Ja.«
»Dann war es nicht sehr denkwürdig, denn ich kann mich nicht daran erinnern.«
Er lacht. »Ich mach nur Witze. Wir haben uns nicht geküsst.«
Er beugt sich zu mir. »Wenn wir uns küssen, wirst du dich daran erinnern. Für immer.«
Oh Gott. Ich wünschte, meine Knie würden nicht zu Pudding bei diesen Worten. Ich weiß, ich sollte Angst haben, so allein mit einem Gangmitglied an einem einsamen Ort und wir reden auch noch übers Küssen. Aber ich habe keine. Tief in meinem Inneren weiß ich, er würde mir nie absichtlich wehtun oder mich zu etwas zwingen.
»Warum hast du mich gekidnappt?«, frage ich.
Er nimmt meine Hand und führt mich zur Fahrerseite. »Steig ein.«
»Warum?«
»Ich bringe dir jetzt bei, wie man diesen Wagen anständig fährt, bevor dein misshandelter Motor den Geist aufgibt.«
»Ich dachte, du wärst sauer auf mich. Warum hilfst du mir?«
»Weil ich es will.«
Oh. Das habe ich nicht erwartet. Mein Herz beginnt zu schmelzen, weil es sehr lange her ist, dass jemand etwas für mich getan hat, nur um mir zu helfen. Wobei … »Das tust du nicht etwa, damit ich dir einen Gefallen schulde, oder?«
Er schüttelt seinen Kopf.
»Echt?«
»Echt.«
»Und du bist nicht sauer auf mich, wegen etwas, das ich getan oder gesagt habe?«
»Ich bin frustriert, Brittany. Wegen dir. Und wegen meinem Bruder. Wegen einer Menge Mist.«
»Warum hast du mich dann hergebracht?«
»Stell keine Fragen, auf die du nicht die Antwort hören willst, okay?
»Okay.« Ich lasse mich auf den Fahrersitz gleiten und warte, bis er neben mir Platz nimmt.
»Bist du so weit?«, fragt er, nachdem er sich angeschnallt hat.
»Jawohl.«
Er lehnt sich rüber und steckt den Schlüssel in die Zündung. Als ich die Handbremse löse und den Wagen anlasse, säuft der Motor ab.
»Du hattest noch den Gang drin. Wenn du nicht mit dem Fuß auf der Kupplung bist, säuft dir der Motor ab, wenn du einen Gang drinhast.«
»Das weiß ich«, sage ich und komme mir saudumm vor. »Du machst mich nur nervös.«
Er nimmt für mich den Gang raus. »Stell deinen linken Fuß auf die Kupplung und deinen rechten auf die Bremse und leg den ersten Gang ein«, weist er mich an.
Ich setze meinen rechten Fuß auf das Gaspedal, löse den linken von der Kupplung und der Wagen schießt ruckartig vorwärts.
Er stützt sich mit der Hand auf dem Armaturenbrett ab. »Stopp.«
Ich halte den Wagen an und nehme den Gang raus.
»Du musst ihn langsam kommen lassen.«
Ich sehe ihn an. »Ihn kommen lassen?«
»Ja. Du weißt schon, mit Gas und Kupplung spielen.« Er zeigt mir mit den Händen, was er meint, und tut so, als seien seine Hände die Pedale. »Du nimmst den Fuß zu schnell von der Kupplung. Tarier Gas und Kupplung aus, fühle, wie sie ineinandergreifen. Versuch’s noch mal.«
Ich lege wieder den ersten Gang ein und lasse die Kupplung kommen, während ich aufs Gas trete.
»Langsam«, sagt er. »Spür, wie er kommt.«
Ich lasse die Kupplung noch ein Stück kommen, drücke das Gaspedal aber nicht völlig durch. »Ich glaube, ich hab es.«
»Lass die Kupplung jetzt los, aber gib nicht zu viel Gas.«
Ich versuche es, aber das Auto fährt ruckweise an und geht dann aus.
»Du hast den Motor abgewürgt. Nimm den Fuß nicht zu schnell von der Kupplung. Versuch’s noch mal«, sagt er völlig unbeeindruckt. Er regt sich nicht auf, ist nicht genervt oder will das Handtuch werfen. »Du musst mehr Gas geben. Lass den Motor nicht aufheulen, gib ihm nur genug Saft, um den Wagen in Bewegung zu setzen.«
Ich mache dieselben Dinge, aber dieses Mal fährt der Wagen an ohne zu ruckeln. Wir sind auf der Landebahn und bewegen uns in Schrittgeschwindigkeit.
»Tritt die Kupplung«, weist er mich an, dann legt er seine Hand über meine auf dem Schaltknüppel und hilft mir, in den Zweiten zu schalten. Ich versuche, seine sanfte Berührung und die Wärme seiner Hand zu ignorieren, die in einem solch unglaublichen Gegensatz zu seiner Persönlichkeit stehen, und mich auf die Aufgabe zu konzentrieren.
Er beweist sehr viel Geduld, als er mir bis ins Kleinste Anweisungen gibt, wie ich runterschalten soll, bis wir schließlich am Ende der Landebahn angekommen sind. Seine Finger sind immer noch um meine geschlungen.
»Fahrstunde vorbei?«, frage ich.
Alex räuspert sich. »Hm, ja.« Er nimmt seine Hand von meiner und fährt sich mit den Fingern durch seine schwarze Mähne, deren Strähnen ihm lose in die Stirn fallen.
»Danke«, sage ich.
»Schon gut, meine Ohren sind jedes Mal fast abgefallen, wenn ich deinen Motor auf dem Schulparkplatz hab röhren hören. Ich hab’s nicht getan, um nett zu sein.«
Ich drehe meinen Kopf zur Seite und versuche, ihn dazu zu bewegen, mich anzusehen. Was er nicht tut. »Warum ist es so wichtig für dich, als knallharter Typ zu gelten? Verrat es mir.«
Du oder das ganze Leben
cover.html
elke_9783641039455_oeb_cover_r1.html
elke_9783641039455_oeb_toc_r1.html
elke_9783641039455_oeb_ata_r1.html
elke_9783641039455_oeb_ded_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c01_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c02_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c03_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c04_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c05_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c06_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c07_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c08_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c09_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c10_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c11_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c12_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c13_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c14_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c15_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c16_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c17_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c18_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c19_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c20_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c21_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c22_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c23_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c24_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c25_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c26_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c27_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c28_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c29_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c30_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c31_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c32_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c33_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c34_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c35_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c36_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c37_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c38_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c39_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c40_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c41_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c42_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c43_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c44_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c45_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c46_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c47_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c48_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c49_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c50_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c51_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c52_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c53_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c54_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c55_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c56_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c57_r1.html
elke_9783641039455_oeb_c58_r1.html
elke_9783641039455_oeb_elg_r1.html
elke_9783641039455_oeb_ack_r1.html
elke_9783641039455_oeb_cop_r1.html