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Brittany
Ich halte bei einem McDonald’s, wo ich unerkannt
die Kleider wechseln kann, ziehe mir eine Jeans und einen
pinkfarbenen Pullover in Wickeloptik an und fahre nach Hause.
Ich bin außer mir vor Angst, weil die Sache mit
Alex mir über den Kopf wächst. Wenn ich mit ihm zusammen bin,
erlebe ich alles viel intensiver. Meine Wahrnehmung, meine Gefühle,
mein Verlangen. Ich war nie süchtig nach Colin, wollte nie
ununterbrochen mit ihm zusammen sein. Aber ich verzehre mich nach
Alex. Oh Gott, ich glaube, ich beginne ihn zu lieben.
Aber ich weiß auch, dass einen anderen Menschen zu
lieben bedeutet, einen Teil von mir zu verlieren. Und heute, im
Auto, als Alex mir unter das Kleid gegriffen hat, bekam ich
plötzlich Panik, die Kontrolle zu verlieren. Mein ganzes Leben
dreht sich darum, die Kontrolle zu behalten. Die Vorstellung, nicht
länger Herrin der Lage zu sein, jagt mir deshalb eine Riesenangst
ein.
Ich betrete das Haus durch die Vordertür, bereit,
mich in mein Zimmer zu schleichen und das Kleid im Schrank zu
verstecken. Dummerweise steht meine Mom in der Eingangshalle und
wartet auf mich.
»Wo warst du?«, fragt sie aufgebracht und hält mein
Chemiebuch und meinen Ordner in die Höhe. »Du hast gesagt, du gehst
zum Sport und dann lernst du mit diesem
Hernandez-Jungen.«
Aufgeflogen. Zeit, die Klappe zu halten oder alles
zu gestehen. »Sein Nachname ist Fuentes, nicht Hernandez. Und ja,
ich war mit ihm zusammen.«
Schweigen.
Die fest aufeinandergepressten Lippen meiner Mutter
bilden einen schmalen Strich. »Es ist offensichtlich, dass du nicht
lernen warst. Was hast du in deiner Sporttasche?«, will sie von mir
wissen. »Drogen? Versteckst du Drogen da drin?«
»Ich nehme keine Drogen«, erwidere ich
scharf.
Sie zieht eine Augenbraue hoch und zeigt auf meine
Tasche. »Mach sie auf«, verlangt sie.
Ich schnaube verächtlich und knie mich hin, um den
Reißverschluss zu öffnen. Ich komme mir vor wie eine
Strafgefangene. Ich ziehe das Kleid aus der Tasche, halte es hoch
und sehe sie herausfordernd an.
»Ein Kleid?«, fragt meine Mutter verblüfft.
»Ich war mit Alex auf einer Hochzeit. Seine Cousine
hat geheiratet.«
»Dieser Junge hat dich angestiftet, mich anzulügen.
Er manipuliert dich, Brittany.«
»Er hat mich zu rein gar nichts angestiftet, Mom«,
sage ich erschöpft. »Du könntest mir ruhig etwas mehr vertrauen.
Ich hab das alles von ganz allein getan.«
Ihre Wut ist auf dem Höhepunkt, dass erkenne ich an
der Art, wie ihre Augen blitzen und ihre Hände zittern. »Wenn ich
jemals herausfinde, dass du wieder mit diesem Jungen unterwegs
warst, werde ich deinen Vater ohne mit der Wimper zu zucken
überzeugen, dich für den Rest des Schuljahres auf ein Internat zu
schicken. Glaubst du nicht, ich habe mit Shelley genug, worüber ich
mir Sorgen machen muss? Versprich mir, dass du ihn außerhalb der
Schule nicht wiedersehen wirst.«
Ich verspreche es, dann renne ich auf mein Zimmer
und rufe Sierra an.
»Was gibt’s?«, fragt sie.
»Sierra, ich brauche gerade ganz dringend eine
beste Freundin.«
»Und da hast du dich für mich entschieden? Wow, das
ehrt mich aber«, sagt sie trocken.
»Schon gut, ich habe dich angelogen. Ich mag Alex.
Sehr sogar.«
Schweigen.
Schweigen.
»Sierra, bist du noch da? Oder hast du beschlossen,
mich zu ignorieren?«
»Ich ignoriere dich nicht, Brit. Ich wundere mich
nur, warum du mir das gerade jetzt erzählst.«
»Weil ich unbedingt darüber reden muss. Hasst du
mich?«
»Du bist meine beste Freundin«, erwidert sie.
»Und du meine.«
»Beste Freundinnen sind immer noch beste
Freundinnen, sogar wenn eine von ihnen beschließt, den Verstand zu
verlieren und einen Gangster zu daten. Stimmt’s?«
»Ich hoffe es.«
»Brit, lüg mich nie wieder an.«
»Das werde ich nicht. Und du kannst es Doug
erzählen, solange er verspricht, es für sich zu behalten.«
»Danke, dass du mir vertraust, Brit. Dir ist es
vielleicht nicht klar, aber das bedeutet mir eine Menge.«
Nachdem ich ihr die ganze Story erzählt habe und
mit dem guten Gefühl auflege, dass zwischen uns wieder alles beim
Alten ist, klingelt mein Telefon. Es ist Isabel.
»Ich muss mit dir reden«, sagt Isabel, als ich
drangehe.
»Was ist los?«
»Hast du Paco heute gesehen?«
Hm … so viel zu Geheimnissen. »Ja.«
»Hast du mich ihm gegenüber erwähnt?«
»Nein. Warum? Wolltest du das denn?«
»Nein. Ja. Ach, ich weiß nicht. Ich bin so
durcheinander.«
»Isabel, sag ihm einfach, was du für ihn
empfindest. Bei mir und Alex hat es funktioniert.«
»Klar, du bist ja auch Brittany Ellis.«
»Willst du wissen, wie es ist, Brittany Ellis zu
sein? Ich verrat es dir. Ich bin unsicher, genau wie jeder andere.
Und ich bin einem riesigen Druck ausgesetzt, meiner Rolle zu
entsprechen, damit das Bild, das die Leute sich von mir machen,
nicht in tausend Stücke zerspringt und sie erkennen, dass ich in
Wirklichkeit genau wie jeder andere auch bin. Und das macht mich
verletzbarer, ich werde genauer unter die Lupe genommen und
schneller das Opfer von Gerüchten.«
»Dann werden dir die Gerüchte, die meine Freunde
sich über dich und Alex erzählen, nicht besonders gefallen. Willst
du wissen, welche es sind?«
»Nein.«
»Bist du sicher?«
»Ja. Wenn du meine Freundin bist, erzähl sie mir
nicht.«
Denn wenn ich die Gerüchte erst mal kenne, werde
ich mich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Und in diesem
Augenblick möchte ich den Blick durch die rosarote Brille noch ein
wenig genießen.