41
Brittany
Ich halte bei einem McDonald’s, wo ich unerkannt die Kleider wechseln kann, ziehe mir eine Jeans und einen pinkfarbenen Pullover in Wickeloptik an und fahre nach Hause.
Ich bin außer mir vor Angst, weil die Sache mit Alex mir über den Kopf wächst. Wenn ich mit ihm zusammen bin, erlebe ich alles viel intensiver. Meine Wahrnehmung, meine Gefühle, mein Verlangen. Ich war nie süchtig nach Colin, wollte nie ununterbrochen mit ihm zusammen sein. Aber ich verzehre mich nach Alex. Oh Gott, ich glaube, ich beginne ihn zu lieben.
Aber ich weiß auch, dass einen anderen Menschen zu lieben bedeutet, einen Teil von mir zu verlieren. Und heute, im Auto, als Alex mir unter das Kleid gegriffen hat, bekam ich plötzlich Panik, die Kontrolle zu verlieren. Mein ganzes Leben dreht sich darum, die Kontrolle zu behalten. Die Vorstellung, nicht länger Herrin der Lage zu sein, jagt mir deshalb eine Riesenangst ein.
Ich betrete das Haus durch die Vordertür, bereit, mich in mein Zimmer zu schleichen und das Kleid im Schrank zu verstecken. Dummerweise steht meine Mom in der Eingangshalle und wartet auf mich.
»Wo warst du?«, fragt sie aufgebracht und hält mein Chemiebuch und meinen Ordner in die Höhe. »Du hast gesagt, du gehst zum Sport und dann lernst du mit diesem Hernandez-Jungen.«
Aufgeflogen. Zeit, die Klappe zu halten oder alles zu gestehen. »Sein Nachname ist Fuentes, nicht Hernandez. Und ja, ich war mit ihm zusammen.«
Schweigen.
Die fest aufeinandergepressten Lippen meiner Mutter bilden einen schmalen Strich. »Es ist offensichtlich, dass du nicht lernen warst. Was hast du in deiner Sporttasche?«, will sie von mir wissen. »Drogen? Versteckst du Drogen da drin?«
»Ich nehme keine Drogen«, erwidere ich scharf.
Sie zieht eine Augenbraue hoch und zeigt auf meine Tasche. »Mach sie auf«, verlangt sie.
Ich schnaube verächtlich und knie mich hin, um den Reißverschluss zu öffnen. Ich komme mir vor wie eine Strafgefangene. Ich ziehe das Kleid aus der Tasche, halte es hoch und sehe sie herausfordernd an.
»Ein Kleid?«, fragt meine Mutter verblüfft.
»Ich war mit Alex auf einer Hochzeit. Seine Cousine hat geheiratet.«
»Dieser Junge hat dich angestiftet, mich anzulügen. Er manipuliert dich, Brittany.«
»Er hat mich zu rein gar nichts angestiftet, Mom«, sage ich erschöpft. »Du könntest mir ruhig etwas mehr vertrauen. Ich hab das alles von ganz allein getan.«
Ihre Wut ist auf dem Höhepunkt, dass erkenne ich an der Art, wie ihre Augen blitzen und ihre Hände zittern. »Wenn ich jemals herausfinde, dass du wieder mit diesem Jungen unterwegs warst, werde ich deinen Vater ohne mit der Wimper zu zucken überzeugen, dich für den Rest des Schuljahres auf ein Internat zu schicken. Glaubst du nicht, ich habe mit Shelley genug, worüber ich mir Sorgen machen muss? Versprich mir, dass du ihn außerhalb der Schule nicht wiedersehen wirst.«
Ich verspreche es, dann renne ich auf mein Zimmer und rufe Sierra an.
»Was gibt’s?«, fragt sie.
»Sierra, ich brauche gerade ganz dringend eine beste Freundin.«
»Und da hast du dich für mich entschieden? Wow, das ehrt mich aber«, sagt sie trocken.
»Schon gut, ich habe dich angelogen. Ich mag Alex. Sehr sogar.«
Schweigen.
Schweigen.
»Sierra, bist du noch da? Oder hast du beschlossen, mich zu ignorieren?«
»Ich ignoriere dich nicht, Brit. Ich wundere mich nur, warum du mir das gerade jetzt erzählst.«
»Weil ich unbedingt darüber reden muss. Hasst du mich?«
»Du bist meine beste Freundin«, erwidert sie.
»Und du meine.«
»Beste Freundinnen sind immer noch beste Freundinnen, sogar wenn eine von ihnen beschließt, den Verstand zu verlieren und einen Gangster zu daten. Stimmt’s?«
»Ich hoffe es.«
»Brit, lüg mich nie wieder an.«
»Das werde ich nicht. Und du kannst es Doug erzählen, solange er verspricht, es für sich zu behalten.«
»Danke, dass du mir vertraust, Brit. Dir ist es vielleicht nicht klar, aber das bedeutet mir eine Menge.«
Nachdem ich ihr die ganze Story erzählt habe und mit dem guten Gefühl auflege, dass zwischen uns wieder alles beim Alten ist, klingelt mein Telefon. Es ist Isabel.
»Ich muss mit dir reden«, sagt Isabel, als ich drangehe.
»Was ist los?«
»Hast du Paco heute gesehen?«
Hm … so viel zu Geheimnissen. »Ja.«
»Hast du mich ihm gegenüber erwähnt?«
»Nein. Warum? Wolltest du das denn?«
»Nein. Ja. Ach, ich weiß nicht. Ich bin so durcheinander.«
»Isabel, sag ihm einfach, was du für ihn empfindest. Bei mir und Alex hat es funktioniert.«
»Klar, du bist ja auch Brittany Ellis.«
»Willst du wissen, wie es ist, Brittany Ellis zu sein? Ich verrat es dir. Ich bin unsicher, genau wie jeder andere. Und ich bin einem riesigen Druck ausgesetzt, meiner Rolle zu entsprechen, damit das Bild, das die Leute sich von mir machen, nicht in tausend Stücke zerspringt und sie erkennen, dass ich in Wirklichkeit genau wie jeder andere auch bin. Und das macht mich verletzbarer, ich werde genauer unter die Lupe genommen und schneller das Opfer von Gerüchten.«
»Dann werden dir die Gerüchte, die meine Freunde sich über dich und Alex erzählen, nicht besonders gefallen. Willst du wissen, welche es sind?«
»Nein.«
»Bist du sicher?«
»Ja. Wenn du meine Freundin bist, erzähl sie mir nicht.«
Denn wenn ich die Gerüchte erst mal kenne, werde ich mich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Und in diesem Augenblick möchte ich den Blick durch die rosarote Brille noch ein wenig genießen.
Du oder das ganze Leben
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