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Brittany
Seit wir das Thema für unsere Facharbeit bekommen
haben, war mein Chemiepartner nicht mehr in der Schule. Eine Woche
später schlendert er schließlich in die Klasse. Ich bin total
angepisst, denn egal, was bei mir zu Hause abgeht, ich komme immer
zur Schule.
»Nett von dir, mal wieder vorbeizuschauen«, sage
ich.
»Nett, dass es dir auffällt«, erwidert er und zieht
das Bandana vom Kopf.
Mrs Peterson betritt den Raum. Als sie Alex sieht,
wirkt sie erleichtert. Sie atmet kurz durch, dann sagt sie:
»Eigentlich wollte ich heute einen unangekündigten Test schreiben,
aber stattdessen lasse ich euch mit euren Partnern in der
Bibliothek recherchieren. Ein grober Entwurf eurer Arbeit ist in
zwei Wochen fällig.«
Colin und ich gehen Hand in Hand zur Bibliothek.
Alex ist irgendwo hinter uns und unterhält sich auf Spanisch mit
seinen Freunden.
Colin drückt meine Hand. »Sollen wir uns nach dem
Training treffen?«
»Ich kann nicht. Nach dem Cheerleading muss ich
direkt nach Hause.« Baghda hat am Samstag das Handtuch geschmissen
und meine Mom ist total ausgetickt. Bis sie jemand anderen findet,
muss ich sie unterstützen.
Colin bleibt stehen und löst seine Hand aus meiner.
»Scheiße, Brit. Meinst du nicht, du solltest mal wieder etwas Zeit
mit mir verbringen?«
»Du könntest vorbeikommen«, biete ich ihm an.
»Um zuzusehen, wie du dich um deine Schwester
kümmerst? Nein danke. Ich will mich nicht aufführen wie ein Arsch,
aber ich möchte Zeit mit dir allein … nur du und ich.«
»Ich weiß, ich doch auch.«
»Wie sieht es mit Freitag aus?«
Ich sollte bei Shelley bleiben, aber meine
Beziehung zu Colin steht auf dem Spiel und ich kann nicht zulassen,
dass er denkt, ich möchte nicht mit ihm zusammen sein. »Freitag ist
okay für mich.«
Bevor wir unsere Pläne mit einem Kuss besiegeln
können, steht Alex schon vor uns und räuspert sich. »Keine
öffentlich zur Schau gestellte Zuneigung bitte. Schulregel.
Außerdem ist sie meine Partnerin, Pickelgesicht. Nicht
deine.«
»Halt’s Maul, Fuentes«, zischt Colin, dann gesellt
er sich zu Darlene.
Ich stütze eine Hand in die Hüfte und starre Alex
erbost an. »Seit wann kümmern dich die Schulregeln?«
»Seit du meine Chemiepartnerin bist. Während des
Kurses gehörst du mir, den Rest der Zeit bist du sein
Besitz.«
»Willst du nach deiner Keule suchen und mich an den
Haaren in die Bibliothek zerren?«
»Ich bin kein Neandertaler. Dein Freund ist der
Affenmensch, nicht ich.«
»Dann hör auf, dich wie einer zu benehmen.«
Sämtliche Leseplätze in der Bibliothek sind belegt, sodass wir
gezwungen sind, uns ein Plätzchen in der hintersten Ecke des Raumes
zu suchen und uns dort in der Sachbuchabteilung auf den
Teppichboden zu setzen. Ich lege meine Bücher ab und bemerke,
dass Alex mich anstarrt. Beinahe so, als könne er die echte
Brittany entdecken, wenn er nur lange genug hinsieht. Keine Chance
– mein wahres Ich verberge ich vor jedem.
Ich starre zurück, weil dieses Spiel auch zwei
spielen können. Oberflächlich betrachtet, ist er unverwundbar. Aber
eine Narbe über seiner linken Braue verrät die Wahrheit … er ist
auch nur ein Mensch. Unter seinem Shirt zeichnen sich Muskeln ab,
wie man sie nur durch harte körperliche Arbeit oder regelmäßiges
Training bekommt.
Als unsere Blicke sich treffen und wir einander
tief in die Augen sehen, bleibt die Zeit stehen. Sein Blick ist
forschend und ich könnte schwören, in diesem Moment sieht er doch
mein wahres Ich. Ohne Glamour und ohne Fassade. Einfach nur
Brittany.
»Was müsste ich tun, damit du mit mir ausgehst?«,
fragt er.
»Das meinst du doch nicht ernst.«
»Sehe ich aus, als machte ich Witze?«
Mrs Peterson kommt zu uns und erspart mir
netterweise eine Antwort. »Ich behalte euch zwei im Auge. Alex, wir
haben dich letzte Woche vermisst. Was war los?«
»Sieht so aus, als sei ich auf ein Messer
gefallen.«
Sie schüttelt ungläubig den Kopf, dann geht sie
weiter, um andere Paare zu piesacken.
Ich sehe Alex mit großen Augen an. »Ein Messer? Das
ist doch nicht dein Ernst, oder?«
»Doch. Ich habe damit eine Tomate geschnitten und
stell dir vor, das Ding ist plötzlich durch die Luft geflogen und
hat mir die Schulter aufgeschlitzt. Der Arzt hat mich
zusammengetackert. Willst du mal sehen?«, fragt er und beginnt,
seinen Ärmel hochzuziehen.
Ich lege meine Hand über die Augen. »Alex, das ist
ekelhaft. Und ich glaube dir nicht eine Sekunde, dass dir das
Messer aus der Hand geflogen ist. Das sind Kampfspuren.«
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, sagt
er, ohne meine Theorie über seine Wunde zu bestätigen oder
abzustreiten. »Was müsste ich tun, damit du mit mir
ausgehst?«
»Nichts. Ich würde nicht mit dir ausgehen.«
»Ich wette, wenn wir ein bisschen rummachten,
würdest du deine Meinung ändern.«
»Als ob das je passieren würde!«
»Dein Verlust.« Alex streckt seine langen Beine
aus, das Chemiebuch liegt in seinem Schoß. Er sieht mich mit seinen
schokoladenbraunen Augen an. Der Blick ist so intensiv, dass ich
mir sicher bin, er könnte damit jemanden hypnotisieren. »Bist du so
weit?«, fragt er.
Für eine Nanosekunde, in der ich diese dunklen
Augen betrachte, frage ich mich, wie es wäre, Alex zu küssen. Mein
Blick fällt auf seine Lippen. Für weniger als eine Nanosekunde
meine ich zu spüren, wie sie näher kommen. Würden sie sich fest auf
meinen anfühlen oder sanft? Lässt er sich Zeit beim Küssen oder
sind seine Küsse so hungrig und fieberhaft wie der Rest seiner
Persönlichkeit?
»Bereit wofür?«, flüstere ich und lehne mich zu
ihm.
»Unsere Projektarbeit«, sagt er. »Handwärmer.
Petersons Kurs. Chemie.«
Ich schüttle den Kopf, um all die lächerlichen
Gedanken aus meinem hormongesteuerten Teeniehirn zu schleudern. Ich
muss geistig umnachtet sein. »Ja genau, Handwärmer.« Ich öffne mein
Chemiebuch.
»Brittany?«
»Was?«, erwidere ich, die Wörter auf der Buchseite
anstarrend. Ich habe keinen Schimmer, was ich da gerade lese, denn
das Ganze ist mir so peinlich, dass ich mich nicht konzentrieren
kann.
»Du hast mich angesehen, als wolltest du mich
küssen.«
Ich lache gezwungen. »Ja, klar«, sage ich
sarkastisch.
»Keiner sieht uns zu, du könntest es also
versuchen. Ich will ja nicht angeben, aber ich bin so was wie ein
Experte auf dem Gebiet.«
Er schenkt mir ein laszives Lächeln, eins, das
wahrscheinlich geschaffen wurde, um Mädchenherzen auf der ganzen
Welt zum Schmelzen zu bringen.
»Alex, du bist nicht mein Typ.« Ich muss ihm kontra
geben, damit er aufhört, mich anzusehen, als hätte er Dinge mit mir
vor, die ich bisher nur vom Hörensagen kenne.
»Du stehst wohl nur auf weiße Typen?«
»Hör auf damit«, fauche ich ihn mit
zusammengebissenen Zähnen an.
»Womit?«, fragt er und wird plötzlich ernst. »Es
ist doch die Wahrheit, oder?«
Mrs Peterson ist mit einem Mal wieder bei uns. »Wie
kommt ihr mit eurem Exposé zurecht?«, will sie wissen.
Ich setze ein künstliches Lächeln auf.
»Fantastisch.« Unter dem strengen Blick von Mrs Peterson hole ich
die Blätter mit den Recherchen aus der Tasche, die ich zu Hause
gemacht habe. »Ich habe gestern Abend einiges über Handwärmer
herausgefunden. Wir müssen eine Lösung von sechzig Gramm
Natriumacetat und hundert Milliliter Wasser bei einundzwanzig Grad
erhitzen.«
»Falsch«, sagt Alex.
Ich blicke hoch und merke, dass Mrs Peterson
gegangen ist. »Wie bitte?«
Alex verschränkt die Arme vor der Brust. »Du liegst
falsch.«
»Das glaube ich nicht.«
»Glaubst du etwa, du liegst nie daneben?«
Er sagt es, als sei ich eine kleine dumme
Superblondine, was mein Blut erst richtig zum Kochen bringt.
»Natürlich tue ich
das«, sage ich. Ich lasse meine Stimme so hoch und atemlos klingen
wie die eines echten Blondchens. »Erst letzte Woche habe ich
zartrosa Lipgloss von Bobbi Brown gekauft, wo doch ein kräftiges
Pink so viel besser zu meinem Teint gepasst hätte. Überflüssig zu
erwähnen, dass dieser Kauf ein totaler Reinfall war.«
Wahrscheinlich hat er erwartet, etwas in der Art aus meinem Mund
kommen zu hören. Ich frage mich, ob er mir die Nummer abnimmt oder
ob er meinen sarkastischen Unterton bemerkt hat.
»Darauf würde ich wetten«, sagt er.
»Und du? Hast du etwa noch nie falsch gelegen?«,
frage ich ihn.
»Doch, selbstverständlich«, erwidert er. »Letzte
Woche, als ich diese Bank neben dem Walgreens ausgeraubt habe, hab
ich dem Mann hinter dem Schalter befohlen, alle Fünfziger
rauszurücken, die er in der Kasse hatte. Dabei hätte ich mir lieber
die Zwanziger geben lassen sollen, denn davon waren viel mehr
da.«
Okay, er hat also mitbekommen, dass ich ihn
verarscht habe. Und er hat den Ball mit seinem eigenen lächerlichen
Szenario sofort zu mir zurückgespielt, was mich etwas
durcheinanderbringt, da es heißt, dass wir einander auf irgendeine
kranke Art und Weise doch ähnlich sind. Ich lege eine Hand auf die
Brust und schnappe nach Luft, spiele das Spiel mit. »Was für eine
Katastrophe.«
»Ich schätze also, wir können beide falsch
liegen.«
Ich recke das Kinn in die Luft und verkünde
eigensinnig: »Was Chemie angeht, liege ich richtig. Im Gegensatz zu
dir nehme ich diesen Kurs nämlich ernst.«
»Dann lass uns wetten. Wenn ich recht habe, küsst
du mich«, schlägt er vor.
»Und wenn ich recht habe?«
»Such dir was aus.«
Ich grinse. Das ist, als würde man einem Kind seine
Süßigkeiten wegnehmen. Mr Machos Ego wird einen empfindlichen
Dämpfer erleiden und ich bin nur allzu glücklich darüber, dass ich
diejenige sein werde, die ihm diesen Dämpfer verpasst. »Wenn ich
gewinne, wirst du mich und diese Arbeit ernst nehmen«, erkläre ich
ihm. »Du nervst mich nicht mehr, du gibst keine blöden Kommentare
mehr ab.«
»Einverstanden. Ich würde mir übrigens mies
vorkommen, wenn ich dir nicht erzählen würde, dass ich ein
fotografisches Gedächtnis besitze.«
»Alex, ich würde mich mies fühlen, wenn ich dir
nicht sagen würde, dass ich die Infos direkt aus dem Buch
abgeschrieben habe.« Ich blicke auf meine Rechercheergebnisse, dann
schlage ich die entsprechende Seite in meinem Chemiebuch auf. »Ohne
hinzugucken, auf welche Temperatur muss es heruntergekühlt
werden?«, frage ich.
Alex ist ein Typ, der Herausforderungen liebt. Aber
dieses Mal wird der harte Kerl verlieren. Er klappt sein eigenes
Buch zu. Seine Miene drückt Entschlossenheit aus. »Minus sechs
Komma sechs. Und die Lösung muss auf siebenunddreißig Grad erhitzt
werden«, antwortet er selbstbewusst.
Ich scanne die Seite, dann meine Notizen. Dann
wieder die Seite. Ich kann mich doch nicht dermaßen geirrt haben.
Welche Seite habe ich … »Ach, tatsächlich. Siebenunddreißig Grad.«
Ich sehe ihn fassungslos an. »Du hast recht.«
»Küsst du mich jetzt oder nachher?«
»Jetzt sofort«, erwidere ich, was ihn
offensichtlich schockt, denn er erstarrt. Zu Hause wird mir mein
Leben von Mom und Dad diktiert. In der Schule ist es etwas anderes.
Und ich muss dafür sorgen, dass es so bleibt, denn wenn ich die
Kontrolle über sämtliche Bereiche meines Lebens verliere, kann ich
genauso gut Schaufensterpuppe werden.
»Echt?«, fragt er.
»Ja.« Ich nehme eine seiner Hände in meine. Ich
wäre nie so forsch, wenn wir Zuschauer hätten, und ich bin dankbar
für die Privatsphäre, die uns die Sachbücher gewähren. Seine Atmung
verlangsamt sich, als ich mich hinknie und zu ihm beuge. Ich
ignoriere die Tatsache, dass seine Finger lang und rau sind und ich
ihn noch nie zuvor berührt habe. Ich bin nervös. Dabei gibt es
dafür keinen Grund. Ich bin dieses Mal diejenige, die die Kontrolle
hat.
Ich fühle, dass er sich zurückhält. Er lässt mich
machen. Was gut ist. Ich habe Angst davor, was dieser Junge alles
tun könnte, wenn er das Ruder übernähme.
Ich lege seine Hand an meine Wange, sodass sie mein
Gesicht umfängt und höre ihn leise stöhnen. Ich unterdrücke ein
Lächeln, denn seine Reaktion beweist, dass ich Macht über ihn
habe.
Er hält vollkommen still, als unsere Blicke sich
treffen.
Die Zeit steht wieder still.
Dann drehe ich den Kopf in seiner Hand und küsse
die Innenseite seiner Hand.
»Bitte sehr, ich habe dich geküsst«, sage ich, lass
seine Hand los und beende das Spiel.
Mr Latinlover mit dem Riesenego ist von einer
kleinen dummen Superblondine reingelegt worden.