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Brittany
Nachdem ich zwei Boxen Kleenex verbraucht hatte,
hat Sierra aufgegeben, mich trösten zu wollen, und ich habe mich in
den Schlaf geweint. Am Morgen bitte ich sie, die Vorhänge
geschlossen zu halten und die Rollläden unten. Es ist nichts
verkehrt daran, den ganzen Tag im Bett zu bleiben, oder?
»Danke, dass du nicht gesagt hast ›ich hab’s dir ja
gleich gesagt‹«, meine ich, während ich ihren Schrank nach etwas
zum Anziehen durchsuche, nachdem sie mich gezwungen hat, doch noch
aufzustehen.
Sierra steht vor ihrer Kommode und legt etwas
Make-up auf. »Dass ich es nicht ausspreche, heißt nicht, dass ich
nicht genau das denke.«
»Danke«, erwidere ich trocken.
Sie holt eine Jeans und ein langärmliges T-Shirt
aus dem Schrank. »Hier, zieh das an. Du wirst in meinen Sachen
nicht halb so gut aussehen wie in deinen eigenen, aber immer noch
besser als jede andere an der Fairfield.«
»Sag so was nicht.«
»Warum? Es stimmt doch.«
»Nein, tut es nicht. Meine Oberlippe ist zu
fett.«
»Jungs finden das sexy. Filmstars zahlen viel Geld
für volle Lippen.«
»Meine Nase ist schief.«
»Nur, wenn man sie aus einem bestimmten Winkel
betrachtet.«
»Meine Titten sind unsymmetrisch.«
»Sie sind groß, Brit. Jungs sind versessen auf
große Titten. Ihnen ist egal, ob sie symmetrisch sind.« Sie zieht
mich vor den Spiegel. »Find dich damit ab, du bist wunderschön. Das
reinste Model. Okay, deine Augen sind blutunterlaufen und du hast
Tränensäcke unter den Augen, weil du die Nacht durchgeheult hast.
Aber alles in allem siehst du toll aus. Guck in den Spiegel, Brit
und sag laut: Ich bin die Schönste im ganzen Land.«
»Nein.«
»Komm schon. Du wirst dich besser fühlen. Sieh in
den Spiegel und schrei: Meine Titten rocken!«
»Nee.«
»Kannst du zumindest zugeben, dass du schönes Haar
hast?«
Ich sehe Sierra an. »Redest du etwa mit deinem
Spiegelbild?
»Tue ich. Willst du mal sehen?« Sie schubst mich
zur Seite und stellt sich direkt vor den Spiegel. »Nicht schlecht,
Sierra«, sagt sie zu sich. »Doug ist ein Glückspilz.« Sie dreht
sich zu mir um. »Siehst du, es ist ganz einfach.«
Anstatt zu lachen, fange ich an zu weinen.
»Bin ich so hässlich?«
Ich schüttle den Kopf.
»Ist es, weil meine Klamotten keinen Glamour haben?
Ich weiß, deine Mom hat dich rausgeworfen, aber meinst du, sie
lässt uns in dein Zimmer und deinen Schrank räubern? Ich weiß
nicht, wie lange du es noch aushältst, meine Sachen in Größe
achtunddreißig an deinem Vierunddreißiger-Körper zu tragen.«
Meine Mom hat letzte Nacht nicht angerufen und nach
mir gefragt. Ich hatte es irgendwie erwartet, aber andererseits
erfüllt sie ja nur selten meine Erwartungen. Und mein Dad … er weiß
wahrscheinlich noch nicht mal, dass ich nicht zu Hause geschlafen
habe. Sie können meine Sachen behalten. Aber ich werde mich
tagsüber mal reinschleichen, um nach Shelley zu sehen.
»Willst du meinen Rat?«, fragt Sierra.
Ich sehe sie unsicher an. »Ich weiß nicht. Du hast
die Vorstellung von mir und Alex als Paar von Anfang an
gehasst.«
»Das ist nicht wahr, Brit. Ich habe dir das nie
gesagt, aber er ist eigentlich ein netter Kerl, wenn er sich etwas
locker macht. Ich hatte viel Spaß an dem Tag, als wir alle zum Lake
Geneva gefahren sind. Doug auch, er hat sogar gesagt, dass es cool
war, mit Alex abzuhängen. Ich weiß nicht, was zwischen euch beiden
vorgefallen ist, aber entweder schlägst du ihn dir jetzt aus dem
Kopf oder du setzt sämtliche Waffen ein, die dir zur Verfügung
stehen.«
»Machst du das so bei Doug?«
Sie lächelt. »Manchmal muss ich Doug ein bisschen
wachrütteln. Wenn unsere Beziehung zu eintönig wird, tue ich etwas,
um sie aufzupeppen. Versteh meinen Rat nicht als Aufforderung, Alex
hinterherzulaufen. Aber wenn es das ist, was du wirklich willst,
welches Recht hätte ich dann, dir zu sagen, du solltest es besser
bleiben lassen? Ich hasse es, dich so traurig zu sehen,
Brit.«
»War ich denn mit Alex glücklich?«
»Besessen trifft es eher. Aber ja, du schienst sehr
glücklich. Glücklicher als du seit langer, langer Zeit gewesen
bist. Wenn du mit jemandem zusammen bist, den du so gern hast, sind
die Tiefen tiefer und die Höhen höher. Ergibt das einen
Sinn?«
»Ja. Aber es klingt auch, als hätte ich einen an
der Waffel.«
»Genau das macht Liebe mit einem Menschen.«