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Brittany
»Ich glaube einfach nicht, dass du mit Colin
Schluss gemacht hast.« Sierra sitzt nach dem gemeinsamen
Familien-Abendessen auf meinem Bett und lackiert sich die Nägel.
»Ich hoffe, du wirst deine Entscheidung nicht bereuen, Brit. Ihr
zwei seid so lange zusammen gewesen. Ich dachte wirklich, du liebst
ihn. Du hast sein Herz gebrochen, weißt du das? Er hat geweint, als
er Doug angerufen hat.«
Ich setze mich auf. »Ich möchte nur glücklich sein.
Colin macht mich nicht mehr glücklich. Er hat zugegeben, mich in
den Sommerferien mit diesem Mädchen betrogen zu haben. Er hat mit
ihr geschlafen, Sierra.«
»Das kann unmöglich wahr sein!«
»Glaub mir. Das mit Colin und mir war vorbei, als
er in die Ferien gefahren ist. Es hat nur eine Weile gedauert, bis
ich erkannt habe, dass es nicht mehr zu kitten ist.«
»Also hast du was mit Alex angefangen? Colin denkt,
du tauschst mehr mit deinem Chemiepartner aus als bloß
Reagenzgläser.«
»Nein«, lüge ich. Sierra ist zwar meine beste
Freundin, aber sie glaubt auch fest an soziale Unterschiede. Obwohl
ich ihr die Wahrheit sagen möchte, kann ich es nicht. Nicht
heute.
Sierra schraubt den Deckel auf das
Nagellackfläschchen und fährt mich wütend an: »Ich bin deine beste
Freundin, Brit, ob
du es nun glaubst oder nicht. Du lügst mich gerade an. Gib es
zu.«
»Was willst du von mir hören?«, frage ich.
»Vielleicht versuchst du es zur Abwechslung mal mit der Wahrheit.
Mensch, Brit. Ich verstehe, dass du nicht möchtest, dass Darlene
was davon mitbekommt, weil sie gerade emotional nicht
zurechnungsfähig ist. Und ich verstehe, dass du nicht möchtest,
dass die M&Ms alles wissen. Aber ich bin schließlich deine
beste Freundin, erinnerst du dich? Diejenige, die von Shelly weiß
und davon, wie deine Mutter dich fertigmacht.«
Sierra nimmt ihre Handtasche und wirft sie sich
über die Schulter.
Ich will nicht, dass sie wütend auf mich ist,
sondern dass sie versteht, warum ich sie nicht einweihe. »Was ist,
wenn du mit Doug darüber reden möchtest? Ich will dich nicht in die
Verlegenheit bringen, ihn anlügen zu müssen.«
Sierra schenkt mir ein höhnisches Lächeln, das dem
gleicht, das ich ständig benutze. »Du kannst mich mal, Brit. Vielen
Dank – es ist ein super Gefühl, wenn einem die beste Freundin nicht
vertraut.« Bevor sie aus dem Zimmer geht, dreht sie sich noch mal
um und sagt: »Es gibt doch Leute mit selektiver Wahrnehmung, oder?
Du leidest an selektiver Offenbarung. Ich habe dich heute im Gang
beobachtet, wie du dich intensiv mit Isabel Avila unterhalten hast.
Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, du hast ihr
ein Geheimnis anvertraut.« Sie wirft die Hände in die Luft. »Okay,
ich gebe zu, ich bin eifersüchtig, dass meine beste Freundin einer
anderen mehr anvertraut als mir. Wenn du endlich kapierst, dass ich
nichts anderes will, als dich glücklich zu sehen, dann ruf mich
an.«
Sie hat recht. Aber diese Sache mit Alex ist so
frisch und ich fühle mich deswegen so verwundbar. Isabel ist die
Einzige, die sowohl Alex als auch mich kennt, also habe ich mich an
sie gewandt.
»Sierra, du bist meine beste Freundin«, sage ich und hoffe, sie
weiß, dass es die Wahrheit ist. Ich habe vielleicht ein Problem,
anderen Menschen zu vertrauen, aber das ändert nichts an der
Tatsache, dass sie die engste Freundin ist, die ich habe.
»Dann verhalte dich auch so«, sagt sie und
geht.
Als ich zu meinem Teffpunkt mit Alex fahre, wische
ich zwischendurch einen Schweißtropfen ab, der von meiner
Augenbraue zu tropfen droht.
Ich habe ein maßgeschneidertes cremefarbenes
Sommerkleid mit Spaghettiträgern für die Hochzeit ausgewählt, auf
die wir gemeinsam gehen wollen. Weil meine Eltern zurück sein
werden, wenn ich nach Hause komme, habe ich Kleidung zum Wechseln
in meine Sporttasche gepackt. Meine Mom wird die Brittany zu
Gesicht bekommen, die sie zu sehen erwartet – die perfekte Tochter.
Wen kümmert es schon, dass es nur Fassade ist, solange es sie
glücklich macht. Sierra hatte recht: Ich leide an selektiver
Offenbarung.
Ich biege um die Ecke und fahre die Gasse bis zur
Werkstatt vor. Als ich Alex entdecke, der an sein Motorrad gelehnt
auf dem Parkplatz auf mich wartet, setzt mein Herz einen Schlag
lang aus.
Oh Mann, ich stecke in großen
Schwierigkeiten.
Von seinem allgegenwärtigen Bandana ist weit und
breit nichts zu sehen. Alex’ dichtes schwarzes Haar fällt ihm in
die Stirn und fordert mich geradezu heraus, es zurückzustreichen.
Eine schwarze Hose und ein schwarzes Seidenhemd ersetzen Jeans und
T-Shirt. Er sieht wie ein junger mexikanischer Draufgänger aus. Ich
kann ein Lächeln nicht unterdrücken, als ich neben ihm parke.
»Querida, du siehst aus, als hättest du ein
Geheimnis.«
Habe ich auch, denke ich, als ich aus dem Wagen
steige. Dich.
»Dios mío. Du siehst … preciosa
aus.«
Ich drehe mich im Kreis. »Ist das Kleid
okay?«
»Komm her«, sagt er und zieht mich an sich. »Ich
möchte nicht mehr auf die Hochzeit gehen. Ich will dich lieber ganz
für mich allein.«
»Kommt nicht in Frage«, sage ich und streiche ihm
langsam mit einem Finger über Wange und Kinn.
»Du machst mich fertig.«
Ich liebe diese spielerische Seite an Alex. Sie
lässt mich alle Dämonen vergessen.
»Ich bin gekommen, um eine Latinohochzeit zu sehen,
und erwarte, dass du dein Versprechen hältst«, verkünde ich
ihm.
»Und ich dachte schon, du wärst gekommen, um Zeit
mit mir zu verbringen.«
»Du hast ein gewaltiges Ego, Fuentes.«
»Das ist nicht alles, was ich habe.« Er presst mich
gegen meinen Wagen, sein Atem an meinem Hals heizt mich mehr auf
als die Mittagssonne. Ich schließe die Augen und erwarte, seine
Lippen auf meinen zu spüren, aber stattdessen höre ich seine
Stimme. »Gib mir deine Schlüssel«, sagt er, greift danach und nimmt
sie mir aus der Hand.
»Du wirst sie hoffentlich nicht in die Büsche
schmeißen, oder?«
»Führ mich nicht in Versuchung.«
Alex öffnet die Tür meines Wagens und setzt sich
auf den Fahrersitz.
»Willst du mir nicht die Tür öffnen?«, frage ich
verwirrt.
»Nein, ich stelle dein Auto im Laden ab, damit es
nicht geklaut wird. Das ist ein offizielles Date. Ich fahre.«
Ich deute auf sein Motorrad. »Glaub ja nicht, dass
ich auf das Ding da steige.«
Seine linke Augenbraue hebt sich ein Stück. »Warum
nicht? Ist Julio nicht gut genug für dich?«
»Julio? Du hast dein Motorrad Julio genannt?«
»Nach dem Großonkel, der meinen Eltern geholfen
hat, von Mexiko hierher zu kommen.«
»Ich hab nichts gegen Julio. Ich möchte nur nicht
in diesem kurzen Kleid auf ihm sitzen. Außer, du möchtest, dass
alle Welt meine Unterwäsche bewundern kann.«
Er reibt sich das Kinn, als müsste er darüber
nachdenken. »Da bekämen die Leute mal was geboten.«
Ich verschränke die Arme über der Brust.
»Das war ein Scherz. Wir nehmen den Wagen von
meinem Cousin.« Wir steigen in einen schwarzen Camry, der auf der
anderen Straßenseite parkt.
Nachdem wir ein paar Minuten gefahren sind, zieht
er eine Zigarette aus einem Päckchen, das auf dem Armaturenbrett
liegt. Das Klicken des Feuerzeugs lässt mich zusammenzucken.
»Was ist?«, fragt er und zündet die Zigarette an,
die in seinem Mundwinkel hängt.
Er kann rauchen, wenn er will. Das ist vielleicht
ein richtiges Date, aber ich bin nicht seine Freundin oder so was.
Ich schüttle den Kopf. »Nichts.«
Ich höre, wie er ausatmet. Der Zigarettenqualm
brennt stärker in meinen Nasenlöchern als das Parfüm meiner Mutter.
Ich kurble das Fenster ganz runter und unterdrücke ein
Husten.
Als er an einer Ampel anhält, sieht er zu mir
rüber. »Wenn du ein Problem damit hast, dass ich rauche, sag es
mir.«
»Also schön, ich habe ein Problem damit, dass du
rauchst«, gestehe ich ihm.
»Warum hast du das nicht einfach gesagt?«, fragt er
und drückt die Zigarette im Aschenbecher des Wagens aus.
»Ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich gern
rauchst«, sage ich, als er weiterfährt.
»Es entspannt mich.«
»Mache ich dich etwa nervös?«
Sein Blick wandert von meinen Augen über meine
Brüste dorthin, wo mein Kleid auf meine Oberschenkel trifft. »In
diesem Kleid schon.«