45
Brittany
Nach dem Spiel am Samstagnachmittag, einem Spiel, das wir dank Dougs Touchdownpass vier Sekunden vor Spielende gewonnen haben, unterhalte ich mich mit Sierra und den M&Ms am Spielfeldrand. Wir diskutieren gerade darüber, wo wir hingehen wollen, um den Sieg zu feiern.
»Wie wäre es mit Lou Malnatis?«, ruft Morgan aus.
Alle sind einverstanden, weil es der beste Pizzaschuppen in der Stadt ist. Megan ist auf Diät und liebt den gemischten Salat dort über alles, also ist die Sache geritzt.
Während wir die Logistik besprechen, fällt mein Blick auf Isabel, die sich mit Maria Ruiz unterhält. Ich gehe zu ihnen rüber. »Hi, Leute«, sage ich. »Kommt ihr mit zu Lou Malnatis?«
Maria zieht verwirrt die Augenbrauen kraus. Nicht so Isabel. »Klar«, antwortet sie.
Maria guckt von Isabel zu mir, dann wieder zurück. Sie sagt etwas auf Spanisch zu Isabel und stimmt anschließend zu, uns dort zu treffen.
»Was hat sie gesagt?«
»Sie wollte wissen, warum du uns gefragt hast, ob wir mit dir und deinen Freundinnen abhängen wollen.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Ich habe ihr gesagt, dass ich eine von deinen Freundinnen bin. Und nur so als Tipp: Meine Freundinnen nennen mich Isa, nicht Isabel.«
Ich nehme die beiden mit rüber zu meinen Freundinnen und werfe Sierra einen unsicheren Blick zu. Schließlich hat sie vor nicht allzu langer Zeit zugegeben, eifersüchtig auf meine Freundschaft zu Isabel zu sein. Aber anstatt sich ihr gegenüber kühl zu verhalten, lächelt sie Isabel an und bittet sie, ihr zu zeigen, wie sie den doppelten Rückwärtssalto macht, der in einer unserer Performances vorkommt. Daran sieht man wieder, warum sie meine beste Freundin ist. Madison scheint ebenso verblüfft wie Maria, als ich allen erzähle, dass Maria und Isabel mit uns zu Lou Malnatis kommen, aber sie enthält sich jeden Kommentars.
Vielleicht, und auch nur vielleicht, ist es ein kleiner Schritt zu dem, was Dr. Aguirre »den Riss in der Schulkultur kitten« genannt hat. Ich bin nicht so naiv zu glauben, ich könnte die Dinge in Fairfield über Nacht ändern, aber in den vergangenen Wochen habe ich meine Ansicht über verschiedene Leute geändert. Ich hoffe, auch sie sehen mich jetzt in neuem Licht.
Im Restaurant sitze ich neben Isabel. Eine Horde Jungs aus dem Footballteam stürmt herein. Lou Malnatis ist nun fest in der Hand der Fairfield-High-Schüler. Darlene und Colin sind unter ihnen. Er hat den Arm um sie gelegt, als seien sie ein Paar.
Sierra, die auf meiner anderen Seite sitzt, meint: »Sag mir, dass sie ihre Hand nicht in seiner Tasche hat. Das ist ja so billig!«
»Ist mir egal«, erwidere ich, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie sich keine Sorgen um mich zu machen braucht. »Wenn sie es miteinander versuchen wollen, ist mir das nur recht.«
»Sie tut es doch nur, weil sie alles haben will, das dir gehört hat. Für sie ist es ein Wettstreit. Zuerst hat sie deine Position im Team übernommen und jetzt hat sie sich Colin unter den Nagel gerissen. Als Nächstes wird sie ihren Namen in Brittany ändern.«
»Sehr witzig.«
»Das sagst du jetzt«, meint sie, rutscht näher und flüstert: »Es wird nicht mehr zum Lachen sein, wenn sie als Nächstes Alex will.«
»Das ist tatsächlich kein bisschen witzig.«
Doug kommt herein und Sierra winkt ihn zu uns. Es ist kein Stuhl mehr für ihn frei, deshalb tritt Sierra ihren Platz an ihn ab und setzt sich auf seinen Schoß. Sie fangen sofort an rumzuknutschen, was mein Signal ist, mich abzuwenden und mit Isabel zu reden.
»Wie geht es mit Du-weißt-schon-Wem voran?«, frage ich, da mir klar ist, dass ich Pacos Namen nicht erwähnen darf – sie wird nicht wollen, dass Maria etwas von der Geschichte mitbekommt.
Sie seufzt. »Gar nicht.«
»Warum nicht? Hast du nicht mit ihm geredet, wie ich dir geraten hatte?«
»Nein. Er hat sich wie ein pendejo verhalten und die Tatsache komplett ignoriert, dass wir uns geküsst haben. Ich glaube, er tut das, weil er nicht möchte, dass sich zwischen uns etwas entwickelt.«
Ich denke daran, wie ich mit Colin Schluss gemacht und was mit Alex angefangen habe. Jedes Mal, wenn ich aus der mir zugewiesenen Rolle ausbreche und tue, was ich für richtig halte, fühle ich mich nachher stärker. »Geh das Risiko ein, Isa. Ich garantiere dir, es ist es wert.«
»Du hast mich gerade Isa genannt.«
»Ich weiß. Ist das okay?«
Sie stupst mich spielerisch an der Schulter. »Ja, Brit. Ist es.«
Mit Isa über Paco zu sprechen macht mich abenteuerlustig und wenn ich mich abenteuerlustig fühle, denke ich an Alex. Sobald wir mit Essen fertig sind und alle aufbrechen, rufe ich auf dem Weg zu meinem Wagen Alex auf dem Handy an. »Weißt du, wo das Mystique ist?
»Ja.«
»Triff mich da heut Abend um neun.«
»Warum? Was ist los?«
»Das wirst du schon sehen«, erwidere ich und beende das Gespräch. Im selben Moment fällt mir auf, dass Darlene direkt hinter mir geht. Hat sie gehört, wie ich mit Alex gesprochen habe?
»Großes vor heut Abend?«, fragt sie.
Das beantwortet meine Frage. »Was habe ich getan, dass du mich so sehr hasst? In der einen Minute sind wir Freundinnen und in der nächsten bekomme ich mit, wie du mich hintergehst.«
Darlene zuckt die Achseln und wirft ihr Haar über die Schulter. Diese Geste allein zeigt, dass ich sie nicht länger zu meinen Freundinnen zählen kann. »Ich schätze, ich habe es satt, in deinem Schatten zu stehen, Brit. Es ist an der Zeit, dass du deine Regentschaft an den Nagel hängst. Du spielst schon so lange Prinzessin der Fairfield High. Es ist längst überfällig, dass du den Platz im Rampenlicht an jemand anderen abtrittst.«
»Den Platz im Rampenlicht kannst du gerne haben. Viel Spaß damit«, verkünde ich. Sie hat keinen Schimmer, dass ich ihn sowieso nie wollte. Wenn überhaupt, habe ich das Rampenlicht nur für die Show benutzt, die alle von mir erwartet haben.
Als ich um neun vor dem Mystique ankomme, schleicht sich Alex von hinten an mich heran. Ich drehe mich um und schlinge die Arme um seinen Nacken.
»Wow, Brit«, sagt er überrascht. »Ich dachte, wir halten das Ding zwischen uns geheim. Ich sage es nur ungern, aber ein Haufen Northsider aus Fairfield steht direkt da drüben. Und sie starren uns an.«
»Ab sofort ist mir das egal.«
»Warum?«
»Man lebt nur einmal.«
Meine Antwort scheint ihm zu gefallen, denn er nimmt meine Hand und führt mich zum Ende der Schlange. Es ist kalt draußen und so knöpft er seine Lederjacke auf und hüllt mich in seine Wärme, während wir darauf warten, reingelassen zu werden.
Ich sehe zu ihm hoch, unsere Körper schmiegen sich aneinander. »Wirst du heute Nacht mit mir tanzen?«, frage ich.
»Darauf kannst du wetten.«
»Colin wollte nie mit mir tanzen.«
»Ich bin nicht Colin, querida, und werde es auch nie sein.«
»Gut. Du gehörst mir, Alex. Ich weiß, das ist alles, was ich brauche und ich bin bereit, es aller Welt zu verkünden.«
Als wir im Club sind, zieht mich Alex sofort auf die Tanzfläche. Ich ignoriere die gaffenden Blicke der Fairfield-Schüler von meiner Seite der Stadt, während ich mich an Alex presse und wir uns zum Rhythmus der Musik bewegen als wären wir eins.
Wir tanzen zusammen, als wären wir schon immer ein Paar gewesen, jede einzelne Bewegung ist vollkommen synchron. Zum ersten Mal habe ich keine Angst, was die Leute über mich und Alex denken. Nächstes Jahr, im College, wird es keine Rolle mehr spielen, aus welcher Ecke der Stadt man stammt.
Troy, ein Junge, mit dem ich das letzte Mal getanzt habe, als ich im Club Mystique war, tippt mir auf die Schulter. Der Boden vibriert im Takt der Musik. »Wer ist der neue Hengst?«, fragt er.
»Troy, das ist mein Freund, Alex. Alex, das ist Troy.«
»Hi, Mann«, sagt Alex, streckt die Hand aus und schüttelt kurz Troys Rechte.
»Ich habe so ein Gefühl, dass dieser Typ nicht die gleichen Fehler machen wird, wie der letzte«, sagt Troy in mein Ohr.
Ich erwidere nichts, weil ich Alex’ Hände um meine Taille und meinen Rücken spüre und es sich so gut anfühlt, ihn hier bei mir zu haben. Ich glaube, es hat ihm ziemlich gut gefallen, dass ich ihn meinen Freund genannt habe und mir hat es so gut getan, es laut auszusprechen. Ich lehne mich mit dem Rücken an seine Brust und schließe die Augen, ich lasse den Rhythmus der Musik und die Bewegungen unserer Körper zu einer Einheit verschmelzen.
Nachdem wir eine Weile getanzt haben und eine Atempause brauchen, verlassen wir die Tanzfläche. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und befehle: »Pose für mich.«
Auf dem ersten Foto, das ich von ihm mache, spielt er den coolen Bösewicht. Es bringt mich zum Lachen. Ich mache ein zweites Foto, bevor er sich erneut in Pose bringen kann.
»Lass uns eins von uns beiden machen«, schlägt er vor und zieht mich an sich. Ich presse meine Wange an seine, während er mir das Handy aus der Hand nimmt, es so weit von uns hält wie möglich und diesen perfekten Moment mit einem Klick für immer festhält. Nachdem er das Bild gemacht hat, nimmt er mich in die Arme und küsst mich.
An Alex gelehnt, lasse ich den Blick über die Menge schweifen. Im Geschoss über uns, am Geländer der Galerie, steht Colin, die letzte Person, die ich hier erwartet hätte. Colin hasst es hier. Er hasst es zu tanzen.
Als sich unsere Blicke treffen, starrt er mich wütend an, dann macht er eine Riesenshow daraus, das Mädchen zu küssen, das neben ihm steht. Und sie küsst ihn wieder, als gäbe es kein Morgen, während er ihren Hintern packt und sich an ihr reibt. Sie wusste, dass ich heute Abend mit Alex hier sein würde und hat diese Begegnung offensichtlich herbeigeführt.
»Möchtest du gehen?«, fragt Alex, als er Colin und Darlene entdeckt.
Ich drehe mich um, damit ich ihm in die Augen schauen kann und bin einmal mehr hin und weg. Der Anblick seiner wunderschönen, markanten Gesichtszüge lässt mich das Atmen vergessen. »Nein, aber es ist so heiß hier drin. Zieh deine Jacke aus.«
Er zögert, bevor er sagt: »Das kann ich nicht.«
»Warum nicht?«
Er windet sich.
»Was ist los, Alex?«
Er nimmt eine lose Haarsträhne, die mir ins Gesicht gefallen ist, und streicht sie hinter mein Ohr. »Mujer, wir sind nicht auf dem Territorium der Latino Blood. Es ist der Bezirk der Fremont 5, einer rivalisierenden Gang. Dein Freund Troy ist einer von ihnen.«
Wie meinen? Als ich vorgeschlagen habe, herzukommen, habe ich keinen Gedanken an Territorien oder Gangrivalitäten verschwendet. Ich wollte nur tanzen. »Oh Gott, Alex. Ich habe dich in Gefahr gebracht. Lass uns hier abhauen«, sage ich panisch.
Alex drückt mich an sich und flüstert in mein Ohr: »Man lebt nur einmal, hast du das nicht eben gesagt? Tanz noch mal mit mir.«
»Aber …«
Er schneidet mir das Wort mit einem Kuss ab, der so überwältigend ist, dass ich vergesse, worüber ich mir eigentlich Sorgen machen sollte. Und als ich meine Sinne wieder beisammenhabe, sind wir schon zurück auf der Tanzfläche.
Wir stellen unser Glück auf die Probe und tanzen mitten im Haifischbecken, ohne einen Kratzer abzubekommen. Die Gefahr, die uns umgibt, schärft nur unser Bewusstsein für einander.
Auf der Damentoilette richtet Darlene gerade ihr Make-up vor dem Spiegel. Ich sehe sie. Sie sieht mich.
»Hallo«, sage ich.
Darlene geht ohne ein Wort an mir vorbei. Es ist ein Vorgeschmack darauf, was mich erwartet als Northsiderin, die nicht länger dazugehört. Aber das ist mir so was von egal.
Am Ende des Abends, als Alex mich zu meinem Wagen bringt, nehme ich seine Hand in meine und blicke zu den Sternen hoch. »Wenn in diesem Moment eine Sternschnuppe fiele, was würdest du dir wünschen?«, frage ich ihn.
»Dass die Zeit stehen bleibt.«
»Warum?«
Er zuckt die Schultern. »Weil ich wünschte, dieser Moment würde ewig währen. Und was würdest du dir wünschen?«
»Dass wir zusammen aufs College gehen. Während du die Zeit am liebsten anhalten würdest, freue ich mich auf die Zukunft. Wäre es nicht toll, wenn wir auf dieselbe Uni gehen könnten? Ich meine es ernst, Alex.«
Er löst sich von mir. »Für jemanden, der die Dinge langsam angehen wollte, planst du ganz schön weit voraus.«
»Ich weiß, es tut mir leid. Ich kann nicht anders. Ich habe mich früh um einen Platz an der Universität von Colorado beworben, um in der Nähe meiner Schwester zu sein. Dieses Heim, in das meine Eltern sie stecken, ist nur ein paar Meilen vom Campus entfernt. Es kann doch nicht schaden, wenn du dich auch dort bewirbst, oder?«
»Ich schätze nicht.«
»Echt?«
Er drückt meine Hand. »Für dieses Lächeln würde ich so ziemlich alles tun.«
Du oder das ganze Leben
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