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Alex
Ich sitze im Mathekurs, als der Mann von der
Security an die Tür klopft und dem Lehrer erzählt, dass ich die
Klasse in seiner Begleitung verlassen muss. Ich verdrehe die Augen,
schnappe mir meine Bücher und lasse zu, dass der Typ sich daran
aufgeilt, mich vor versammelter Mannschaft zu demütigen.
»Was ist es diesmal?«, frage ich. Gestern bin ich
aus dem Unterricht geholt worden, weil ich ein Handgemenge auf dem
Schulhof begonnen haben soll. Hatte ich aber nicht. Ich war
vielleicht beteiligt, aber ich habe nicht damit angefangen.
»Wir machen einen kleinen Ausflug zum
Basketballcourt.«
Ich folge dem Typen zu den Sporthallen. »Alejandro,
Vandalismus von Schuleigentum ist eine ernste Angelegenheit.«
»Ich habe nichts damit zu tun«, erkläre ich
ihm.
»Ich habe einen Tipp bekommen, dass du es
warst.«
Einen Tipp? Kennt ihr den Spruch: Wer es zuerst
gerochen, dem ist es aus dem Arsch gekrochen? Tja, wer auch immer
mich angeschwärzt hat, ist wahrscheinlich der Täter. »Wo ist
es?«
Der Wachmann deutet auf den Fußboden der
Sporthalle, wo jemand eine sehr armselige Kopie eines
Latino-Blood-Emblems aufgesprayt hat. »Hast du eine Erklärung
dafür?«
»Nein«, sage ich.
Ein zweiter Security-Mann stellt sich zu uns. »Wir
sollten seinen Spind überprüfen«, schlägt er vor.
»Gute Idee.« Alles, was sie finden werden, sind
meine Bücher und meine Lederjacke.
Ich gebe gerade die Kombination des Zahlenschlosses
ein, als Mrs P. an uns vorbeikommt.
»Was ist hier los?«, fragt sie die
Wachmänner.
»Vandalismus. In der Basketballhalle.«
Ich öffne meinen Spind und trete einen Schritt
zurück, damit sie ihn inspizieren können.
»Aha«, sagte der eine Wachmann, greift hinein und
holt eine Sprühdose mit schwarzer Farbe vom obersten Regalbrett. Er
streckt sie mir entgegen. »Plädierst du immer noch auf
unschuldig?«
»Da will mir jemand was anhängen.« Ich drehe mich
zu Mrs P. um, die mich ansieht, als hätte ich ihre Katze gekillt.
»Ich war das nicht«, versichere ich ihr. »Mrs P., Sie müssen mir
glauben.« Ich sehe mich schon für etwas im Gefängnis landen, das
irgendein Idiot verbrochen hat.
Sie schüttelt ihren Kopf. »Alex, die Beweise sind
erdrückend. Ich möchte dir gern glauben, aber es fällt mir wirklich
schwer.« Die Wachleute haben sich rechts und links neben mich
gestellt und ich weiß, was als Nächstes passieren wird. Mrs P. hebt
ihre Hand und hält sie auf. »Alex, hilf mir.«
Ich bin versucht, die Sache auf sich beruhen zu
lassen, sie alle glauben zu lassen, dass ich derjenige war, der
Schuleigentum zerstört hat. Sie werden meine Argumente
wahrscheinlich sowieso nicht gelten lassen. Aber Mrs P. sieht mich
an wie eine rebellische Pubertierende, die allen beweisen will,
dass sie falsch liegen.
»Das Emblem ist total daneben«, sage ich. Ich zeige
ihr meinen Unterarm. »Das ist das Erkennungszeichen der Latino
Blood. Es ist ein fünfzackiger Stern mit zwei Heugabeln, die oben
herausragen, und einem LB in der Mitte. Der Stern auf
dem Turnhallenfußboden ist sechszackig mit zwei Pfeilen. Kein
Blutsbruder würde diesen Fehler machen.«
Sie dreht sich zu den Wachmännern und fragt: »Wo
ist Dr. Aguirre?«
»In einer Sitzung mit dem Schulrat. Seine
Sekretärin hat gesagt, er möchte nicht gestört werden.«
Peterson schaut auf ihre Uhr. »Ich habe in fünfzehn
Minuten Unterricht. Joe, ruf Dr. Aguirre über dein Walkie-Talkie
her.«
Joe, der Wachmann, ist darüber nicht allzu
glücklich. »Ma’am, genau für diese Dinge sind wir doch da.«
»Ich weiß. Aber Alex ist mein Schüler und er darf
heute auf keinen Fall den Unterricht versäumen, glauben Sie
mir.«
Joe zuckt mit den Schultern. Dann bittet er Dr.
Aguirre über sein Funkgerät, ihn in der L-Halle zu treffen. Als
seine Sekretärin fragt, ob es sich um einen Notfall handle,
schnappt sich Mrs P. das Walkie-Talkie von Joe und sagt, es sei ihr
höchstpersönlicher Notfall und Dr. Aguirre solle auf der Stelle in
die L-Halle kommen.
Zwei Minuten später kommt Aguirre mit versteinertem
Gesichtsausdruck auf uns zu. »Worum geht es?«
»Vandalismus in der Turnhalle«, informiert ihn
Wachmann Joe.
Aguirre erstarrt. »Verdammt, Fuentes. Nicht du
schon wieder.«
»Ich war es nicht«, protestiere ich.
»Und wer war es dann?«
Ich zucke mit den Schultern.
»Dr. Aguirre, er sagt die Wahrheit«, schaltet sich
Mrs Peterson ein. »Sie können mich feuern, wenn ich falsch
liege.«
Er schüttelt seinen Kopf, dann wendet er sich an
die Security. »Holt Chuck hierher, damit er prüft, womit man das
Zeug abkriegt.« Er zeigt mit der Spraydose auf mich. »Aber ich
warne
dich, Alex. Wenn ich herausfinden sollte, dass du es warst,
suspendiere ich dich nicht nur, sondern lasse dich auf der Stelle
verhaften. Verstanden?«
Als die Wachleute sich trollen, ergänzt Aguirre:
»Alex, ich habe dir das bisher noch nie erzählt, aber ich erzähle
es dir jetzt. Als ich auf der Highschool war, hatte ich das Gefühl,
die ganze Welt sei gegen mich. Ich war gar nicht so anders als du,
weißt du. Ich habe verdammt lange gebraucht, um herauszufinden,
dass ich selbst mein schlimmster Feind war. Als ich das verstanden
hatte, bekam ich mein Leben in den Griff. Mrs Peterson und ich, wir
sind nicht der Feind.«
»Das weiß ich«, sage ich und glaube es
tatsächlich.
»Gut. Ich bin nämlich gerade in einer wichtigen
Sitzung. Wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet, ich muss in mein
Büro zurück.«
»Danke, dass Sie mir geglaubt haben«, sage ich zu
Mrs P., als er weg ist.
»Weißt du, wer für die Sache hier verantwortlich
sein könnte?«, fragt sie mich.
Ich sehe ihr direkt in die Augen und sage ihr die
Wahrheit. »Ich habe keine Ahnung. Aber ich bin mir ziemlich sicher,
dass derjenige kein Freund von mir ist.«
Sie seufzt. »Wenn du nicht in einer Gang wärst,
würdest du nicht ständig in diesen Schwierigkeiten stecken.«
»Kann schon sein, aber ich glaube, die
Schwierigkeiten wären bloß andere.«