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Brittany
»Wer ist Alex?«
Das sind die ersten Worte meiner Mom, als ich mit
Dad vom Flughafen zurückkomme.
»Er ist ein Junge aus der Schule, der in Chemie
mein Partner ist«, erwidere ich langsam. Warte mal. »Woher weißt du
von Alex?«
»Er war hier, nachdem du zum Flughafen aufgebrochen
bist. Ich habe ihn weggeschickt.«
Als die Synapsen meines Hirns sich kurzschließen,
holt die Realität mich mit einem Schlag ein.
Oh nein!
Ich habe meine Verabredung mit Alex heute Morgen
vergessen.
Schuldgefühle überwältigen mich, als ich mir
vorstelle, wie er in der Bücherei auf mich gewartet hat. Ich war
diejenige, die sich nicht sicher war, ob er überhaupt kommen würde,
und nun bin ich diejenige, die ihn hat stehen lassen. Er muss
verdammt sauer auf mich sein. Schluck. Mir wird schlecht.
»Ich möchte nicht, dass er hier noch mal
auftaucht«, sagt sie.
»Die Nachbarn werden sich sonst über dich das Maul
zerreißen.« Ich weiß, dass sie »wie über deine Schwester«
denkt.
Eines Tages werde ich hoffentlich an einem Ort
leben, wo ich
mir keine Sorgen um das Gerede der Nachbarn machen muss. »Ist
gut«, sage ich nur.
»Kannst du keinen anderen Partner bekommen?«
»Nein.«
»Hast du es versucht?«
»Ja, Mom, das habe ich. Mrs Peterson weigert sich,
neue Paare zu bilden.«
»Vielleicht hast du es nicht vehement genug
versucht. Ich rufe am Montag in der Schule an und bringe sie dazu
…«
Schlagartig hat sie meine volle Aufmerksamkeit. Ich
ignoriere den pochenden Schmerz an der Hinterseite meines Schädels,
wo meine Schwester mir ein Büschel Haare ausgerissen hat. »Mom, ich
regle das allein. Es besteht keine Veranlassung, dass du in der
Schule anrufst und ich wie eine Zweijährige dastehe.«
»Hast du das von diesem Alex – diese
Respektlosigkeit gegenüber deiner Mutter? Auf einmal widersprichst
du mir, weil du mit diesem Jungen zusammengesteckt wurdest?«
»Mom …«
Ich wünschte Dad wäre hier, um die Wogen zu
glätten. Aber er ist direkt in sein Arbeitszimmer verschwunden, als
wir nach Hause gekommen sind, um seine E-Mails zu checken. Ich
wünschte, er würde als Schiedsrichter fungieren, anstatt vom
Spielfeldrand aus zuzugucken.
»Denn wenn du dich mit Abschaum wie diesem Jungen
abgibst, werden die Leute dich ebenfalls für Abschaum halten. So
haben dein Vater und ich dich nicht erzogen.«
Oh nein. Jetzt kommt die Standpauke. Ich
würde lieber lebenden Fisch mit Schuppen und allem essen, als mir
diese Lektion schon wieder anhören zu müssen. Ich weiß nur zu gut,
was ihre Worte mir eigentlich zu verstehen geben sollen. Shelley
ist nicht perfekt, also muss ich es sein.
Ich atme tief durch und versuche mich abzuregen.
»Mom, schon verstanden. Es tut mir leid.«
»Ich versuche nur, dich zu beschützen«, sagt sie.
»Und so dankst du es mir.«
»Ich weiß. Es tut mir leid. Was hat Dr. Meir zu
Shelley gesagt?«
»Er möchte, dass sie zweimal die Woche für ein paar
Untersuchungen zu ihm kommt. Ich werde deine Hilfe brauchen, um sie
hinzubringen.«
Ich erzähle ihr nichts von Ms Smalls Prinzipien,
was das Versäumen des Cheerleadingtrainings angeht, da es keinen
Sinn hat, wenn wir beide gestresst sind. Außerdem möchte ich ebenso
sehr wie sie wissen, warum Shelley in manchen Situationen
handgreiflich wird.
Gott sei Dank klingelt das Telefon und meine Mom
wendet sich ab, um das Gespräch anzunehmen. Ich haste in das Zimmer
meiner Schwester, bevor meine Mom Anstalten macht, diese sinnlose
Diskussion fortzuführen. Shelley sitzt an ihrem Spezialcomputer und
drückt auf der Tastatur herum.
»Hallo«, sage ich.
Shelley sieht hoch. Sie lächelt nicht.
Ich möchte, dass sie weiß, dass ich nicht sauer auf
sie bin. Sie wollte mir nicht wehtun – das ist mir klar. Shelley
versteht manchmal vielleicht selbst nicht, warum sie bestimmte
Dinge tut. »Lust, Dame zu spielen?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Sollen wir Fernsehen gucken?«
Ein zweites Kopfschütteln.
»Ich möchte, dass du weißt, dass ich nicht sauer
auf dich bin.« Ich komme näher, wobei ich aufpasse, dass meine
Haare nicht in ihrer Reichweite sind, und reibe ihren Rücken. »Ich
liebe dich, weißt du.«
Keine Antwort, kein Kopfnicken, kein verbaler Laut.
Nichts.
Ich sitze auf der Kante ihres Bettes und sehe ihr
zu, während sie mit ihrem Computer spielt. Ab und zu mache ich eine
Bemerkung, damit sie merkt, dass ich noch da bin. Sie braucht mich
vielleicht gerade nicht, aber ich wünschte, das würde sie. Denn
leider weiß ich, dass eine Zeit kommen wird, da sie mich brauchen
wird, und in der ich nicht für sie da sein kann. Das macht mir
Angst.
Nach einer Weile lasse ich meine Schwester allein
und gehe in mein Zimmer. Ich suche im Schülerverzeichnis der
Fairfield High nach Alex’ Telefonnummer.
Dann klappe ich mein Handy auf und wähle seine
Nummer.
»Hallo?«, antwortet eine Jungenstimme.
Ich atme tief durch. »Hi«, sage ich. »Ist Alex zu
Hause?«
»Er ist nicht da.«
»Quién es?«, höre ich seine Mutter im
Hintergrund fragen.
»Wer ist dran?«, fragt der Junge mich.
Mir wird bewusst, dass ich an meinem Nagellack
herumpiddle, während ich telefoniere. »Brittany Ellis. Ich bin,
ähm, eine Schulfreundin von Alex.«
»Es ist Brittany Ellis, eine Schulfreundin von
Alex«, erzählt der Junge seiner Mutter.
»Toma el mensaje«, höre ich sie sagen.
»Bist du seine neue Freundin?«, fragt der Junge
mich.
Ich höre einen dumpfen Schlag und ein »Au!« und
dann sagt er: »Kann ich etwas ausrichten?«
»Sag ihm, Brittany hat angerufen. Hier ist meine
Nummer …«