51
Brittany
Ich stehe vor Enriques Autowerkstatt und versuche,
tief in den Bauch zu atmen, um meiner Nervosität Herr zu werden.
Enriques Camry ist nirgends zu sehen, also ist Alex allein.
Und ich werde ihn gleich verführen.
Wenn ich mit dem, was ich trage, nicht seine volle
Aufmerksamkeit bekomme, weiß ich nicht, womit sonst. Ich werde
alles geben, was ich habe … ich fahre sämtliche Geschütze auf. Nach
einem weiteren tiefen Atemzug poche ich entschlossen an der Tür.
Dann schließe ich fest die Augen und bete, dass mein Plan aufgehen
wird.
Während ich warte, öffne ich meinen langen Mantel
aus silbrig glänzendem Satin und lasse die kalte Abendluft über
meine nackte Haut fahren. Erst als das Knarren der Tür Alex’
Anwesenheit ankündigt, öffne ich langsam die Augen. Doch es sind
nicht Alex’ dunkle Augen, die meinen spärlich bekleideten Körper
von oben bis unten mustern. Es ist Enrique, der meinen rosafarbenen
Spitzen-BH und mein knappes Cheerleadingröckchen anstarrt, als
hätte er im Lotto gewonnen.
Vor Scham im Erdboden versinkend, hülle ich mich
wieder in meinen Mantel. Wenn ich ihn doppelt um mich schlingen
könnte, würde ich es tun.
»Äh, Alex«, sagt Enrique lachend, »hier ist jemand,
der Süßes oder Saures mit dir spielen will.«
Mein Gesicht ist wahrscheinlich tomatenrot, aber
ich bin entschlossen, die Sache durchzuziehen. Ich bin hier, um
Alex zu zeigen, dass ich ihn nicht so einfach aufgeben werde.
»Wer ist es?«, höre ich Alex’ Stimme aus dem
Inneren der Werkstatt.
»Ich wollte sowieso gerade gehen«, sagt Enrique und
drückt sich an mir vorbei. »Richte Alex aus, er soll hinter euch
abschließen. Adiós.«
Enrique geht vor sich hin summend die dunkle Gasse
hinunter.
»Hey, Enrique. ¿Quién está ahí?« Alex’
Stimme verstummt, als er in den vorderen Bereich des Ladens kommt.
Er mustert mich abfällig. »Brauchst du eine Wegbeschreibung oder
jemanden, der dein Auto repariert?«
»Nichts dergleichen«, erwidere ich.
»Spielst du Süßes oder Saures auf meiner Seite der
Stadt?«
»Nein.«
»Es ist vorbei, mujer. ¿Me oyes? Warum
platzt du weiter in mein Leben und raubst mir den Verstand?
Solltest du nicht mit irgendeinem Collegetypen beim Halloweentanz
sein?«
»Ich hab ihn abserviert. Können wir reden?«
»Hör zu, ich hab einen Riesenberg Arbeit, der auf
mich wartet. Und warum bist du überhaupt hergekommen? Und wo ist
Enrique?«
»Er, äh, ist gegangen«, sage ich nervös. »Ich
glaube, ich habe ihn verschreckt.«
»Du? Schwer zu glauben.«
»Ich habe ihm gezeigt, was ich unter dem Mantel
trage.«
Alex’ Augenbrauen schießen nach oben.
»Lass mich rein, bevor ich hier draußen erfriere.
Bitte.« Ich werfe einen Blick über die Schulter. Die Dunkelheit
scheint zunehmend einladender, während das Blut immer schneller
durch meine Adern pulsiert. Ich ziehe den Mantel enger um mich,
inzwischen habe ich eine Gänsehaut. Ich zittre.
Seufzend lässt er mich in die Werkstatt und
schließt die Tür ab. Mitten im Raum steht ein Heizstrahler, dem
Himmel sei Dank. Ich stelle mich daneben und reibe meine Hände
aneinander.
»Hör zu, in Wahrheit bin ich froh, dass du hier
bist. Aber hatten wir nicht Schluss gemacht?«
»Ich möchte es noch mal versuchen. So zu tun, als
wären wir bloß Chemiepartner, war die Hölle. Ich vermisse dich.
Vermisst du mich nicht auch?«
Er sieht mich skeptisch an. Sein Kopf ist zur Seite
geneigt, als wäre er nicht sicher, richtig gehört zu haben. »Du
weißt, dass ich immer noch ein Latino Blood bin.«
»Ich weiß. Ich nehme, was immer du mir anbieten
kannst, Alex.«
»Ich werde nie in der Lage sein, deinen Erwartungen
zu entsprechen.«
»Was, wenn ich dir sage, dass es keine Erwartungen
gibt?«
Er atmet tief ein und dann langsam wieder aus. Ich
kann sehen, dass er angestrengt darüber nachdenkt, denn seine Miene
wird ernst. »Ich sag dir was«, meint er. »Du leistest mir
Gesellschaft, während ich mein Abendessen verputze. Ich werde dich
noch nicht mal fragen, was du unter dem Mantel anhast … oder was
nicht. Deal?«
Ich lächle zaghaft und fahre mit der Hand glättend
über mein Haar. »Deal.«
»Für mich musst du das nicht tun«, sagt er und
nimmt sanft meine Hand aus meinem Haar. »Ich hole eine Decke, damit
du dich nicht schmutzig machst.«
Ich warte, bis er eine saubere hellgrüne
Fleecedecke aus einem Schrank geholt und auf dem Boden ausgebreitet
hat.
Dann setzen wir uns nebeneinander auf die Decke.
Der kurze Blick, den Alex dabei auf die Uhr wirft, entgeht mir
keineswegs. »Möchtest du was?«, fragt er mich und zeigt auf sein
Abendessen.
Vielleicht hilft es mir, zu entspannen, wenn ich
etwas esse. »Was ist das?«
»Enchiladas. Mi’amá macht spitzen
Enchiladas.« Er pikst etwas davon mit der Gabel auf und hält es mir
hin. »Wenn du nicht gewöhnt bist, so scharfe Sachen zu essen
…«
»Ich esse gern scharf«, falle ich ihm ins Wort und
nehme den Happs von der Gabel. Ich beginne zu kauen und genieße die
verschiedenen Aromen, die sich auf meiner Zunge entfalten. Aber als
ich schlucke, fängt meine Zunge langsam Feuer. Irgendwo unter all
dem Feuer ist noch Geschmack, aber die Flammen sind ihm im
Weg.
»Scharf«, ist alles, was ich rausbringe, während
ich zu schlucken versuche.
»Hab ich doch gesagt.« Alex hält mir den Becher
hin, aus dem er bis dahin getrunken hat. »Hier, trink. Milch hilft
normalerweise, aber ich habe nur Wasser.«
Ich greife mir den Becher. Die Flüssigkeit kühlt
meine Zunge, aber als ich das Wasser ausgetrunken habe, fühlt es
sich an, als schüre jemand aufs Neue das Feuer. »Wasser …«, sage
ich.
Er füllt den Becher wieder. »Hier, trink noch was,
auch wenn ich befürchte, es wird nicht viel helfen. Mit der Zeit
lässt es nach.«
Anstatt zu trinken, strecke ich meine Zunge dieses
Mal in das kühle Nass und lasse sie dort. »Ahhh …«
»Alles okay?«
»Gieht ech o au?«, frage ich.
»Deine Zunge im Wasser sieht erotisch aus. Willst
du vielleicht
noch was?«, fragt er verschmitzt, ganz der Alex, den ich
kenne.
»Eing. Anke.«
»Brennt deine Zunge noch?«
Ich nehme die Zunge aus dem Wasser. »Es fühlt sich
so an, als würden eine Million Fußballspieler mit ihren Stollen
darauf rumtrampeln.«
»Autsch«, sagt er lachend. »Weißt du was? Ich habe
mal gehört, dass Küssen dagegen hilft.«
»Ist das eine billige Art, mir zu sagen, dass du
mich küssen willst?«
Er sieht in meine Augen, sein dunkler Blick nimmt
meinen gefangen. »Querida, ich will dich immer
weiterküssen.«
»Ich fürchte, es wird nicht ganz so einfach. Ich
möchte Antworten. Zuerst die Antworten, dann die Küsse.«
»Bist du deshalb nackt unter deinem Mantel?«
»Wer hat gesagt, dass ich nackt bin?«, sage ich und
beuge mich zu ihm.
Alex stellt den Teller ab.
Falls mein Mund noch immer brennt, bemerke ich es
kaum. Jetzt ist es an der Zeit, das Ruder in die Hand zu nehmen.
»Lass uns ein Spiel spielen, Alex. Ich nenne es: Stell eine Frage,
dann mach dich nackig. Jedes Mal, wenn du eine Frage stellst, musst
du ein Kleidungsstück ausziehen. Jedes Mal, wenn ich frage, muss
ich eins ausziehen.«
»Ich schätze, ich kann sieben Fragen stellen,
querida. Wie viele hast du?«
»Zieh was aus, Alex. Du hast deine erste Frage
gestellt.«
Er nickt zustimmend und schleudert seinen Schuh
weg.
»Warum fängst du nicht mit deinem T-Shirt an?«,
frage ich.
»Dir ist schon klar, dass du gerade eine Frage
gestellt hast. Ich glaube, das ist dein Stichwort …«
»Ich habe keine Frage gestellt«, protestiere
ich.
»Du hast gefragt, warum ich nicht mit meinem
T-Shirt angefangen habe.« Er grinst.
Mein Puls beschleunigt sich. Ich ziehe meinen Rock
aus, halte meinen Mantel dabei aber fest geschlossen. »Jetzt sind
es noch vier.«
Er versucht cool zu bleiben, aber in seinen Augen
entdecke ich einen Hunger, der mir bekannt vorkommt. Und das
provozierende Grinsen ist definitiv verschwunden, als er sich die
Lippen leckt.
»Ich brauche dringend eine Zigarette. Zu dumm, dass
ich aufgehört habe. Vier sagst du?«
»Das hat sich verdächtig nach einer Frage angehört,
Alex.«
Er schüttelt den Kopf. »Nein, Klugscheißerchen, das
war keine Frage. Netter Versuch. Hm, lass mal überlegen. Warum bist
du wirklich hergekommen?«
»Weil ich dir zeigen will, wie sehr ich dich
liebe«, antworte ich.
Alex blinzelt ein paar Mal, aber abgesehen davon
zeigt er keinerlei Rührung. Dieses Mal zieht er das T-Shirt über
den Kopf. Er wirft es beiseite und präsentiert mir seinen
bronzefarbenen Waschbrettbauch.
Ich knie neben ihm, voller Hoffnung, ihn in
Versuchung zu führen und aus dem Gleichgewicht zu bringen.
»Möchtest du aufs College gehen? Die Wahrheit.«
Er zögert. »Ja. Wenn mein Leben anders wäre.«
Ich ziehe eine Sandale aus.
»Hast du je mit Colin geschlafen?«, fragt er.
»Nein.«
Er zieht seinen rechten Schuh aus, ohne mich auch
nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.
»Hast du es mit Carmen getan?«, frage ich.
Er zögert. »Das willst du nicht hören.«
»Doch. Das will ich. Ich will alles wissen. Mit wie
vielen Frauen du zusammen warst, die erste Person, mit der du
geschlafen hast …«
Er reibt sich den Nacken, als müsste er dort einen
verspannten Knoten lösen. »Das sind eine Menge Fragen.« Er schweigt
kurz. »Carmen und ich … also, ähm, ja, wir hatten Sex. Das letzte
Mal im April, bevor ich herausgefunden habe, dass sie mich betrogen
hat. Vor Carmen ist alles ein bisschen verschwommen. Ich hatte so
eine Phase, in der ich alle paar Wochen mit einem anderen Mädchen
zusammen war. Und ich habe mit den meisten geschlafen. Es war das
Letzte.«
»Hast du dich immer geschützt?«
»Hm.«
»Erzähl mir von deinem ersten Mal.«
»Das war mit Isabel.«
»Isabel Avila?«, frage ich total perplex.
Er nickt. »Es ist nicht so, wie du denkst. Es
passierte den Sommer bevor wir auf die Highschool kamen und wir
wollten beide dieses Jungfräulichkeitsdrama hinter uns bringen und
herausfinden, warum alle Sex für so unglaublich hielten. Es war
ätzend. Ich habe herumgefummelt, während sie nicht aufhören konnte
zu lachen. Wir fanden beide, dass es eine lausige Idee war, mit
jemandem zu schlafen, der wie Bruder oder Schwester für einen ist.
Gut, damit habe ich dir alles erzählt. Zieh bitte deinen Mantel
aus.«
»Nicht so schnell, Don Juan. Wenn du mit so vielen
Frauen geschlafen hast, woher weiß ich dann, dass du dir nichts
einfangen hast? Sag mir, dass du dich hast testen lassen.«
»Im Krankenhaus haben sie mich getestet, als sie
meinen Arm geklammert haben. Vertrau mir, ich bin sauber.«
»Ich auch. Falls du dich das gefragt hast.« Ich
ziehe meine
zweite Sandale aus und bin froh, dass er mir keinen Grund gegeben
hat, mir blöd vorzukommen, und mich nicht aufgezogen hat, weil ich
mehr als eine Frage gestellt habe. »Du bist dran.«
»Stellst du dir manchmal vor, wie es wäre, mit mir
zu schlafen?« Er zieht seinen Socken vom Fuß, bevor ich die Frage
beantworten kann.