»Ich habe Mort über Smitty aufgeklärt«, verkündete Carlos.
»Und?« Sie war richtig sauer auf Mort, aber vermutlich hatte sie dazu kein Recht. Wie hätte er wissen können, daß Mark erst siebzehn war?
Wetzon und Carlos lagen ausgestreckt, die Schuhe weggeschnickt, Seite an Seite auf Carlos’ französischem Bett. Sie hatten eine Flasche französischen Cabernet Sauvignon getrunken und eine doppelte Portion Rührei mit Speck gegessen.
Die Truppe hatte um Mitternacht Schluß gemacht, und alle waren ausgehungert gewesen. Carlos und Wetzon waren in Carlos’ Zimmer geeilt und hatten dem Zimmerservice geläutet.
»Wenn er nicht so ein netter Junge wäre, würde ich mich richtig freuen, den Barrakuda leiden zu sehen.«
»Er ist wirklich ein netter Junge. Carlos, er hat mir gesagt, daß er schwul ist.«
»Habe ich es dir nicht gesagt, Häschen? Da irrt sich Carlos nie.«
Sie gab ihm einen Tritt. »Ach, hör auf. Du sagst immer, daß jeder schwul ist.«
»Aber Schatz«, sagte Carlos genießerisch, »jeder ist schwul.«
»Ich zum Beispiel nicht.«
»Behauptest du.« Carlos gluckste diabolisch, und sie trat ihn noch einmal.
»Spaß beiseite«, sagte sie streng.
»Okay.« Er lachte und schlang einen Arm um sie. »Wir werden zusammen alt.«
»Sprich du für dich.«
»Häschen, ich mache mir Sorgen um dich.«
»Carlos...« Sie stieß ihn weg. »Was meinst du?«
»Wenn mir zum Beispiel etwas passiert?«
Sie spürte einen Stich der Angst. »Stimmt etwas nicht?« Sie setzte sich auf. »Geht es dir gut?«
»Nein. Ich meine ja. Ich fühle mich prima.« Er stützte sich auf den Ellenbogen und lehnte den Kopf an die Hand. »Das ist es nicht.«
»Schwöre« — sie zog mit dem Finger ein Kreuz über sein Herz — »auf Ehre und Gewissen.« Er spielte ihr ein übertrieben sinnliches Erschauern vor. »Ich mache keinen Spaß«, sagte sie streng.
»Ich schwöre, Herzblatt.«
»Dann ist ja alles bestens.« Sie warf sich wieder neben ihn aufs Bett, sah ihn an, den Ellenbogen auf dem Bett, den Kopf in der Hand. Jetzt lagen sie wie zwei Buchstützen da.
Er lachte sie an. Dann wurde er wieder ernst. »Ich wüßte dich gern in festen Händen.«
»Du bist nur neidisch, daß ich noch immer nichts anbrennen lasse.«
»Ha!«
»Du bist nicht mein Vater, vergiß das nicht.«
»Verzeih mir.« Er klapperte mit seinen langen dunklen Wimpern. »Ich mache mir einfach Sorgen. Ich möchte, daß du jemand Festes hast, wie ich Arthur. Er ist mein Fels.«
»Ich könnte Alton heiraten. Er ist ein Fels. Was meinst du? Ist er zu alt für mich?«
»Ich meine, wenn du ihn liebst — prima.« Carlos strahlte sie an.
»Ich liebe ihn, aber...«
»Aber was?«
»Es ist so angenehm mit ihm.«
»Das ist ein Aber?«
»Reg dich nicht auf.« Wetzon schloß die Augen und rollte auf den Rücken. Sie hatte zuviel getrunken. »Es geht zu glatt.«
»Was?«
»Die Beziehung.«
»Aha. Die Erde wackelt nicht.«
»Du hast es begriffen.«
»Und bei Silvestri?«
»Ein richtiges Erdbeben.«
Er nahm ihre Hand. »Tralala, Schatz. Ich glaube, da hast du deine Antwort.«
Eine Weile lagen sie schweigend nebeneinander.
»Ich sollte lieber gehen. Sonst schlafe ich hier ein.«
Er grinste. »Und ruinierst deinen Ruf.«
Sie langte hinüber und kitzelte ihn an den Rippen, und er rollte sich zusammen wie eine gesättigte Schlange. »Du bist phantastisch in Form«, sagte sie neidisch.
Er knuffte sie, und sie ließ sich graziös vom Bett rollen und landete auf den Füßen. »Du bist auch noch ganz gut in Schuß, Häschen.«
»Mark sagt, daß Freitag nacht, nachdem du eingeschnappt gegangen warst, noch jemand in der Kasse war.«
»Ja? Ich schätze, die Kassenleiterin könnte so spät noch dagewesen sein.«
»Die Kassenleiterin ist Phils Mutter. Sie muß Phil die Stelle als Dillas Assistent besorgt haben.«
»Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, es war Fran, aber ich bin mir nicht sicher.«
»Fran?«
»Na ja, weißt du, Fran und Dilla hatten so eine verhalten feindselige Beziehung.« Er klopfte neben sich auf das Bett. »Komm wieder her.«
»Verhalten feindselig. Eine interessante Umschreibung dafür, daß sie sich haßten. Dennoch mußten sie Zusammenarbeiten. Vielleicht wollte Dilla ein Stück vom Kuchen. Carlos, glaubst du, Fran könnte sie getötet haben? Er könnte sie mit seinem Stock erschlagen haben. Weißt du, wie schwer der ist? Er muß beschwert sein.«
»Ich glaube nicht, daß Fran die Kraft in den Armen hat, diesen Stock über den Kopf zu heben.« Er klopfte auf das Bett.
Wetzon legte sich hin. »Mein Rock wird zerknittert.«
»Zieh ihn aus.«
»Normal geworden, Carlos?«
»Au contraire.«
»Gideon Winkler war mit Joel im Flugzeug.«
»Was?« Carlos setzte sich mit einem Ruck auf.
»Er hat Smith erzählt, daß er kommt, um die Show auf Vordermann zu bringen.«
»Woher weiß er, daß sie auf Vordermann gebracht werden muß? Wir haben noch kein einziges Mal vor Publikum gespielt. Die Messer sind gewetzt.«
»Es genügt nicht, daß ich Erfolg habe, meine Freunde müssen auch scheitern.«
Carlos ließ sich auf sein Kissen fallen. »Ich denke morgen darüber nach.«
Keiner sprach. Wetzon lauschte auf ihre Atemgeräusche.
»Wenn Smith herauskriegt, daß Mark schwul ist, dann ist ihr zuzutrauen, daß sie ihn umbringt. Oder sich. Mark hat eine Heidenangst, daß sie es herauskriegt.«
Carlos gähnte. »Sie wird darüber wegkommen. Außerdem würde ¿¿«sich nie umbringen.«
»Vielleicht findet sie es nicht heraus.« Auch sie mußte gähnen. Nur mit Mühe hielt sie die Augen offen.
»Ha! Es ist schwer, so etwas zu verheimlichen.«
»Er hat versprochen, ihr zu sagen, daß er einen Job bei der Show hat, und es dabei zu belassen. Er hat nicht vor, es ihr zu sagen...«
Sie wachte mit einem Schreck auf. Carlos schnarchte neben ihr. Sie setzte sich auf und schaute auf die Uhr. Halb drei. Ihr Rock war völlig zerknittert. Sie versuchte, ihn zu glätten. Dann nahm sie Jacke und Mantel von dem Stuhl, wo sie sie hingeworfen hatte, hob die Handtasche auf, steckte die Füße in die Schuhe. Wenigstens war der Alptraum nicht gekommen.
Sie gab Carlos einen zärtlichen Kuß. »Gute Nacht, Kumpel.«
Er murmelte: »Ich liebe dich« und drehte sich auf die andere Seite.
Wetzon knipste die Lichter aus, trat auf den Flur, zog die Tür hinter sich zu und hängte das »Bitte-nicht-stören«-Schild an den Türknopf. Der Flur war leer. Keine Menschenseele. Wie anders das jetzt war. Die Theaterwelt, zu der sie gehört hatte, war so sexuell gewesen. Nicht sexy, sondern sexuell. Alle taten es. Und wenn sie es nicht taten oder zu tun planten, dann dachten sie daran, es zu tun. Die Feuerleitern an den schäbigen Hotels waren nach Proben oder Aufführungen verstopft. Die Partner wechselten häufig. Verheiratet in New York, bedeutete frei unterwegs. Es war, als machte Kreativität jedermann scharf.
Verglichen damit war ihr die Wall Street, wo Geld und Macht der Sex waren, wo die Leute auf das nächste Geschäft, die nächste Eroberung, nicht auf den nächsten Körper scharf waren, langweilig erschienen, als sie den Beruf wechselte.
Jetzt jedoch ging es unterwegs zahm zu. Umsichtig. Aids hatte alle ängstlich gemacht. Spontaneität hatte ausgedient. Selbst Safer-Sex war nicht mehr sicher. Sie ging über den Flur zu ihrem Zimmer.
Wo hatte sie den Schlüssel vergraben? Sie durchsuchte ihre Taschen, dann die Handtasche. Er lag ganz zuunterst, unter dem Make-up-Täschen. Sie steckte ihn ins Schloß, drehte ihn und stieß die Tür auf.
Das Licht auf dem Flur warf einen Streifen in das dunkle Zimmer. Hatte sie nicht alle Lampen brennen lassen? Du meine Güte, war das Ritz dazu übergegangen, mit einem Zeitschalter oder so etwas die Lichter zu löschen?
Sie schloß die Tür und tastete an der Wand nach dem Lichtschalter. Dann hielt sie inne. Etwas Weiches lag da auf dem Boden... Sie suchte nach dem Türgriff. Am zweiten Bett bewegte sich etwas kaum merklich, eine Verschiebung der Schatten.
Sie erstarrte. Jemand befand sich mit ihr im Zimmer.