Das Dach des Sandsteinhauses unter Wetzons Küchenfenster war eine flaumige Decke aus Schnee, bestickt mit Tausenden von Eisdiamanten, die im strahlenden Licht der Morgensonne glitzerten. Sie wandte sich ab und goß Kaffee in die Becher, während sie wartete, daß Silvestri den Kopf aus ihrem Kühlschrank zog.

»Himmel, Les, du hast keinen einzigen Krümel Eßbares hier.«

Sie sah auf die Uhr. »Ich kaufe dir Rührei mit Speck bei E.J’s. Ich wußte nicht, daß ich einen Gast zum Frühstück haben würde.«

Er sah auf die Uhr. »Ich habe keine Zeit.«

»Arbeitest du immer noch am Mord an Dilla?«

»Ja, unter anderem.« Er nahm ihr den Becher aus der Hand, trank Kaffee, stellte den halb geleerten Becher auf die Marmortheke und zog seinen Notizblock aus der Innentasche. »Was hatte Susan Orkin dir zu sagen?«

»Warum habe ich plötzlich das Gefühl, verhört zu werden? Es ist nicht nötig, daß du dich in einen Polizisten verwandelst. Oh, entschuldige. Ich habe es vergessen. Du bist immer Polizist. Ich teile gern mein Wissen mit dir.« Sie ging um ihn herum, machte den Kühlschrank auf und durchstöberte die Gemüseschale, Plastikbeutel mit vergammeltem Kopfsalat, eine verschimmelte Zitrone. Sie warf alles in den Mülleimer und tauchte mit einem »Idared«-Apfel auf, wusch, trocknete und viertelte ihn. »Julia Childs Lieblingssorte. Ich teile auch mein Essen gern.« Grinsend reichte sie Silvestri ein Viertel und legte die restlichen auf einen Teller.

Er betrachtete das Stück in seiner Hand und mußte lachen. »Also gut, teilen wir.«

»Sie hat mir sehr wenig erzählt. Und ich habe versprochen, Augen und Ohren offenzuhalten, während ich in Boston bin.«

»Du fährst nach Boston?«

»Ich fahre immer zu Carlos’ auswärtigen Premieren. Das weißt du doch. Ich fliege Donnerstag abend. Ich bleibe bis zur Premiere am Samstag und komme Sonntag abend zurück.«

»Und was genau sollst du in Boston hören und sehen?«

»Susan glaubt, daß Mort Dilla getötet hat...« Sie hielt die Hände hoch, bevor er sie unterbrechen konnte. »Laß mich zu Ende reden, Silvestri. Weil Dilla ihm Paroli bot.«

»Phantastisches Motiv.«

»Ich glaube schon, daß Dilla etwas gegen Mort in der Hand hatte und er vielleicht etwas gegen sie. Es war eine verrückte Beziehung. Beinahe symbiotisch. Aber er hat sich bestimmt schnell aufgerappelt und hergerichtet, nachdem er sie ermordet hatte.«

»Was uns alles nicht weiterbringt.«

»Aber zwei Dinge habe ich doch herausbekommen.« Sie war sehr mit sich zufrieden. Sie bot ihm den Teller mit den Apfelvierteln an.

»Vogelfutter«, beklagte er sich, nahm aber noch ein Viertel. »Was sind das für große Dinge, die du erfahren hast?«

»Erstens hat Susan vor irgend etwas große Angst. Und zweitens hatten Dilla und Susan irgendwann am Freitag einen Riesenstreit. Kannst du bei ihrem Nachbarn einen Stock tiefer nachprüfen, einem Mr. Nadelman. Er kam nach oben, außer sich wegen des Lärms, den Dillas Mutter und Schwester machten, und erwähnte es zufällig.«

Silvestri brummte.

»Ist das alles, was du zu sagen hast?«

Sie war enttäuscht. »Du kannst es einfach nicht ausstehen, wenn ich mehr als du herausbekomme.«

»Bernstein oder seine Partnerin hätten es wahrscheinlich früher oder später Aufgedeckt.«

»Oh, bitte.« Sie aß den Apfel auf und stellte den Teller in die Spülmaschine. »Hast du ein Profil ihres Mörders erstellt?«

Er sah sie scharf an und schrieb etwas in sein Notizbuch.

»Wenn ja, möchte ich es gern sehen.«

Sie konnte sehen, wie er sich sträubte. »Wozu?«

»Sei kein Spielverderber, Silvestri.«

»Spielverderber? Amateure vermasseln immer die Untersuchungen. Und kommen dabei noch zu Schaden.«

Sie nahm ihren Kaffee und ging aus der Küche. Dann machte sie die Tür auf, hob die Times und das Journal von der Matte auf, machte die Tür zu und setzte sich ins Wohnzimmer. Sie stellte den Becher auf den Couchtisch. Der Wirtschaftsteil wurde besonders interessant für sie. Sie begann zu lesen.

Silvestri folgte ihr. »Ich möchte dich nicht verletzen. Ich ertrage es nicht, dich verletzt zu sehen.«

»Du glaubst, das, was du tust, ist Männerarbeit, und Frauen sollen sich raushalten. Stimmt’s?«

»Nicht alle Frauen. Die meisten. Du ganz besonders.«

Sie stand auf. »O Mann, Silvestri, du bist so italienisch.« Sie faltete die Zeitung zusammen, warf sie in die Aktentasche, stellte den Becher in die Spülmaschine, dann ging sie ins Schlafzimmer, ohne ihn zu beachten.

»Der Gedanke, daß du mit ihm zusammen bist, ist mir zuwider.« Silvestri schaute sich um. Er lehnte am Türrahmen. »Hier.«

»Er kommt nie her.« Wetzon setzte die Ohrringstecker in die Ohrläppchen ein und glitt in die Pumps.

»Warum nicht?«

»Ich weiß nicht. Ich schätze, weil ich ihn nie dazu ermuntert habe. Ich weiß es nicht.« Als sie zu Silvestri aufschaute, grinste er sie an. »Laß das. Du machst mich wahnsinnig.« Sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, aber er erwischte sie und hielt sie fest.

Sie glaubte, ihn in ihr Haar sagen zu hören: »Les, was soll ich bloß mit dir machen?«

Sie machte sich los. »Warum mußt du etwas mit mir machen?«

Er warf die Arme hoch und ging durch den Flur, und diesmal war sie es, die ihm folgte und zusah, wie er seine Lederjacke vom Stuhl nahm. »Ich kapiere es nicht«, sagte er plötzlich und wandte sich ihr zu. »Was siehst du in ihm?«

Wetzon seufzte. »Er ist ein sehr netter Mensch. Müssen wir uns das antun, Silvestri?«

»Und?«

»Und was?« Sie bemühte sich nicht, ihre Gereiztheit zu verbergen.

»Was noch? Da muß noch etwas anderes sein.«

»Gut.« Er hatte selbst danach gefragt. »Er ist ein einfühlsamer, zärtlicher Liebhaber.«

»Und ich bin es nicht?«

»Wer wird nun störrisch?« Das Ganze machte sie müde und traurig.

Er starrte lange auf sie hinunter, dann drückte er ihr einen Kuß auf die Nase. »Bleib anständig in Boston.«

Er war fort, bevor sie etwas erwidern konnte.

»Verdammt«, sagte sie zur Tür. Würde sie Altons Antrag annehmen, fragte sie sich, wenn es Silvestri nicht gäbe? O Mann, wenn es ihn nicht gäbe, wären ihre Gefühle nicht so in Aufruhr, wäre das Leben soviel leichter. Der Antrag stand immer noch auf ihrem Anrufbeantworter. Und das kleine Lämpchen blinkte immer noch. Sie war noch nicht bereit, das Band zu löschen. Sie ging hinüber zu dem Gerät und sah zu ihrer Überraschung, daß es zwei Nachrichten anzeigte. Wann war die zweite Nachricht hereingekommen? Sie ließ Alton vorlaufen und hielt das Band an, um die zweite Nachricht abzuhören.

Die Stimme war ein so leises, bebendes Flüstern, daß Wetzon es kaum verstehen konnte. »Hier ist Susan. Es ist etwas furchtbares passiert. Bitte ruf mich so schnell wie möglich an. Bitte