»Und ich werde Mark überraschen.« Smith übersah Wetzons bestürztes Gesicht und redete immerzu weiter. »Mein süßes Baby hat in seinen Frühlingsferien Kurse in Harvard belegt. Ist das nicht reizend?«

»Ist das nicht reizend?« wiederholte Wetzon. »Ist das nicht reizend, Wetzon? O ja, allerdings, es ist total reizend. Jetzt können wir alle eine Pyjamaparty im Ritz feiern.«

»Das Ritz? Aber nein, Zuckerstück. Ihr Theaterleute könnt das Ritz haben. Ich wohne immer im Four Seasons

Wetzon warf die Hände hoch und verdrehte die Augen. »Ach ja, selbstverständlich.«

Smith sah sie scharf an und schlenderte zu ihr, um die Hände auf Wetzons Schultern zu legen. »Habe ich es mir doch gedacht. Du bist verspannt. Ich kann immer sagen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.« Sie drückte Wetzons Schultern.

»Geh weg, Smith.«

»Und du siehst spitz aus. Was ist los? Ist es Alton? Ich glaube, es ist Zeit für einen Mann in deinem Leben.« Smith begann, Wetzons Schultern zu massieren.

»Klar. Je mehr, desto fideler.« Genaugenommen war es beinahe lustig. Wetzon hätte gelacht, wenn sie nicht so deprimiert gewesen wäre. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht.«

»Was ist es dann? Du weißt, du kannst mir alles sagen.« Smith knetete weiter.

»Au!« Mensch. Smith hatte recht. Sie war verkrampft, so angespannt, daß sie nicht einmal den Anfang von Smith’ nächstem Satz hörte.

»...eine Massage. Und ich kenne genau die richtige Person.«

»Was ist mit einer Massage?«

»Sie würde dir helfen.« Smith hörte auf zu kneten und tätschelte Wetzons Kopf.

»Ich gehe zu einer Psychotherapeutin«, sagte Wetzon. Sie hatte es so nebenbei fallenlassen wollen, aber nun klang es wie etwas Folgenschweres.

»Eine Psychotherapeutin? Weswegen, um Himmels willen? Dein Leben ist so unkompliziert...« Wie zur Hervorhebung ihrer Worte begannen die Telefone zu läuten, alle Apparate auf einmal.

»Wie bitte?«

»Sprich doch weiter, Schatz.« Smith lächelte sie nachsichtig an.

»Ach, was soll’s.« Smith brauchte sich momentan nicht besonders anzustrengen, um sie zu zermürben. Wetzon nahm den Hörer ab. »Smith und Wetzon, guten Morgen.«

»Hallo, ist B.B. da?«

»Bleiben Sie bitte dran. Mit wem spreche ich?«

»Wendy.«

Wetzon stellte den Anruf durch. »Wendy, na so was. B. B. hat eine Freundin.«

Smith blickte finster. »Private Anrufe während der Geschäftszeit?«

»Ach, Smith, laß schon. Nimm’s locker. Er nutzt es nicht aus...« Sie ging an die Tür, öffnete sie und rief: »B. B., Wendy für dich auf zwei.« Sie schloß die Tür und grinste Smith an.

»Hm«, sagte Smith. »Also, warum gehst du zu einer Therapeutin?« Wie ein Hund mit einem Knochen, dachte Wetzon. Sie hätte Smith niemals die Tür einen Spalt breit öffnen dürfen. Smith hatte ihre eigene Therapie abgebrochen, kurz nachdem sie sich mit Richard Hartmann eingelassen hatte. Zu dumm, denn es hätte vielleicht zu der Erkenntnis beigetragen, was für ein gemeiner Mensch Hartmann war. »Mir kannst du alles sagen.«

Wirklich? Wetzon seufzte. »Ich habe etwas, das man als posttraumatisches Streßsyndrom bezeichnet.«

»Was ist das? Hört sich furchtbar an.«

»Ich kann nicht schlafen und habe einen wiederkehrenden Traum, daß auf mich geschossen wird.«

»Tja, Schatz, es wird nun mal auf Leute geschossen. Du bist ja nicht die erste. Du mußt einfach darüber wegkommen.« Smith untersuchte ihre Fingernägel.

»Sicher werden Leute erschossen, Smith. Soldaten, Polizisten, Drogenhändler, unschuldige Zuschauer in Slums. Nicht Leute wie wir.«

»Um Himmels willen. Da versuche ich mich einzufühlen...«

»Smith, du würdest Einfühlungsvermögen nicht erkennen, wenn du am hellen Tag darüberstolpern würdest.«

»Zuckerstück, du weißt einfach nicht, wie man sich helfen läßt.«

»Du hast mit Silvestri gesprochen.«

»Was? Ich kann’s nicht glauben. Wenn du dich wieder mit diesem Verlierer triffst, dann brauchst du wirklich Hilfe. Triffst du ihn?«

»Verrate ich nicht.« Warum hatte Smith so eine Art, Dinge zu sagen, die richtig waren, und sie dann zu verdrehen? »Ich lasse mir jetzt helfen.«

»Dazu brauchst du keine Therapeutin. Du solltest mit mir reden. Ich berechne es nicht einmal.«

Wetzon starrte ihre Geschäftspartnerin an. Smith meinte es völlig ernst. Trotz allem begann Wetzon zu lachen.

Smith war ungehalten. »Du bist unmöglich. Ich versuche, deine Freundin zu sein, und du weist mich ab und lachst mich aus.«

»Nein, nein, ehrlich.« Wetzon konnte kaum sprechen, so mußte sie lachen. »Nein, wirklich. Dank dir für die Fürsorge.«

»Hm.« Smith kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück und blätterte ihre Nachrichtenzettel durch. »Der hier ist für dich.« Sie wollte ihn Wetzon schon reichen, dann zog sie ihn zurück und las ihn.

»Von wem ist das?« Die Augen naß vor Lachen, fing Wetzon die Tränen vorsichtig mit einem Papiertuch auf, damit das — angeblich wasserfeste — Mascara nicht verlief.

»Susan Orkin. Ist sie nicht mit dem Senator verheiratet?«

»Nicht mehr.«

»Woher kennst du sie?« Smith hörte sich eingeschnappt an.

»Sie war Dilla Crosbys Geliebte...«

»Muß das sein? Ich kann das nicht ausstehen.«

»Versuche, darüber wegzukommen, Herzchen.«

»Herrgott, ich wußte, ich würde es bedauern, mich von dir ins Theater schleppen zu lassen.«

»Darf ich daran erinnern, daß du uns eingekauft hast?«

Smith sagte: »Ich schätze, daß ich das verdiene.« Sie schien beleidigt.

Und Wetzon hatte Mitleid mit ihr. »Susan und ich waren zusammen am Douglass.«

»Ach.«

»Brütest du die Nachricht aus?« Sie stand auf, um Smith den rosa Zettel wegzunehmen.

»Es steht nichts weiter darauf. Nur daß sie angerufen hat...heute morgen um neun Uhr. Bändelst du wieder mit ihr an, jetzt, wo sie ungebunden ist?«

»Was willst du damit sagen?«

»Es war Spaß. Reg dich nicht gleich auf. Es war nur Spaß. Ich weiß, daß du normal bist.«

»Normal! Mein Gott, Smith, du hast keine Ahnung, was normal ist.«

»Na ja...« Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt. »Ich weiß, daß du keine von denen bist.«

»Wie willst du das wissen, Smith?« fragte Wetzon boshaft »Vielleicht tu ich es nur heimlich. Wie könntest du das wissen?« Sie beugte sich zu Smith vor und schnurrte mit ihrer verführerischsten Stimme. »Ich bin wirklich eine gute Schauspielerin.«

Smith starrte Wetzon entgeistert an.

»Du solltest also nie urteilen.« Sie fuhr mit den Fingern leicht über Smith’ Wange. Smith zuckte zusammen. »Von nun an wirst du dir nie mehr sicher sein.« Sie sagte es voller Schadenfreude.

»Du bist absolut unmöglich. Ich weiß, daß mit dir alles in Ordnung ist.«

»Was ist in Ordnung? Ist das so ähnlich wie normal? Weißt du nicht, daß die Ansicht vom Standpunkt abhängt?« Wetzon gab es auf. Es hatte eigentlich keinen Sinn, den Versuch zu machen, Smith’ Bewußtsein zu entwickeln. Sie hatte keines.

»Was ist mit Alton?« Smith war wirklich beunruhigt.

»Was soll mit ihm sein?«

»Na ja, du bist mit ihm zusammen gewesen.« Argwohn machte ihre Augen glasig. »Diese Laura Lee Day war es! Ich wußte es. Sie hat dich auf Abwege gebracht.« Smith’ Gesicht nahm einen komischen verkniffenen Ausdruck an. Sie griff in ihre Handtasche und zog die Tarotkarten heraus, die sie an die Brust hielt, als wollte sie einen Vampir abwehren.

»Du meine Güte, Smith. Laura Lee ist nicht lesbisch, so wenig wie ich. Alton hat mich gestern gebeten, ihn zu heiraten.«

Smith stieß einen schrillen Schrei aus und stürzte sich auf Wetzon und drückte sie an sich. »Das freut mich so für dich, Schatz. Er ist so vollkommen.«

»Seit wann hältst du ihn für vollkommen?«

»Hör zu.« Smith begann, an den Fingern abzuzählen. »Er hat Geld, er hat jede Menge gute geschäftliche Beziehungen, er ist alt genug und selbstsicher genug, um keine Egoprobleme mit deinem beruflichen Erfolg zu haben.« Dann schob sie triumphierend nach: »Und er liebt dich mehr, als du ihn liebst.«

»Sehr gut, Smith. Ich mag die Art, wie du es auf den Punkt bringst.«

»Was hast du geantwortet?«

»Ich denke noch darüber nach.«

»Das ist ein gewaltiger Schritt in die richtige Richtung. Es wäre so gut für unser Geschäft.«

»Hör zu, Smith, könnte ich für einen Augenblick das Thema wechseln?«

»Selbstverständlich, Zuckerstück. Leslie Wetzon-Pinkus.«

Wetzon schüttelte den Kopf. Smith war aufgeregter als sie selbst. »Ich habe gestern einen kleinen Nachforschungsauftrag angenommen. Für Susan Orkin.«

»Ohne mich?«

»Für eine alte Freundin. Es gibt dafür kein Geld. Sie wird das Honorar für eine wohltätige Einrichtung spenden. Für die Aids-Hilfe.« Wetzon klimperte im Zeitlupentempo mit den Augenlidern. »Ich werde sie bitten, es in unser beider Namen zu tun, einverstanden?«

»Es macht dir wohl Spaß, mich zu quälen«, sagte Smith, doch sie lächelte. »Du glaubst, du bist die einzige mit Sinn für Humor. Was für eine Nachforschung ist das?«

»Ich soll in Boston ein wenig herumschnüffeln. Sie ist davon überzeugt, daß Mort Dilla ermordet hat und daß er sich im Streß der Probevorstellungen verrät.«

»Mort Hornberg? Dieser nette Mann? Natürlich irrt sie sich, aber wir können ihr sicher einen Überblick verschaffen, während wir in Boston sind.«

Wetzon mußte über Smith schmunzeln. Es war komisch, wenn sie versuchte, Detektiv zu spielen. »Ganz bestimmt, Partner.«

»Herrlich«, sagte Smith. »Wir sind wieder mittendrin.«

»Ich rufe jetzt lieber bei Susan an, um zu hören, was sie will.« Wetzon tippte die Telefonnummer von dem rosa Nachrichtenzettel ein.

Nach dem zweiten Läuten meldete sich Susan.

»Susan. Leslie hier. Tut mir leid, daß wir uns ständig verpaßt haben.«

»Ich habe gerade jemand hier«, flüsterte Susan, und in ihrer Stimme klang Vorsicht an — oder war es Angst? »Entschuldigen Sie«, sagte sie lauter zu jemand anderem. »Ich bin gleich wieder da.« Wieder senkte sie die Stimme. »Leslie, hör bitte zu. Heute morgen hat jemand versucht, hier einzubrechen. Er kam nicht herein, weil Rhoda, meine Haushaltshilfe, ihn verscheuchte. Wer auch immer Dilla ermordet hat, ist jetzt hinter mir her.«

»Susan, um Gottes willen, ich kann es immer noch nicht glauben, daß es Mort war. Es ist nicht sein Stil. Was sagt die Polizei?«

»Ich habe sie nicht gerufen — ich kann nicht — du verstehst das nicht. Es ist einfach zu kompliziert...«

»Ruf die Polizei, Susan, sofort.«

»Leslie, ich habe dir nicht alles gesagt...«

»Um Himmels willen, Susan!«

»Am Tag, bevor sie ermordet wurde, bekam Dilla einen Drohbrief.«