Obwohl Wetzon zuviel Wein getrunken hatte und vor Müdigkeit benebelt war, riß sie die Tür zum Flur auf und knipste im Hinausgehen die Deckenlampen an. »Erwischt«, sagte sie leise.

»Huch! Um Himmels willen!«

Wetzon sprang ins Zimmer zurück und schlug die Tür zu. In einem weißen seidenen Nachthemd saß Smith auf dem zweiten Bett und rieb sich die Augen.

»Smith! Verdammt. Was machst du denn hier? Und in meinem Bett!« Sie bemerkte sofort, daß ihre sämtlichen Sachen durcheinander auf dem Bett lagen, das sie dazu benutzen wollte, ihre Kleider auszubreiten.

»Nicht zu glauben, daß du mich aus tiefstem Schlaf weckst, um mich das zu fragen«, nörgelte Smith, eine Hand schützend über die Augen haltend. »Mach das Licht aus.«

Wetzon schaltete die Lampe auf der Kommode an und bemerkte, daß Smith ihre Siebensachen auf der Schreibtischplatte ausgebreitet hatte. Sie knipste das Deckenlicht aus. »Wie, wenn ich mir die Frage erlauben darf, hast du dir vorgestellt, soll ich ins Bett kommen?« Sie begann, ihre Kleider aus dem Stapel auf dem Bett auszusortieren und spürte dabei Smith’ Blick im Rücken.

Es waren keine Bügel mehr für Wetzons Kleider frei. »Himmel, Arsch und Wolkenbruch!« Mit einem Tritt schlug sie die Schranktür zu.

»Zuckerstück, also wirklich. Ich dachte, du wärst über Nacht aus.«

»Und bei wem sollte ich wohl sein, kannst du mir das bitte verraten?«

Smith zog graziös die fabelhaften Schultern hoch. »Na, es haben doch auch ein paar Leute mit der Show zu tun, die nicht schwul sind. Einer oder zwei. Zum Beispiel ein Techniker, der ziemlich attraktiv ist und der verrückt nach dir zu sein scheint...« Sie hatte diese blasierte Miene aufgesetzt, die Wetzon wahnsinnig machte.

»Wovon redest du, Smith?«

»Walt.« Da war wieder dieser blasierte Blick.

»Walt? Walt Greenow? Wie zum Kuckuck hast du ihn kennengelernt?« Es war verblüffend, wie schnell sich Smith mit Wetzons Theaterwelt vertraut gemacht hatte, ebenso mit Wetzons Zimmer im Ritz. »Verrückt nach mir? Lies meine Lippen. Walt Greenow ist nicht verrückt nach mir. Letzten Samstag sind wir uns zum erstenmal seit zehn Jahren über den Weg gelaufen.«

»Du verstehst es nie, ein Kompliment anzunehmen.« Smith’ Ton veränderte sich ein wenig, von zuckersüßem Schmeicheln zu wehleidigem Gequengel.

»Laß mich in Frieden, ja?« Wetzon durchwühlte ihren Koffer nach dem extragroßen T-Shirt. »Was machst du überhaupt hier?«

»Ich dachte, wir sollten zu so einer Zeit zusammen sein.«

Wetzon starrte ihre Partnerin an. Hatte sie das mit Mark herausbekommen? Nein, unmöglich. Sie wäre am Boden zerstört, wenn das geschehen wäre. »Ach ja?«

»Außerdem war mein Zimmer im Four Seasons eine Katastrophe.«

»Katastrophe, Schatz? Du weißt nicht, was eine Katastrophe ist«, sagte Wetzon und bedauerte es sofort. Aber Smith achtete nicht auf sie.

»Es hatte die Größe einer Besenkammer.«

»Wie tragisch.«

»In der Stadt findet ein Kongreß des amerikanischen Ärztebundes statt, und nirgendwo war ein anständiges Zimmer zu bekommen.«

»Was für ein Glück für mich, ich habe einen Zimmergenossen.« Wetzon hob ihren Mantel, den sie auf einen Stuhl geworfen hatte. »Verdammt, warum hast du mir keine Kleiderbügel gelassen?« Sie ließ den Mantel wieder auf den Stuhl fallen. Es hatte keinen Sinn. Sie zog sich aus und streifte das T-Shirt über, dann schaltete sie die Nachttischlampe an.

»Morgen haben wir mehr vom Aufräumen. Sei nicht so ekelhaft. Es wird so lustig werden. Du und ich zusammen.«

Wetzon krümmte den Zeigefinger zu einem Kreis. »Juchhe.« Sie ging ins Bad. Ihre Cremes und Lotionen waren auf dem Spülkasten der Toilette aufgebaut, während Smith ihre Sachen überall ausgebreitet hatte. Sie entfernte das Make-up mit einem Ölläppchen und wusch ihr Gesicht, dann trug sie großzügig Feuchtigkeitscreme auf. Tiefe Falten schienen in ihre Stirn gekerbt, und die Mundwinkel wiesen nach unten. Sie schenkte ihrem Spiegelbild ein falsches Lächeln und dachte: Zum Teufel mit dir, braves Mädchen. Mit der Melodie von »Officer Krupke« aus West Side Story im Kopf schaffte sie Smith’ zahllose Kosmetika und Lotionen auf den Deckel des Spülkastens und stellte ihre eigenen wieder dorthin, wo sie gestanden hatten. Alle bis auf den Eyeliner, der in die offene Toilette plumpste. »Scheiße!« Böse Taten wurden immer bestraft - wenigstens ihre.

»Was machst du da drin, Zuckerstück?« Der herrliche Unterton der Ungewißheit in Smith’ Stimme brachte Wetzon zum Lachen, obwohl sie gerade den Eyeliner aus der Toilette fischte und in den Papierkorb fallen ließ. Summend wusch sie die Hände, cremte sie ein und ging ins Schlafzimmer zurück.

»Vermutlich hast du mit deiner Überredungskunst den Weg in mein Zimmer gefunden.« Sie schaltete die Lampe auf dem Schreibtisch aus.

»Das kann ich am besten, Schatz.«

»Hast du mit Mark gesprochen?« Sie zog die Decke zurück und schlüpfte ins Bett. Sie war hundemüde.

»Ja, und weißt du, was mein kluges Baby getan hat? Ich bin ja so stolz auf ihn.«

»Nein. Was?« Sie schob das zweite Kissen beiseite und drückte das erste flach, dann kuschelte sie sich hinein.

»Er hat es mit seiner Überredungskunst geschafft, einen Job bei Hotshot zu bekommen, während er in Boston ist.«

»Du lieber Himmel. Er ist wirklich der Sohn seiner Mutter.« Wetzon schloß die Augen und stellte fest, daß sie sie nicht mehr aufbekam. »Schalte bitte das Licht aus, Smith. Ich bin ganz kaputt.« Sie spürte noch, wie sie in Schlaf sank.

»Zuckerstück, nein!«

Wetzons Körper zuckte heftig zusammen. »Verdammt, Smith!«

»Du hast mich geweckt, also mußt du jetzt wach bleiben und mit mir reden.«

»Worüber?« Sie langte hinüber und machte das Licht aus.

Smith knipste es wieder an.

Wetzon schlug ein Auge auf und sah, daß Smith noch im Bett saß. »Herrgott, willst du, daß ich dir eine Gutenachtgeschichte vorlese?«

»Du bist unmöglich. Meinetwegen. Du kannst das Licht ausmachen, und ich sitze dann eben im Dunkeln hier.«

»Ich gebe auf!« Wetzon setzte sich auf und boxte ihre Kissen. »Also gut. Du hast deinen Willen. Ich bin jetzt wach. Rede mit mir.«

»Tjaaa. Laß mich nachdenken... Ich hatte ein reizendes Abendessen mit Joel bei Joseph’s

»Nur ihr zwei? Der Zwilling nicht?«

»O nein, Auch Audrey. Es ist reizend zu sehen, daß Schwester und Bruder sich so nahestehen.«

»O ja, ganz reizend.« Wetzons Augen fielen wieder zu.

»Sie klebt an ihm wie eine Klette.«

»Das habe ich gehört. Könnten wir nicht das Licht ausmachen? Es tut meinen Augen weh.«

»Dann schläfst du ein.«

»Nein, ich verspreche es.« Sie grinste Smith an. »Nicht bevor du es erlaubst.«

»Sehr komisch«, sagte Smith, schaltete aber dennoch das Licht aus.

Ein strahlendes Kaleidoskop aus Regenbogenfarben blendete Wetzons Augen. Sie kuschelte sich unter die Decke und wünschte inbrünstig, sie wäre die Nacht über bei Carlos geblieben. »Carlos und ich haben mit Twoey und Sunny Browning zu Abend gegessen.«

»Twoey und Sunny Browning«, wiederholte Smith verärgert.

»Ja, sie scheinen ziemlich beeindruckt voneinander.«

»Hm! Das zeigt dir, daß ich bei ihm richtig gelegen habe. Er ist ein Schwächling.«

»Du irrst dich, Smith. Du würdest einen netten Kerl auch nicht erkennen, wenn du über ihn stolpern würdest, aber ich bin zum Streiten zu müde...«

»Wetzon, wag bloß nicht einzuschlafen.« Smith stand über ihr und schüttelte sie.

»Geh weg.«

»Ich habe noch mehr zu erzählen...«

»Sprich schnell«, murmelte Wetzon.

Smith legte sich wieder ins Bett. »Audrey Cassidy ist reizend, wenn man alles bedenkt. Ich hätte nie gedacht, daß ich das über so eine sagen würde.«

»So eine?« Eine gedämpfte Autohupe erklang von der Straße.

»Du weißt schon, Lesben.«

»Das korrekte Wort, Smith, ist Lesbierin.«

»Egal. Mort kam auf einen Drink an unseren Tisch, und er und Joel begannen eine Diskussion darüber, wieviel sie Gideon geben können, wenn er dazukommt und das Stück umschreibt. Mort müßte von seinen Prozenten als Regisseur etwas abgeben und dein Freund Carlos als Choreograph noch mehr.«

»Ich höre mir nicht diese...«

»Es ist genau wie in der Wall Street, Zuckerstück. Um das Geschäft erfolgreich zu Ende zu bringen, muß jeder Kompromisse schließen.«

»War es das? Kann ich jetzt schlafen?«

»Nein. Es gibt noch mehr. Das beste kommt noch. Mort fing an, davon zu reden, daß er Dilla vermißt — es war sehr anrührend, muß ich sagen — , und daß ihr Assistent so eine Niete ist und der Arbeit als Inspizient nicht gewachsen.«

»Ja, Phil. Er steckt, glaube ich, in Schwierigkeiten.« Ihre Augen waren wie zugenäht. »War’s das?« murmelte sie und begann zu sinken.

»Warte. Jetzt wird es spannend.«

»Mach schnell, Smith.«

»Sie redeten also von Dilla, und stell dir vor, Audrey macht so ein komisches Gesicht. Sie wird sehr rot, und dann sagt sie, sie ist gleich wieder da. Mort und Joel bemerken es nicht einmal. Sie sind so damit beschäftigt, wer wieviel abgeben muß. Und ganz nebenbei, Schatz, ich halte es für sehr seltsam, daß Joel Mort, Gideon und Carlos vertritt. Ist das kein Interessenkonflikt?«

»Moral von dir, Smith? Wie weit ist es mit der Welt gekommen?« Sie lachte und stellte fest, daß sie hellwach war. »Das ist im Showbusineß an der Tagesordnung.«

»Offen gesagt, Zuckerstück, mir scheint es, daß er vom Standpunkt der kreativen Person her besser dastünde, wenn er von jemandem vertreten würde, der an keinem anderen in Hotshot interessiert ist. Also du weißt schon, was ich meine. Vielleicht sogar von jemandem wie mir.« Sie verstummte.

»Smith, schläfst du?«

»Hm? Wie? Ach so. Nein. Na ja, kann sein.«

»Würdest du dann bitte deine Audrey-Geschichte zu Ende bringen?«

»Oh. Habe ich es nicht gesagt?«

»Nein, hast du nicht. Wehe, du wagst einzuschlafen, bevor du es erzählt hast.«

»Also gut. Audrey ging zur Toilette, ich hinterher. Als ich hinkam, schluchzte sie in eine Handvoll Taschentücher, die Arme.«

»Worüber?«

»Ich habe doch gesagt...«

»Nein — hast — du- nicht.« Wetzon spürte den starken Drang, aufzustehen und Smith zu erwürgen.

Smith’ zufriedenes Lächeln war sogar in der Dunkelheit spürbar. »Tja, es scheint, daß Audrey Cassidy der geheime Investor war und, jetzt kommt’s, daß Dilla diese Orkin wegen Audrey loswerden wollte.«