In zwölftausend Meter Höhe, irgendwo über Bridgeport, servierte ein Steward Champagner, keinen Geringeren als Taittinger’s, und  Pastete auf kleinen Keilen dunklen Brotes.

Wetzon saß über dem Flügel, die Beine vor sich ausgestreckt. Es war ein magischer Februarabend. Der Himmel schien endlos gewölbt, und die blinkenden Lichter der Grumman G-2 mischten sich unter die Sterne. Sie hob ihr Glas und trank ihnen zu. Die Limonade sprudelte nicht mehr. Wenn schon. Auch so war es Luxus.

Smith hatte ausgemacht, daß ein Wagen sie im Büro abholte und zum Westchester County Airport in White Plains brachte. Es war einer von Joel Kiddes Wagen, mit Bar und Fernseher und allem Drum und Dran. O ja, Smith war in Topform.

Während dieses kurzen friedlichen Zwischenspiels im Flugzeug fühlte sich Wetzon ganz allein, und es war ein wunderbares Gefühl. Sie hatte Alton eine Nachricht hinterlassen. Liebster Alton, hatte sie geschrieben und die Worte sorgfältig gewählt. Bestimmt hast du vergessen, daß ich dieses Wochenende wegen Carlos‘ Premiere in Boston binim Ritz. Komme Samstag nacht zurück. Sie unterschrieb, Herzlichst, L., dann las sie es durch und fügte ein P.S. hinzu: Deine Nachricht ist angekommen und wird zur Zeit verdaut. Sie hatte den Brief in einen Umschlag gesteckt und bei Altons Portier abgegeben.

Von Silvestri hatte sie nicht wieder gehört, und als sie daran dachte, war sie plötzlich sauer. Für wen hielt er sie eigentlich? Einfach eine, die man bumsen konnte, wenn einem danach war? Sie spürte, wie sie allmählich in Wut geriet. Verdammt, warum bedeutete er ihr soviel? Alton war besser für sie...

Ein perlendes Lachen drang durch ihre Träumerei. Beinahe war es ihr gelungen, das irritierende Gesumme von Menschen um sie herum, die versuchten, sich gegenseitig zu beeindrucken, zu überhören. Smith war wirklich in Hochform. Es ärgerte Wetzon mehr als üblich. Andererseits ärgerte sie in letzter Zeit alles mehr.

Trotz ihrer herzlichen Gefühle für Carlos fürchtete sie sich beinahe vor dem, was in Boston auf sie zukommen würde. Probevorstellungen in anderen Städten waren in mehr als einer Hinsicht nervenaufreibend. Alle waren gereizt, die Leute warfen sich unverzeihliche Dinge an den Kopf und erwarteten dann, daß man ihnen verzieh. Kostüme paßten nicht richtig, Einsätze kamen nicht richtig, Scheinwerfer gingen nicht mit. Die Darsteller würden körperlich und geistig erschöpft sein. Als sie spät in der vergangenen Nacht mit Carlos telefoniert hatte, war er aufgeregt und barsch gewesen. Mort war wieder in Aktion, den Arm in der Schlinge, den Hals im Stützkragen. Wer auch immer ihn überfallen hatte, berichtete Carlos, hatte es nicht geschafft, ihn zu töten. Dieses Mal. Die Polizei stufte es als Raubüberfall ein, weil Morts Cartieruhr und Brieftasche fehlten. An dieser Stelle hatte Carlos teuflisch gelacht und zu ihr gesagt: »Also können wir es noch versuchen, Schatz.«

»Geheimnisvoller Aufstrich.«

»Hm?«

»Ich an Ihrer Stelle würde es nicht essen.« Sunshine Browning zeigte auf den Keil Schwarzbrot in Wetzons Hand, die nicht einmal gemerkt hatte, daß sie ihn noch hielt.

»Werfen Sie es hier hinein.« Sunny hielt ihr einen Kotzbeutel hin, und Wetzon ließ das Brot gehorsam hineinfallen. »Ich esse nie, was die draufstreichen. Erstaunlich, nicht, daß private Flüge noch schlechter als Linienflüge sind.« Sunny hatte ein breites Zahnpastagrinsen und eine streifig blonde Mähne. Park Avenue selbstverständlich. Ihre Haut war bleich, die Blässe noch von dem schwarzen Ensemble aus Rock, Pulloverjacke, Strumpfhose unterstrichen. Sie starrte Wetzon gespannt an. »Ich erinnere mich an Sie. Ich hatte gerade Radcliffe abgeschlossen und bei Mort als Assistentin angefangen.«

»Das bezweifle ich. Ich war nur Gruppentänzerin.« Wetzon erinnerte sich ganz bestimmt nicht an sie. Mort Hornberg stellte immer Frauen von den besten Schulen an, und Sunny Browning war nur eine in einer langen Reihe. Normalerweise blieben sie nicht lange. Bis auf Sunny. Aus einem sehr wichtigen Grund. Sunny verfügte über Beziehungen. Sie konnte Geld auftreiben.

»Sie waren doch die, mit der er immer Streit hatte.«

Wetzon spürte, daß sie rot wurde. »Streit? Nein. Bestimmt verwechseln Sie mich mit...«

»Mort sagte immer, er brauchte Leslie Wetzon nur ins Gesicht zu sehen und konnte ablesen, was sie dachte. Habe ich recht?« Sunny hatte eine vereinnahmende Art, die Wetzon unangenehm war.

»So etwas Ähnliches hat er gesagt...«

»Ha! Sehen Sie. Ich habe das totale Gedächtnis.« Sunny neigte das Champagnerglas und trank aus. »Ich vergesse nie etwas.«

»Vergißt nie was, Kumpel?«

Joel Kidde beugte sich über sie, groß, glattes Haar, ein wenig vorstehende Augen, die aus einem im Studio gebräunten Gesicht schauten. Er roch nach guten Zigarren und sah aus wie der, der er war, ein großes Tier, aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Time Warners verstorbener Vorsitzender Steve Ross. Joel Kidde stank fast nach Macht. Kein Wunder, daß Smith sich zu ihm hingezogen fühlte.

»Leslie Wetzon«, stellte Sunny vor.

Kiddes Blick verriet nichts. Er machte dem Steward Zeichen, Champagner zu bringen, und setzte sich vor Wetzon. Er trug einen roten Rollkragenpullover aus Cashmere unter einem grauen Anzug.

»Das ist Leslie Wetzon, Joel«, wiederholte Sunny, wobei sie Wetzon zuzwinkerte.

Wie wunderbar, dachte Wetzon, einen solchen Eindruck hinterlassen zu haben. Sie waren einander vorgestellt worden, als Wetzon und Smith mit Mort und Twoey im Four Seasons zu Mittag gegessen hatten, und noch einmal, als sie an Bord des Flugzeugs gegangen waren. Doch Joel war sofort von Smith fasziniert gewesen. Nichts Neues also.

»Oh, Joel.« Audrey Cassidy strich ihren honiggelben Nackenknoten glatt. Sie war genauso groß wie Joel und so dünn, daß sich die Hüftknochen durch das purpurrote anliegende Strickkleid abzeichneten. Ihr großer Kopf schien bedenklich auf der hageren Figur zu balancieren. Sie schrieb für ein Modejournal gehässige Geschichten über Berühmtheiten. Sie und Joel waren Halbgeschwister. Sehr nahe. Unglaublich nahe. Sie wurden in der Branche in Anspielung auf die zwei Banditen und Filmhelden Butch Cassidy und Sunburnt Kidde genannt. »Was, sagten Sie, tun Sie, Leslie?«

»Ich bin Headhunterin. Man könnte sagen, ich jage große Tiere für die renommiertesten Firmen der Wall Street.« Sie wies mit dem Kopf auf Smith, die sich mehrere Reihen weiter hinten verbreitete. »Xenia Smith und ich sind Geschäftspartner.«

Audreys Blick ruhte auf Wetzon, während sie ihr Donna-Karan-Kostüm, die schwarzen Wildlederstiefel, die Zuchtperlenohrringe inventarisierte, sogar den Waschbärmantel, den Wetzon über die Sitze bei der Trennwand geworfen hatte. Mann, gerade so, als stände Smith vor ihr.

»Aha, verstehe.« Audrey nickte gelangweilt. »Wie ich höre, ist die Show noch ein bißchen unfertig.«

Sunny hatte sofort eine Antwort parat. »Wissen Sie, eine Premiere auf einer Tournee... da läuft nicht immer alles auf Anhieb zusammen. Aber dafür ist die Tournee ja da.« Sie lächelte strahlend.

»Und natürlich«, bohrte Audrey weiter, »haben sie auch Dillas Mörder noch nicht gefunden.« Für einen winzigen Augenblick stockte ihre Stimme, und ihr Blick drückte etwas wie Qual aus.

»Was zum Teufel soll das nun heißen, Audrey?« Eine zornige weiße Linie erschien um Sunnys Lippen.

»Meine Liebe, man braucht kein Hirnchirurg zu sein, um zu wissen, daß es einer von ihnen war.« Audrey tätschelte ihren Nackenknoten, anscheinend erholt von dem, was sie aus der Fassung gebracht hatte.

Smith’ sprödes Lachen schwebte von den hinteren Sitzreihen her, und Wetzon spürte, daß es ein günstiger Augenblick war, sich zu entschuldigen. Sie stand auf, um sich zu Smith zu setzen, doch die Stimme des Piloten kam knackend aus dem Lautsprecher und sagte an, daß sie Platz nehmen und sich anschnallen sollten. Wetzon blickte nach hinten, wo Smith bei Gideon Winkler saß. Smith hatte Gideon, kaum waren sie einander vorgestellt worden, in Beschlag genommen. Gideon, der durch sein gutes Aussehen und schulterlanges gelbes Haar auffiel, war in grauer Vorzeit Tänzer gewesen, zur selben Zeit wie Carlos und Wetzon. Er hatte bei vielen Hits mitgewirkt, darunter On the Twentieth Century, Side by Side by Sondheim und Evita. Dann war er Filmstar geworden, Regisseur, hatte für ein Drehbuch einen Oscar bekommen und war inzwischen ein beinahe legendärer Dramaturg. Seine Anwesenheit im Flugzeug war von Joel Kidde beiläufig erklärt worden. Es war, sagte Kidde, eine günstige Gelegenheit, nach Boston zu kommen, wo er in Harvard einen Vortrag zu halten hatte.

Ein wenig zu glatt. Zu praktisch, dachte Wetzon, während sie alle ihr Gepäck auf einen bereitstehenden Karren stapelten und zu der Limousine eilten, um das kurze Stück von Logan zum Ritz-Carlton zu fahren.

»Ssst.« Wetzon holte Smith endlich ein, als letztere sich im Glas der Fenster musterte. »Worüber hast du mit dem Goldjungen gesprochen? Hat Gideon dir verraten, warum er hier

ist?«

Smith blickte auf ihre Gesprächspartnerin hinunter und zog den Cashmeremantel fester um sich. Auch sie hatte sich dem Kampf gegen Pelze verschrieben, und jetzt stand sie zitternd in der Bostoner Kälte. Wetzon lächelte. Sie fühlte sich wohl im Pelz, und sie hatte sehr hart gearbeitet, um ihn bezahlen zu können. Und außerdem trug der Goldjunge einen schwarzen Persianer bis zu den Knöcheln.

»Wenn du wie Jane Fonda frieren möchtest«, flüsterte Wetzon.

»Also wenn sie für Ted Turner okay ist, dann...«

»Smith, verschone mich.«

Smith zerrte ihren Kragen hoch und trat aus dem Gebäude. »Ich dachte, du wolltest wissen, warum Gideon hier ist.«

Wetzon folgte ihr. »Genau. Erzähle.«

»Er sagt, daß Hotshot moritös ist.«

»Du meinst komatös. Oder moribund.«

»Egal. Mach du nur deine Scherze. Es ist gut möglich, daß wir bei deiner feinen Show jeden Penny von unserem Geld verlieren, und das macht mich nicht sehr glücklich.«

»Wie kann er das behaupten? Er hat sie doch noch nicht einmal gesehen.« Wetzon war empört.

Smith tätschelte ihre Wange. »Gideon kriegt das schon hin, Zuckerstück. Gideon sagt, wir hätten Glück, daß er zur Verfügung steht. Ohne ihn wäre Hotshot ein totgeborenes Kind.«