»Ich glaube, die Mutter hat es getan.« Smith strahlte Bernstein zuckersüß an. »Mütter töten für ihre Kinder.«
»Welche Mutter?« Bernstein war völlig hingerissen von Smith.
»Sie meint Edna Terrace«, erklärte Wetzon. »Die Kassenleiterin am Imperial. Phils Mutter. Als ich Tänzerin war, wußten wir alle, daß die Kassenleiter Polizeiknüppel unter ihren Fenstern liegen hatten.«
»Mann«, rief Gross. »Habt ihr das gesehen?« Sie hielt eine sternförmige Brosche hoch, die nur aus Diamanten bestand.
»Schreib es nur auf, Gross, und gib den Damen eine Quittung. Wir wollen es nicht kaufen. Herrgottsakra... Entschuldigung, die Damen.«
»Und was ist mit diesem ekelhaften alten Mann mit dem schweren Stock?« wollte Smith wissen.
»Wie?«
»Sie meint Fran Burke.«
»Ich wüßte es zu schätzen, wenn du aufhören würdest, mich zu übersetzen, Zuckerstück«, sagte Smith scharf. »Dieser nette Herr versteht mich bestens, nicht wahr, Detective — äh — Bernson?«
»Bernstein, Smith.« Wetzon lächelte Bernstein entschuldigend an.
»Ja, hm, vielleicht.« Bernstein wirkte fahrig. »Aber Ihr Junge steht immer noch unter Verdacht. Ich fahre nach Boston, um mit denen dort oben zu reden.«
»Sie sind in zweieinhalb Wochen zurück.« Wetzon reichte Gross den Rubinring, der hinter ihren Kaffeebecher gerollt war.
»Ich möchte das vor Purim abschließen, richtig, Gross?«
Smith verdrehte die Augen und bedeutete Wetzon stumm: Purim? Hör sich das einer an.
»Klar, Morg.« Gross hatte ein Diamantarmband über ihr Handgelenk gestreift. Sie trug einen roten Rock, der in der Taille spannte, und eine schwarze Strumpfhose, die Falten warf. »Nicht schlecht, hm, Morg?«
Diesmal verdrehte Wetzon die Augen zu Smith.
»Die Quittung, Gross.« Bernstein ging auf die Tür zu.
Gross seufzte und nahm das glitzernde Armband ab. Sie setzte ihren Namen unter die Aufstellung der Schmuckstücke und reichte Wetzon die Quittung auf einem zerknitterten Stück Papier. Auch die Rückseite war beschrieben. Wetzon drehte es um. »Moment. Wo kommt das denn her?«
»Was ist es?« Bernstein kam ins Zimmer zurück.
»Es ist ein Brief von Susan Orkin.«
»Wo kann der herkommen? Gross?«
»Vielleicht war er in dem Täschchen beim Schmuck«, schlug Smith vor. »Was steht darin?«
»>Liebe Leslie<«, las Wetzon laut. »>Falls mir etwas zustoßen sollte, wirst du wissen, was damit zu tun ist.<« Er war mit »S« unterschrieben. Ihr Blick verschleierte sich. »Ich werde wissen? Wie soll ich das wissen?«
»Ich möchte immer noch gern wissen, woher er kommt. Ich denke, er könnte zusammengefaltet daringesteckt haben und herausgefallen sein, als wir die Tasche ausleerten. Ich nehme ihn, wenn Sie nichts dagegen haben.« Bernstein nahm den Brief an sich und überflog ihn noch einmal.
»Warum sollte ich was dagegen haben? Sie nehmen den Schmuck. Wir brauchen eine neue Quittung.«
»Wie gewonnen, so zerronnen.« Smith zuckte die Achseln. »Wer bekommt ihn, wenn Sie damit fertig sind?«
»Um Gottes willen, Smith...« Wetzon gab Gross ein leeres Blatt Papier, und Gross begann, die Inventarliste von der Rückseite von Susans Brief abzuschreiben.
»Einer muß doch fragen, Schatz. Du hättest es nie getan.«
»Er gehört zum Nachlaß, würde ich sagen. Wer auch immer erbt. Hat Susan ein Testament hinterlassen, Detective?«
»Die Detectives vom Eins-Neun haben die Wohnung durchsucht. Ein Testament ist nicht aufgetaucht.«
»Ein Schlüssel zu einem Banksafe vielleicht? Vermutlich nicht, wie? Die Wohnung war ein solches Durcheinander.« Wetzon nahm die erneut unterschriebene Quittung von Gross entgegen, faltete sie und legte sie in ihr Ringbuch.
»Gib mir die Tasche, Gross. Ich will noch einen Blick darauf werfen.« Wetzon machte einen Platz auf ihrem Schreibtisch frei, und Bernstein leerte den blendenden Inhalt des Beutels noch einmal aus. Die Telefone schwiegen. Es war so still im Raum, daß Wetzon jeden atmen hören konnte. Bernstein kehrte die Innenseite des Beutels nach außen. »Was ist das?« fragte er. Er deutete auf die Stickerei auf dem Innenfutter. Lenny/Celia.
»Mann«, sagte Gross. »Das habe ich nicht gesehen.«
»Gross, du würdest deinen Fuß nicht sehen, wenn man ihn an deine Nase nageln würde.«
Smith hüstelte hinter vorgehaltener Hand.
»Wer ist das?« wollte Bernstein wissen. »Was haben sie mit Orkin und Crosby zu tun?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Wetzon. »Ich glaube, es handelt sich um Lenny und Celia Käufer. Lenny Kaufer war über dreißig Jahre lang der wichtigste Impresario am Broadway. Celia war seine Frau. Dilla Crosby war seine Geliebte. Er war auch Edna Terraces Vater und Phil Terraces Großvater.« Sie konnte geradezu das kleine Zählwerk in Bernsteins Hirn sehen, das die Information verarbeitete. Bernstein und Gross wirkten wie zwei Flüchtlinge aus einer Filmklamotte der vierziger Jahre.
Wie zur Bekräftigung ihres Gedankens sagte Bernstein: »Auf denn, Gross. Auf uns wartet Arbeit.« Er reichte Gross den Beutel und sah ihr zu, wie sie die rechte Seite nach außen wendete und den Schmuck einräumte. Jedes funkelnde Stück betastete sie verliebt.
Bernstein stand voller Ungeduld schon halb im Empfangsbereich. »Mach ein bißchen Dampf, Gross. Wir haben nicht den ganzen Tag dafür.«
Max’ Augen waren tellergroß. Er gab vor, etwas auf einen >Fahndungsbogen< vor sich zu notieren. Als das Telefon läutete und er sich melden mußte, war er in Gedanken woanders. »Smith und Wetzon, guten Morgen. Ich meine, guten Tag. Wer ist bitte am Apparat? Einen Moment bitte.« Er deutete mit dem Hörer auf sie. »Für dich, Wetzon.«
»Sekunde, Max.« Sie begleitete Bernstein zur Tür. »Edna Terrace ist in New York, aber ihr Sohn Phil hält sich mit Hotshot in Boston auf. Allerdings glaube ich, er könnte in New York gewesen sein, als Susan ermordet wurde, weil er und Mort Hornberg eine Auseinandersetzung hatten und Mort ihn aus dem Team warf. Und Poppy Hornberg hat sich ebenfalls in New York aufgehalten. Sie ist hier zum Friseur gegangen.«
»Möchten Sie für mich arbeiten, Miss Wetzon? Vielleicht würde Gross gern mit Ihnen tauschen. Gross, hörst du zu? Du könntest hier vielleicht etwas lernen.« Bernstein lächelte Wetzon sehr freundlich an.
Na, na na, dachte sie. »Ich bin geschmeichelt, Detective.« Gross kam gerade dazu, und sie fand es nicht so gut. »Aber ich bin sicher, daß Detective Gross sehr viel mehr weiß als ich.« Wetzon begleitete die beiden hinaus, während sie versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. »Wer ist in der Leitung, Max?« Sie lachte laut auf, als sie an seinem Schreibtisch vorbeiging.
»Barney Beck.«
»Hallo, Barney.« Smith hing über ihrem Tisch und arbeitete an etwas.
»Wetzon, ich habe Steve Zuckerman heute morgen ein Angebot gemacht. Keine Vorabzahlung. Eine Garantie von vier pro Monat gegen eine Auszahlung von fünfzig Prozent für sechs Monate. Dann einheitlich fünfundfünfzig Prozent für die nächsten sechs plus eine Prämie von zehn Prozent, wenn er nach einem Jahr die gleichen Zahlen bringt.«
»Ein großzügiges Angebot, Barney.« Sie notierte das Angebot sorgfältig.
»Sorgen Sie dafür, Wetzon, daß er zugreift.«
Sie legte auf. Steve würde es annehmen, dessen war sie sich ziemlich sicher. »Barney hat ein Angebot für Steve Zuckerman auf den Tisch gelegt«, sagte sie zu Smith. »Was machst du eigentlich?«
»Pst.« Smith starrte auf ihre Tarotkarten, die sie in Form eines keltischen Kreuzes auf dem Schreibtisch ausgelegt hatte. »Komm her!« Sie schob sie abrupt zusammen und warf sie Wetzon hin. »Misch sie.«
»Dein Wunsch ist mir Befehl, o erhabenes Orakel von Delphi.« Sie stellte sich neben Smith und mischte die Karten.
»Du nimmst das Tarot nie ernst — und gerade du solltest das tun. Es lügt nie. Misch weiter.« Sie drohte Wetzon mit dem Finger. »Du könntest hier vielleicht etwas lernen«, ahmte sie Bernstein nach.
Wetzon mußte lachen.
»Jetzt gib sie mir.« Smith hielt die Karten vor die Brust und schloß die Augen, dann öffnete sie sie wieder und legte die Karten erneut als keltisches Kreuz aus, langsam, seufzend, stöhnend. Schließlich rief sie aus: »Sieh doch!«
»Ich sehe. Und was soll ich erkennen?«
»Die Deutung gilt jetzt für dich. Hier, zwei Könige.«
»Schön. Zwei Könige...«
»Der Pokalkönig. Das ist Alton Pinkus. Er deckt dich, aber der Schwertkönig ist deine Zukunft. Ich weiß nicht, warum ich mich immer wieder bemühe, dein Leben zu regeln. Du hörst mir nie zu.«
»Moment mal.« Wetzon starrte auf den Schwertkönig. Sie wußte, wer das war. Silvestri. »Du meinst...«
»Dick Tracy. Ich bin entsetzt, daß du dir Alton Pinkus durch die Lappen gehen läßt.«
»Tu ich nicht. Ehrlich. Silvestri ist weg, für immer.«
»Ich sehe hier aber etwas anderes«, beteuerte Smith. »Und da ist noch etwas. Der Münzritter. Ein Hinweis auf Geld.«
»Das bedeutet Barney Beck, der Steve Zuckerman einstellt.«
»Nein!« Smith schüttelte den Kopf. »Etwas anders. Siehst du das? Dein Zuhause und deine Beziehungen zu anderen. Tod. Und der Turm lenkt deine tiefsten Gefühle.«
»Das klingt mir zu unheilvoll.« Wetzon wandte sich ab. Smith wirkte deprimierend auf sie.
»Und das Glücksrad ist die Lösung!« Smith war ganz aufgeregt. »Du mußt aufpassen, was du tust und mit wem du zusammen bist. Du solltest nicht allein sein. Zieh zu Alton. Warum machst du das nicht?« Smith’ Hände zitterten, als sie die Karten aufnahm.
»Also wirklich, Smith.« Als Wetzon sich an ihren Tisch setzte, sah sie, daß zwei Telefonlämpchen aufleuchteten.
»Eines noch.« Smith mischte das Päckchen und breitete die Karten mit dem Bild nach unten fächerförmig auf ihrem Tisch aus. Als das Telefon auf der dritten Leitung läutete und Wetzon danach griff, sagte Smith: »Überlaß es Max, Zuckerstück.« Sie rieb energisch die Hände gegeneinander und hielt sie über die Karten, als wollte sie sie wärmen, dann wählte sie ohne Zögern Karten aus der langen Reihe aus.
Wetzon wartete. Nun legte Smith unheilvoll murmelnd die Karten auf, die sie gezogen hatte. Niemand ging ans Telefon. »Ich nehme es an, Smith. Die Jungs sind beschäftigt.« Smith reagierte nicht. Wetzon sagte: »Smith und Wetzon.«
»Leg auf«, sagte Smith, ohne von den Karten aufzublicken.
»Ms. Leslie Wetzon bitte.«
»Smith und Wetzon.« Als Max’ Stimme die des Anrufers überlagerte, legte Wetzon leise auf. Der Anrufer hatte einen leicht britischen Akzent.
»Wo liegt das Problem, Smith?«
Smith sammelte die Karten ein und sah Wetzon direkt an. »Was für ein Geheimnis hast du vor mir?«
»Geheimnis? Ich? Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Schatz, tu nicht so, als wüßtest du nicht, wovon ich rede. Hat es etwas mit... Smitty zu tun? Bitte, sag es mir. Die Karten weisen auf eine junge Person.«
»Es hat nichts mit Smitty zu tun.« Wovon redete Smith? Es mußte B. B.s Kündigung sein, von der sie in den Karten las. Wetzon mußte einen Zeitpunkt finden, wenn B. B. nicht in der Nähe war. Smith würde ihn umbringen.
In diesem glücklichen Moment unterbrach Max’ Klopfen Smith’ Verhör. Er machte zögernd die Tür auf.
»Nur herein, Max, um Himmels willen.«
Danke, Max, dachte Wetzon inbrünstig.
»Ein Bryan Kendall ist für dich am Apparat, Wetzon.«
»Bryan Kendall?« Sie hatte nie von ihm gehört. »Bei welcher Firma ist er?«
»Ich weiß nicht.« Das Telefon läutete, und Max schloß die Tür, um abzuheben.
»Die lernen es nie«, sagte Smith. »Haben wir den Wall Street Letter von dieser Woche bekommen?«
Wetzon reichte ihr das unerhört teure zehnseitige Rundschreiben, das die vertraulichen Informationen über das Geschehen an der Wall Street enthielt. Sie drückte den blinkenden Knopf. »Leslie Wetzon.«
»Miss Wetzon, mein Name ist Bryan Kendall. Ich bin Mitglied der Anwaltsfirma Kendall und Slotkin. Ich möchte gern ein Treffen mit Ihnen in meinem Büro vereinbaren.«
»Warum? Worum handelt es sich?«
»Susan Orkin war eine Freundin und Klientin von mir.«
Ihr Ton wurde weich. »Ich bin traurig wegen Susan. Sie war auch meine Freundin.« Was mochte Susans Anwalt mit ihr zu besprechen haben?
»Es betrifft Susans Letzten Willen. Miss Wetzon, Susan hat Sie als ihren Haupterben eingesetzt.«