Wetzon kam in der Nähe des Museums für Naturgeschichte aus dem Central Park, ohne zu wissen, wie sie dorthin gelangt war. Die Central Park West wurde gerade neu asphaltiert, weshalb für beide Richtungen nur eine Fahrbahn zur Verfügung stand. Sie wußte, daß ungeduldige Fahrer, die darauf warteten, bis ihre Spur an die Reihe kam, auf den Hupen liegen mußten, doch ihr Herz hämmerte so laut in ihren Ohren, daß alles andere ausgesperrt war.

Eine Stimme keifte sie an: »Sie da, sind Sie taub?«

Sie blieb stehen. Eine alte Frau in einem braunen Regenmantel, der bessere Tage gesehen hatte, sagte: »Sie sollten Ihren Hund lieber an die Leine nehmen, Miss, sonst wird er noch überfahren.«

Hund? Sie blickte nach unten, und da zockelte Izz neben ihr her. Sie hatten den Central Park zusammen durchquert. Wetzon war völlig außer Atem, wollte nur unbedingt endlich zum Beresford kommen.

Alton war zurück. Alton würde sie nicht sterben lassen.

»Guten Tag, Miss.« Ein Portier, den sie nicht kannte, stand an der Tür, aber er mußte sie erkannt haben, denn er fügte hinzu: »Mr. Pinkus ist vor ein paar Stunden nach Hause gekommen.«

Alton wartete auf sie, nannte ihren Namen, stand in der offenen Tür in Bluejeans und einem weichen weißen Button-down-Hemd. Sie stürzte in seine Arme mit der Gewißheit, daß er sich um alles kümmern würde. »Leslie, was hast du?« Sorge machte seine Stimme weich, während er über ihr Haar strich und sie auf die Stirn küßte.

»O Mann... kann nicht atmen.« In panischer Angst riß sie sich aus seinen Armen. Er hatte ein Feuer im Kamin brennen. Sie fiel keuchend auf die Knie. »Ich sterbe... mein Gott.« Ihr Kopf sank auf den Teppich.

Alton hob sie auf, legte einen Arm um ihre Schultern. »Atme hier hinein.« Er hielt ihr eine Papiertüte an die Lippen. Izz winselte.

Sie stieß die Tüte weg. »Kann nicht, kann nicht...«

»Leslie, hör zu. Du wirst nicht sterben. Das ist nur Hyperventilation. Atme in diese Tüte. Das hilft, ich verspreche es dir.«

Wehre dich nicht, sagte sie sich und gehorchte. Das asthmatische Keuchen ließ allmählich nach. Sie spürte, wie die Spannung aus ihrem Körper wich, und sie lehnte sich an ihn. Spürte seine glattrasierten Wangen, roch den Duft seines Aftershaves, fühlte sein Verlangen.

Das Feuer knackte und spuckte. Sie fröstelte nicht mehr, und der Mantel lag auf dem Fußboden. Izz hatte es sich darauf gemütlich gemacht.

Alton saß, an einen Sessel gelehnt, auf dem Boden und hielt sie. »Ich glaube, du hast mich wirklich vermißt.«

Sie berührte sein Gesicht. »Es war eine schlimme Woche.«

»Willst du mir davon berichten?« Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest.

»Ich wüßte nicht einmal, wo ich anfangen soll...«

»Fang mit deinem Freund hier an.« Er deutete mit dem Kopf auf Izz. Izz’ glänzende schwarze Schnauze zuckte.

»Das ist Izz. Sie gehört — gehörte — meiner Freundin Susan Orkin.«

»Garys Exfrau?«

»Du lieber Gott, Alton, kennst du denn jeden auf der Welt?«

»Vermutlich.« Er feixte sie an.

Was für ein lieber Mensch er war. Sie sah sich in dem eleganten Zimmer um. Seit Monaten hatte sie beinahe jedes Wochenende hier verbracht, doch das war nicht sie. Es war Alton. Alter. Zurückhaltend. Ausgeglichen. Und gesetzt. Nichts davon galt für sie. Konnte sie hier wohnen? Sie glaubte es nicht. Sie würde sich immer als Gast fühlen. »Ach, Alton, ich weiß nicht.«

»Was weißt du nicht?« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küßte sie.

 

 

Das Läuten weckte sie. Izz sprang auf, tänzelte herum, bellte. Sie lagen aneinandergekuschelt auf dem Boden unter einer weichen Wolldecke.

»Geh nicht ran«, murmelte Wetzon.

»Es ist nicht das Telefon. Es ist die Sprechanlage.« Er küßte sie aufs Ohr. Dann stand er auf und ging in die Küche. »Ja?« Er hatte einen schmalen festen Hintern und die Beine eines Läufers.

Sie schloß die Augen. Sie würde nicht sterben. Wenigstens nicht jetzt. »Wer immer es ist, sag ihm, er soll weggehen.«

»Kommen Sie in einer halben Stunde wieder.« Alton schaltete das Haustelefon ab.

Wetzon setzte sich auf. »Wer soll wiederkommen?« Er stieg in seine Jeans und zog den Reißverschluß hoch. »Alton!«

»Dein Freund Silvestri.«

»Warum hast du ihm nicht gesagt, er soll weggehen? * Sie versuchte nicht einmal, den klagenden Ton zu unterdrücken.

»Er sagt, du hättest dich vom Tatort entfernt...«

Das Feuer war zu Glut heruntergebrannt. Wetzon fröstelte. »Alton, es tut mir leid...«

»Sag mir lieber, was los ist.« Er setzte sich aufs Sofa, hob sein Hemd vom Boden auf und zog es an.

Wetzon wickelte sich in die Wolldecke und setzte sich neben ihn. »Vor einer Woche wurde Susan Orkins Geliebte, Dilla Crosby, unmittelbar vor der Hauptprobe der Tanztruppe erschlagen. Sie war die Inspizientin von Hotshot, Carlos’ Show.«

»Was hat dieser Mord mit dir zu tun?«

»Ich war dort.«

»Klar, wie könnte es anders sein.« Er nahm ihre Hände mit beiden Händen, um sie zu wärmen. Seine Augen verrieten ihr, daß er sie liebte. Sie hatte sich nie so sicher gefühlt.

»Nicht nur ich. Eine Gruppe von uns hat sie gefunden. Ich kannte Susan vom College, aber ich wußte nicht, daß sie Susan Orkin war, bis sie mich anrief. Sie hat mir gesagt, daß sie Angst hat, jemand würde auch sie töten.«

»Und du hast gesagt, du würdest ihr helfen.«

»Ach, Alton, ich wollte in Boston nur meine Augen und Ohren offenhalten. Das ist alles. Sie hatte solche Angst, aber sie wollte nicht die Polizei um Hilfe bitten.«

»Also hast du eingewilligt.«

»Ja. Dann dachte Susan, sie könnte den Mörder vertreiben, indem sie anonyme Briefe an die Medien schickte, in denen stand, daß ich den Mord untersuchte und neue Informationen aufgedeckt hätte.«

»Es gefällt mir überhaupt nicht, was ich da höre. Was gibt es noch?«

»Sam Meidner wurde gestern in Boston ermordet.«

»Das habe ich in der Zeitung gelesen. Ich wußte nicht, daß es etwas mit dir zu tun hat. Gibt es noch mehr?«

Sie nickte. Sie hatte einen Kloß in der Kehle, den sie anscheinend nicht hinunterschlucken konnte. »Susan ist tot. Sie stürzte die Hintertreppe hinunter, als sie versuchte, einem Einbrecher zu entkommen. Ich habe sie gefunden. Deshalb habe ich Izz. Ich habe es mit der Angst bekommen und bin weggerannt.«

Er legte einen Arm um sie, und sie vergrub ihr Gesicht in seinem Hemd, obwohl sie wußte, daß sie mit dem Rest ihres Make-ups sein Hemd verschmieren würde. »Ich werde niemals zulassen, daß dir etwas passiert«, sagte Alton. »Nie. Du bist sehr kostbar für mich.«

Izz setzte sich auf, die Ohren gespitzt. Die Türklingel läutete. Sie sprang bellend vom Sofa und rannte zur Tür.

»Verdammt. Die halbe Stunde ist doch noch nicht um?«

Er schüttelte den Kopf und stand auf. Wetzon begann, ihre auf dem Boden verstreuten Sachen zusammenzusuchen, als Alton sich plötzlich über sie beugte, sie hochhob und ins Schlafzimmer trug. Er setzte sie auf das Bett. »Zieh dich an. Ich halte ihn auf.«

Es klingelte noch einmal. Izz’ Gebell wurde schrill.

Der seidene Morgenrock mit dem Rankenmuster, den sie Alton zu Weihnachten geschenkt hatte, lag auf dem Bett. Sie ließ die Wolldecke fallen und schlüpfte in Altons Morgenrock. Ein Koffer lag offen auf der Bank am Fußende des Bettes, noch nicht fertig ausgepackt. Alton wühlte darin, suchte etwas, fand es und schob es in die Tasche des Morgenrocks, wobei er kurz ihre Hüfte streichelte.

»Was ist das?« Ihre Hand fand die Tasche.

Die Türklingel läutete wieder mit solcher Ungeduld, daß es nur Silvestri sein konnte.

»Ein Souvenir aus Caracas.« Er ließ sie allein und ging schnell zur Wohnungstür. Es war eine winzige rote Seidentasche mit einer Umschlagklappe, die mit einem Druckknopf geschlossen war. Sie öffnete den Druckknopf. Ein Reißverschluß, den sie aufzog. Silvestris Stimme ließ sie erstarren. Sie übertönte Altons. Izz hörte nicht auf zu bellen. Wetzon griff in das Täschchen und zog einen Ring heraus. Drei blitzende Smaragde, tief in einem goldenen Reif gefaßt. Sie streifte ihn über den Ringfinger und hielt ihn hoch.

Aber sie sah ihn nicht richtig. Sie sah den anderen Ring, den mit dem großen gelben Diamanten, den Edna Terrace in Boston getragen hatte. Der Dillas verschwundenem Ring so auffallend ähnelte. Wie hatte sie so dumm sein können? Der Ring war die Antwort auf alles.