Wetzon Stand vor dem Haus und wartete, daß Tony, der Portier, ein Taxi organisierte. Die Sonne war blendend, doch trügerisch. Jedes Gebäude hob sich scharf von dem frostigen blauen Himmel ab. Die Menschen bewegten sich flott — nicht wegen der Kälte, sondern weil sich Menschen in New York flott bewegten — die Jogger in ihren Trainingsanzügen, Mütter mit kleinen Kindern, dunkelhäutige Kindermädchen mit hellhäutigen Babys und Leute wie Wetzon, die ins Büro gingen.

Der leichte Schneefall der vergangenen Nacht zierte noch Autodächer und Bäume, aber die Bürgersteige waren frei. Normalerweise kostete sie einen Tag wie diesen aus, doch heute war sie anderweitig beschäftigt. Jedesmal, wenn sie versucht hatte, Susan zu erreichen, was das Besetztzeichen gekommen.

Ein Taxi reagierte auf Tonys Pfeife mit einer U-Kehre, und Wetzon stieg ein. »49. Street, zwischen Second und First«, sagte sie. Der Fahrer hatte eine bestickte Kappe auf dem Kopf, und sein Dienstausweis gab seinen Namen mit Mohammad Mohammad an, außerdem war er Fahrer auf Probe, was ihn nicht daran hinderte, sie in halsbrecherischem Tempo zu ihrem Ziel zu bringen.

Als sie die Außentür zum Büro öffnete, rief sie: »Guten Morgen, Max« zu der Gestalt, die an Max’ Schreibtisch saß. Aber es war gar nicht Max. Max wurde heute nicht vor ein Uhr erwartet.

»Guten Morgen, Wetzon.« Der Mann, der auf Max’ Platz saß, hielt einen Kaffeebecher in der Hand. Er begrüßte sie mit einem charmanten, wenn auch schüchternen Grinsen.

»Rich McMartin. Was machen Sie denn hier?« Wetzon hatte Rich seit über drei Jahren, seit sie ihn bei Loeb Dawkins untergebracht hatte, nicht mehr gesehen. Es war ein nettes Honorar gewesen. Sie hängte ihren Mantel in den Schrank, zwischen B. B.s Allwettermantel und einen, der offenbar Richs Burberry war.

B. B., der außerhalb von Richs Gesichtsfeld saß, zeigte auf McMartin und zuckte übertrieben mit den Schultern. »Was liegt an, Rich?« fragte Wetzon.

»Ich habe ein kleines Problem...« Er ließ den Satz in der Schwebe.

»M-hm«, sagte sie und zog es in die Länge. »Kommen Sie herein und berichten Sie. Smith wird uns wahrscheinlich unterbrechen, aber setzen Sie sich erst einmal dahin, Rich.« Sie bot ihm ihren Stuhl an und zog Smith’ Stuhl um den Tisch herum daneben, dann ging sie zur Tür und rief: »B. B., bring mir bitte Rich McMartins Bogen. Du findest ihn unter Vermittlungen. Und wenn du mir einen Kaffee bringen könntest, sind wir im Geschäft.« Sie schloß die Tür und setzte sich auf Smith’ Stuhl. »Also, was ist los?«

»Ich bin gestern gefeuert worden.«

»Gefeuert, Sie?« Rich war einer von den Großen, der fast eine Million produzierte, als sie zuletzt von ihm gehört hatte. »Entschuldigen Sie, wenn ich Ihre Worte wiederhole. Ich stehe unter Schock. Warum wurden Sie gefeuert?«

»Genaugenommen«, sagte er bedrückt, »haben sie mir nahegelegt zu gehen, wollten mir aber keinen Grund nennen.«

»Das ist verrückt. Das müssen sie. Haben Sie ein Problem mit der Rechtsabteilung? Wird etwas in Ihre Registrierung als Börsenmakler eingetragen?«

»Nichts. Ich bin sauber. Sie müssen etwas Neues für mich finden. Ich habe ein paar Megakunden, die ich nicht verlieren möchte. Skip hat mein Kontenbuch wahrscheinlich schon herausgegeben.«

»Dann muß ich also Skip anrufen und sehen, was ich herauskriege, bevor ich Sie irgendwohin schicke. Wir müssen wissen, was uns erwartet, damit wir keine Überraschungen erleben.« Sie bat Rich, sich wieder an Max’ Schreibtisch zu setzen, dann schloß sie die Tür und rief Skip Beck unter seiner direkten Nummer bei Loeb Dawkins an. Sie hatte ihn heute sowieso wegen eines Maklers anrufen wollen, also konnte sie das jetzt gleich mit erledigen.

»Skip Beck.«

Es versetzte sie immer wieder in Staunen: Männer, besonders Männer auf einflußreichen Posten, die weiter ihre Spitznamen aus der Kindheit benutzten. »Guten Morgen, Skip, Wetzon hier. Wie geht es Ihnen?«

»Phantastisch. Was haben Sie für mich?«

»Ich habe tatsächlich jemanden für Sie, aber erst einmal etwas anderes. Heute morgen hat ein sehr unglücklicher Makler im Büro auf mich gewartet. Rich McMartin.«

»Oh.«

»Ja, oh. Was ist los, Skip? Warum lassen Sie einen Produzenten seines Kalibers gehen?«

»Ich weiß nicht, wie ich darauf antworten soll, Wetzon.«

»Wie meinen Sie das, Skip? Es ist doch eine ziemlich einfache Frage.«

»Nein, ist es nicht, Wetzon.«

»Was ist es dann? Hat er etwas Verbotenes getan? Gibt es etwas, worüber ich Bescheid wissen sollte, das gegen seine Anstellung bei einer anderen Firma spricht?«

»Nein. Alle finden ihn sympathisch. Er ist sehr beliebt. Ich würde ihn sofort wieder einstellen...wenn ich nicht wüßte, wer er ist.«

»Warum bitten Sie ihn dann auszuscheiden?« Skip würde sich keine Blöße geben, das wurde Wetzon klar, noch während sie fragte. Er befürchtete, verklagt zu werden. Dabei prozessierten Börsenmakler selten gegen ihre Firmen, weil sie Angst hatten, danach von der Wall Street boykottiert zu werden. Und diese Angst war durchaus berechtigt.

»Wetzon, lassen Sie mich nur eins sagen, und ich werde es wahrscheinlich bedauern — ich kann meine Worte schon aus einer anderen Richtung zu mir zurückkommen hören...«

»Nicht von mir, Skip.«

Er zögerte. »Sagen wir einfach, Rich ist ein prima Kerl, aber schwer zu handhaben.«

»Hm?«

»Und er ist ein Alptraum für die Rechtsabteilung.«

»Ach. Aber Sie sagen doch, daß seine Registrierung in Ordnung ist und daß Sie keine Überraschungen in seine Papiere schreiben werden?«

»So ist es. Genügt Ihnen das, Wetzon?«

»Ich kann damit leben. Danke, Skip.« Sie blickte auf den >Fahndungsbogen< vor sich. »Ich habe hier einen, der zehn Jahre bei Faulkner und Söhne an der Madison war. Das Hauptgeschäft hat er mit Kommunalobligationen gemacht, dazu ein paar Staatsanleihen und Hypothekenpfandbriefe. Letztes Jahr ist er auf dreihundertfünfzigtausend brutto gekommen und hat bis heute über dreihundert eingefahren.«

»Hört sich an wie einer für mich.«

»Sein Geschäftsführer ist zum Regionalchef aufgerückt, und jetzt leitet eine Frau das Büro, was normalerweise in Ordnung wäre, aber diese hier ist ein Flop. Ich kenne sie. Kein Sinn für Humor. Für sie gibt es nur Wettlauf. Der neueste Preis ist ein zweisames Abendessen bei ihr zu Hause. Damit war für Steve Zuckerman das Maß voll. Sie sind morgens um acht da?«

»Wenn ich es nicht wäre, hätte ich meinen Job nicht mehr. Verabreden Sie etwas. Acht paßt mir gut, aber er soll mich im Edwardian Room des Plaza treffen. Morgen wäre schön oder diesen Donnerstag.«

»Prima, Skip. Ich rufe zurück zur Bestätigung und schicke Ihnen Steves Kurzbiographie.«

»Wissen Sie, ich freue mich jedesmal, wenn ich auf Kosten der Firma essen gehen kann.«

Sie legte auf und trug ein paar Notizen auf Steve Zuckermans >Fahndungsbogen< ein, dann stand sie auf und öffnete die Tür, gerade als B. B. klopfen wollte. B. B. reichte ihr McMartins >Fahndungsbogen< und einen Becher Kaffee.

McMartin sah von Max’ Tisch zu ihr auf, ein richtiges Häufchen Elend. Er hatte tatsächlich Tränen in den Augen. »Haben Sie ihn erreicht? Was hat er gesagt?«

»Danke, B. B. Kommen Sie mit, Rich.« Sie hielt ihm die Tür auf. Er sah phantastisch aus, glattrasiert, klare blaue Augen, geschmackvoll gekleidet, mit den breiten Schultern und schmalen Hüften eines Sporüers. Er sah einen direkt an, wenn er redete, wirkte aufrichtig und freundlich, hatte perfekte Manieren und ein unwiderstehliches Lächeln. Was hatte er also an sich, das ihr Unbehagen bereitete? Dann wußte sie es. Es war alles Fassade. Rich war ein Zwanzig-mal-dreißig-Hochglanzfoto, wie sie im Showbusineß sagten.

»Haben Sie mit Skip gesprochen?« fragte er. »Hat er Ihnen gesagt, warum?«

»Ich habe, er hat nicht. Er hat nur gesagt, daß nichts in Ihr Zeugnis kommt, wenn Sie ausscheiden.«

»Ich kann es nicht begreifen. Ich hatte tollen Erfolg. Es wäre das beste Jahr geworden, das ich jemals hatte...«

»Ich könnte mir denken, daß Sie einem, der Macht hat, auf den Schlips getreten sind.«

»Hm, ich habe da einem Händler von Staatsanleihen Bescheid gestoßen.«

»Vielleicht hat er sich beschwert. Vielleicht war es ein Fall von er oder ich.«

»Ich frage mich, ob es mit der Zeitungsgeschichte zu tun hat.«

Allmählich dämmerte es. »Welche Zeitungsgeschichte?«

»Also ich habe mit Newsday ein Interview gemacht. Es ist Samstag erschienen. Ich bin sicher, daß es keiner gesehen hat.«

Berühmte letzte Worte, dachte Wetzon. »Was haben Sie gesagt, Rich?«

»Ich habe gesagt, jeder, der Markenprodukte einer beliebigen Firma kauft, sei ein Trottel. Eigentlich habe ich >Dackel< gesagt, aber sie haben >Trottel< gedruckt.«

»Vielen Dank. Wenigstens haben wir die Erklärung. Ob Trottel oder Dackel, keine Firma möchte, daß ihre Makler andeuten, die Öffentlichkeit würde hinters Licht geführt.«

»Okay, verstehe.« Rich schien das ziemlich kalt zu lassen. »Aberjetzt, Wetzon, müssen Sie mir helfen. Ich muß irgendwo Unterkommen, und zwar schnell.«

Sie gingen eine Liste von Firmen durch und einigten sich auf Rosenkind Luwisher als erste Wahl und Simson, Milgram und Quinn — in der Wall Street als SMQ geläufig — als zweite, und während Rich sich zum zweitenmal an Max’ Schreibtisch begab, machte Wetzon Termine aus. Sie teilte beiden Geschäftsführern genau mit, was Skip Beck über Rich gesagt hatte und gab ihnen Skips Telefonnummer, so daß sie es selbst überprüfen konnten. Beide Geschäftsführer waren sehr an Rich interessiert, deshalb verabredete sie ein Gespräch bei Rosenkind Luwisher um elf und bei SMQ um halb drei noch an diesem Tag. Sie wußte, daß Rosenkind Luwisher, falls Rich ihnen zusagte, alle Register ziehen und Rich zum Mittagessen in den Speisesaal der Leitenden im Turm hinaufbitten würde. Sie waren ständig auf der Suche nach Topleuten, und es war eine Freude, mit ihnen zu arbeiten. Sie bewunderte ihren Stil.

Wetzon begleitete Rich zur Tür, als Smith aus einem Taxi auftauchte, lange schlanke Beine zuerst, dann der ganze bezaubernde Rest. Sie betrachtete Rich, dann Wetzon.

Wie wenn man auf einen Lichtschalter drückte, knipste Rich seinen Charme an. Sein Leuchten hüllte Smith ein. »Tag.«

Und Smith strahlte ihn an.

Wetzon mischte sich ein. »Meine Partnerin, Xenia Smith. Smith, das ist Rich McMartin. Wir haben ihn vor fast vier Jahren bei Loeb Dawkins untergebracht. Weißt du noch?«

Das Strahlen verschwand von Smith’ Gesicht wie eine Überblendung im Film. Smith konnte Börsenmakler nicht ausstehen, nannte sie Scheißkerle und verlogene Schweine. Sie zog den Umgang mit ihren Kunden vor, den Chefs von Maklerfirmen. Wetzon dagegen fand, daß ihre Kunden nicht anders waren als ihre Kandidaten — die Makler. In Wirklichkeit mochte sie Börsenmakler. Auch sie war eine Verkäuferin, beinahe eine von ihnen. Wetzon waren ihre Unsicherheiten und verwundbaren Stellen vertraut; sie verstand im allgemeinen ihre Arroganz. Sie erinnerten sie an ihre Leute, die Schauspieler, Sänger und Tänzer aus ihrem früheren Leben am Theater.

»Worum ging es hier?« fragte Smith, als sie drinnen waren. Sie runzelte die Stirn, als sie ihren Stuhl an Wetzons Tisch entdeckte, und rollte ihn zu ihrem zurück.

»Skip hat ihn gebeten, die Firma zu verlassen.«

»Wieviel produziert er?«

»Vielleicht sechshundert für die laufenden zwölf.«

Smith’ Stirn glättete sich. »Und wo präsentieren wir ihn?«

»Rosenkind und SMQ.«

»Irgendwelche Probleme?«

»Nein.« Sie sah Smith an, daß sie die Honorare im Kopf ausrechnete. Wetzon hatte bereits dasselbe getan. Sie grinsten sich an und schlugen die Hände gegeneinander.

»Das laß ich mir gefallen!« sang Smith.

»Liegt für Freitag etwas Wichtiges an?« Wetzon setzte sich an ihren Schreibtisch und überflog ihren Terminplan. Sie mußte es noch einmal bei Susan Orkin probieren.

»Nein, Herzblatt.«

Wetzon warf einen Blick auf ihre Geschäftspartnerin. Smith lächelte ihr unergründliches Katzenlächeln. Was hatte sie vor?

»Wenigstens nicht in New York, Herzblatt.«

Wetzon ärgerte sich. Sie konnte Smith’ Spielchen nicht ausstehen. »Und was soll das heißen, Herzblatt?«

»Du weißt genau, was es heißt, und du bist wütend, weil du es haßt, mit mir zu teilen«, sagte Smith, die geradezu in Selbstgefälligkeit schwelgte. »Du möchtest deine Theaterverbindungen und deine Morde einfach für dich allein haben.«

»Smith! Verdammt.« Wetzon stampfte mit den Füßen auf. Warum ließ sie sich von Smith ärgern? Auf zehn zählen. Langsam atmen.

»Du brauchst nicht gleich hysterisch zu werden, Schatz. Ich habe gehofft, du würdest erwachsener reagieren, von großzügig ganz zu schweigen...« Als Wetzon sie mit Blicken durchbohrte, fuhr Smith gelassen fort: »Joel Kidde hat mich angerufen. Ich fliege Donnerstag abend mit dir nach Boston zu unserer Premiere.«