Nachdem Dad mich abgesetzt hatte, tappte ich hoch in mein Zimmer und ließ mich mit dem Gesicht voraus aufs Bett fallen. Nach einer ganzen Weile kam Mom rein, um mir zu sagen, dass es bald Zeit für meine Therapiestunde wäre, aber ich verscheuchte sie und versprach, dass ich Dr. Hieler am Abend anrufen würde. Ich log sie an, ich wäre zu lange aufgeblieben mit Jessica und müsste jetzt einfach ein bisschen länger schlafen.

Aber nachdem Mom wieder verschwunden war, rollte ich mich auf den Rücken und stellte fest, dass ich schon wieder die Decke anstarrte und auch nicht mehr einschlafen konnte. Darum war ich irgendwann doch aufgestanden und hatte Mom darum gebeten, mich rüber zu Bea zu fahren.

»Olala«, sagte Bea nach einem Blick in mein Gesicht, als ich eine Stunde später ihr Studio betrat. »Ojemine.« Sonst sagte sie nichts. Sie bastelte einfach weiter an ihrem Schmuck, schüttelte ab und zu mitleidig den Kopf und schnalzte mit der Zunge.

Ich sagte auch nichts zu Bea. Ich wollte einfach in Ruhe gelassen werden. Wollte malen, von allem wegkommen, was passiert war.

Ich holte mir eine leere Leinwand aus dem Regal und trug sie hinüber zu meiner Staffelei. Ich starrte sie derart lange an, dass ich mir sicher war, Mom würde gleich kommen und mich abholen und ich hätte am Ende der Stunde nichts vorzuweisen als eine leere Leinwand, auf der nur für mich Tausende von Bildern zu sehen waren.

Irgendwann nahm ich doch einen Pinsel und hielt ihn über die Palette, völlig unsicher, welche Farbe ich wählen wollte.

»Wusstest du«, murmelte Bea, während sie mit den Fingernägeln eine glänzend grüne Perle aus einer Schachtel pickte und sie auf ein Armband fädelte, »dass es Menschen gibt, die allen Ernstes glauben, Pinsel könnten nichts als malen? Wie engstirnig die Leute manchmal sind.«

Ich starrte den Pinsel an. Meine Hände bewegten sich plötzlich wie von selbst, was mir schon einige Male vorher passiert war. Sie drehten den Pinsel um, sodass seine Borsten sich in meine Handfläche schmiegten. Ich machte eine harte Faust um sie herum. Ich spürte, wie die Borsten auseinandergedrückt wurden und sich in meiner Faust umbogen.

Ich setzte die Spitze des Pinselschafts auf die Leinwand und drückte darauf. Erst nur ein bisschen, dann richtig fest. Da hörte ich ein kleines Reißen und eine Art Knall, als der Pinsel die Leinwand durchstieß und eine Furche in ihrer Mitte hinterließ. Ich zog den Pinsel wieder heraus und musterte ihn, dann machte ich das Gleiche noch mal, ein paar Zentimeter vom ersten Riss entfernt.

Zu behaupten, dass ich da bewusst irgendetwas schuf, wäre gelogen. Mir ging beim Arbeiten nichts weiter durch den Sinn. Ich wusste nur, dass sich meine Hände bewegten und dass mich mit jedem Hieb auf die Leinwand ein Gefühl kaum fassbarer Erleichterung überlief. Es war nicht so, dass ich ein bestimmtes Gefühl anstrebte, es kam mir eher vor, als würde etwas aus mir herausgesogen.

Bald gab es zehn Schlitze auf meiner Leinwand. Ich malte sie rot an. Dann umrandete ich sie mit viel Schwarz und tupfte wässrige Tropfen darauf, die wie Tränenspuren aussahen.

Ich setzte mich zurück und betrachtete das Bild. Es war hässlich, finster, hemmungslos. Wie das Gesicht von einem Ungeheuer. Aber vielleicht war das, was ich sah, ja einfach mein eigenes Gesicht? Ich konnte es nicht recht sagen. Zeigte dieses Gesicht etwas zutiefst Böses oder war es schlicht ein Bild von mir selbst?

»Beides«, murmelte Bea, als hätte ich die Frage laut ausgesprochen. »Natürlich ist es beides. Aber das sollte es nicht sein. Himmel, nein.«

Trotzdem wusste ich jetzt, was ich tun musste. Troy hatte im Grunde recht. Ich gehörte nirgends dazu. Nicht zu Jessica, nicht zu Meghan und garantiert nicht zu Josh. Ich gehörte nicht auf solche Partys. Ich gehörte auch nicht in den Schülerrat. Ich gehörte nicht zu Stacey und Duce. Oder zu meinen Eltern, die so viel gelitten hatten. Und auch nicht zu Frankie, der so leicht Freunde fand.

Wem wollte ich etwas vormachen? Ich hatte auch nie zu Nick gehört. Weil ich ihn nämlich total hintergangen hatte – ich hatte ihm das Gefühl gegeben, ich würde an das Gleiche glauben wie er, hatte ihn denken lassen, ich wäre auf seiner Seite, egal, was er tat, sogar wenn er Leute umbrachte.

Bea sah das falsch. Ich war eben doch zugleich Ungeheuer und trauriges Mädchen. Ich konnte beides nicht voneinander trennen.

Ich ließ den Pinsel los, der geräuschvoll zu Boden fiel und die Beine meiner Jeans mit Farbspritzern bedeckte, und machte mich davon. Dabei tat ich, als würde ich die Ermutigungen, die Bea mir hinterherrief, gar nicht hören.