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Luigi Bonarotti saß, mit dem Rücken an die Steinmauer gelehnt, antriebslos auf dem glatten Felsboden des Planetariums. Er stützte die Ellenbogen auf die angezogenen Knie und starrte hinaus in die Dunkelheit, die über dem Tal von Quivira lag. Nur ab und zu beleuchtete ein Blitz den dichten Vorhang aus Regen, der draußen vor dem Alkoven vom Himmel fiel. Es gab für Bonarotti keinen Grund mehr, die trockene Stadt zu verlassen. Genauer betrachtet, gab es auch keinen Grand mehr, überhaupt etwas zu tun, außer die nächsten paar Tage so bequem wie möglich zu verbringen.
Eigentlich hätte Bonarotti viel enttäuschter sein müssen, als er es jetzt tatsächlich war. Anfangs — in den ersten Minuten nach seiner Erkenntnis, dass sich in dem geheimen Kiva anstatt des erhofften Goldes nur unzählige Tontöpfe befanden - war seine Bestürzung wahrhaftig überwältigend gewesen. Jetzt aber, als er am Rand der Stadt hockte, verspürte er nur die Schmerzen in seinen Knochen. Das Gold hätte ihm ja ohnehin nicht gehört, und er fragte sich, weshalb er eigentlich so geschuftet hatte und sich - was sonst gar nicht seine Art war - so sehr von der Begeisterung des Augenblicks hatte hinreißen lassen. Das Einzige, was er jetzt davon hatte, war dieses schwere Gefühl in all seinen Gliedern. Vor ein paar Minuten hatte er geglaubt, erst Schritte auf dem großen Platz und dann einen ärgerlichen Wortwechsel unten im Tal gehört zu haben, aber bei dem steten Rauschen des Regens und angesichts des Staubes, der seine Gehörgänge verstopfte, konnte er sich nicht sicher sein, ob er sich nicht doch getäuscht hatte. Außerdem war er viel zu erschöpft, um der Sache auf den Grand zu gehen. Er hatte ja nicht einmal mehr die Energie, den schweren Revolver aus seinem Hosenbund zu ziehen, dessen Griff sich ihm schmerzhaft in die Seite bohrte.
Mit einiger Anstrengung kramte er aus der Brusttasche seines Hemdes eine Zigarette hervor und suchte in den Hosentaschen nach einem Streichholz. Bonarotti wusste, dass in der Ruine strenges Rauchverbot galt, aber im Augenblick war ihm das vollkommen gleichgültig. Davon abgesehen hatte er den Eindruck, als würde Sloane in diesen Dingen mehr Toleranz walten lassen als Nora Kelly. Eine Zigarette zu rauchen war das Einzige, was ihm an diesem gottverlassenen Ort noch Vergnügen bereitete. Das und sein geheimes Depot an altem Grappa, das er zwischen den Kochutensilien versteckt hatte.
Als er jedoch die Zigarette anzündete, musste er feststellen, dass sie ganz schrecklich schmeckte - nach Pappendeckel und alten Socken. Bonarotti nahm sie aus dem Mund und roch daran, bevor er sie sich wieder zwischen die Lippen steckte. Jeder Zug aus ihr verursachte ihm einen stechenden Schmerz in der Lunge. Als er auch noch husten musste, machte er die Zigarette sorgsam aus und stopfte sie wieder in die Packung.
Irgendwie hatte Bonarotti das Gefühl, als würden die Schmerzen und der Husten nicht von der Zigarette herrühren. Und dann musste er auf einmal an Peter Holroyd denken und daran, welch einen entsetzlichen Tod er erlitten hatte. Die Vorstellung fuhr ihm wie ein galvanischer Schock durch den ganzen Körper, und er stand so rasch auf, dass er ein seltsames, brüllendes Geräusch in den Ohren hörte. Sein Körper fühlte sich heiß an, und er musste sich an der Wand des Alkovens festhalten, um nicht zu stürzen.
Bonarotti atmete mehrmals hintereinander tief durch, bevor er vorsichtig versuchte, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Alles schien sich um ihn zu drehen. Was war nur in der halben Stunde, die er an der Mauer gehockt hatte, mit ihm passiert? Bonarotti fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und starrte in die Stadt hinein. Er spürte einen schmerzhaften Druck in seinem Kopf und ein sich stetig verstärkendes Stechen in den Kiefergelenken. Obwohl der Regen nachgelassen hatte, kam Bonarotti sein monotones Rauschen immer lauter und unangenehmer vor. Vornüber gebeugt und ohne eigentliches Ziel wankte er in Richtung Hauptplatz. Schon einen Fuß vor den anderen zu setzen kam ihm auf einmal wie eine nur mit großer Mühe zu bewältigende Schwierigkeit vor.
Bonarotti blieb stehen. Obwohl er sich in der Mitte des weitläufigen Hauptplatzes befand, hatte er das Gefühl, als würden die zweistöckigen Häuser von allen Seiten her auf ihn einstürzen. Ihre leeren Fensterhöhlen kamen ihm plötzlich wie die Augen von Totenköpfen vor, die ihn mit steinharten, kalten Blicken anstarrten. »Mir ist schlecht«, sagte er, obwohl niemand da war, der ihn hätte hören können.
Das Prasseln des Regens wurde ihm immer unerträglicher. Er hatte nur noch den Wunsch, diesem schrecklichen Rauschen zu entfliehen. Er musste einen Ort finden, an dem es still und dunkel war und wo er sich zusammenrollen und sich die Ohren zuhalten konnte.
Langsam drehte er sich um und wartete darauf, dass ein Blitz die dunkle Stadt erleuchtete. Als das zuckende Licht auf die Häuser in der Nähe fiel, stolperte Bonarotti, begleitet vom Grollen des Donners, auf eines davon zu.
Als er den Eingang erreichte, spürte er mit einem plötzlichen Anfall von Panik, dass er kaum mehr gehen konnte. Wenn er sich nicht sofort hinlegte, würde er zusammenbrechen, doch die Dunkelheit des Raumes vor ihm war so absolut, dass sie wie ein widerwärtiges schwarzes Tier auf ihn zuzukriechen schien. So eine Empfindung profunden Ekels hatte Bonarotti noch nie in seinem Leben gehabt. Ein Brechreiz stieg in ihm auf, der unter anderem von dem widerlich süßen Geruch nach irgendwelchen Blüten herrühren mochte, der ihm aus dem Haus heraus entgegenschlug.
Schwankend blieb er im Eingang stehen, aber als ihn ein weiterer Schwindelanfall packte, machte er einen tappenden Schritt nach vom und verschwand in der Finsternis des Hauses.