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Peter Holroyd erwachte hustend aus einem tiefen, beunruhigenden Traum. Irgendwie musste ein nächtlicher Windstoß ihm Sand ins Gesicht geblasen haben. Oder vielleicht war es ja auch nur der Staub, der sich tagsüber während der Arbeit in seinen Poren angesammelt hatte und den er plötzlich auf der Haut spürte. Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und setzte sich auf.

Es war nicht der Staub gewesen, der ihn geweckt hatte, sondern ein Geräusch, das sich angehört hatte wie ein vom Wind verwehter Schrei. Es war ein seltsamer Schrei gewesen, der so geklungen hatte, als habe ihn die Erde selbst ausgestoßen. Holroyd glaubte nicht, dass er das geträumt hatte. Er spürte, wie sein Herz rasend schnell schlug.

Im silbrigen Mondlicht blickte Holroyd von Zelt zu Zelt und zu den dunklen Umrissen der Schläfer in ihren Bettrollen. Nirgends bewegte sich etwas.

In alter Gewohnheit wanderten seine Augen zu einer bestimmten, etwa zwanzig Meter vom Feuer entfernten Stelle. Normalerweise schlief dort Nora, aber heute Nacht war sie fort - zusammen mit Smithback. Oft hatte Holroyd in den vergangenen Nächten dort hinübergeblickt und sich gefragt, wie es wäre, wenn er zu Nora hinüberkröche und ihr sagte, wie viel ihm das alles hier bedeutete. Wie viel sie ihm bedeutete. Aber er hatte nie den Mut dazu aufgebracht.

Seufzend legte sich Holroyd wieder hin. Selbst wenn Nora da gewesen wäre, hätte er in dieser Nacht nichts anderes tun wollen als schlafen. So hundemüde hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. In Noras Abwesenheit hatte Sloane ihm aufgetragen, einen hohen Berg aus Sand und Staub wegzuschaufeln, der sich an der hinteren Wand der Ruine, nicht weit von Aragons Tunnel, angesammelt hatte. Holroyd hatte zunächst nicht eingesehen, weshalb er sich ausgerechnet hier ans Werk machen sollte, doch Sloane hatte ihm auf seine Frage hin ungeduldig erklärt, dass man an den Rückwänden von Anasazi-Städten schon viele wichtige Piktogramme gefunden habe. Dabei war ihm aufgefallen, wie rasch und selbstverständlich Sloane, kaum dass Nora weg war, das Kommando an sich gerissen hatte. Aragon hatte sie gewähren lassen und war mit düsterer Miene in seinem Tunnel verschwunden, in dem er offenbar eine weitere beunruhigende Entdeckung gemacht hatte. Er schien viel zu sehr mit seinen Forschungen beschäftigt gewesen zu sein, als dass er sich um Sloane groß hätte kümmern können. Black wiederum ordnete sich Sloane kritiklos unter, sagte zu allen ihren Anordnungen Ja und Amen. Und so kam es, dass Holroyd von morgens bis abends hatte Dreck schippen müssen. Jetzt hatte er ein Gefühl, als ob das ganze Wasser der Welt ihm nicht den Staub aus Haaren, Nase und Mund waschen könne.

Während er so auf dem Rücken lag und hinauf in den Nachthimmel starrte, spürte er einen seltsamen Geschmack im Mund und einen stechenden Schmerz in seinem Kiefergelenk. Außerdem begann sich an seinen Schläfen ein leichtes Kopfweh zu entwickeln. Die Knochenarbeit des vergangenen Tages war etwas ganz anderes gewesen als die romantischen Vorstellungen von Archäologie, die er noch zu Beginn der Expedition gehabt hatte. Mit dem öffnen schatzgefüllter Gräber und dem Entziffern geheimnisvoller Inschriften hatte diese Plackerei nun wahrhaftig nichts zu tun. Da befanden sie sich inmitten der fantastisch erhaltenen Ruinen einer geheimnisvollen Zivilisation, und alles, was sie machten, bestand in stupidem Sandschaufeln und langweiligen Vermessungsarbeiten. Holroyd kam zu dem Schluss, dass er die Nase voll hatte. Und von Sloane wollte er sich gleich gar nichts mehr befehlen lassen. Sie war sich ihrer Schönheit und ihrer Wirkung auf die Männer viel zu sehr bewusst und setzte ihren Charme zu bereitwillig zum Erreichen ihrer Ziele ein. Seit sie und Nora in der nach ihm benannten Ruine aneinander geraten waren, hatte er zudem das Gefühl, sich vor Sloane in Acht nehmen zu müssen.

Holroyd seufzte und schloss die Augen. Seine Kopfschmerzen waren schlimmer geworden. Eigentlich war es sonst gar nicht seine Art, so griesgrämig zu sein. Normalerweise war er nur dann schlecht gelaunt, wenn sich eine Grippe anbahnte. So schlimm war Sloane nun auch wieder nicht, sie nahm bloß kein Blatt vor den Mund und war es eben gewohnt zu bekommen, was sie wollte. Die Frau war einfach nicht sein Typ, und damit basta. Außerdem war es doch egal, ob er Sand schaufelte oder Steine klopfte, Hauptsache, er war hier in Quivira, dieser wundersamen, mythischen Stadt. Alles andere war zweitrangig.

Auf einmal erstarrte er und riss die Augen weit auf. Da war es wieder, das Geräusch.

Holroyd schälte sich so leise wie möglich aus seiner Bettrolle und kniete sich hin. Was immer es auch gewesen sein mochte, das Geräusch hatte wieder aufgehört. Aber halt, da war es schon wieder: ein leiser Schrei, der wie ein schwaches Ächzen klang.

Aber dieses Geräusch war anders als das, weiches ihn geweckt hatte. Es war irgendwie weicher. Und es schien ganz aus der Nähe zu kommen.

Im Mondlicht suchte Holroyd nach einem Taschenmesser, einem Stock, nach irgendetwas, das sich als Waffe gebrauchen ließe. Schließlich fand er eine schwere Taschenlampe, die er prüfend in der Hand wog. Er fragte sich, ob er sie anschalten sollte, beschloss dann aber, es lieber bleiben zu lassen. Dann stand er auf und hatte einen Moment lang Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Mit leisen Schritten ging er in Richtung auf die Pappeln am Fluss, von wo das Geräusch gekommen war.

Vorsichtig ertastete sich Holroyd seinen Weg durch die Kisten und die in Planen gehüllten Bündel mit irgendwelchen Ausrüstungsgegenständen hindurch. Eine Wolke hatte sich vor den Mond geschoben und ließ die Landschaft in tiefer Dunkelheit versinken. Holroyd, dem heiß und übel war, fand sich in der Dunkelheit nicht zurecht. Sein Kopfweh war schlimmer geworden, und er hatte das Gefühl, als läge ein Schleier über seinen Augen. Als der Mond wieder zum Vorschein kam, registrierte er abwesend, dass einen halben Meter von ihm entfernt eine hochgiftige Pflanze wuchs, Druid's Mantle. Ohne sie sich näher anzusehen, ging er mit ungewohntem Desinteresse an ihr vorbei. Eigentlich so dachte er, sollte er jetzt schlafen, anstatt wie ein Idiot durch die Nacht zu stolpern.

Vorsichtig ging Holroyd weiter auf den Fluss zu. Als er die Pappeln erreichte, hörte er wieder das Geräusch. Es war jetzt klarer und regelmäßiger als zuvor. Die Finger von Hoiroyds rechter Hand schlössen sich fester um den Griff der Taschenlampe, während er sich mit der linken an einem Baumstamm festhielt und neugierig durch den Vorhang aus Blättern spähte.

Das Erste, was er sah, war ein Haufen Kleider am Boden. Zuerst dachte Holroyd, dass hier jemand ausgeraubt und verschleppt worden sei, aber dann sah er im Sand zwischen den Pappeln zwei Gestalten liegen.

Die untere davon war Black, dem sein Hemd bis an die Achseln hochgerutscht war. Seine nackten Beine hatte er mit den Knien nach oben weit gespreizt, und seine Augen waren fest geschlossen. Aus seinem Mund ertönte ein leises Stöhnen, das Holroyd als das Geräusch identifizierte, dem er gefolgt war. Auf Blacks Unterleib hockte rittlings Sloane, deren nackter, schwitzender Körper im Mondlicht glänzte. Sie hatte ihre Hände auf Blacks Brust gelegt und grub ihre Nägel in sein Fleisch.

Holroyd, der gleichermaßen schockiert und fasziniert war, spürte, wie ihm ganz heiß wurde, als er seine Blicke langsam an Sloanes Körper entlang nach unten gleiten ließ. Black ächzte vor Begierde und Anstrengung und bewegte seine Lenden, so dass Sloanes Brüste mit jedem Stoß auf und ab wippten. Sloane beugte sich vornüber und starrte ihren Liebhaber mit einem so konzentrierten, fast raubtierhaften Gesichtsausdruck an, dass Holroyd unwillkürlich an eine Katze denken musste, die mit der Maus spielt. Ihr schwarzes Haar fiel ihr ins Gesicht, während sie mit gnadenloser Präzision ihr Becken hin und her bewegte und Black ein weiteres, halb gepeinigtes, halb wollüstiges Stöhnen entlockte.