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Die frisch asphaltierte Straße verließ Santa Fe und führte zwischen Pinien pfeilgerade nach Westen. Die Sonne, die gerade bernsteinfarben hinter den schneebedeckten Gipfeln der Jemez-Berge unterging, warf den Schatten einer schmutziggrauen Wolkenbank über die Landschaft. Nora Kelly saß am Steuer ihres klapprigen Ford- Pick-up und blickte hinaus auf die mit Wüstengestrüpp bewachsenen Hügel und das ausgetrocknete Flussbett neben der Straße, die sie nun schon zum dritten Mal innerhalb eines Vierteljahres entlangfuhr.
Auf dem Weg von Buckman's Wash nach Jackrabbit Fiats - oder dem, was früher einmal Jackrabbit Fiats gewesen war - sah sie die kleinen schillernden Regenbogen von über einem Dutzend Rasensprengern, die mit langsamen, rhythmischen Bewegungen ihrer metallisch glänzenden Düsenköpfe fein verteilte Wasserstrahlen in die heiße Wüstenluft sprühten. Aus dem satten Grün eines makellos gepflegten Grasteppichs leuchteten blendend weiße Sandbunker, und dahinter erhob sich das neu erbaute, mit imitierten Lehmziegeln verkleidete Haus des Golfclubs Fox Run. Angewidert wandte Nora den Blick wieder auf die Straße.
Eine Meile hinter dem Golfplatz holperte der Pick-up über ein Viehgitter, und die glatte Teerstraße verwandelte sich in eine ausgefahrene Sandpiste. Ein aufgeschrecktes Kaninchen rannte quer über die Fahrbahn, als Nora an ein paar alten Briefkästen und einem primitiven, wettergebleichten Holzschild mit der Aufschrift rancho de las cabrillas vorbeifuhr. Plötzlich erinnerte sie sich an einen Sommertag vor zwanzig Jahren, an dem sie ihrem Vater beim Malen dieses Schildes geholfen hatte. Cabrilla, so hatte ihr Vater damals gesagt, als sie beide mit einem Eimer Farbe in der prallen Sonne gestanden hatten, sei das spanische Wort für Wasserwanze. Denselben Namen hatten Nora und ihr Vater auch dem Sternbild der Plejaden gegeben, weil sie der Meinung gewesen waren, es sehe aus wie Wasserwanzen, die über die Oberfläche eines Teiches liefen. »Zum Teufel mit den Rindviechern«, hatte Noras Vater gesagt und mit einem dicken Pinsel die Buchstaben auf das Schild gemalt. »Ich habe die Ranch eigentlich nur wegen des Sternenhimmels hier draußen gekauft.«
Nora fuhr langsam um die Kurve und einen sanften Hügel hinauf. Die Sonne war jetzt unter dem Horizont verschwunden, und der Himmel über der Wüste verdunkelte sich rasch. Vor Nora lag jetzt das grüne Tal mit dem alten Ranchhaus ihrer Familie, in dem nun schon seit fünf Jahren niemand mehr lebte. Seine Fenster waren mit Brettern vernagelt, und die Scheune neben den leeren Pferdekoppeln zeigte starke Verfallsspuren. In Noras Augen war es nicht allzu schade um das Fertighaus aus den Fünfzigeijahren, das bereits in ihrer Jugend baufällig gewesen war; ihr Vater hatte all sein Geld für das Land ausgegeben und nur ein billiges Haus bauen können.
Kurz vor dem Kamm des Hügels verließ Nora die Straße und warf einen Blick auf das trockene Bachbett daneben, in das jemand eine Ladung Bauschutt gekippt hatte. Vielleicht sollte sie ja doch auf ihren Bruder hören und die Ranch verkaufen. Das Haus ließ sich ohnehin nicht mehr reparieren und die Grundsteuer war - ebenso wie die Grundstückspreise - in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Ein neues Haus konnte sie von ihrem dürftigen Gehalt als Assistenz Professorin nicht bauen lassen - warum also hing sie noch an dieser Ranch?
Nora sah, wie im eine Viertelmeile entfernten Wohnhaus der Gonzales-Ranch die Lichter angingen. Im Gegensatz zu ihrem Vater, der seine kleine Ranch nur als Hobby betrieben hatte, bestritt Noras Schulfreundin Teresa Gonzales ihren Lebensunterhalt mit Landwirtschaft. Teresa war eine große, gescheite und furchtlose Frau, die nicht nur ihren eigenen Betrieb ganz alleine bewirtschaftete, sondern seit fünf Jahren auch auf der Cabrillas-Ranch nach dem Rechten sah. Jedes Mal, wenn Jugendliche dort eine Fete feierten oder betrunkene Jäger ein Zielschießen auf das Farmhaus veranstalteten, ging Teresa hinüber, um sie zu verjagen, und hinterließ Nora eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, damit diese kam und den Schaden anschaute. In letzter Zeit hatte Teresa ein paar Mal kurz nach Sonnenuntergang einen schwachen Lichtschein in den Fenstern des Kelly-Hauses entdeckt und außerdem bemerkt, wie irgendwelche seltsamen, großen Tiere darum herum geschlichen waren.
Als Nora sah, dass keine Autos vor dem Ranchhaus parkten, hielt sie in einiger Entfernung davon den Wagen an, um es eine Weile zu beobachten. Nichts rührte sich und auch sonst konnte Nora weder einen Lichtschein noch andere Anzeichen für die Anwesenheit von Eindringlingen entdecken. Entweder waren sie nicht mehr hier oder Teresa hatte sich getäuscht, als sie die Lichter gesehen hatte.
Langsam fuhr sie durch das innere Tor und parkte den Pick-up hinter dem Haus. Dort nahm sie eine Taschenlampe aus dem Handschuh Fach und stieg leise aus dem Wagen. Die Haustür hing schief in der einen ihr noch verbliebenen Angel; das Vorhängeschloss, das Nora nach dem Tod ihrer Mutter dort angebracht hatte, war längst einem Bolzenschneider zum Opfer gefallen. Ein Windstoß fuhr durch den Hof, wirbelte eine kleine Staubwolke auf und rüttelte leise an der Tür.
Nora schaltete die Taschenlampe ein und ging auf das Haus zu. Als sie die Tür aufdrückte, bewegte sich diese nur widerwillig. Erst als Nora ihr einen genervten Tritt verpasste, fiel sie mit einem lauten Krach zu Boden. Nachdem das Geräusch in dem stillen Haus verhallt war, trat Nora ein.
Drinnen herrschte wegen der vernagelten Fenster fast völlige Dunkelheit, aber Nora wusste auch so, dass diese Bruchbude nur noch wenig mit dem Haus gemein hatte, in dem sie groß geworden war. Auf dem Boden lagen Scherben und leere Bierflaschen herum, und irgendein Rowdy hatte krakelige Graffiti an die Wände gesprüht. Der Teppich war zerschnitten, die Sofakissen aufgeschlitzt, so daß die Federn überall im Raum herumflogen, und jemand hatte sogar ein paar Bretter von den Fenstern gerissen. In den Wänden bemerkte Nora unzählige Einschusslöcher und die Spuren von wütenden Fußtritten.
Eigentlich hatte sich der Zustand des Hauses seit ihrem letzten Besuch nicht wesentlich verschlimmert. Bis auf die aufgeschlitzten Sofakissen und ein paar weitere Löcher in den Wänden war alles wie gehabt. Noras Anwalt hatte sie bereits wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass das Haus in seinem jetzigen Zustand nur eine Belastung für sie sei. Die Baubehörde würde es, sollte sie darauf aufmerksam werden, ohne Umschweife für unbewohnbar erklären und sie zwingen, es abzureißen. Das Problem dabei war, dass Nora nicht genug Geld für den Abbruch hatte - außer natürlich, wenn sie die Ranch verkaufte.
Sie ging vom Wohnzimmer in die Küche, wo sie den Lichtkegel ihrer Taschenlampe über den alten Kühlschrank gleiten ließ. Er lag noch immer umgeworfen in der Ecke, wo sie ihn bei einem ihrer letzten Besuche entdeckt hatte. Neu war, dass jemand die Gemüseschubladen herausgerissen und dann achtlos irgendwo hingeworfen hatte. Auch war das Linoleum am Boden, das die Feuchtigkeit ohnehin schon aufgeworfen hatte, in langen Fetzen abgerissen worden. An einigen Stellen hatte jemand sogar ein paar Bodenbretter entfernt und den Hohlraum darunter freigelegt. Vandalismus muss ein verdammt harter Job sein, dachte Nora und ließ ihren Blick weiter durch den Raum schweifen. Irgendwie hatte sie auf einmal das seltsame Gefühl, dass etwas anders war als sonst.
Sie verließ die Küche und stieg langsam die Treppe hinauf, auf deren Stufen dicke Knäuel von herausgerissener Matratzenfüllung lagen. Dabei versuchte sie, etwas Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Aufgeschlitzte Sofakissen, in die Wand geschlagene Löcher, abgerissenes Linoleum und fehlende Bodenbretter - irgendwie kamen ihr diese neuerlichen Zerstörungen nicht ganz so willkürlich vor wie die, mit denen sie es bisher zu tun gehabt hatte. Es sah fast so aus, als habe jemand gezielt nach etwas gesucht. Auf halbem Weg die dunkle Treppe hinauf blieb sie plötzlich stehen.
Hatte sie nicht das Knirschen von Schritten auf zerbrochenem Glas gehört?
Nora lauschte ins Dämmerdunkel, aber bis auf das leise Wehen des Windes hörte sie kein Geräusch. Wie sollte sie auch, schließlich war draußen kein Auto vorgefahren. Mit einem leisen Seufzer setzte sie sich wieder die Treppe hinauf in Bewegung.
Oben, wo keines der Bretter von den Fenstern fehlte, war es noch dunkler als im Erdgeschoss. Vom Treppenabsatz aus wandte sie sich nach rechts und leuchtete mit der Taschenlampe in ihr ehemaliges Zimmer. Wie immer, wenn sie die rosa Tapeten sah, die jetzt voller Stockflecken waren und in Fetzen von der Wand hingen, ging ihr ein wehmütiger Stich durchs Herz. In der Matratze ihres alten Bettes hatte sich eine ganze Familie von Packratten eingenistet, und der Notenständer, vor dem sie so oft Oboe gespielt hatte, lag verbogen und rostig auf den gesprungenen Dielenbrettern. Als eine Fledermaus über ihren Kopf hinwegflatterte, fiel Nora ein, wie ihre Mutter sie einmal bei dem Versuch erwischt hatte, eines dieser Tiere zu zähmen. Noras Mutter hatte nie begreifen können, was ihre Tochter an Fledermäusen so faszinierend fand.
Von ihrem Zimmer ging sie hinüber zu dem ihres Bruders, das ebenfalls ein-einziges Chaos war. Sieht eigentlich auch nicht viel anders aus als seine jetzige Wohnung, dachte sie. Durch den Moder glaubte sie den schwachen Duft von Blumen riechen zu können. Seltsam, die Fenster hier oben sind doch alle noch dicht, schoss es Nora durch den Kopf, während sie wieder hinaus und über den Gang zum Schlafzimmer ihrer Eltern ging.
Und jetzt hörte sie auf einmal ganz deutlich aus dem Parterre das leise Klirren von Glassplittern. Abrupt blieb Nora stehen. War das eine Ratte, die über den Boden im Wohnzimmer huschte?
Vorsichtig schlich Nora zurück zur Treppe und vernahm ein weiteres Geräusch, ein schwaches Klopfen. Während sie bewegungslos dastand und lauschte, drang ein weiteres, schärfer klingendes Knirschen herauf. Es klang, als ob eine Glasscherbe zertreten würde.
Nora atmete langsam aus und spürte, wie sich ihre Brustmuskeln zusammenkrampften. Diesmal schien ihr Besuch in ihrem alten Elternhaus, der anfänglich wie eine weitere, harmlose Routinekontrolle ausgesehen hatte, eine gänzlich andere Qualität anzunehmen. »Wer ist da?«, rief Nora nach unten.
Keine Antwort. Nur das Geräusch des Windes draußen vor dem Haus.
Nora leuchtete mit der Taschenlampe die Treppe hinunter. Die Jugendlichen, die sich sonst in dem Haus herumtrieben, nahmen normalerweise reißaus, sobald sie Noras Pick-up sahen; diesmal aber offenbar nicht.
»Sie befinden sich in einem Privathaus!«, rief sie mit so fester Stimme wie möglich. »Was Sie hier machen, ist Hausfriedensbruch. Die Polizei ist schon verständigt!«
Unten war es still. Bis auf das Geräusch von leisen Schritten, die sich langsam der Treppe näherten.
»Teresa?«, rief Nora in der verzweifelten Hoffnung, es wäre vielleicht ihre Nachbarin.
Und dann hörte sie noch etwas anderes: ein kehliges, bedrohliches Geräusch, das fast wie ein Knurren klang.
Ein Hund, dachte Nora mit einem Gefühl der Erleichterung. Draußen auf der Farm gab es nämlich viele wilde Hunde, die manchmal im Haus herumstöberten. Nora wollte lieber gar nicht erst darüber nachdenken, warum sie diese Erkenntnis als so tröstlich empfand.
»Hey«, schrie sie und schwenkte die Taschenlampe. »Raus hier! Hau ab!«
Abermals vernahm sie als Antwort nichts als Schweigen.
Nora wusste, wie man mit streunenden Hunden umging. Absichtlich laut polternd stieg sie die Treppe hinab und redete dabei deutlich vernehmbar vor sich hin. Unten angelangt ließ sie den Strahl der Taschenlampe durchs Wohnzimmer schweifen. Es war leer. Der Hund musste sich aus dem Staub gemacht haben, als er sie hatte kommen hören.
Nora atmete tief durch. Obwohl sie eigentlich noch das Schlafzimmer ihrer Eltern hätte in Augenschein nehmen müssen, fand sie es an der Zeit, das Haus zu verlassen.
Als sie schon auf dem Weg zur Tür war, hörte sie hinter sich einen weiteren vorsichtigen Schritt, dem quälend langsam ein zweiter folgte.
Nora wirbelte herum und leuchtete in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren. Nun vernahm sie ein leises, pfeifendes Keuchen, gepaart mit einem monotonen Schnurren, und der Geruch nach duftenden Blumen, den sie im oberen Stockwerk schon einmal wahrgenommen hatte, drang, stärker als zuvor, an ihre Nase.
Nora war wie gelähmt von einem ihr gänzlich ungewohnten Gefühl der Bedrohung. Sie fragte sich ob sie die Taschenlampe ausknipsen und sich verstecken oder einfach aus dem Haus fliehen sollte.
Und dann sah sie gerade noch aus dem Augenwinkel, wie ein großes, behaartes Etwas an der Wand entlang auf sie zurannte. Als sie es anleuchten wollte, wurde sie auch schon von einem heftigen Schlag auf den Rücken zu Boden gestreckt.
Auf dem Bauch liegend spürte Nora, wie eine raue, behaarte Tatze sie am Nacken packte, und hörte ein wildes, geiferndes Knurren, das sie an einen tollwütigen Hund erinnerte. Nora verpasste der Kreatur einen Tritt, so dass sie aufjaulte und ihren Griff lockerte. Nora nutzte die Gelegenheit und strampelte sich frei. Kaum hatte sie sich aber hochgerappelt, da wurde sie auch schon von einer zweiten Kreatur angesprungen und abermals zu Boden gerissen. Dabei fiel die Kreatur auf sie, und als Nora versuchte, sich zu befreien, spürte sie, wie sich ihr Glassplitter schmerzhaft in den Rücken bohrten. Das Wesen drückte sie mit seinem ganzen Gewicht nach unten. Nora sah Haare und Krallen, einen nackten Bauch, auf den leuchtende, an einen Jaguar erinnernde Flecken gemalt waren, und darunter einen Gürtel mit silbernen Conchas. Kleine, stark gerötete Augen starrten sie durch die Schlitze einer speckigen Ledermaske an.
»Wo ist der Brief?«, fragte eine raue Stimme. Nora roch den süßlichen Gestank von verrottendem Fleisch.
Nora brachte keinen Ton heraus.
»Wo ist er?«, wiederholte die Stimme kehlig und stockend wie ein Tier, das die menschliche Sprache nachahmt. Die Klauen schlössen sich wie Schraubstöcke um ihren Hals und ihren rechten Arm.
»Was für ein Brief?«, brachte Nora schließlich krächzend hervor.
»Sag schon, oder wir reißen dir den Kopf ab«, keuchte die Kreatur und verstärkte ihren Griff. Von einer plötzlichen Panik ergriffen, versuchte Nora sich loszustrampeln, aber die Klaue um ihren Hals drückte weiter unerbittlich zu. Nora würgte vor Schmerz und Angst.
Dann zuckte auf einmal ein greller Blitz durch das Wohnzimmer, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Knall. Nora spürte, wie sich die Klaue um ihren Hals lockerte, und befreite sich mit wilden Kopfbewegungen vollends aus ihrem Griff. Als sie sich zur Seite rollte, erschütterte ein zweiter Schuss den Raum, und ein Schauer aus Holzsplittern und Verputz regnete auf sie herab. Nora rappelte sich hoch und hörte, wie Glasscherben über den Fußboden klirrten. Ohne ihre Taschenlampe, die bei dem Sturz ausgegangen war, hatte sie Schwierigkeiten, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden.
»Nora?«, hörte sie eine Stimme rufen. »Nora, bist du das?« Im Rahmen der Eingangstür konnte sie eine dickliche Gestalt erkennen, die eine Schrotflinte in der Hand hielt.
»Teresa!«, rief Nora schluchzend und taumelte ins Licht.
»Alles in Ordnung?«, fragte Teresa und nahm Nora am Arm.
»Ich weiß nicht.«
»Machen wir, dass wir hier rauskommen!«
Draußen ließ Nora sich ins Gras sinken und sog die kühle Luft des Abends tief in ihre Lungen. Das Herz klopfte ihr bis in den Hals.
»Was ist denn passiert?«, hörte sie Teresa fragen. »Ich habe irgendwelche scharrenden Geräusche gehört und ein Licht gesehen.«
Nora schüttelte bloß den Kopf und rang nach Atem.
»Diese wilden Hunde sahen ja Furcht erregend aus«, fuhr Teresa fort, »fast so groß wie Wölfe.«
Nora schüttelte abermals den Kopf. »Nein. Das waren keine Hunde. Einer von ihnen hat mit mir gesprochen.«
Teresa musterte sie mit einem seltsamen Blick. »Sieht aus, als hätten sie dich in den Arm gebissen. Ich sollte dich besser ins Krankenhaus fahren.«
»Kommt nicht in Frage.«
Teresa runzelte die Stirn und betrachtete die dunklen Umrisse des Hauses. »Die hatten es ganz schön eilig, von hier zu verschwinden. Zuerst die Jugendlichen, und jetzt diese Viecher. Aber wie können Hunde so schnell...«
»Teresa, einer von ihnen hat mit mir gesprochen!«
Teresa sah sie noch skeptischer an als zuvor. »Das muss ein schlimmer Schock für dich gewesen sein«, meinte sie schließlich. »Du hättest mir sagen sollen, dass du herauskommst, dann hätten Señor Winchester und ich dich an der Straße in Empfang genommen.« Sie streichelte liebevoll den Lauf ihrer Waffe.
Nora blickte der massiv gebauten Frau in ihr zwar etwas mitgenommen, aber immer noch zuversichtlich wirkendes Gesicht. Sie wusste, dass Teresa ihr nicht glaubte, aber ihr fehlte die Kraft, um sie zu überzeugen. »Nächstes Mal sage ich dir vorher Bescheid«, versprach sie.
»Hoffentlich gibt es kein nächstes Mal«, meinte Teresa sanft. »Du musst dieses Haus entweder abreißen lassen oder es verkaufen, damit jemand anders das tun kann. Diese Ranch entwickelt sich langsam zu einem Problem für uns alle.«
»Ich weiß, dass sie kein schöner Anblick ist. Aber ich hasse den Gedanken, sie aufzugeben. Tut mir Leid, wenn sie dir Probleme macht.«
»Na ja, vielleicht bringt dich dieses Erlebnis ja zur Vernunft. Warum kommst du nicht mit rüber und isst einen Happen mit mir?«
»Nein, danke, Teresa«, sagte Nora so bestimmt, wie sie nur konnte. »Mit mir ist schon wieder alles in Ordnung.«
»Na hoffentlich«, entgegnete die Nachbarin. »Aber an deiner Stelle würde ich mir trotzdem eine Tetanusspritze geben lassen.«
Nora sah ihrer Nachbarin noch eine Weile nach, wie sie hinüber zu ihrem Haus ging. Dann setzte sie sich ans Steuer ihres Pick-ups und verriegelte mit zitternden Händen beide Türen. Still saß sie da und spürte, wie sich ihre Brust hob und senkte. Teresa verschwand langsam in der Dunkelheit. Als sie glaubte, wieder volle Kontrolle über alle ihre Glieder zu haben, griff sie nach dem Zündschlüssel. Ein stechender Schmerz fuhr ihr durch den Nacken.
Sie drehte den Schlüssel, aber der Motor wollte nicht anspringen. Nora fluchte. Ihr Wagen musste, wie fast alles in ihrem Leben, dringend erneuert werden.
Nora schaltete die Scheinwerfer aus, um die Batterie zu entlasten, und probierte es noch einmal. Diesmal gelang es dem Anlasser, den Motor nach ein paar leeren Umdrehungen zu asthmatisch keuchendem Leben zu erwecken. Nora ließ sich erleichtert zurück in den Fahrersitz sinken und trat ein paar Mal aufs Gas, bis der Motor endlich rund lief.
Auf einmal sah sie links vom Wagen etwas aufblitzen. Eine große, pelzige Gestalt sprang aus der Dunkelheit auf sie zu.
Nora legte den Gang ein, schaltete die Scheinwerfer an und trat aufs Gas. Der alte Pick-up setzte sich ruckartig in Bewegung und fuhr mit durchdrehenden Rädern aus dem Hof. Als Nora das innere Tor passierte, entdeckte sie zu ihrem Entsetzen, dass die Gestalt neben ihr her rannte.
Nora drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der Wagen schleuderte, dichte Staubwolken aufwirbelnd, hinaus auf die Straße. Obwohl Nora das pelzige Wesen nicht mehr sehen konnte, beschleunigte sie weiter. In Schlangenlinien raste der Wagen über die ausgefahrene Piste, legte einen Feigenkaktus flach und schoss beängstigend schnell auf das äußere Tor zu. Im nächsten Moment tauchten das Viehgitter und das Brett mit den alten Briefkästen im Licht der Scheinwerfer auf. Zu spät trat Nora auf die Bremse. Der Pick-up schoss über die Rampe vor dem Viehgitter und landete nach einem kurzen Luftsprung im Sand. Nora hörte das Splittern von Holz und sah, wie das Brett mit den Briefkästen zur Seite geschleudert wurde.
Schwer atmend saß Nora hinter dem Steuer und starrte auf den durch die Scheinwerferkegel wirbelnden Staub. Als sie den Rückwärtsgang einlegte und Gas gab, drehten zu ihrem Entsetzen die Räder im weichen Sand durch. Bei einem weiteren verzweifelten Versuch, sich zu befreien, würgte sie den Motor ab.
Im Licht der Scheinwerfer besah sich Nora den Schaden, den sie angerichtet hatte. Die alten, an ein langes Brett genagelten Briefkästen, die schon immer eine ziemlich wackelige Angelegenheit gewesen waren, lagen über mehrere Meter verstreut im Sand. Zum Glück waren sie schon vor einiger Zeit durch eine neuere Metallkonstruktion ersetzt worden, die Nora ganz in der Nähe schimmern sah. Da sie nicht mehr zurückkonnte, blieb ihr nichts anderes übrig, als die Flucht nach vorne anzutreten. Dazu musste sie aber das Brett, an dem die ausgedienten Briefkästen befestigt gewesen waren, aus dem Weg räumen.
Nora sprang aus dem Wagen und schaute sich ängstlich nach der haarigen Gestalt um, die sich aber nirgends blicken ließ. Dann packte sie das verrottete Brett und zerrte es zur Seite. Als sie wieder einsteigen wollte, sah sie einen Briefumschlag direkt vor dem Wagen liegen. Sie hob ihn auf, las im Licht der Scheinwerfer die Adresse und erschrak.
Rasch stopfte sie den Brief in die Brusttasche ihres Hemdes, sprang in den Wagen und ließ den Motor an. Am ganzen Körper zitternd fuhr sie zurück auf die Straße, gab Gas und nahm Kurs auf die ferne, aber unglaublich einladend wirkende Stadt.