16
Am nächsten Morgen wurde Nora vom herrlichen Duft gebratener Eier geweckt. Sie streckte sich genüsslich in ihrer Bettrolle und dachte noch ein wenig an den wunderbaren Traum, den sie kurz vor dem Aufwachen gehabt hatte. Dann hörte sie das Klappern von Blechgeschirr und die Stimmen ihrer Kollegen und schlug die Augen auf. Es war halb sieben, und die anderen hatten sich bereits um das Feuer versammelt, über dem eine große Kanne Kaffee hing. Nora schlüpfte aus ihrer Bettrolle und stand auf. Bis auf Swire und Black saßen alle Teilnehmer der Expedition am Feuer, und Bonarotti hantierte am Grill mit einer Pfanne.
Nora rollte ihr Bett zusammen und putzte sich rasch die Zähne. Es war ihr peinlich, dass sie bereits am ersten Morgen verschlafen hatte. In einiger Entfernung entdeckte sie Swire, der gerade die Pferde striegelte und deren Hufe kontrollierte.
»Ah, die Frau Chefin!«, rief Smithback gut gelaunt. »Kommen Sie doch zu uns und trinken Sie einen Schluck von diesem ebenholzfarbenen Nektar. Ich schwöre, dass er sogar noch besser schmeckt als der Espresso im >Café Reggio<.«
Nora ging hinüber zu der Gruppe und nahm dankbar die emaillierte Blechtasse entgegen, die Holroyd ihr reichte. Während sie ihren Kaffee trank, krabbelte Black aus seinem Zelt. Er sah zerzaust und mitgenommen aus. Wortlos schlurfte er herbei, goss sich auch eine Tasse ein und hockte sich auf einen Felsen in der Nähe. »Es ist saukalt hier«, murmelte er missmutig, wobei er seinen Blick über die Felswände ringsum schweifen ließ. »Ich habe die ganze Nacht lang kaum ein Auge zugetan. Normalerweise habe ich bei Außenarbeiten einen geheizten Wohnwagen zur Verfügung.«
»Erzählen Sie doch keine Märchen«, sagte Smithback. »Ihrem Schnarchen nach zu schließen haben Sie hervorragend gepennt.« Er wandte sich an Nora. »Könnten wir denn nicht für den Rest der Expedition die Geschlechtertrennung aufheben?«, fragte er mit einem lüsternen Grinsen. »Man hört doch immer, dass auf solchen Trips nachts munter von einem Zelt ins andere gekrochen wird. Nach dem Motto: So kalt kann eine Nacht gar nicht sein, dass es einem im Doppelschlafsack nicht warm würde.«
»Wenn Sie wollen, können Sie ja die nächste Nacht bei den Stuten verbringen«, antwortete Nora. »Swire kann das sicher für Sie arrangieren.«
Black ließ ein bellendes Lachen hören.
»Sehr witzig«, sagte Smithback und setzte sich mit seiner Kaffeetasse in der Hand auf einen Felsen in der Nähe des Geochronologen. »Aragon hat mir erzählt, dass Sie ein wahrer Meister bei der Datierung von Artefakten sind. Aber was hat er damit gemeint, als er Sie einen >Müllwühler< genannt hat?«
»Ach, hat er das?« Black warf seinem älteren Kollegen einen bösen Blick zu.
»Das sagt man halt so!«, verteidigte sich Aragon.
»Ich bin Stratigraph«, sagte Black. »Und oft geben uns gerade die Kehrichthaufen den besten Aufschluss über eine Zivilisation.«
»Die Kehrichthaufen?«
»Sie können auch Müllhalden dazu sagen«, ergänzte Black. »So etwas gab es nämlich schon in vorgeschichtlicher Zeit. Sie stellen übrigens meist den interessantesten Teil einer Ausgrabungsstätte dar.«
»Kollege Black ist auch ein Experte für Koprolith«, sagte Aragon.
Smithback musste einen Augenblick lang nachdenken. »Ist das nicht versteinerte Scheiße oder so was Ähnliches?«
»Ist ja schon gut«, knurrte Black gereizt. »Wir arbeiten mit allem, was uns eine exakte Datierung ermöglicht. Menschliche Haare, Blütenpollen, Holzkohle, Knochen, Samen, was auch immer. Fäkalien erweisen sich oft als besonders informativ, denn an ihnen kann man erkennen, was die Menschen gegessen haben, unter welchen Parasiten sie zu leiden hatten und...«
»Habe schon verstanden«, unterbrach ihn Smithback. »Fäkalien.«
»Dr. Black ist der bedeutendste Geochronologe des Landes«, beeilte sich Nora zu sagen.
Smithback schüttelte den Kopf. »Was für ein Job!«, kicherte er. »Koprolith, du großer Gott. Womit sich Menschen so alles beschäftigen!«
Bevor Black etwas erwidern konnte, verkündete Bonarotti, dass das Frühstück fertig sei. Wie am Tag zuvor trug er einen perfekt gebügelten, kakifarbenen Safarianzug. Nora, die dankbar für die Unterbrechung war, fragte sich, wie der Mann es schaffte, so gepflegt auszusehen, während alle anderen bereits mehr oder weniger schlampig daherkamen. Hungrig reihte sie sich in die kleine Warteschlange vor Bonarottis Grill ein. Nachdem der Italiener ihr ein großes Stück Omelett auf den Teller gelegt hatte, setzte sie sich auf einen Felsen und machte sich hungrig über ihr Essen her. Vielleicht lag es ja an der Wüstenluft, aber sie hatte noch nie in ihrem Leben eine so fantastische Eierspeise zu sich genommen.
»Himmlisch!«, murmelte Smithback mit vollem Mund.
»Es hat einen ganz außergewöhnlichen Geschmack«, sagte Holroyd und besah sich ein Stück Omelett auf seiner Gabel. »Fast ein bisschen moschusartig. So etwas habe ich noch nie gegessen.«
»Ist da etwa Stechapfel drin?«, fragte Swire halb im Scherz.
»Ich schmecke überhaupt nichts«, bemerkte Black.
»Ich weiß, was Sie meinen«, sagte Smithback zu Swire. »Irgendwie kommt mir der Geschmack bekannt vor.« Er nahm noch einen Bissen, dann ließ er die Gabel klappernd auf den Teller fallen. »Jetzt weiß ich's. Ich habe mal im >11 Mondo Vecchio< in der Dreiundfünfzigsten Straße Kalbfleisch gegessen, das so ähnlich schmeckte.« Er blickte auf. »Schwarze Trüffel, stimmt's?«
Bonarottis normalerweise gleichgültiges Gesicht erhellte sich einen Augenblick, und er sah Smithback mit neuem Respekt an. »Nicht ganz«, antwortete er, während er sich seiner Wunderkiste zuwandte, eine der zahllosen Schubladen aufzog und einen schwärzlichen Klumpen von der Größe eines Tennisballs hervorholte. An einer Seite des Klumpens war eine längliche Schnittfläche zu sehen.
»Gütiger Jesus, steh mir bei«, hauchte Smithback. »Eine weiße Trüffel. Und das mitten in der Wüste.«
»Eine Tuber magantwn pico«, verkündete Bonarotti feierlich, bevor er die Trüffel wieder in der Schublade verstaute.
Smithback schüttelte langsam den Kopf. »Dieser nette kleine Pilz dürfte einen Gegenwert von schlappen tausend Dollar darstellen. Gut zu wissen. Für den Fall, dass uns der Indianerschatz von Quivira durch die Lappen geht, können wir immer noch das Kabinett des Doktor Bonarotti plündern.«
»Versuchen Sie's, mein Freund«, sagte Bonarotti ruhig und öffnete seine Jacke. Darunter kam ein Halfter an seinem Gürtel zum Vorschein, in dem ein riesiger Revolver steckte.
Aus der Runde ließ sich nervöses Lachen vernehmen.
Als Nora sich wieder ihrem Frühstück widmete, war es ihr, als ob sie ein fernes, langsam anschwellendes Grollen vernommen hätte. Sie sah sich um und bemerkte, dass auch die anderen das Geräusch gehört hatten. Es wurde von den Wänden des Canons zurückgeworfen und ließ auf einen Flugzeugmotor schließen. Während sie den strahlend, blauen Himmel absuchte, nahm das Geräusch rasch an Intensität zu.
Kurze Zeit später erschien ein Wasserflugzeug, dessen Flügel und Schwimmer in der Morgensonne schimmerten, über der Felswand. Die Pferde weiter oben im Canon wieherten nervös.
»Der Bursche fliegt verflucht tief«, sagte Holroyd, während er nach oben starrte.
»Der fliegt nicht nur tief«, bemerkte Swire. »Der landet.«
Das Flugzeug senkte sich herab und wackelte zur Begrüßung mit den Flügeln. Dann ging es mit einem lauten Platschen auf dem Wasser nieder. Als es mit brummenden Propellern auf den Verhau aus Baumstämmen zukam, nickte Nora Holroyd zu, der daraufhin zu dem Rettungsfloß ging und auf den See hinausruderte. Im Cockpit des Flugzeugs sah sie den Piloten und den Kopiloten, die Messinstrumente ablasen und etwas auf einem von der Decke der Kabine herabhängenden Klemmbrett notierten. Schließlich kletterte der Pilot aus der Kabine, stellte sich auf einen der Schwimmer und winkte zu den Expeditionsteilnehmern am Ufer hinüber.
Nora hörte, wie Smithback neben ihr durch die Zähne pfiff, und sah, dass der Pilot eine Ledermütze abgenommen hatte und sein schwarzes Haar schüttelte. Es war eine Frau. »Die würde ich gern mal an den Steuerknüppel lassen«, bemerkte Smithback mit einem dreckigen Grinsen.
»Ruhe!«, fauchte Nora.
Die Pilotin musste Sloane Goddard sein.
Inzwischen war Holroyd mit dem Floß bei dem Flugzeug angekommen, und Dr. Goddards Tochter reichte ihm einige Seesäcke, die im Gepäckraum hinter den Sitzen des Flugzeugs verstaut gewesen waren. Dann warf sie die Luke zu, kletterte hinüber auf das Floß und gab dem Kopiloten ein Zeichen. Während Holroyd mit Sloane Goddard durch das Labyrinth aus Baumstämmen zurückruderte, machte das Flugzeug kehrt, begann zu beschleunigen und hob wieder ab. Nora wandte die Augen von der rasch kleiner werdenden Maschine ab und musterte die junge Frau.
Sloane Goddard saß im hinteren Teil des Floßes und unterhielt sich mit Holroyd. Sie trug eine lange Fliegerjacke aus Leder, Jeans und enge Stiefel. Ihre Haare waren zu einem klassischen Pagenkopf geschnitten, dessen Anachronismus Nora fast dekadent anmutete. Die Frisur erinnerte sie an Modezeitschriften der Zwanzigeijahre und verlieh Sloane Goddard das Aussehen einer Figur aus den Romanen von F. Scott Fitzgerald. Ihre mandelförmigen Augen und ihr sinnlicher Mund, um den ein leises, fast ein wenig höhnisch wirkendes Lächeln spielte, gaben ihrem Gesicht zusätzlich einen Hauch von Exotik. Sloane schien Mitte zwanzig zu sein, und Nora, die nicht viel älter war, musste sich mit einem Anflug von Neid eingestehen, dass Dr. Goddards Tochter eine der schönsten Frauen war, die sie je gesehen hatte.
Als das Floß an den Strand knirschte, sprang Sloane geschwind an Land und kam mit energischen Schritten auf das Lager zu. Das war nicht das dürre Society-Mädchen, das Nora erwartet hatte, sondern eine gut gebaute junge Frau, deren Bewegungen eine agile, geschmeidige Kraft ausstrahlten. Sloane war braun gebrannt, schien vor Gesundheit zu strotzen und strich sich ihr schwarzes Haar mit einer Geste aus der Stirn, die unschuldig und verführerisch zugleich war.
Mit einem breiten Grinsen kam sie auf Nora zu, zog ihre Lederhandschuhe aus und streckte ihr die Hand entgegen. Die Haut fühlte sich kühl und weich an, aber ihr Griff war erstaunlich fest. »Sie müssen wohl Nora Kelly sein«, sagte sie mit einem fröhlichen Augenzwinkern.
»Stimmt«, antwortete Nora mit einem leisen Seufzer. »Und Sie sind bestimmt Sloane Goddard. Die verspätete Sloane Goddard.«
Das Grinsen auf dem Gesicht der Frau wurde noch breiter. »Tut mir Leid, dass ich es so spannend gemacht habe, aber ich werde Ihnen später alles erklären. Jetzt würde ich gerne den Rest Ihrer Gruppe kennen lernen.«
Nora, die Sloanes selbstsicherer Befehlston zunächst gehörig erschreckt hatte, entspannte sich wieder, als diese von »Ihrer Gruppe« sprach. »Klar doch«, sagte sie. »Mit Peter Holroyd haben Sie ja schon Bekanntschaft gemacht.« Sie deutete auf den Kommunikationsspezialisten, der gerade mit Sloanes restlichem Gepäck zum Lager kam, und drehte sich um in Richtung Aragon. »Das ist...«
»Ich bin Aaron Black«, drängte sich Black vor und trat mit ausgestreckter Hand auf Sloane zu. Dabei zog er den Bauch ein und machte seinen Rücken gerade.
Sloane grinste ihn an. »Sie sind also der berühmte Geochronologe. Oder sollte ich lieber der gefürchtete Geochronologe sagen? Ich erinnere mich noch gut an Ihren Vortrag auf dem letztjährigen Treffen der Society for American Archaeologists, bei dem Sie den Kollegen Leblanc wegen seiner falschen Datierung der Ausgrabungen in der Chingadera-Höhle zur Schnecke gemacht haben. Ich schätze, dass der arme Mann seitdem nicht mehr in den Spiegel schauen kann.«
Die Erinnerung daran, wie er einen anderen Archäologen heruntergeputzt hatte, bereitete Black sichtlich Wohlbehagen.
Sloane wandte sich von ihm ab. »Und Sie sind bestimmt Enrique Aragon.«
Aragon nickte. Sein Gesicht hatte denselben unergründlichen Ausdruck wie tags zuvor.
»Mein Vater hält große Stücke auf Ihre Arbeit. Glauben Sie, dass wir in der Stadt menschliche Überreste finden werden?«
»Weiß ich nicht«, antwortete Aragon knapp. »Die Begräbnisstätten von Chaco Canon hat man bis heute noch nicht entdeckt, andererseits kennen wir Orte wie die Mumienhöhle mit Hunderten von Bestatteten. Aber bestimmt wird es Tierknochen geben, und die will ich auf jeden Fall untersuchen.«
»Ausgezeichnet«, sagte Sloane und nickte.
Nora blickte sich um und wollte die Vorstellungsrunde so rasch wie möglich beenden, aber zu ihrem Erstaunen hatte sich Roscoe Swire von der Gruppe entfernt und machte sich bei den Pferden zu schaffen.
»Sind Sie Roscoe Swire?«, rief Sloane ihm nach. »Mein Vater hat mir von Ihnen erzählt, aber ich glaube nicht, dass wir uns schon kennen gelernt haben.«
»Wieso sollten wir auch?«, entgegnete Swire barsch. »Ich bin schließlich nur ein einfacher Cowboy, der einen Haufen Greenhorns davon abhalten muss, sich hier draußen in der Wüste das Genick zu brechen.«
Sloane ließ ein heiseres Lachen hören. »Ich habe gehört, dass Sie noch nie in Ihrem Leben von einem Pferd gefallen sind. Stimmt das?«
»Wer Ihnen das erzählt hat, ist ein verdammter Lügner«, antwortete Swire. »Mein Hintern und der Erdboden sind gute alte Bekannte.«
Sloanes bernsteinfarbene Augen blitzten vor Vergnügen. »Wissen Sie, was mein Vater über Sie gesagt hat? Er wusste sofort, dass Sie ein richtiger Cowboy sind, weil Sie zu dem Vorstellungsgespräch mit Pferdemist an den Stiefeln gekommen sind.«
Jetzt musste auch Swire grinsen. Er schob sich ein Stück Kautabak in den Mund und meinte: »Das fasse ich als Kompliment auf.«
Nora wandte sich dem Journalisten zu. »Und das hier ist Bill Smithback.«
Smithback machte eine so tiefe Verbeugung, dass ihm eine Locke seines braunen Haares in die Stirn fiel.
»Der bekannte Journalist«, sagte Sloane, und obwohl ihr blendendes Lächeln nicht eine Sekunde getrübt wurde, glaubte Nora, einen Anflug von Missbilligung in ihrer Stimme zu hören. »Mein Vater hat erwähnt, dass er mit Ihnen Kontakt aufnehmen wird.« Bevor Smithback etwas antworten konnte, hatte Sloane sich schon Bonarotti zugewandt. »Hallo, Luigi! Gott sei Dank sind Sie mit von der Partie.«
Der Koch nickte bloß und sagte nichts.
»Haben Sie vielleicht noch ein Frühstück für mich?«
Bonarotti griff nach der Pfanne auf dem Grill.
»Ich habe einen Bärenhunger«, erklärte Sloane, als er ihr einen dampfenden Teller reichte.
»Kennen Sie Luigi von früher?«, fragte Nora, während sie sich neben ihr niederließ.
»Ja. Als ich letztes Jahr über die Cassin Ridge auf den Denali gestiegen bin, hat er im Basislager für unsere Gruppe gekocht. Während alle anderen Bergsteiger Dosenfutter und Dauerbrot essen mussten, haben wir uns an Entenbrust und Wildbret gelabt. Ich war diejenige, die meinem Vater gesagt hat, dass er Luigi für diese Expedition anheuern muss. Der Mann ist sehr, sehr gut.«
»Und sehr, sehr teuer«, ergänzte Bonarotti.
Sloane machte sich mit Appetit über ihr Omelett her. Die anderen hatten sich instinktiv um sie geschart, was Nora nicht weiter verwunderte: Die junge Miss Goddard sah nicht nur fantastisch aus, sie hatte auch ein gewisses Charisma, das über das übliche Selbstbewusstsein eines an einer Eliteuniversität erzogenen Mädchens aus gutem Haus weit hinausging. Nora verspürte eine Mischung aus Erleichterung und Neid und fragte sich, was für Auswirkungen Sloanes Anwesenheit wohl auf ihre Position als Leiterin der Expedition haben würde. Am besten stelle ich gleich von Anfang an klar, wer hier das Sagen hat, dachte sie. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir jetzt Ihren dramatischen Auftritt von vorhin zu erklären?«, fragte sie deshalb.
Sloane sah sie mit einem satten Lächeln an. »Tut mir Leid«, sagte sie, während sie ihren leeren Teller abstellte und sich zurücklehnte. Dabei klaffte ihre Lederjacke auf, unter der ein kariertes Hemd zum Vorschein kam. »Ich musste länger, als ich dachte, in Princeton bleiben, weil einer meiner Studenten sonst seine Prüfung nicht bestanden hätte. Wegen mir ist noch keiner durchgefallen, und so habe ich mit dem Studenten so lange gepaukt, bis ich schließlich meinen Linienflug verpasst hatte.«
»Wir haben uns im Hafen schon Sorgen um Sie gemacht.«
Sloane setzte sich wieder gerade hin. »Haben Sie denn meine Nachricht nicht erhalten?«
»Nein.«
»Ich habe sie bei einem Mann namens Briggs hinterlassen. Er versprach mir, Sie zu informieren.«
»Das muss er wohl vergessen haben«, sagte Nora.
Sloane grinste breit. »Kein Wunder, bei dem Betrieb dort. Jedenfalls hatten Sie Recht, dass Sie ohne mich abgelegt haben.«
Swire holte die Pferde von der Weidefläche, und Nora stand auf, um ihm beim Aufsatteln zu helfen. Zu ihrem Erstaunen folgte Sloane ihrem Beispiel und legte ebenfalls Hand an. Dabei stellte sie sich alles andere als ungeschickt an und sattelte immerhin zwei Pferde in derselben Zeit, die Swire für drei brauchte. Nachdem sie die Reitpferde an einem Gestrüpp festgebunden hatten, wandte sich Swire den Packpferden zu. Er warf ihnen Decken über den Rücken, auf die dann die Sägebock-Packsättel kamen. An diesen befestigte er die Tragkörbe, wobei er darauf achtete, dass die Last auf beiden Seiten gleichmäßig verteilt wurde. Dann breitete er zusammen mit Nora Staubplanen über die Körbe und zurrte sie sorgfältig fest. Sobald ein Pferd fertig war, gaben sie es an Sloane weiter, die es ein Stück weit den Canon hinaufführte. Bonarotti packte den Rest seiner Kochutensilien zusammen, während Smithback sich neben ihm genüsslich reckte und mit dem Italiener darüber debattierte, ob nun Sauce becamaise oder Sauce bordelaise besser zu Rindsmedaillons passte.
Nachdem Nora zusammen mit Swire das letzte Pferd gesattelt hatte, sah sie schwer atmend von der Anstrengung auf die Uhr. Es war kurz nach elf. Wenn sie einen ordentlichen Tagesritt schaffen wollten, blieb ihnen nur noch wenig Zeit, um die Greenhorns richtig einzuweisen. »Wollen Sie ihnen die erste Reitstunde geben?«, fragte sie Swire.
»Warum nicht? Irgendwann muss ich ja damit anfangen«, antwortete der Cowboy, während er sich die Hose hochzog und die Gruppe musterte. »Wer von Ihnen kann schon reiten?«
Black hob langsam die Hand.
»Ich«, platzte Smithback heraus.
Swire sah den Journalisten mit skeptisch nach unten hängendem Schnurrbart an. »Tatsächlich?«, fragte er, während er einen braunen Strahl Kautabak ausspie.
»Jedenfalls konnte ich es einmal«, konterte Smithback. »Und mit dem Reiten ist es doch so wie mit dem Fahrradfahren - man verlernt es nie.«
Nora glaubte, Swire unter seinem Schnurrbart grinsen zu sehen. »Na schön, dann wollen wir mal mit der Einweisung beginnen.«
Swire sah die Leute herausfordernd an, die ihrerseits ihre Blicke erwartungsvoll auf ihn geheftet hatten. »Diese beiden Pferde da, der Braune und der Fuchs, sind mein Reit- und mein Packpferd. Sie heißen Mestizo und Sweetgrass. Weil unser Mr. Smithback bereits ein so erfahrener Reiter ist, bekommt er Hurricane Deck als Reit- und Beetlebum als Packpferd.«
Black lachte laut auf, während Smithback betreten schwieg.
»Die Namen der Tiere haben doch keine besondere Bedeutung, oder?«, fragte der Journalist mit gespielter Gleichgültigkeit.
»Nein, keine besondere«, gab Swire zurück. »Manche haben vielleicht die eine oder andere Macke, weiter nichts. Haben Sie etwa ein Problem mit diesen beiden Pferden?«
»Keineswegs«, antwortete Smithback nicht allzu überzeugt, wobei er das große braune ROSS mit dem struppigen Fell und das hellrötlichgraue daneben mit einem skeptischen Blick bedachte.
»Diese beiden hier haben bloß ein paar Greenhorns auf dem Gewissen, die übrigens alle aus New York kamen. Aber wir haben doch keine New Yorker unter uns, oder?«
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete Smithback und zog sich seinen Hut ins Gesicht.
»Gut. Dr. Black wird Locoweed und Hoosegow übernehmen, während Nora meine beste Stute zum Reiten bekommt. Ihr Name ist Fiddlehead. Als Packpferd nimmt sie Crow Bait. Lassen Sie sich von seinem Aussehen nicht in die Irre führen, Nora. Crow Bait ist zwar ein hässliches, krummbeiniges, schafsnackiges und maultierhüftiges altes Indianerpony, aber wenn's sein muss, schleppt er Ihnen seine zweihundert Pfund bis ans Ende der Welt.«
»So weit werden wir ja hoffentlich nicht reiten müssen«, erwiderte Nora.
Swire fuhr fort, die Pferde je nach Temperament der Tiere an die unterschiedlich geübten Reiter zu verteilen, so dass bald jeder ein Reit- und ein Packpferd an den Zügeln hielt. Dann stieg Nora in den Sattel, und Goddard und Aragon taten es ihr nach. Nora erkannte an der gut ausbalancierten Art, wie Sloane im Sattel saß, dass sie eine erfahrene Reiterin war. Die restlichen Expeditionsteilnehmer standen noch mit nervösem Gesichtsausdruck neben ihren Pferden.
Swire wandte sich an die Gruppe. »Worauf warten Sie noch? Na los, sitzen Sie schon auf.«
Es dauerte eine Weile, bis sich die anderen unter viel Gezappel endlich in den Sattel gehievt hatten - manche vornübergebeugt und manche steif wie ein Stock. Aragon wendete sein Pferd und ließ es vorne hochsteigen. Auch er war ganz offensichtlich ein erfahrener Reiter.
»Versuchen Sie bloß nicht, mir meine schlechten Angewohnheiten abzutrainieren«, meinte Smithback, als er auf dem Rücken von Hurricane Deck saß. »Ich steuere nun mal gerne mit dem Sattelhorn.«
Swire ignorierte den Scherz. »Wir beginnen mit Lektion Nummer eins«, sagte er. »Halten Sie die Zügel in der linken Hand und das Seil des Packpferds in der rechten. Das ist nicht schwer, oder?«
»Genauso einfach, wie mit zwei Autos gleichzeitig zu fahren«, kommentierte Smithback.
Holroyd, der ziemlich ungelenk auf seinem Pferd hockte, lachte nervös, verstummte aber sofort, als er bemerkte, dass Nora ihn ansah.
»Kommen Sie zurecht, Peter?«, fragte sie.
»Mein Motorrad ist mir lieber«, antwortete er und rutschte etwas unglücklich in seinem Sattel herum.
Swire ging zuerst zu Holroyd und dann zu Black und korrigierte ihre Sitzposition und die Art, wie sie die Zügel hielten. »Sehen Sie zu, dass sich die Leine des Packpferds nicht unter dem Schwanz ihres Reitpferds verfängt«, sagte er zu Black, der das Seil nicht straff genug hielt. »Sonst glauben Sie noch, das Tier hätte Dynamit gefressen.«
»Verstehe, verstehe«, murmelte Black und verkürzte rasch das Seil.
»Nora wird an der Spitze reiten«, sagte Swire, »und ich bilde die Nachhut. Sie, Dr. Goddard, reiten Verbindung. Wo haben Sie übrigens reiten gelernt?«
»Ach, hier und dort«, erwiderte Sloane lächelnd.
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen.«
»Erklären Sie mir doch noch mal, wie man so ein Pferd steuert«, bat Black.
»Zunächst mal müssen Sie die Zügel relativ locker lassen, und dann ziehen Sie sanft entweder rechts oder links. Etwa so. Das Pferd merkt, wohin es gehen soll, daran, welcher Zügel seinen Hals berührt.« Er blickte sich um. »Sonst noch Fragen?«
Niemand wollte mehr etwas wissen. Die Luft war jetzt, am späten Vormittag, bereits brütend heiß und roch nach Mormonentulpen und Zedernharz.
»Dann wollen wir den Gäulen mal die Sporen geben.«
Nora drückte ihre Hacken in die Flanken des Pferdes und ritt los. Holroyd folgte ihr als Nächster.
»Haben Sie heute schon unsere Position bestimmt?«, fragte sie ihn.
Holroyd lächelte und klopfte auf den Laptop, der aus einer seiner abgewetzten Satteltaschen hervorlugte und hier ziemlich deplatziert aussah. Nora schaute noch einmal auf ihre Karte, bevor sie Fiddlehead in die kahle Wildnis aus Sandstein hineinlenkte.