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Nora schob den. Blättervorhang beiseite und schaute in den Slot- Canon hinein. Die engen Wände mit ihren teils von der Sonne beschienenen, teils im dunklen Schatten liegenden, vom Wasser glatt geschliffenen Steinrippen vermittelten ihr den Eindruck, in den Schlund eines riesigen Tieres zu blicken. Sie ließ sich ins Wasser des ersten Beckens gleiten und schwamm, gefolgt von Smithback, an die andere Seite. Aragon bildete den Schluss. Nach der drückenden Hitze des Tals empfand sie das Wasser angenehm kühl.
Schweigend stiegen sie von Wasserbecken zu Wasserbecken und durchwateten die seichteren Stellen des Baches. Ihre leisen Schritte hallten schwach von den engen Wänden des Canons wider. Während Nora den schweren wasserdichten Sack von einer Schulter auf die andere wuchtete, war sie in Gedanken noch immer bei dem Wetterbericht, den Sloane ihr übermittelt hatte. Mit dieser Information war Nora ein großer Stein vom Herzen gefallen, denn angesichts der jüngsten Regenfälle wäre es durchaus möglich gewesen, dass sich in der Nähe des Kaiparowits-Plateaus ein Unwetter zusammenbraute. Hätte Sloane ihr einen derartigen Wetterbericht mitgeteilt, so hätte Nora sich fragen müssen, ob sie sich die schlechten Nachrichten vielleicht bloß aus den Fingern gesogen hatte, um länger im Tal von Quivira bleiben zu können. Dass sie und Black ihr - wenn auch widerwillig - die Meldung von schönem Wetter überbracht hatten, war für Nora der Beweis, dass die beiden sich damit abgefunden hatten, die Stadt zu verlassen. Jetzt mussten sie nur noch ein paar Mal durch den Slot-Canon klettern, um das Gepäck zu den Pferden zu schaffen, und dann stand dem endgültigen Abmarsch eigentlich nichts mehr im Wege.
Was Nora noch Sorgen bereitete, waren die sterblichen Überreste von Peter Holroyd, die ein paar hundert Meter weiter oben im Canon auf sie warteten. Die Verstümmlungen an der Leiche bedeuteten, dass die Skinwalker noch immer in der Nähe waren. Vielleicht hatten sie sich ja sogar irgendwo in diesem Slot-Canon versteckt und warteten nur auf eine günstige Gelegenheit, um erneut zuzuschlagen.
Nora drehte sich um zu Aragon. Der Mexikaner hatte ihr im Lager deutlich gemacht, dass er mit ihr reden wolle, doch jetzt, als sie ihn fragend ansah, schüttelte er lediglich den Kopf. »Wenn wir bei der Leiche sind«, sagte er.
Nora durchschwamm ein weiteres Becken, kletterte einen kleinen Wasserfall hinauf und zwängte sich seitwärts durch einen schmalen Spalt. Als der Canon wieder etwas weiter wurde, konnte sie den dicken Stamm der Pappel sehen, der sich zwischen den Felswänden verkeilt hatte und den Eingang zu der Höhle markierte, in der Swire und Smithback Holroyds Leiche versteckt hatten.
Darunter, in einem kleinen, etwa drei Meter langen Wasserbecken, entdeckte Nora den gelben Sack, in dem sie den toten Peter Holroyd verpackt hatten. Als sie vorsichtig näher kam, erkannte sie, dass er seiner ganzen Länge nach aufgeschlitzt war. Daneben lag, auf dem Rücken und halb im Wasser, Holroyds Leiche. Sie sah merkwürdig aufgedunsen aus.
Nora blieb stehen. »O Gott«, hörte sie Smithback hinter sich sagen. »Stecken wir uns jetzt womöglich mit irgendeiner schlimmen Krankheit an, wenn wir durch dieses Wasser waten?«, fragte er nach einer kurzen Pause.
»Nein, das glaube ich nicht«, antwortete Aragon von hinten, doch sein Gesicht hatte dabei nichts Tröstliches an sich.
Nora und Smithback starrten schweigend auf die Leiche, während Aragon sich an ihnen vorbeischob und in das Wasserbecken stieg. Nachdem er den Toten auf eine schmale Felsterrasse gezogen hatte, zwang sich auch Nora, näher heranzutreten.
Die Verwesung hatte Holroyds Körper so anschwellen lassen, dass er wie die groteske Karikatur eines extrem fetten Menschen aussah. Seine Haut wies eine seltsam bläulich-weiße Farbe auf, die Nora irgendwie an Milch erinnerte. Bereits auf den ersten Blick sah sie, dass jemand Hoiroyd die Finger knapp unterhalb der ersten Glieder abgeschnitten hatte, so dass nur noch kurze Stummel mit blassrosa Schnittflächen übrig geblieben waren. Seine Stiefel lagen zersäbelt neben dem Becken, und an seinen Füßen, die sich gespenstisch bleich von den schokoladenfarbenen Felsen abhoben, fehlten die Zehen. Als Nora die übel zugerichtete Leiche betrachtete, stieg in ihr eine heftige, mit Grauen und Wut gemischte Abscheu auf. Am schlimmsten sah Holroyds Hinterkopf aus: Hier hatte man ihn an der Stelle, an der sich der Haarwirbel befunden hatte, kreisförmig skalpiert und dann eine kleine Scheibe aus dem Schädelknochen gesägt. Aus dem Loch quoll hellgraue Gehirnmasse heraus.
Mit raschen Bewegungen streifte sich Aragon ein Paar Latexhandschuhe über und öffnete der Leiche das Hemd. Dann holte er ein Skalpell aus seiner Arzttasche und schnitt damit knapp unterhalb der letzten Rippe in den verwesenden Körper. Mit einer langen Pinzette griff er in den so entstandenen Schlitz, machte eine rasche Drehbewegung und zog die Pinzette wieder heraus. Zwischen ihren Enden klemmte ein kleines rosafarbenes Stück Gewebe, von dem Nora vermutete, dass es aus der Lunge stammte. Aragon ließ es in ein Reagenzglas fallen, das bereits zur Hälfte mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Aus einem kleinen Fläschchen gab er zwei Tropfen einer anderen Chemikalie hinzu, dann verschloss er das Glas und mischte seinen Inhalt, indem er alles schüttelte. Nora konnte sehen, wie sich die Farbe der Flüssigkeit in ein helles Blau verwandelte.
Aragon nickte und stellte das Reagenzglas vorsichtig in einen Styroporbehälter. Dann packte er seine Instrumente wieder ein und wandte sich, während er eine seiner behandschuhten Hände in einer fast schützend wirkenden Geste der Leiche auf die Brust legte, Nora zu.
»Wissen Sie jetzt, woran Peter gestorben ist?«, fragte sie.
»Mit hundertprozentiger Sicherheit kann ich das erst nach einer gründlichen Untersuchung im Labor sagen«, erwiderte Aragon langsam, »aber meine primitiven Tests legen alle eine bestimmte Hypothese nahe.«
Niemand sagte ein Wort. Smithback ließ sich in großem Abstand zu der Leiche auf einem Felsen nieder.
Aragon sah erst ihn, dann Nora an. »Bevor ich Sie meine Vermutungen wissen lasse, muss ich Ihnen noch einiges in Bezug auf die Ruine mitteilen.«
»Die Ruine?«, fragte Smithback. »Was hat denn die Ruine mit Hoiroyds Tod zu tun?«
»Sehr viel«, entgegnete Aragon. »Ich glaube, dass der Grund, weshalb die Anasazi Quivira aufgegeben haben - und vielleicht sogar die Entstehung der Stadt -, ganz eng damit verknüpft ist.« Er wischte sich mit dem Hemdsärmel über die Stirn. »Sicherlich sind Ihnen die Risse in den Türmen und die im obersten Stockwerk eingestürzten Häuser nicht entgangen.«
Nora nickte.
»Außerdem muss Ihnen der große Felsrutsch am Ende des Canons aufgefallen sein. Während Sie auf der Suche nach den Pferdemördern waren, habe ich mit Black darüber geredet. Er sagte mir, dass die Schäden an den Häusern einem leichten Erdbeben zuzuschreiben seien, das sich etwa zur selben Zeit ereignet haben dürfte, in der die Stadt verlassen wurde. Auch der Felsrutsch geht laut Black auf das Konto dieses Erdbebens.«
»Dann glauben Sie also, dass das Erdbeben all die Menschen in dem Tunnel getötet hat?«
»Nein, absolut nicht. Dazu war es nicht stark genug. Aber der Felsrutsch und der Einsturz einiger Gebäude dürften eine Menge Staub aufgewirbelt haben.«
»Sehr interessant«, bemerkte Smithback. »Aber was hat eine Staubwolke von vor siebenhundert Jahren mit dem Tod von Holroyd zu tun?«
Aragon lächelte schwach. »Sehr viel sogar, wenn meine Theorie stimmt. Im Staub von Quivira findet sich nämlich eine große Menge von Coccidioides imitis. Das ist ein mikroskopisch kleiner Bodenpilz, der normalerweise nur in extrem trockenen Wüstengebieten auftritt, wo Menschen kaum in Berührung mit ihm kommen. Und das ist auch gut so, denn seine Sporen können eine tödliche Krankheit verursachen, die man Kokzidioidomykose nennt. Besser bekannt ist sie allerdings unter dem Begriff Tal- oder Wüstenfieber.«
»Wüstenfieber?«, fragte Nora stirnrunzelnd.
»Augenblick mal«, fragte Smithback. »War das nicht die Krankheit, die eine ganze Menge Menschen in Kalifornien dahingerafft hat?«
Aragon nickte. »Deshalb wird sie auch manchmal San-Joaquin- Fieber genannt. Vor vielen Jahren gab es im San-Joaquin-Tal ein Erdbeben, das einen kleinen Erdrutsch auslöste. Eine Staubwolke zog durch die gleichnamige Stadt, in der daraufhin Hunderte von Menschen erkrankten. Zwanzig von ihnen starben an Kokzidioidomykose. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass durch den Erdrutsch eine große Zahl von Pilzsporen in die Luft gewirbelt worden war.« Aragon hielt einen Augenblick lang inne und verzog das Gesicht. »Allerdings handelt es sich bei dem Pilz, der im Tal von Qui-vira vorkommt, um eine sehr viel aggressivere Variante. Wenn man ihn konzentriert einatmet, tötet er binnen Tagen oder Stunden - nicht erst nach einigen Wochen. Um an der Kokzidioidomykose zu erkranken, muss man die Sporen in die Atemwege bekommen, was entweder durch Einatmen von Staub oder durch... andere Mittel geschehen kann. Der bloße Umgang mit einem Erkrankten reicht jedenfalls nicht aus.«
Aragon wischte sich abermals über die Stirn. »Zunächst haben mir Hoiroyds Symptome ein Rätsel aufgegeben. Sie schienen von keinem mir bekannten Erreger zu stammen. Außerdem starb er viel zu schnell, als dass die auf der Hand liegenden Ursachen in Frage gekommen wären. Aber dann fiel mir dieses rostfarbene Pulver ein, das wir in der seltsamen Grabmulde gefunden haben.«
Er blickte hinüber zu Nora. »Erinnern Sie sich noch an die beiden Töpfe mit dem rötlichen Staub? Sie dachten, dass es sich um eine Art Ocker handeln könnte, und ich habe Ihnen nie gesagt, dass es in Wirklichkeit getrocknetes und pulverisiertes Menschenfleisch war, vermischt mit fein gemahlenem Knochenmehl.«
»Warum haben Sie uns das verschwiegen?«, rief Nora.
»Sagen wir mal so: Sie waren zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt«, erwiderte Aragon. »Außerdem wollte ich erst selbst Klarheit haben, bevor ich Ihnen meine Schlussfolgerungen präsentierte. Wie dem auch sei. Während ich mir also Gedanken über Hoiroyds Tod machte, fielen mir die Gefäße mit dem rötlichen Pulver wieder ein, und ich erkannte, um was es sich dabei handelte - um eine Substanz, die bei einigen Indianerstämmen im Südwesten als >Leichenpulver< bekannt ist.«
Nora blickte hinüber zu Smithback und sah, wie sich ihr eigenes Entsetzen in den Augen des Journalisten widerspiegelte.
»Indianische Hexer haben es früher verwendet, um ihre Gegner zu töten«, fuhr Aragon fort, »und bei manchen Stämmen findet man es sogar heute noch.«
»Ich weiß«, flüsterte Nora, die an Beiyoodzins Geschichten von den Skinwalkern denken musste.
»Als ich das Pulver unter dem Mikroskop untersuchte, entdeckte ich, dass es in hohem Maße mit Cocädioides imitis gesättigt war. Kurz gesagt: Mit diesem Leichenpulver kann man tatsächlich jemanden töten.«
»Und Sie glauben nun, dass Peter Holroyd damit ermordet wurde?«
»Wenn man davon ausgeht, dass er eine große Dosis der Sporen in seine Atemwege bekommen hat, um so rasch an dieser Infektion zu sterben, würde ich diese Frage durchaus mit Ja beantworten. Allerdings wurde der Krankheitsverlauf durch das kontinuierliche Einatmen des Staubes von Quivira zuvor sicherlich zusätzlich begünstigt. In den Tagen vor seinem Tod hat er ziemlich viel im hinteren Teil der Ruine herumgegraben. Ehrlich gesagt haben wir alle diesen Staub eingeatmet.«
»Ich auf alle Fälle«, bemerkte Smithback mit leicht zittriger Stimme. »Schließlich habe ich wie ein Weltmeister in Blacks Abfallhaufen herumgewühlt. Wie lange wird es dauern, bis wir auch krank werden?«
»Das kann ich nicht sagen. Es hängt hauptsächlich davon ab, wie viele Sporen des Pilzes der Einzelne tatsächlich eingeatmet hat und wie gut sein Immunsystem ist. Außerdem glaube ich, dass sich der mit den Pilzen verseuchte Sand eher im hinteren Teil der Ruine konzentriert. Aber in jedem Fall ist lebenswichtig für uns, dass wir so rasch wie möglich dieses Tal verlassen und uns in ärztliche Behandlung begeben.«
»Ist die Krankheit denn heilbar?«, wollte Smithback wissen.
»Ja. Mit Ketoconazol oder bei fortgeschrittenem Verlauf, wenn der Pilz bereits ins zentrale Nervensystem eingedrungen ist, mit einer Lösung von Amphotericin B, die direkt in die Cerebrospinalflüssigkeit eingespritzt wird. Letzteres ist ein recht gebräuchliches Antibiotikum, das ich - welch eine Ironie - fast mit auf diese Expedition genommen hätte.«
»Wie sicher sind Sie sich Ihrer Theorie?«, fragte Nora.
»So sicher, wie ich es auf Grund meiner eingeschränkten Diagnosemöglichkeiten nur sein kann. Um hundertprozentige Gewissheit zu erlangen, brauchte ich ein besseres Mikroskop, denn die Kügelchen im Gewebe haben nur einen Durchmesser von fünfzig Mikron. Dennoch gibt es keine andere Erkrankung, auf die Hoiroyds Symptome zuträfen: Die Zyanose, die Atemnot, das mukopurulente Sputum und schließlich sein plötzlich eingetretener Tod. Außerdem hat der einfache Test, den ich gerade mit seinem Lungengewebe vorgenommen habe, das Vorhandensein von Antikörpern gegen Kokzidiodin ergeben.« Er seufzte. »Das alles ist mir leider erst in den vergangenen ein, zwei Tagen klar geworden. Gestern Abend war ich noch einmal in der Ruine und fand dort weitere Töpfe und einige sehr merkwürdig aussehende Instrumente. Aus diesen Funden und den im Tunnel entsorgten Knochen schließe ich, dass die Bewohner von Quivira Leichenpulver in großem Stil produzierten. Als Folge davon ist der gesamte Boden der Ruine mit den Pilzsporen verseucht, und zwar umso intensiver, je näher man an die Rückwand des Alkovens kommt. Meines Erachtens dürfte die höchste Konzentration in dem Tunnel und der Höhle mit dem Sonnen-Kiva zu finden sein.«
Er hielt inne. »Ich habe Ihnen ja schon von meiner Theorie erzählt, der zufolge Quivira keine Stadt der Anasazi war, sondern von den Azteken erbaut wurde. Diese haben den Anasazi das Menschenopfer und die Hexerei aufgezwungen. Ich bin davon überzeugt, dass sie die Eroberer waren, die für den Zusammenbruch der Anasazi-Zivilisation verantwortlich sind. Die Azteken sind die mysteriösen Feinde der Anasazi, derentwegen sie schließlich das Colorado-Plateau verlassen haben und deren Identität wir Archäologen seit vielen Jahrzehnten festzustellen versuchen. Diese Feinde haben ihre Macht nicht durch offene kriegerische Auseinandersetzung erlangt, was übrigens auch der Grand dafür sein dürfte, dass wir nie irgendwelche Spuren von Gewalt gefunden haben. Ihre Eroberung und Unterdrückung der Anasazi lief sehr viel subtiler ab - sie verwendeten Hexerei und Leichenpulver, was beides keine oder so gut wie keine Spuren hinterlässt.«
Seine Stimme wurde leiser. »Schon bei meiner ersten Untersuchung der von Sloane entdeckten Grabkammer hatte ich das Gefühl, das Ergebnis von Kannibalismus vor mir zu haben. Black vertrat vehement eine gegenteilige Auffassung und hatte damit, rein logisch betrachtet, auch Recht. Zur Zeit gibt es unter einigen Archäologen einen heftigen Streit über die Frage, ob bei den Anasazi Kannibalismus existiert hat oder nicht. Ich persönlich glaube jetzt allerdings, dass wir es hier mit weit mehr als bloßem Kannibalismus zu tun haben. Die Spuren, die ich auf den Knochen im Tunnel entdeckt habe, erzählen eine noch sehr viel schrecklichere Geschichte.«
Er sah Nora mit gequälten Augen an. »Ich glaube, dass die Priester von Quivira Gefangene oder Sklaven mit Kokzidioidomykose infizierten, darauf warteten, dass sie starben, und dann aus ihren Körpern Leichenpulver herstellten. Was ich im Tunnel gefunden habe, war der Abfall, der bei dieser entsetzlichen Prozedur anfiel Mit Hilfe dieses Pulvers und gewisser Rituale konnten die Eroberer ihre Schreckensherrschaft über die Anasazi aufrechterhalten, aber am Ende wurden auch sie Opfer der tödlichen Pilzsporen. Das leichte Erdbeben, das die Türme beschädigte und den Felsrutsch auslöste, wirbelte nämlich eine Staubwolke ähnlich der in San Joaquin auf. Allerdings konnten sich hier, in diesem engen Tal, die Sporen nicht verteilen. Sie trieben in den Alkoven hinein und senkten sich in hoher Konzentration auf die Stadt herab. Die Skelette, die ich im Tunnel über den zerbrochenen Knochen gefunden habe, waren die der aztekischen Priester, die den Staub eingeatmet hatten und daran gestorben waren.«
Aragon beendete seinen Bericht und blickte zur Seite. Sein Gesicht, fand Nora, hatte noch nie so angestrengt und erschöpft gewirkt. »Jetzt muss ich Ihnen auch etwas erzählen«, sagte sie langsam. »Es ist gut möglich, dass die Leute, die uns aus dem Tal vertreiben wollen, moderne Hexer sind.« In knappen Worten informierte sie Aragon über den Vorfall im Ranchhaus und das Gespräch mit Beiyoodzin. »Sie sind uns hierher gefolgt«, schloss sie. »Und jetzt, da sie die Stadt gefunden haben, versuchen sie, uns von hier zu verjagen, damit sie die Schätze stehlen können.«
Aragon dachte eine Weile nach, dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, entgegnete er. »Ich glaube nicht, dass sie die Stadt plündern wollen.«
»Wie bitte?«, unterbrach ihn Smithback. »Aus was für einem Grund sollten sie uns denn sonst vertreiben wollen?«
»Jedenfalls nicht, weil sie die Stadt ausrauben wollen«, entgegnete Aragon und blickte wieder auf Nora. »Sie nehmen an, dass die Skinwalker versucht haben, Quivira zu finden. Aber was wäre eigentlich, wenn sie die Stadt längst gekannt und nur versucht hätten, sie vor unseren Ausgrabungen zu schützen?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass...«, begann Smithback.
»Lassen Sie Enrique ausreden, Bill«, unterbrach in Nora, deren Gedanken sich überschlugen.
»Wie sonst hätten die Skinwalker uns so rasch ausfindig machen sollen?«, fuhr Aragon fort. »Und wenn sie Holroyd wirklich mit Leichenpulver umgebracht haben, wo hätten sie es her haben sollen, wenn nicht aus Quivira?«
»Dann wollten sie den Brief also nicht haben, um den Weg nach Quivira zu erfahren«, murmelte Nora. »Sie wollten ihn vernichten und auf diese Weise verhindern, dass wir uns auf die Suche nach der Stadt begeben.«
»Das ist für mich die einzig logische Erklärung«, sagte Aragon. »Anfangs habe ich Quivira für eine Stadt der Priester gehalten, aber jetzt glaube ich, dass es eine Stadt der Hexer war.«
Noch eine Weile saßen die drei in Gedanken versunken um Holroyds leblosen Körper herum. Dann fuhr auf einmal ein feuchter, kalter Windstoß in Noras Haare.
»Wir sollten jetzt besser aufbrechen«, sagte sie und stand auf. »Sehen wir zu, dass wir Peters Leiche so rasch wie möglich aus dem Canon schaffen.«
Schweigend machten sich die drei daran, den Toten wieder in den aufgeschlitzten Sack zu schieben.