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Aaron Black stand im Schatten des westlichen Turmes und ließ den Blick über seine Ausgrabung schweifen. Die Bodenprofile, die er angelegt hatte, waren wieder einmal perfekt - kein Lehrbuch enthielt bessere Beispiele für eine auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand stehende stratographische Analyse. Dasselbe galt für die Untersuchungsergebnisse seines transportablen Labors, die wie gewohnt ein Vorbild an Effizienz, Genauigkeit und Wirtschaftlichkeit waren.

Heute allerdings mischte sich in die Zufriedenheit, mit der Black für gewöhnlich sein Werk betrachtete, ein Hauch von Enttäuschung. Leise Verwünschungen murmelnd, zog er eine große Plane über den Testgraben und sicherte ihre Enden mit ein paar Gesteinsbrocken. Es war eine völlig unzureichende Art, seine Forschungsergebnisse zu konservieren, aber immerhin noch besser, als den Graben wieder mit Erde zuzuschütten. Es ärgerte ihn, dass er eine Ausgrabung aufgeben musste, welche die glorreiche Krönung seiner gesamten Karriere hätte darstellen sollen. Gott allein wusste, was sie bei ihrer Rückkehr hier vorfinden würden. Wenn sie überhaupt zurückkehrten.

Black schüttelte angewidert den Kopf und breitete eine weitere Plane über dem zweiten Graben aus. Trotz allem musste er allerdings zugeben, dass der Aufbruch aus Quivira auch seine guten Seiten hatte. Niemand hatte bisher definitiv ausschließen können, dass Holroyd nicht doch an einer ansteckenden Krankheit gestorben war. Aber selbst wenn irgendjemand den Kommunikationsspezialisten vergiftet hatte, so hatte Black auch in diesem Fall Angst, dasselbe Schicksal zu erleiden. Smithback, der ihm normalerweise bei seiner Arbeit half, war gerade damit beschäftigt, Holroyds Leiche fortzuschaffen, und Black war froh, dass diese Aufgabe nicht ihm zugefallen war.

Ganz abgesehen von diesen Erwägungen, sehnte sich ein Teil von ihm nach der Zivilisation zurück, nach Telefonen, guten Restaurants, heißen Duschen und Toiletten mit Wasserspülung. All das gab es nur in einer Welt, die Hunderte von Kilometern von Quivira entfernt lag. Das allerdings hatte er Sloane gegenüber nicht zugegeben, die mit versteinertem Gesicht losgezogen war, um die letzten Aufnahmen von der Ausgrabung zu machen.

Als er an Sloane dachte, spürte Black, wie sich ein warmes Gefühl zwischen seinen Beinen breit machte. Erinnerungen an ihr sexuelles Abenteuer mischten sich mit wilden Fantasien und hoffnungsvoller Vorfreude auf die Nacht, die vor ihnen lag. Black hatte nie viel Glück bei Frauen gehabt, und schon gar nicht bei solchen wie Sloane, von der er nicht einmal zu träumen gewagt hätte.

Mit Mühe riss sich Black aus seinen Gedanken und wandte sich seinem Flotationslabor zu. Er nahm den Behälter mit destilliertem Wasser von dem Apparat und schüttete ihn am Rand der Klippe aus. Dann begann er seufzend damit, den Aufbau zu demontieren und in zwei Metallkoffern zu verpacken. Es war eine Arbeit, die er schon häufig gemacht hatte, und trotz der unangenehmen Umstände empfand er eine stille Freude darüber, wie gut er alles organisiert hatte. Die Schaumstoffpolsterung der Koffer war so ausgeschnitten, dass jedes einzelne Teil exakt in eine dafür vorgesehene Mulde passte. Als alles eingepackt war, ließ Black die Schlösser der Koffer zuschnappen und ging hinüber zu einem Papierchromatographen.

Als er die unbenutzten Papierstreifen in einen Plastikumschlag steckte, musste er daran denken, wie viel er sich von der Auswertung gerade dieser Messdaten versprochen hatte. Wenn alles wie geplant gelaufen wäre, hätten diese Streifen die Grundlage für ein halbes Jahr Arbeit in seinem komfortablen Labor werden können. Während er sie jetzt betrachtete, verabschiedete er sich im Geiste von all den brillanten Artikeln, die er über seine Forschungsergebnisse in den angesehensten Fachzeitschriften hatte veröffentlichen wollen.

Auf einmal führ ein starker Windstoß in den Stapel Papierstreifen und wirbelte sie hoch in die Luft. Laut fluchend sah Black, wie sie in den hinteren Teil der Stadt trudelten. Sie einfach liegen zu lassen konnte er sich nicht erlauben, denn schließlich hatte er seine Kollegen mehr als einmal öffentlich dafür gegeißelt, dass sie Ausgrabungsstätten mit ihrem Abfall verschmutzt hatten.

Nachdem er den Rest der Apparatur eingepackt und den Koffer geschlossen hatte, stand er auf und fing an, die verstreuten Papierstreifen einzusammeln. Die meisten von ihnen lagen am hinteren Teil der Müllhalde, aber als er sie auflesen wollte, wirbelte sie ein neuerlicher Windstoß abermals hoch, so dass Black ihnen, leise vor sich hin fluchend, hinterherlaufen musste. Schließlich hatte er elf der zwölf Streifen gefunden, die in der Packung gewesen waren. Doch wo war der letzte?

Vor Black lag die schmale Öffnung zu Aragons Tunnel. Wahrscheinlich hatte der Windstoß das Papier dort hineingeweht. Black bückte sich und begab sich, nachdem er eine kleine Taschenlampe aus seiner Jackentasche geholt und eingeschaltet hatte, hinein in die Dunkelheit. Der schwache Lichtkegel huschte über staubbedeckte Knochenhaufen und traf schließlich auf den letzten Papierstreifen, der sich etwa zehn Meter vom Eingang entfernt an einem zerbrochenen Schädel verfangen hatte.

Zum Teufel mit Aragons ZST, dachte Black griesgrämig, während er auf allen vieren quer über die Knochen auf den Streifen zu kroch. Ein weiterer Luftzug fuhr durch den Tunnel und wirbelte den Staub auf, so dass Black heftig niesen musste. Er griff nach dem Schädel, packte den letzten Papierstreifen und steckte ihn in seine Jackentasche. Als er sich umdrehte, um den Stollen wieder zu verlassen, bemerkte er ganz in seiner Nähe eine große Ratte, die wohl das Klappern der Knochen aufgeschreckt hatte. Das Tier stellte sich auf seine Hinterbeine, glotzte ihm direkt ins Gesicht, und bleckte seine gelben Zähne.

Black versuchte die Ratte mit einer Handbewegung zu verscheuchen, aber das Tier wackelte bloß mit dem Schwanz und ließ ein indigniertes Quietschen hören.

»Buh!«, rief Black und warf mit einem Oberschenkelknochen nach der Ratte, die nun doch Reißaus nahm und sich hinter einem kleinen Steinhaufen an der Tunnelwand in Sicherheit brachte.

Black leuchtete ihr mit der Taschenlampe hinterher. Dabei fiel ihm auf, dass die Steine des Haufens nicht aus dem Sandstein des Tunnels bestanden. Neugierig geworden, kroch er näher heran. Vor der Öffnung, in der die Ratte verschwunden war, lagen Zweige und die Häute von Kaktusfrüchten.

Angewidert vom scharfen Geruch des Rattenurins, leuchtete Black mit der Taschenlampe in das Loch hinein und glaubte, dahinter einen erstaunlich großen Hohlraum zu entdecken.

Black untersuchte daraufhin den Steinhaufen noch einmal eingehender und kam zu dem Schluss, dass irgendjemand ihn absichtlich aufgeschichtet haben musste, um eine dahinter liegende Öffnung zu verbergen. Und zwar mit solchem Geschick, dass Aragon Dutzende Male an diesem Steinhaufen vorbeigekommen war, ohne etwas zu bemerken. Nun, Aragon galt in Kollegenkreisen wahrlich nicht als unaufmerksam, aber er selbst, so stellte Black selbstgefällig fest, war wohl doch aufmerksamer als er.

Er ging in die Hocke und spürte, wie sein Herz rascher zu schlagen begann. Irgendjemand hatte hinter diesem Steinhaufen etwas verborgen, und zwar auf eine sorgfältige, äußerst gekonnte Art und Weise. Vermutlich war es eine Grabkammer, möglicherweise auch eine Katakombe. Beides wäre von unschätzbarem archäologischem Wert. Black sah sich in dem Tunnel um. Er war allein. Aragon befand sich unten, im Lager und analysierte die Proben, die er Holroyds Leiche entnommen hatte. Black ging mit dem Gesicht ganz nahe an die Öffnung und leuchtete noch einmal hinein.

Diesmal sah er etwas in dem Hohlraum aufblitzen.

Black richtete sich wieder auf und blieb eine Weile bewegungslos sitzen. Und dann tat er etwas, was er in seiner ganzen Karriere als Archäologe noch nicht getan hatte: Er nahm einen langen Knochen und begann die Steine rings um das Rattenloch zu lockern. Während er zuerst mit vorsichtigen, dann mit immer entschlosseneren Bewegungen die Öffnung nach und nach erweiterte, verflogen alle Gedanken an Anstrengung, Krankheit und giftige Dämpfe, die aus dem Loch herauswabern könnten, und machten einem alles verzehrenden Verlangen Platz. Black wollte um jeden Preis wissen, was sich in dem Hohlraum befand.

Bald war seine verschwitzte Haut ganz klebrig vom Staub, den er bei seiner Arbeit aufwirbelte und der ihn wiederholt niesen ließ, bis er schließlich sein Halstuch vor Mund und Nase band. Als der Knochen zerbarst, riss Black die Gesteinsbrocken mit bloßen Händen aus dem Loch. Nach fünf Minuten hatte er schließlich eine Öffnung geschaffen, die so groß war, dass er hindurchschlüpfen konnte.

Schwer atmend wischte sich Black die Hände an seinem Hosenboden ab und nahm das Halstuch vom Mund. Dann griff er mit beiden Armen in die Öffnung und schob sich in den dahinter liegenden Hohlraum.

Auf der anderen Seite richtete er sich keuchend auf. Die Luft war heiß und stickig und erstaunlich feucht. Black leuchtete mit seiner Taschenlampe umher und entdeckte sofort das Glitzern wieder, das ihm schon bei seinem ersten Blick in die Öffnung aufgefallen war. Sein Herz hörte für einen Augenblick auf zu schlagen. Er befand sich in einem riesigen Hohlraum, in dem ein weiteres Großes Kiva stand. Das Kiva war das exakte Gegenstück zu dem anderen, das sie draußen in der Stadt gefunden hatten, nur dass die Scheibe, die bei diesem auf die Wand gemalt war, im Licht von Blacks Taschenlampe golden schimmerte. Außerdem hatte es an der Wand eine seitliche Eingangsöffnung, die mit einem Steinhaufen blockiert war.

Hinter dem Kiva sah Black ein kleines, aber perfekt gestaltetes Anasazi-Pueblo. Die in zwei Stockwerken angeordneten Häuser reichten bis an die Decke der Höhle, die seit sieben Jahrhunderten kein menschliches Wesen mehr betreten hatte.

Noch ganz überwältigt von seinem Fund, ging Black auf das Kiva zu und berührte mit zitternder Hand die goldene Scheibe, die der an der Innenwand des Regen-Kivas verblüffend ähnelte. Der Glanzeffekt wurde auch hier durch ein gelbliches Pigment - Black vermutete, dass es sich um Eisenocker handelte - bewirkt, das man mit zerstoßenem Goldglimmer vermischt und dann auf Hochglanz poliert hatte. Der einzige Unterschied war, dass die golden schimmernde Scheibe einen Durchmesser von gut drei Metern hatte.

Black hielt den Atem an, als ihm mit einem Mal bewusst wurde, dass er soeben das Sonnen-Kiva entdeckt hatte.