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Esterhazy wartete hinter dem auf dem Boden ausgelegten gelben Absperrband, während die Angehörigen des forensischen Teams – nach vorn gebeugt wie alte Frauen und im Schein einer Batterie greller Scheinwerfer, die die karge Landschaft in ein gespenstisches Licht tauchten – das Areal nach Beweismitteln durchkämmten.

Er hatte die Suche nach Beweisen mit wachsender Befriedigung verfolgt. Es war alles in Ordnung. Das Suchteam hatte die eine Messsing-Patronenhülse gefunden, die er ganz bewusst zurückgelassen hatte, und trotz des starken Regens war es den Männern gelungen, einige undeutliche Spuren des Hirschs zu finden und einige Abdrücke im Heidekraut zu kartographieren, die von ihm selbst und Pendergast stammten. Darüber hinaus hatten die Männer jene Stelle gefunden, an der der Hirsch aus dem Schilf hervorgebrochen war. Alles stimmte mit der Geschichte überein, die er der Polizei erzählt hatte.

»Okay, Männer«, rief Balfour. »Packt eure Sachen zusammen, wir suchen jetzt das Sumpfloch ab.«

Esterhazy verspürte tief in sich Vorfreude wie auch Widerwillen. So grausig das Bevorstehende auch war, es wäre eine Erleichterung, mit anzusehen, wie der Leichnam seines Widersachers aus dem Schlamm gezogen wurde. Denn es wäre das Schlusskapitel der ganzen Geschichte, der Epilog zum Kampf der Titanen.

Auf einem Blatt Millimeterpapier hatte Balfour die Maße des Sumpflochs – klein, ungefähr dreieinhalb mal fünf Meter – skizziert und ein Schema eingezeichnet, nach dem es abgesucht werden sollte. Im grellen Schein der Scheinwerfer hakten die Angehörigen des Spurensicherungsteams einen klauenartigen Draggen an ein Seil – die langen stählernen Zinken funkelten fast bösartig – und brachten anschließend ein Bleigewicht an der Öse an. Zwei Männer traten einen Schritt zurück und hielten die Seilrolle, während sich ein dritter am Rand des Sumpfbeckens aufstellte. Während Balfour seine Zeichnung konsultierte und leise Anweisungen gab, warf der dritte Mann den Haken über dem Sumpf aus. Der Haken landete im Morast auf der anderen Seite, das Gewicht zog ihn nach unten. Als er schließlich auf dem Grund zum Liegen kam, begannen die beiden hinteren Männer, den Draggen wieder einzuholen. Während dieser ganz langsam durch das Sumpfbecken gezogen wurde, das Seil sich straffte und spannte, verkrampfte sich Esterhazy gegen seinen Willen.

Eine Minute später kam der Draggen an die Oberfläche, voller Schlamm und Unkraut. Das Klemmbrett in der einen Hand, untersuchte Balfour mit der anderen latexbehandschuhten Hand die Zinken und schüttelte den Kopf.

Die Männer stellten sich einen halben Meter weiter zur einen Seite auf, warfen den Draggen wieder aus, holten ihn wieder ein. Erneut Unkraut. Sie rückten wieder einen halben Meter zur Seite und wiederholten die Prozedur.

Während Esterhazy jedes Auftauchen des mit Schlamm überzogenen Draggens verfolgte, verspürte er ein zunehmend unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Es schmerzte ihn überall, außerdem pochte die Hand, in die Pendergast ihn gebissen hatte. Die Männer näherten sich der Stelle, an der Pendergast eingesunken war. Schließlich wurde der Draggen genau über dieser Stelle abgeworfen, und das Team begann, ihn wieder einzuholen.

Der Draggen verfing sich an etwas unter der Oberfläche.

»Wir haben was gefunden«, sagte einer der Männer.

Esterhazy stockte der Atem.

»Vorsichtig jetzt«, sagte Balfour und beugte sich vor, sein Körper gespannt wie ein Flitzebogen. »Langsam und gleichmäßig.«

Ein weiterer Mann gesellte sich zur Seilmannschaft. Gemeinsam begannen die Männer, das Seil Hand über Hand einzuholen, während Balfour danebenstand und sie drängte, es ruhig angehen zu lassen.

»Das Ding kommt hoch«, brummte einer der Männer.

Die Oberfläche des Sumpflochs hob sich, der Schlamm schwappte zu den Seiten, und dann kam ein langer, baumstammähnlicher Gegenstand zum Vorschein, von Morast überzogen, unförmig.

»Macht ganz langsam«, sagte Balfour warnend.

So, als zögen sie einen großen Fisch an Land, hielten die Männer den Leichnam an der Oberfläche, während sie gleichzeitig Nylongurte und ein Netz darunterlegten.

»Alles klar. Holt ihn raus.«

Unter verstärkter Kraftanstrengung zogen sie den Leichnam vorsichtig heraus und legten ihn auf eine Plastikplane. Der Schlamm lief in dicken Rinnsalen daran hinunter. Plötzlich schlug ein derart grässlicher Gestank nach verfaultem Fleisch über Esterhazy zusammen, dass er jählings einen Schritt zurücktrat.

»Was zum Donnerwetter?«, murmelte Balfour. Er beugte sich über den Leichnam, betastete ihn mit seiner behandschuhten Hand, dann wies er einen seiner Leute an: »Spülen Sie das hier ab.«

Ein Angehöriger des Spurensicherungsteams kam herüber. Gemeinsam beugten sie sich über den missgestalteten Kopf des Tierkadavers, dann wusch der Mann den Matsch mit einer Sprühflasche ab.

Der Gestank war derart ekelerregend, dass Esterhazy die Galle hochkam. Mehrere der Männer zündeten sich hastig Zigaretten oder Pfeifen an.

Balfour richtete sich abrupt auf. »Das ist ein Schaf«, sagte er sachlich. »Zieht es beiseite und spült den Bereich hier ab, dann machen wir weiter.«

Die Männer arbeiteten schweigend, und schon bald war der Fanghaken zurück im Sumpf. Wieder und wieder suchten sie das Sumpfloch ab, wieder und wieder tauchten die Klauen des Hakens aus dem Morast auf, lediglich mit Unkraut versehen. Der Gestank des verwesten Schafs, das hinter ihnen lag, legte sich wie ein Sargtuch über die Szenerie. Esterhazy konnte seine nervöse innere Anspannung kaum noch ertragen. Wieso fanden diese Leute die Leiche nicht?

Sie gelangten zum anderen Ende des Sumpflochs. Balfour rief seine Männer ein wenig abseits zu einer Besprechung zusammen. Anschließend ging er zu Esterhazy hinüber. »Sind Sie sicher, dass Ihr Schwager hier versunken ist?«

»Natürlich.« Esterhazy versuchte, seine Stimme im Griff zu behalten, die kurz davor war zu brechen.

»Aber anscheinend finden wir nichts.«

»Er ist da unten!« Esterhazy hob die Stimme. »Sie haben doch selbst die Patronenhülse aus meiner Waffe und die Abdrücke im Gras gefunden – Sie wissen, dass das hier die richtige Stelle ist.«

Balfour sah ihn forschend an. »Das scheint tatsächlich der Fall zu sein, aber …«

»Sie müssen ihn finden! Um Himmels willen, suchen Sie das Sumpfloch noch einmal ab!«

»Das haben wir auch vor, aber Sie haben ja selbst gesehen, wie gründlich wir vorgegangen sind. Wenn sich dort unten eine Leiche befindet …«

»Die Strömungen«, sagte Esterhazy. »Vielleicht wurde er von einer Strömung fortgetrieben.«

»Es gibt hier keine Strömungen.«

Esterhazy versuchte verzweifelt, sich in den Griff zu bekommen, und atmete tief durch. Er bemühte sich, ruhig zu sprechen, bekam das Zittern aber nicht ganz aus seiner Stimme heraus. »Schauen Sie, Mr. Balfour. Ich weiß, dass die Leiche dort unten liegt. Ich habe gesehen, wie er untergegangen ist.«

Ein knappes Nicken, dann wandte sich Balfour zu seinen Leuten um. »Sucht den Sumpf noch einmal ab, diesmal im rechten Winkel.«

Leises Protestgemurmel. Trotzdem begann die Suche wieder von vorn. Der Draggen wurde von der anderen Seite ins Sumpfloch geworfen, während Esterhazy, dem die Galle fast bis zum Hals stand, die Prozedur verfolgte. Während das letzte Licht aus dem Himmel wich und der Nebel dichter wurde, warfen die Scheinwerfer gespenstische weiße Lichtstrahlen, in denen sich mehrere Gestalten bewegten, verschwommene, bizarre Schatten, als seien sie Verdammte, die im untersten Kreis der Hölle umgingen. Das kann doch gar nicht sein, dachte Esterhazy. Es war ausgeschlossen, dass Pendergast überlebt hatte und geflohen war. Völlig ausgeschlossen.

Er hätte warten sollen. Er hätte bis zum bitteren Ende warten sollen … Er drehte sich zu Balfour um. »Schauen Sie, ist es denn überhaupt möglich, dass jemand da herauskommen, sich aus einem derartigen Sumpf herausziehen kann?«

Balfour wandte ihm sein schmales Gesicht zu. »Aber Sie haben doch gesehen, wie er untergegangen ist. Habe ich recht?«

»Ja, ja! Aber ich war so aufgeregt, und es herrschte ein derart dichter Nebel … Vielleicht ist er da ja doch rausgekommen.«

»Das ist höchst zweifelhaft.« Balfour blickte Esterhazy aus zusammengekniffenen Augen an. »Es sei denn natürlich, Sie sind weggegangen, während er noch um sein Leben gekämpft hat.«

»Nein, nein, ich habe versucht, ihn zu retten, so wie ich es gesagt habe. Aber mein Schwager ist unglaublich einfallsreich. Vielleicht …« Er bemühte sich, einen hoffnungsvollen Ton in seine Stimme zu legen, um auf diese Weise seine Panik zu verbergen. »Vielleicht ist er da ja doch rausgekommen. Ich will es einfach glauben.«

»Doktor Esterhazy«, sagte Balfour durchaus mitfühlend, »es besteht leider kaum noch Hoffnung. Aber Sie haben recht, wir müssen diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht ziehen. Leider ist der verbliebene Spürhund so traumatisiert, dass er nicht mehr arbeiten kann, aber wir haben zwei Fachleute hier, die uns weiterhelfen können.« Er wandte sich um. »Mr. Grant? Mr. Chase?«

Der Wildhüter kam herüber, zusammen mit einem Mann, den Esterhazy als den Leiter des Spurensicherungsteams erkannte. »Ja, Sir?«

»Ich möchte, dass Sie beide den Bereich um das Sumpfloch hier untersuchen. Ich möchte, dass Sie nach Hinweisen suchen – allen möglichen Hinweisen –, dass sich das Opfer eventuell dort herausgezogen hat und fortgegangen ist. Suchen Sie überall, und halten Sie nach kleinsten Hinweisen Ausschau.«

»Ja, Sir.« Die Männer verschwanden in der Dunkelheit, lediglich die Lichtkegel ihrer Taschenlampen, die in dem Schummerlicht hierhin und dorthin stachen, waren weiterhin zu sehen.

Mittlerweile hatte sich der Dunst zu regelrechtem Nebel verdichtet. Esterhazy wartete schweigend. Schließlich kehrten die beiden Männer zurück. »Wir haben keinerlei Hinweise gefunden, Sir«, sagte Chase. »Allerdings hat es auch stark geregnet, was die feineren Spuren sicherlich zerstört hat. Aber ein Verwundeter, angeschossen, vielleicht auf allen vieren kriechend, stark blutend, schlammbedeckt – er hätte bestimmt irgendwelche Hinweise hinterlassen. Ausgeschlossen, dass der Mann aus dem Mire entkommen ist.«

Balfour wandte sich an Esterhazy. »Da haben Sie Ihre Antwort.« Dann fügte er hinzu: »Ich denke, wir machen jetzt am besten Schluss. Doktor Esterhazy, ich muss Sie leider bitten, sich bis zur gerichtlichen Untersuchung in der Nähe zur Verfügung zu halten.« Er zog ein Taschentuch hervor, betupfte seine laufende Nase und steckte es wieder ein. »Haben Sie mich verstanden?«

»Keine Sorge«, erwiderte Esterhazy leidenschaftlich. »Ich habe durchaus die Absicht hierzubleiben, bis ich ganz genau erfahren habe, was mit meinem … meinem geliebten Schwager geschehen ist.«