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Sobald er ihre Rufe gehört hatte, lief Pendergast in Richtung Bug. Während er den Laufgang hinuntersprintete, sah er kurz, wie etwas Weißes ins Wasser fiel, Constance vorbeihuschte und dann im Dunkel hinter dem Kielwasser verschwand.
Einen Augenblick war er vor Schreck wie gelähmt, dann begriff er.
Vom Vorderdeck schallte eine Stimme herüber: Esterhazy. »Aloysius! Hörst du mich? Komm raus, mit erhobenen Händen. Ergib dich. Wenn du’s tust, wenden wir das Schiff. Wenn nicht, fahren wir weiter. Beeil dich!«
Pendergast zog seine 45er und rührte sich nicht.
»Wenn du willst, dass wir umdrehen, dann zeig dich mit erhobenen Händen. Es ist November – du weißt besser als jeder andere, wie kalt das Wasser ist. Ich gebe ihr fünfzehn Minuten, höchstens zwanzig.«
Wieder bewegte sich Pendergast nicht. Er konnte sich nicht bewegen.
»Wir haben ihre Position auf dem GPS«, rief Esterhazy. »Wir können sie in Minuten finden.«
Pendergast zögerte einen letzten quälenden Augenblick. Fast hätte er Esterhazys brillante List bewundert. Dann hob er die Hände über den Kopf und trat langsam vor. Er ging um die Vorderkabine herum und sah Esterhazy und die beiden anderen Männer, die mit gezückten Waffen auf dem Vorderdeck standen.
»Komm auf uns zu, langsam, die Hände über dem Kopf.«
Pendergast gehorchte.
Esterhazy trat vor, nahm ihm die 45er aus der Hand und steckte sie sich in den Hosenbund. Dann durchsuchte er ihn. Gründlich und professionell. Esterhazy nahm ihm die Messer, eine 32er Walther, mehrere Päckchen mit Chemikalien, Draht und diverse Werkzeuge ab. Er tastete sich durch das Innenfutter der Jacke und fand weitere Werkzeuge und Gegenstände, die lose darin eingenäht waren.
»Zieh die Jacke aus.«
Pendergast streifte sie ab und ließ sie aufs Deck fallen.
Esterhazy drehte sich zu einem der anderen um. »Fesseln und binden. Komplett. Ich will, dass er so unbeweglich ist wie eine Mumie.«
Einer der Männer trat vor. Pendergasts Hände wurden hinter seinem Rücken mit schwarzen Plastikgurten gefesselt, sein Mund mit Klebeband verschlossen.
»Hinlegen«, sagte der dritte Mann, der mit deutschem Akzent sprach.
Pendergast tat, wie ihm geheißen. Sie fesselten seine Fußgelenke, dann wickelten sie Klebeband um seine Handgelenke, Arme und Beine, bis er lang ausgestreckt auf dem Deck lag und sich nicht bewegen konnte.
»Also gut«, sagte Esterhazy zum Deutschen gewandt. »Und nun sagen Sie dem Kapitän, er soll das Schiff wenden und das Mädchen aus dem Wasser ziehen.«
»Warum?«, sagte der Mann. »Wir haben unser Ziel erreicht. Ist doch egal, was mit ihr passiert.«
»Sie wollen doch, dass er redet, oder? Ist er nicht deshalb noch am Leben?«
Nach kurzem Zögern sprach der Deutsche mit dem Kapitän über sein Headset. Kurz darauf verlangsamte die Yacht ihre Fahrt und begann zu wenden.
Esterhazy sah auf die Uhr, dann drehte er sich zu Pendergast um. »Es ist jetzt zwölf Minuten her. Hoffentlich hast du nicht zu lange gezögert.«