KAPITEL LXX
Der schon leblose Körper des Skorpions fiel mit unwirklicher Langsamkeit, als befände er sich unter Wasser. Die Arme flogen zur Seite, die linke, nun willenlose Hand öffnete sich, und das von so vielen gefürchtete, legendäre Schwert traf mit einem dumpfen Geräusch auf dem niedergetretenen Gras auf.
Die Knie des Mörders gaben nach, und der ganze Körper folgte und sank seitlich auf die Hüfte, den Kopf auf die Schulter gebettet.
Bischof de Simara blieb lange vor dem Toten stehen und betrachtete ihn, als wollte er sich diesen Moment ins Gedächtnis einprägen. Auch der Maler stand immer noch wie erstarrt und konnte nicht glauben, mit welcher Plötzlichkeit die dramatische Begegnung ein Ende gefunden hatte.
Irgendwann kam ein Nachtfalter mit seinem eigentümlich taumelnden Flug herbei und setzte sich auf den Kopf des Toten. Dieser kleine Vorfall genügte, um den Zauber zu brechen.
Unvermittelt ging de Simara in die Knie, führte die linke Hand an seine rechte Schulter und ließ ebenfalls seine Waffe fallen.
Fulminacci eilte zu ihm, da er sich offensichtlich bei dem letzten furchtbaren Schlagabtausch verletzt hatte.
»Seid Ihr verwundet, Monsignore?«, fragte er und hockte sich neben ihn.
»Ja, an der Schulter. Dieser Teufel war wirklich schnell wie der Blitz. Es ist aber keine schwere Verletzung, glaube ich. Helft mir aufzustehen, Messer Sacchi.«
Fulminacci stützte den Bischof unter der Achsel und dem Ellbogen der unverletzten Seite und half ihm auf die Beine.
»Ihr blutet stark, Signore.« »Es ist nichts, achtet nicht darauf«, erwiderte der Geistliche. Doch sein Gesicht war blass und eingefallen und seine Stimme nur noch ein Flüstern.
»Wir müssen die Wunde sofort fest verbinden. In solchen Fällen ist der Blutverlust das Gefährlichste. Lasst mich nur machen, ich verstehe mich ein wenig auf solche Dinge.«
Der Maler knotete seinen Umhang auf und ließ ihn zu Boden gleiten, dann zog er seinen Überrock und das Leinenhemd aus, das er entlang des Fadenverlaufs zu Verbandsstreifen zerriss.
»Zieht Euren Rock aus, Monsignore. Ich werde Euch einen Notverband anlegen, um die Blutung zu stillen, bis wir einen Chirurgen finden.«
»Seht, Messer Sacchi«, sagte de Simara, während der Maler sich an seinem Arm zu schaffen machte. »Der grausamste Meuchelmörder Europas, die lebende Legende, der Skorpion. Was ist von ihm übrig geblieben?«
Fulminacci band die improvisierte Kompresse fest und drehte sich zu der Leiche im Gras um.
Der Mann, vor dem die Mächtigen der Erde gezittert hatten, dessen Name genügte, um den Menschen nackte Angst einzujagen, der erbarmungslose Henker, der unfehlbare Auftragsmörder war zu einem Häuflein Nichts geworden.
Mit dem Leben hatte der Skorpion auch seine mythische Aura eingebüßt, sein düsteres Charisma, seine diabolische Anziehungskraft, und übrig blieb nur noch das, was er war: ein klapperdürrer Greis mit zahnlosem Mund und wässrigen Augen, die ins Leere blickten.
»Sic transit gloria mundi«, verkündete de Simara. »Gott möge seiner Seele gnädig sein, obwohl er in diesem Fall wohl seine ganze unendliche Barmherzigkeit aufbieten muss, um ihm zu vergeben.«
»Offen gestanden, mir ist er tot lieber«, bemerkte Fulminacci. »Als Lebender ist er mir einmal zu oft über den Weg gelaufen. Ich danke Euch, dass Ihr mir rechtzeitig zu Hilfe gekommen seid, Monsignore. Ihr habt mir das Leben gerettet.« Der Bischof schüttelte den Kopf. »Macht Euch nicht zu viele Gedanken über solche Dinge, Messer Sacchi. Wir alle haben Gott unser Leben zu verdanken, auch die Sünder. Auch der Skorpion.«
»Wollt Ihr sein Schwert?«
»Nein, behaltet Ihr es. Ich werde es wohl nicht mehr brauchen, hoffe ich. Was den Bernstein betrifft, so werde ich ihn Pater Kircher schenken. In seiner Sammlung wird er sich prächtig ausnehmen.«
Der Maler hob das Schwert des Skorpions auf, wischte die Klinge am Umhang des Toten ab und schob es in die Scheide. Es war erstaunlich leicht, strahlte aber immer noch etwas Bedrohliches aus, das Respekt einflößte.
»Wir sollten jetzt besser zurückkehren, Monsignore. Meint Ihr, Ihr könnt gehen?«
»Ich denke schon, wenn mir auch ein wenig Hilfe nicht unwillkommen wäre. Wohlan, gehen wir.«
Sie legten den Weg zum Palast mit qualvoller Langsamkeit zurück. Obwohl de Simara von Fulminacci gestützt wurde, musste er oft anhalten, da ihn die tiefe Verletzung schwächte. Trotz des festen Verbands sickerte das Blut schon durch den Stoff und rann ihm über den rechten Arm.
Die Gäste waren nach den zahlreichen Amüsements im Freien hineingegangen, wo in dem riesigen Festsaal das Bankett stattfand. Nur eine kleine Schar von Mägden, Dienern und Knechten eilte auf dem Rasen hin und her und räumte auf, machte sauber, deckte Tische ab, um gleich darauf alles neu herzurichten und frisch zu decken, da die Herrschaften nach dem Essen wieder herauskommen würden.
So konnten Fulminacci und de Simara vorübergehen, ohne durch neugierige Fragen wegen ihres Zustands aufgehalten zu werden – der eine sichtlich verwundet, der andere ohne Hemd, den Rock nachlässig um die Schultern gehängt.
Fulminacci hatte darauf bestanden, dass der Bischof sich als Erstes, ehe er sich um etwas anderes kümmerte, von Melchiorri behandeln ließ, dessen Fähigkeiten als Chirurg weit über den engeren Kreis der Königin hinaus bekannt waren.
Angesichts der Entschlossenheit, mit der sein Begleiter diese Forderung vorbrachte, schien dem Bischof jeder Widerstand zwecklos und er gab nach. Außerdem wollte er sich gern persönlich davon überzeugen, dass es Pater Wiedenmann gut ging, dessen Überleben im Moment das Wichtigste war.
Als sie das Laboratorium betraten, sahen sie auf den ersten Blick, dass etwas passiert sein musste.
Im Speisezimmer, das rechts vom Eingang lag, wimmelte es von Musketieren, die vier gefesselte Männer an der Wand bewachten.
Capitaine de la Fleur kam seinem Vorgesetzten sogleich entgegen.
»Mein Gott, Monsieur, Ihr seid verwundet! Schnell, Bruyère, holt Melchiorri, wir brauchen sofort einen Arzt!«
»Keine Sorge, Capitaine«, sagte der Bischof, »es ist nichts Ernstes. Aber was ist hier vorgefallen?«
»Der Skorpion?«, wollte der Offizier zuerst wissen.
»Der Skorpion stellt keine Gefahr mehr dar. Seine Leiche liegt auf einer kleinen Lichtung im hinteren Teil des Parks. Wer sind nun aber diese Männer?«
»Die Komplizen des Skorpions, Monsignore. Wir haben sie vor kurzem verhaftet. Einem unserer Musketiere ist bei der Suche nach dem Mörder aufgefallen, dass der Mantel eines Gasts eine verdächtige Ausbeulung aufwies. Zusammen mit Sergeant Bruyère ist er auf den Mann zugegangen, der, als er sich entdeckt sah, die Flucht ergriff. Andere Musketiere sind herbeigeeilt, und es kam zu einem kleinen Handgemenge, bei dem wir diese vier hier festgenommen haben. Wir wollten sie gerade verhören, als Ihr eingetroffen seid.«
»Sehr gut. Endlich ist das Glück auf unserer Seite. Wie geht es Pater Wiedenmann?«
»Leider gibt es da keine guten Neuigkeiten. Es schien ihm besser zu gehen, doch dann verschlechterte sich sein Zustand plötzlich wieder. Ich glaube, er ringt mit dem Tod.« »Verdammt, wollt Ihr etwa sagen, dass alles umsonst war?«, entfuhr es dem Bischof.
»Ich fürchte, ja«, antwortete die warme, ruhige Stimme von Melchiorri, der in diesem Augenblick hereinkam. »Pater Wiedenmann ist bewusstlos und atmet nur noch schwach. Die Attentäter müssen eine mir unbekannte Giftmischung verwendet haben, eine Lösung aus verschiedenen toxischen Substanzen, von denen eine eine verzögernde Wirkung hatte. Ich konnte zwar etwas dagegen tun, aber es war wohl leider zu spät. Einer der Bestandteile des Tranks hatte schon die Gehirndünste angegriffen.«
»Und es besteht keine Möglichkeit, dass der Pater sich wieder erholt?«
Melchiorri hob die Arme. »Das liegt in der Hand Gottes, Monsignore. Ich habe schon ähnliche Fälle eines solchen Tiefschlafs beobachtet, die allerdings durch natürliche Ursachen und nicht durch Gift hervorgerufen worden waren. Meistens verstarben die Patienten, ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen. Bei einigen wenigen trat eine allmähliche Besserung ein, und in einem speziellen Fall, den ich vor vielen Jahren in Ferrara erlebt habe, geschah mit einem Mann, der an einem vergleichbaren Übel litt, weder das eine noch das andere. Er starb nicht, wachte aber auch nie aus seiner Ohnmacht auf. Was Pater Wiedenmann betrifft, wage ich keine Prognose zu stellen. Doch nun erlaubt mir, mich um Eure Verletzung zu kümmern, Monsignore.«
Der Bischof legte seinen Umhang ab und ließ Melchiorri den Notverband entfernen.
»Eine tiefe, aber Gott sei dank saubere Wunde«, sagte Melchiorri. »Ich werde sie nähen müssen. Ihr habt Glück gehabt, zwei Fingerbreit weiter rechts, und Ihr hättet den Arm womöglich nicht mehr gebrauchen können.«
De Simara setzte sich auf einen Hocker und ließ die schmerzhafte Prozedur über sich ergehen, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Was machen wir jetzt, Monsignore?«, fragte de la Fleur.
»Wir beten, Capitaine. Wir wollen beten, dass Pater Wiedenmann wieder gesund wird, aber vor allem, dass die Königin sich endlich davon überzeugen lässt, nach Schweden zurückzukehren.«
Fulminacci nutzte das Gespräch zwischen den beiden, um Sergeant Bruyère beiseitezunehmen.
»De Simara ist ein ziemlich außergewöhnlicher Bischof«, murmelte er. »Noch nie habe ich einen so guten Fechter gesehen, abgesehen vom Skorpion selbst.«
»Monsignore ist nicht immer ein Mann der Kirche gewesen«, antwortete der Unteroffizier. »Es gab einmal eine Zeit, vor vielen Jahren, während der Herrschaft Ludwig XIII., als der Mann, den Ihr heute im Bischofsgewand seht, ein Musketier war. Zusammen mit drei Kameraden hat er damals ein Komplott des Kardinals Richelieu gegen die Königin vereitelt. Inzwischen sind zwei von ihnen tot, einer hat sich auf sein Weingut im Bordeaux zurückgezogen, und de Simara ist der Gesellschaft Jesu beigetreten.«
»Seltsam, ich habe nie von ihm gehört«, bemerkte der Maler nachdenklich. »Ein so tapferer Musketier müsste doch berühmt geworden sein.«
»Sein Name war zu jener Zeit nicht de Simara.«
»Wollt Ihr mir seinen richtigen Namen nicht sagen?«
»Der Bischof hat allen, die sein Geheimnis kennen, verboten, darüber zu sprechen. Aber Ihr könnt ihn ja selbst fragen.«
Melchiorri hatte inzwischen die Wunde des Bischofs genäht.
»Das Kataplasma, das ich Euch jetzt auflege, beruht auf einer von mir erfundenen Geheimformel, Monsignore«, sagte der Großmeister. »Ihr werdet sehen, dass es Infektionen verhindert und ein schnelles Abheilen der Wunde begünstigt.«
»Woraus besteht es?«, fragte der Bischof.
»Wollt Ihr das wirklich wissen?«
»Ich habe mich gerade mit dem Skorpion duelliert und glaube, diese Enthüllung auch noch verkraften zu können.«
»Es handelt sich um eine Paste aus Kräutern, der ich ein wenig Spinnweben und die Sporen eines bestimmten Schimmelpilzes hinzugefügt habe. Ich konnte schon öfter feststellen, dass eine solche Mischung wahre Wunder bei dieser Art von Verletzungen bewirkt.«
»Spinnweben und Schimmelpilze«, sagte der Bischof, »ja, davon habe ich schon gehört. Ein Freund, der gerade aus der Neuen Welt zurückgekehrt ist, hat mir erzählt, dass die eingeborenen Indianer ähnliche Heilmittel verwenden.« Er räusperte sich und stand auf. »So, da dieses alte Gerippe nun wieder zusammengeflickt ist, können wir in den Palast zurückkehren. Die Königin fühlt sich am Ende noch beleidigt, wenn wir ihre vorzügliche Gastfreundschaft nicht würdigen.«
»Seid Ihr sicher, dieser Anstrengung gewachsen zu sein, Monsignore?«, fragte de la Fleur.
»Ah, Capitaine, denkt daran: Ein Soldat Jesu tut nicht das, was ihm beliebt, sondern das, was ihm die Pflicht auferlegt.«