KAPITEL L

 

Zornentbrannt stürmte Fulminacci aus Melchiorris Werkstatt. Er war wütend auf Beatrice, die seit ihrer Rettung nicht aufhörte, ihn mit ihrer ungerechten Kritik und ihren absurden Ansprüchen zu quälen. Er war wütend auf Melchiorri, der sich wie alle anderen Bewohner des Pavillons obendrein über ihn lustig machte. Er war wütend auf diejenigen, wer sie auch waren, die ihn in diesen vermaledeiten Schlamassel hineingezogen hatten, der ihn schon mehrfach beinahe das Leben gekostet hätte. Er war wütend auf die ganze Welt.

Vor allem aber war er wütend auf sich selbst und auf seine Unfähigkeit, Beatrices Eigensinn und Launenhaftigkeit mit Gelassenheit und Humor zu begegnen.

Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Jedes Mal wenn das Gespräch ruhig und freundlich wurde und sich in die von ihm gewünschte Richtung bewegte, machte er durch sein Verhalten alles kaputt.

Aber er konnte offenbar nichts dagegen tun, denn je mehr er sich anstrengte, heiter und gleichgültig zu wirken, desto mehr brachte sie ihn auf die Palme, indem sie an irgendeinen Nerv seiner widerborstigen, übermäßig stolzen Natur rührte.

Es war, als würde er sich mit einem geschickten Gegner duellieren, der einen kostbaren Degen aus Toledo als Waffe führte, während er nur einen Zahnstocher in der Hand hielt - ein hoffnungsloses Unterfangen.

Nur im ersten Moment nach Beatrices Befreiung aus den Kerkern der Inquisition hatten sie beide ihren Gefühlen freien Lauf gelassen. Doch das hatte leider nicht lange angehalten. Kaum war die Freundin in Sicherheit, hatte sie wieder ihr sprödes, schwer durchschaubares Verhalten an den Tag gelegt. Mit solch verzwickten Gedanken beschäftigt, hatte der Maler nicht bemerkt, dass er auf eine Gruppe von Männern zuging, die unter einem großen Maulbeerbaum Schutz vor der brennenden Mittagssonne gesucht hatte. Das war zumindest der erste Eindruck des verärgerten Fulminacci, den aber die verstohlenen Bewegungen der Fremden widerlegten, als sie seiner ansichtig wurden.

Zwei von ihnen beeilten sich, etwas in einem Gebüsch zu verstecken, waren jedoch nicht schnell genug.

Der Maler erhaschte ein vertrautes Aufblitzen und erkannte sofort, dass es sich um lange Stichwaffen handelte.

»Was macht Ihr da?«, verlangte er zu wissen. »Was habt Ihr da gerade versteckt?«

Er hatte den Satz noch nicht beendet, als er auch schon von den Männern umstellt war und sich ein halbes Dutzend Klingen auf seine Kehle richteten. Fulminacci versuchte auszuweichen, aber der Angriff hatte ihn überrascht, und nun wurden ihm mit eisernem Griff die Arme auf den Rücken gedreht.

Ein hochgewachsener Mann mit langen Haaren und grau melierten Schläfen trat auf ihn zu und musterte ihn drohend.

»Wer seid Ihr, Messere?«, fragte er mit starkem französischem Akzent. »Eurer Kleidung nach gehört Ihr nicht zum Dienstpersonal. Haltet ihn gut fest, ich will dieser Sache auf den Grund gehen.«

»Wie könnt Ihr es wagen, mich gegen meinen Willen festzuhalten?«, brüllte der Maler. »Das ist ein Übergriff! Für diesen Affront werdet Ihr teuer bezahlen!«

»Wer seid Ihr? Antwortet, sonst lasse ich Euch von meinen Männern exekutieren.«

»Ich bin Gast des Großmeisters Baldassarre Melchiorri! Das werdet Ihr noch bereuen, das versichere ich Euch!«, tobte Fulminacci weiter.

»Sagt mir, wie Ihr heißt!«

»Giovanni Battista Sacchi, Maler, Kupferstecher, Bildhauer und Architekt! Und jetzt lasst mich gehen, bevor ich ernstlich wütend werde!« »Ach, der Maler. Lasst ihn los, er ist harmlos.«

»Das werde ich Euch gleich zeigen, wie harmlos ich bin«, brüllte Fulminacci, der dem Offizier sofort an die Gurgel sprang, sobald er freigelassen war, und nur mit Mühe von den nächststehenden Männern gebändigt werden konnte.

»Nun kühlt erst einmal Euer hitziges Gemüt, Messere«, sagte der Franzose, amüsiert über Fulminaccis Tobsuchtsanfall. »Wie ich sehe, ist der Ruhm, der Euch vorauseilt, nicht unverdient. Ich weiß, dass auch Ihr das Privileg hattet, mit dem berühmten Mörder, den man den ›Skorpion‹ nennt, die Klinge zu kreuzen. Meiner Treu, es wundert mich, dass Ihr noch am Leben seid.«

»Er ist mir entwischt, als ich ihn schon fast besiegt hatte«, schnaufte Fulminacci, der immer noch von zwei Soldaten festgehalten wurde. »Aber das nächste Mal hat er nicht so viel Glück, darauf könnt Ihr Gift nehmen!«

»Welch ein Hochmut! Welche Selbstsicherheit! Auch ich habe mich mit ihm duelliert und bezweifele stark, dass es sich so abgespielt hat, wie Ihr sagt. Ich bin Capitaine de la Fleur, Musketier des Königs von Frankreich, und ich garantiere Euch bei meiner Ehre, dass es in ganz Europa nur wenige Klingen gibt, die es mit meiner aufnehmen können. Trotzdem habe ich nur durch ein Wunder überlebt, und es erscheint mir wenig glaubwürdig, dass einem einfachen Maler beinahe etwas gelungen sein soll, was einer der besten Fechter Frankreichs nicht geschafft hat. Also, Messere, gebt zu, dass Ihr übertreibt.«

»Gebt mir einen Degen, und ich zeige Euch, ob ich übertreibe!«, schäumte Fulminacci.

»Ich bedauere, Euch keine Satisfaktion geben zu können, Messer Maler, aber der Skorpion hat mir ein schmerzhaftes kleines Andenken an der rechten Schulter hinterlassen, das es mir vorläufig nicht gestattet zu kämpfen. Außerdem denke ich nicht, dass ich meine eigene Fechtkunst ins Feld führen muss, um einen Aufschneider wie Euch zu entlarven. De la Plessière, tretet vor. Wollt Ihr es mit diesem Gentilhomme aufnehmen, um die Ehre der Musketiere Frankreichs zu verteidigen?« Der angesprochene junge Mann nickte und grinste erfreut.

»Mit Vergnügen, mon Capitaine. Ich werde dem Prahlhans eine Lektion erteilen, an der er noch lange zu knabbern hat.«

Die anderen Männer traten zurück, um den beiden Kontrahenten, die jeder einen Degen in die Hand bekamen, genug Raum zu lassen.

»Kreuzt die Klingen, meine Herren. Möge der Bessere gewinnen.«

Fulminacci führte ein paar Hiebe ins Leere aus, um seine Muskeln zu lockern, und nahm dann die Grundposition ein.

»Seht mal«, sagte Kardinal Azzolini und trat ans Fenster seines Arbeitszimmers, »wie es scheint, wollen Eure Musketiere diesem impertinenten Maler eine kleine Lehre erteilen.«

De Simara gesellte sich zu ihm und beobachtete das Geschehen bei dem großen Maulbeerbaum.

»Da wäre ich nicht so sicher, Euer Eminenz. De la Plessière ist ein ausgezeichneter Fechter, keine Frage, doch dieser Maler…«

»Aber, aber«, unterbrach ihn der Kardinal, »ständig preist ihr mir den Kampfesmut Eurer Männer an, und nun zweifelt Ihr an ihrem Erfolg?«

»Die Vorzüge meiner Musketiere sind unbestreitbar, Eminenz, allein dieser Mann hat bewiesen, dass er überdurchschnittliche Fähigkeiten besitzt. Vergesst nicht, dass er unbeschadet aus einem Kampf mit dem Skorpion hervorgegangen ist. Er kann kein Anfänger sein.«

»Auch Euer Capitaine, dieser de la Fleur, hat ihm die Stirn geboten, wenn ich mich nicht irre.«

»Jedoch unter anderen Umständen, Eminenz. Der Skorpion hatte es eilig, seinen Auftrag zu erledigen, und nahm sich nicht die Zeit, ihn zu töten. De la Fleur ist von ihm verwundet worden, wenn auch nicht schwer. Und de la Plessière ist nicht de la Fleur. Er ist jung, technisch versiert und schnell, aber er besitzt nicht die Erfahrung seines Capitaine. Ehrlich gesagt möchte ich keine Prognose über den Ausgang dieses Duells abgeben.« »Noch nicht einmal für einen Einsatz von… sagen wir, fünfzig Scudi?«

»Es ist das erste Mal, dass ich gegen einen meiner Männer wette, aber sei’s drum, fünfzig Scudi.«

»Ich fürchte, Ihr habt Euer Geld zum Fenster hinausgeworfen, de Simara. Seht nur, wie elegant der Musketier ficht. Immer auf Linie zum Gegner, leichtfüßig, als würde er tanzen. Der Maler dagegen scheint einen Knüppel zu schwingen statt eines Degens. Es wird nicht lange dauern, glaubt mir.«

»Er ist nicht gerade ein Ausbund an Eleganz, das gebe ich zu, aber dafür flink, reaktionsschnell, konzentriert. Und was die Körperkraft angeht, so scheint er damit reichlich gesegnet zu sein. Er erinnert mich in mancher Hinsicht an einen Gefährten, mit dem ich so einige Abenteuer bestanden habe, einen Gascogner, der weder Tod noch Teufel fürchtete.«

»Pah, er wird aufgespießt werden wie eine Drossel. Da, schaut nur, der Musketier ist dabei, ihn in die Enge zu treiben. Der Maler hat schon einen schweren Arm.«

»Das kann auch bloße Taktik sein, Eminenz. Es gibt viele Möglichkeiten, ein Duell für sich zu entscheiden, und nicht immer gewinnt der gefälligste Fechter. Ich weiß, dass der Maler aus dem Norden kommt, aus Mailand, wo sie einen ganz speziellen Kampfstil pflegen. Viel gröber, gewiss, aber nicht weniger wirkungsvoll. Seht Ihr? Er ist schon wieder obenauf und führt einen Gegenangriff. Ich glaube, dieser Mann kann uns noch nützlich sein.«

»Inwiefern?«

»Erstens gehört er zu den wenigen, die den Skorpion gesehen haben. Der Auftragsmörder wird zwar maskiert erscheinen, aber eine Verkleidung kann nur Gesicht und vielleicht die Körperform verbergen, jedoch nicht den Gang zum Beispiel. Er wird nicht alle kleinen Besonderheiten verstecken können, die einen Menschen unverwechselbar machen. De la Fleur hat ihn nicht genau gesehen, weil er zu sehr damit beschäftigt war, seine Haut zu verteidigen. Der Maler hingegen ist ihm mehr als einmal begegnet.« »Eure Erfahrung auf diesem Gebiet ist fraglos größer als die meine, auch wenn ich bei dem Gedanken schaudere, dass das Los der Kirche einem solchen Menschen anvertraut werden soll, einem einfachen Mann aus dem Volk, einem Plebejer.«

»Auf dem Schlachtfeld erweist sich die Abstammung selten als der wichtigste Vorzug. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die vornehmsten Aristokraten, deren Stammbaum bis auf Karl den Großen zurückging, sich aus dem Staub gemacht haben, sobald die Trommeln des Feindes zum Angriff schlugen, und ich habe umgekehrt gesehen, wie Bäckerssöhne den Attacken der holländischen Truppen widerstanden, unerschrocken und stolz, während das Blut ihnen aus den Wunden strömte. Wenn die Kugeln pfeifen, ist jeder mit seinem Mut und seiner Feigheit allein, und wenn die Pike zusticht, ist das Blut aller Menschen gleich rot.«

»Ihr mögt ja recht haben, aber erlaubt mir, ein zusätzliches Gebet an den Herrgott zu schicken, damit er daran denkt, uns beizustehen.«

Der Kadett begann, Fulminaccis Abwehr mit einer Reihe von schnellen Hieben zu testen, die dieser ohne Probleme parierte. Die Attacken des Franzosen sollten nicht verletzen, sondern lediglich die Reflexe des Gegners prüfen, um seine Schwachstellen auszumachen.

Fulminacci hatte damit gerechnet und antwortete mit flinken Paraden, ohne selbst anzugreifen, weil er zunächst das Verhalten des anderen beobachten wollte. Er kämpfte zwar nicht gern defensiv, aber die sprichwörtliche Gewandtheit der französischen Musketiere veranlasste ihn, zunächst eine abwartende Haltung einzunehmen.

De la Plessière legte diese Strategie als Furcht aus und erhöhte die Frequenz seiner Hiebe in der Gewissheit, dass der Gegner sich früher oder später eine Blöße geben würde.

Fulminacci wehrte jeden Angriff ab und wartete geduldig darauf, dass der Schwung des Musketiers erlahmte. Die schweren Degen, die sie benutzten, waren ihres Gewichts wegen nicht für ausdauernde Kämpfe geeignet. Es handelte sich um lange Waffen, die normalerweise eher im Getümmel einer Schlacht zum Einsatz kamen als in einem Duell zwischen Ehrenmännern.

Der Musketier griff weiter an und wechselte dabei regelmäßig zwischen Hieben und Stößen ab, ohne einen jener schmutzigen Tricks zu versuchen, die der Maler so gut kannte. Seine Attacken kamen zwar schnell und genau, doch es fehlte ihnen an der nötigen Entschlossenheit, um einen weniger anmutigen, aber erfahrenen Fechter wie Fulminacci in Bedrängnis zu bringen. De la Plessière focht wie auf der Übungsplanche, ohne die Kraft und Heftigkeit, die man in einem Kampf auf Leben und Tod braucht.

Er glaubte wohl, allein mit seinem Geschick und seinem tadellosen Stil gewinnen zu können, aber Fulminacci wusste, dass man mit einem guten Stil allein nicht sein Leben rettete, wenn es hart auf hart ging.

Also begann er, seinen Hieben mehr Nachdruck zu verleihen, ohne viel auf Stil und saubere Ausführung zu achten. Sofort geriet de la Plessière in Schwierigkeiten, der offenbar nicht genug praktische Erfahrung besaß, um sein Kampfverhalten anzupassen, und auf die immer kräftigeren Schläge mit exakten, aber wenig wirksamen Paraden reagierte.

Der Musketier schlug sich wacker, doch die Dynamik des Duells hatte sich verändert. Jetzt war die Initiative aufseiten des Malers, der seinen Gegner so bedrängte, dass dieser nicht zum Gegenangriff ansetzen konnte.

Fulminaccis Absicht war es, die Distanz zwischen ihnen zu verringern und damit die klassische Fechtkunst des anderen zu unterlaufen. Immer öfter kämpften die Kontrahenten nur wenige Handbreit auseinander, Schwertgriff an Schwertgriff, wobei Fulminaccis größere Kraft wie auch seine größere Erfahrung ihm zum Vorteil gereichten.

Er suchte mit seinen Attacken den Körperkontakt, was ihm schließlich auch gelang. Die Degenklinge des Musketiers glitt an seiner eigenen Klinge hinunter, und die Griffe stießen mit dumpfem Klirren gegeneinander. Fulminacci nutzte die Nähe des Gegners, um ihm einen Schulterstoß zu versetzen, der ihn taumeln ließ. Danach wartete er nicht, bis der junge Kadett wieder auf Linie war, sondern ging weiter mit schnellen, kräftigen Hieben auf ihn los, sodass dieser mit zurückweichen musste, ohne sein Gleichgewicht wiedergefunden zu haben, und schließlich strauchelte.

Darauf hatte Fulminacci gewartet.

Er drehte seinen Degen um die eigene Achse, benutzte ihn wie einen Hebel und schlug dem Gegner die Waffe aus dem nun unsicheren Griff, wodurch sie im hohen Bogen auf den Kiesboden krachte.

Grinsend richtete er sein Schwert auf die Kehle des entwaffneten Musketiers.

»Ist Eurer Ehre Genüge getan, Signore?«, fragte er.

Der Kadett, der genauso verärgert wie verblüfft über den Ausgang des Kampfes war, konnte nur etwas in seiner Muttersprache stammeln.

»Gut gemacht, Messer Sacchi«, lobte de la Fleur, der das Duell zufrieden verfolgt hatte. »Eine recht unkonventionelle Technik, aber durchaus erfolgreich.«

»Auf dem Schlachtfeld hätte er nicht überlebt«, entgegnete der Maler, »und noch nicht einmal bei einer Wirtshausrauferei.«

»Unser Kadett muss noch viel Erfahrung sammeln, da habt Ihr recht. Aber Ihr solltet seine Fähigkeiten nicht unterbewerten, sonst setzt Ihr dadurch Eure eigenen herab. Und Ihr, de la Plessière, macht Euch die Lehre zunutze, die Euch Messer Sacchi so freundlich erteilt hat. Denkt daran, dass Technik allein im Ernstfall nicht genügt, man muss auch mit ganzem Herzen bei der Sache sein. Das hat uns unser Maler hier sehr schön vorgeführt.«

»Damit ist unser Zwist von eben aber nicht beigelegt«, sagte Fulminacci. »Wie schade, dass Euer Zustand es nicht zulässt, mit mir zu kämpfen.«

»Ich werde bald wieder gesund sein, Messer Sacchi«, erwiderte der Capitaine. »Die Wunde ist nicht sehr tief. Sobald ich wieder im Vollbesitz meiner Kräfte bin, wird es mir ein Vergnügen sein, Euch Genugtuung zu geben.«

»Ich verlasse mich darauf, Capitaine, ich verlasse mich darauf.«