KAPITEL LXIII
Eines der größten Probleme, die bei der Organisation dieses Fests mit über tausend Gästen gelöst werden mussten, war das des Orts für die Verrichtung gewisser körperlicher Bedürfnisse. Denn schließlich war es auf einem von einer Königin ausgerichteten Fest, an dem die Crème des römischen Adels teilnahm, undenkbar, dass die Angelegenheit mit einem Graben im Boden und zwei darübergelegten Brettern erledigt wurde wie bei einem Volksfest. Genauso undenkbar war es, dass jeder der Geladenen von einem Diener begleitet wurde, der ihm seinen persönlichen Nachttopf hinterhertrug.
Hinzu kam, dass an einem solch langen Abend gewiss alle den Getränken ausgiebig zusprechen würden, was einen diskreten Ort noch dringender erforderlich machte.
Nach reiflicher Überlegung hatte man beschlossen, das diffizile Problem dem Großmeister Baldassarre Melchiorri anzuvertrauen, einem Mann von Welt, der über Feingefühl und zahlreiche Talente verfügte.
Der gute Melchiorri hatte sich davon keineswegs herabgewürdigt gefühlt und sich sogleich an eine eingehende Untersuchung der Lokalitäten des Fests gemacht, um die Wege der Gäste abhängig von den Standorten der Tische mit den Erfrischungen und den für den Abend geplanten Vergnügungen im Voraus einschätzen zu können.
Nach diesen vorbereitenden Überlegungen hatte der Großmeister sich für eine dezentrale Lösung entschieden, die möglichst wenig ins Auge fallen sollte.
Da ohnehin die Aufstellung mehrerer Zeltpavillons für Speisen und Getränke geplant war, beschloss er, noch ein paar zusätzliche in einer anderen Farbe aufbauen zu lassen, und zwar an günstig gelegenen Stellen an den Rändern der großen Esplanade.
Jedem dieser Pavillons wurde eine gewisse Zahl von Dienern zugeteilt, welche die benutzten Nachttöpfe ausleeren und frische wieder hinstellen würden, ohne sich dabei dem eigentlichen Ort der Feierlichkeiten zu nähern.
Das Kommen und Gehen dieser Dienstboten würde den Gästen gar nicht auffallen, und die Einrichtung mehrerer solcher stiller Örtchen hatte außerdem den Vorteil, dass peinliches Schlangestehen vermieden wurde.
Als Bernardo Muti den Palazzo Riario betreten hatte, war ihm natürlich nicht bewusst gewesen, wie viel geistige und körperliche Arbeit in der Lösung dieses ebenso menschlichen wie unumgänglichen Problems steckte.
Er musste sich jedoch ganz plötzlich mit der Frage des Aborts befassen, als wenige Minuten, nachdem er gezwungenermaßen mit Graf Santinelli auf die Gesundheit der Königin angestoßen hatte, eine tückische Darmkolik seine Eingeweide zerriss. Er verfluchte den unverschämten Adeligen erneut und sagte sich, dass er, der sich normalerweise nur von pflanzlicher Kost und Quellwasser ernährte, den Wein und das reichhaltige Essen nicht vertragen hatte und diese verhängnisvolle Unannehmlichkeit daher rührte.
Den Drang zu unterdrücken war unmöglich, denn die Krämpfe kamen in immer kürzeren Abständen und nahmen an Heftigkeit zu.
Da er solche Empfänge normalerweise nicht besuchte, war Muti mit den Gepflogenheiten in dieser Hinsicht nicht vertraut und musste sich schließlich dazu herablassen, einen Diener diskret zu befragen, der ihm gleichermaßen diskret den Weg zu dem gesuchten Ort wies.
Mit steifen Schritten und Schweißperlen auf der Stirn ging der Dominikaner in die angezeigte Richtung und versuchte dabei, eine möglichst würdevolle Haltung zu bewahren. Zane verließ das Laboratorium zur verabredeten Stunde.
Seine Verkleidung hatte viel Zeit und die tatkräftige Mithilfe von Jacopo erfordert, der sich nicht nur auf Astronomie, Astrologie, Alchemie und Metallurgie verstand, sondern auch von seiner Mutter, einer Friseuse, genug Schminktechniken gelernt hatte, um die Maske realistisch gelingen zu lassen.
Wer den Seiteneingang des Gästepavillons, der die Werkstatt und die Wohnräume des Großmeisters beherbergte, beobachtet hätte, hätte ein schönes Exemplar eines dicken, bärenhaften Mönches herauskommen sehen, wie man es nicht selten in den Fluren der vielen kirchlichen Paläste der Stadt antreffen konnte. Ein volles, rotwangiges Gesicht, eine fröhliche Miene und der unvermeidliche dicke Bauch – es fehlte keine der Eigenschaften, die diese Sorte von Gottesdienern kennzeichnete. Gewiss, dieser Bruder maß fast sieben Fuß von den Sandalen bis zur Tonsur, eine nicht eben durchschnittliche Größe, doch an diesem Körpermerkmal konnte auch die Schminkkunst des guten Salinari wenig ändern, und so blieb nur der wenig originelle Rat, gebückt zu gehen.
Zum Glück herrschte ein solches Gewimmel, dass Zanes mächtige Statur nicht vielen Gästen auffallen würde, solange er in den weniger gut beleuchteten Bereichen des Parks blieb.
Das größte Problem bei der Verkleidung war der falsche Bauch gewesen. Man hatte sich nicht einfach damit begnügen können, die Kutte vorn mit ein paar Kissen auszustopfen, die von der Gürtelschnur gehalten wurden. Der künstliche Wanst war das A und O für das Gelingen der Unternehmung, weshalb man schnell ein paar Mägde, die gut nähen konnten, hatte hinzuziehen müssen.
Der Plan erforderte nämlich, dass Zane, sobald er den angestrebten Ort erreicht hatte, die behindernde Polsterung schnell ablegen konnte, um genauso rasch zum gefährlichsten Teil der Operation überzugehen.
Sich mit dem sperrigen Bündel zu bewegen war alles andere als einfach, aber Zane störte sich nicht daran und machte sich auch keine Sorgen, dass etwas schiefgehen könnte. Es stand so viel auf dem Spiel, dass es kein Risiko gab, das er nicht einzugehen bereit wäre, um sich und seinen Freunden zu helfen.
Zane überquerte den Hof vor dem Laboratorium und hielt sich dabei im Schatten der hohen Hecken. Der Mond würde erst in einer halben Stunde aufgehen, und der Großteil der Fackeln und Laternen war um den mittleren Bereich des Parks angebracht worden, wo das Fest hauptsächlich stattfand, während die Randbereiche nur gerade ausreichend erhellt waren, damit das Personal sich bei seinen vielen Verrichtungen nicht verlief.
Auch an den Seiten herrschte ein unauffälliges Kommen und Gehen von Pagen und Kellnern, die zwischen den Pavillons und der Küche hin- und herliefen, sodass Zane häufig ausweichen und sich in dunklere Winkel zurückziehen musste. Dabei versteckte er sich nicht richtig, denn ein verstohlenes Gebaren wäre aufgefallen, sondern er achtete einfach darauf, den Dienstboten nicht über den Weg zu laufen, die ohnehin viel zu beschäftigt waren, um sich über einen unbekannten Mönch im Halbdunkeln Gedanken zu machen.
Als Zane den Rand der großen Rasenfläche erreicht hatte, blieb er unter einer hohen Ulme stehen und wartete auf das Zeichen, das den Beginn des Unternehmens ankündigte.
Das war der heikelste Teil des Plans.
Melchiorri hatte vier von seinen Leibdienern, die die blau-goldene Livree der Königin trugen, an strategisch wichtigen Stellen postiert, damit sie dem falschen Mönch rechtzeitig signalisieren konnten, in welche Richtung er gehen musste. Doch bei dem allgemeinen Gedränge gab es natürlich keine Garantie dafür, dass dies schnell und genau genug geschah.
Zane war dennoch ruhig und gelassen, kein Anflug von Nervosität plagte ihn.
Wer wie er fünf Jahre auf türkischen Galeeren gerudert hatte, bekam ein anderes Verhältnis zur Zeit und nahm sie als einen nebensächlichen Faktor wahr.
Im Schutz der Dunkelheit wartete Zane in der Gemütsverfassung eines Fischers, der die Spitze seiner Angel an einem müßigen Sommernachmittag beobachtet.
Der Skorpion trat vorsichtig aus dem Pavillon und sah sich nach allen Seiten um. Er wollte unbedingt eine Begegnung mit den Mitgliedern der Theatertruppe vermeiden, denn nur sie wussten, dass er nicht dazugehörte.
Die Gefahr schien allerdings im Moment gering. Die Schauspieler hatten sich unter die Menge gemischt und taten sich vermutlich an den Speisen und Getränken gütlich, bevor sie wieder in Aktion traten.
Er kannte das Programm für den Abend nicht genau, aber demzufolge, was er in der improvisierten Künstlergarderobe belauscht hatte, sollten die Komödianten in den Pausen zwischen den diversen unterhaltenden Darbietungen kleine amüsante Zwischenspiele aufführen.
Im Augenblick war die Aufmerksamkeit der Gäste allerdings ganz auf diese geheimnisvolle, scheinbar aus dem Äther kommende Musik gerichtet, weshalb er nicht glaubte, dass die Truppe demnächst auftreten würde.
Es blieb ihm genug Zeit, um das zu erledigen, was er sich vorgenommen hatte.
Der Bernsteinanhänger befand sich im Innern des Gebäudes, in einem Raum, in dem seltene und kuriose Gegenstände aus der reichhaltigen Sammlung Pater Kirchers ausgestellt waren.
Der Skorpion wusste genau, dass es sich um eine Falle handelte. Seit zwei Tagen mobilisierten Azzolini und de Simara alle ihnen zur Verfügung stehenden Männer, um ihn zu fangen oder zu töten, und man konnte nicht behaupten, dass sie nicht verflucht nahe dran gewesen wären. Aber weil sie mit traditionellen Methoden keinen Erfolg gehabt hatten, waren seine beiden Widersacher auf die schlaue Idee gekommen, ihm eine Falle zu stellen, in der Überzeugung, dass er der Herausforderung nicht würde widerstehen können.
Damit hatten sie recht. Nicht einen Moment, trotz Fieschis Warnungen und dessen Rat zur Vorsicht, hatte er daran gedacht, sein Vorhaben aufzugeben.
Sein letztes Vorhaben.
Das schwierigste und gefährlichste von allen.
Ein Vorhaben, das fast unmöglich war.
Fast.
Der Raum würde überwacht werden, seine Feinde würden jede Vorkehrung getroffen haben, um sicherzustellen, dass die Falle im richtigen Augenblick zuschnappte.
Genau das wollte der Skorpion sich zunutze machen.
In seiner über vierzig Jahre währenden Mörderlaufbahn hatte er viele Dinge gelernt, und das wichtigste von allen war, dass es keinen perfekten Plan gab.
An diesem Abend würde er den Beweis dafür liefern.