KAPITEL LV

 

Wir haben wenig Zeit«, sagte de Simara, »bald kommen die ersten Gäste. Sagt, Maestro Sacchi, was wisst Ihr über die Situation in Schweden?«

»Äh… nun ja… nicht viel. Ich weiß, dass Christine abgedankt hat, um den katholischen Glauben anzunehmen, und dass Karl X. ihr auf den Thron gefolgt ist. Der jetzige König ist dessen Sohn, Karl XI., um dessen Gesundheit es, wie man hört, nicht zum Besten steht.«

»So ist es. Die Nachrichten, die uns aus Schweden erreichen, besagen, dass Karl XI. das Ende des Jahres wohl nicht mehr erleben wird. Der Wettlauf um seine Nachfolge hat bereits begonnen. Aufgrund der Jugend des Königs liegen die Regierungsgeschäfte in den Händen seines ersten Ministers, Magnus de la Gardie, eines der erbittertsten Feinde des Papsttums. Falls Karl stirbt, wird Magnus zweifellos eine ihm genehme Marionette auf den Thron heben. Diese Situation könnte durch eine Rückkehr Christines nach Schweden vermieden werden. Der Königin könnte es gelingen, den niederen Adel um sich zu scharen und aufzuwiegeln, der ihr immer noch treu ergeben ist und vor allem unter der hohen, von Magnus auferlegten Steuerlast leidet. Doch leider hat die Königin derzeit nicht die Absicht, in ihre Heimat zurückzukehren, und mit jedem Tag, der vergeht, verringern sich ihre Chancen, Schwedens Thron zurückzugewinnen. Im Moment interessiert sich Christine ausschließlich für ihr Vergnügen und nicht für die diplomatische Schlacht, die um sie herum im Gange ist, unter anderem auch, damit ihr weiter die bei ihrer Abdankung vereinbarten Gelder ausbezahlt werden. Wie Ihr seht, sind die Erfolgsaussichten der heiligen Mutter Kirche, die skandinavische Nation in ihren Schoß zurückzuholen, gering. Allein… da wäre noch etwas. Karl IX., der Großvater der Königin, besaß nicht nur große Fähigkeiten als Regent, sondern auch als Liebhaber. Seine galanten Abenteuer waren zahlreich, aber uns interessiert nur ein spezielles. Kurz nach seiner Thronbesteigung hatte er eine stürmische Affäre mit einer polnischen Prinzessin, die dem Geschlecht der Jagiellonen angehörte. Ihren Namen zu erwähnen wäre in diesem Palast nicht angebracht.

Aus diesem Verhältnis ging ein Sohn hervor, der gleich nach seiner Geburt fortgebracht wurde. In Anbetracht der damals herrschenden Verhältnisse war es nicht ratsam, die Geburt eines möglichen Thronerben, noch dazu aus katholischem Geschlecht, bekannt werden zu lassen.

Ein Haushofmeister Karls, einer seiner treuesten Diener, wurde damit beauftragt, den Knaben in Sicherheit zu bringen, der zuerst einem kleinen bayerischen Adeligen anvertraut wurde und später unter falschem Namen in das Novizeninternat von Paderborn eintrat, um Jesuit zu werden.

Die Affäre wurde jedoch nicht so streng geheim gehalten, wie Karl sich das erhofft hatte. Als der König bereits verstorben war und Gustav Adolf seine Nachfolge angetreten hatte, erfuhr jemand auf irgendeine Weise von der Existenz des Bastards und beschloss, seinen Vorteil daraus zu ziehen. Bedauerlicherweise muss ich sagen, dass dies ein Schachzug des katholischen Lagers war. Der Gegenschlag der Protestanten ließ nicht lange auf sich warten. Um den Erben auszuschalten, wurde ein Meuchelmörder engagiert, der Skorpion, der in jenen Jahren gerade seine gewissenlose Laufbahn begann.

Der Haushofmeister Karls war zum Glück so vorsichtig gewesen, die Identität des Jungen gründlich zu vertuschen. Man wusste nur, dass der Thronanwärter dem Novizeninternat in Paderborn übergeben worden war. Doch der Mörder ließ sich davon nicht entmutigen und beschloss, alle Novizen zu töten, die in etwa das Alter von Karls illegitimem Sohn hatten.«

»Mein Gott, das ist ja furchtbar!«, rief der Maler dazwischen.

»Allerdings, aber es stand so viel auf dem Spiel, dass die Verschwörer nicht davor zurückschreckten, ein Blutbad unter diesen Unschuldigen anzurichten. Ihr Plan wurde jedoch von der Ankunft Christians von Braunschweig durchkreuzt, der Paderborn belagerte und innerhalb von wenigen Tagen eroberte. Die Novizen wurden im ganzen Land verstreut, sodass man nicht mehr feststellen konnte, was aus dem illegitimen Sohn geworden war.

Auf Gustav Adolf folgte Christine, und als die Königin abzudanken beschloss, stellte sich das Problem für beide Seiten erneut. Doch zu diesem Zeitpunkt besaß man entweder nicht die nötigen Informationen, um den verschwundenen Erben zu finden, oder man entschied sich für eine andere Strategie.

Nun aber, da Karl XI. in Lebensgefahr schwebt, ist es für die von Magnus de la Gardie angeführten Protestanten erneut sehr wichtig, den möglichen katholischen Thronfolger auszuschalten. Karl ist erst elf Jahre alt und hat natürlich noch keinen leiblichen Erben.

Die römische Kirche verfolgt genau das gegenteilige Ziel, wie Ihr verstehen werdet, nämlich den Erben am Leben und bei guter Gesundheit zu erhalten.«

»Dazu müsste man ihn doch nur an einen sicheren Ort bringen«, warf Fulminacci ein.

»Unglücklicherweise«, erklärte Beatrice, »wissen auch wir nicht, wer es ist.«

»Wir haben die Suche auf eine bestimmte Anzahl von Namen aus den Archiven der Gesellschaft Jesu beschränkt«, fuhr der Bischof fort, »aber wir wissen immer noch nicht genau, wer unser Mann ist. Erschwerend kommt noch hinzu, dass nicht einmal der Erbe etwas von seiner herausragenden Stellung weiß. Seit über sechzig Jahren lebt ein Jesuitenbruder unter uns, der nichts von seiner königlichen Herkunft ahnt. Aber unsere Feinde sind im Besitz irgendeiner Information, die wir nicht haben, vielleicht über ein besonderes Körpermerkmal des Nachfahren von Karl Vasa. Aus diesem Grund haben wir in den vergangenen Tagen versucht, den Skorpion lebendig zu fangen, aber er war uns immer eine Nasenlänge voraus. Jedenfalls gibt es jetzt nur noch zwei Überlebende der damaligen Novizenschar, und beide werden mit bewaffneter Eskorte in Kürze hier im Palast eintreffen. Auch der Skorpion wird kommen, um sein Werk zu vollenden und sich den Bernsteinanhänger zurückzuholen, der nach dem ersten Mord so glücklich in Eure Hände gelangt war.«

»Kurz und gut, jetzt geht es um die Wurst, wie man so schön sagt«, murmelte Fulminacci.

»Ganz recht«, bestätigte der Bischof. »Was in den nächsten Stunden geschieht, wird unabsehbare Auswirkungen auf das Kräftegleichgewicht in Europa und auch auf das Schicksal der katholischen Kirche haben. Deshalb habe ich mir erlaubt, Euch um Hilfe zu bitten.«

»Ein Einwand, Monsignore«, sagte der Maler. »Dieser Thronerbe muss die sechzig schon weit überschritten haben und weiß, wie Ihr sagt, nichts von seiner königlichen Herkunft. Was kann Euch ein Mann ohne Regierungserfahrung nützen, der nur noch wenige Lebensjahre vor sich hat?«

»Nun, dieser illegitime Erbe ist sozusagen eine Notlösung für den Fall, dass alles andere fehlschlägt«, antwortete de Simara. »Unsere bevorzugte Option ist die Rückkehr der Königin in ihre Heimat. Doch wir müssen uns für die Möglichkeit wappnen, dass Christine sich weigert, diesen Schritt in Betracht zu ziehen. Mag sein, dass mit dem Erben auf längere Sicht nichts gewonnen ist, aber es würde die delikate Frage der Thronfolge komplizieren und Magnus de la Gardies Pläne behindern, der gerade verzweifelt versucht, eine strategische Allianz mit Ludwig XIV. von Frankreich zu knüpfen. Wenn wir etwas mehr Zeit hätten und den gesamten diplomatischen Apparat in Bewegung setzen könnten, wäre es nicht unmöglich, den französischen König zum Einlenken zu bringen. Schweden wäre dann isoliert, und das würde eine Rückkehr Christines auf den Thron erleichtern.«

Verwirrt und wenig überzeugt schüttelte Fulminacci den Kopf.

»Ich bin gewiss kein Experte in diplomatischen Angelegenheiten«, sagte er schließlich, »und deshalb erscheint mir dieser Plan als der reine Wahnsinn. Aber selbst wenn alles, was Ihr sagt, zutrifft, verstehe ich nicht, wie ich Euch behilflich sein kann.«

»Abgesehen von Capitaine de la Fleur seid Ihr der Einzige, der den Skorpion aus der Nähe beobachtet hat. Er wird selbstverständlich verkleidet erscheinen, zumal es sich um einen Kostümball handelt. Ich habe meine Musketiere im Palast und im Park verteilt, aber keiner von ihnen wäre in der Lage, ihn zu erkennen. Sie haben bloß die Zeichnung, die Ihr von ihm angefertigt habt, und heute Abend muss man auf andere Eigenarten achten, auf die Haltung oder den Gang zum Beispiel. Und nur Ihr könnt diese Eigenarten wiedererkennen. Ich bitte Euch lediglich darum, die Augen offen zu halten, Euch umzusehen und darauf zu achten, ob etwas Euren Verdacht erregt. Sobald Euch etwas merkwürdig vorkommt, sagt einem meiner Musketiere Bescheid – sie wissen, was zu tun ist.«

»Ich habe den Skorpion bloß zweimal gesehen«, gab Fulminacci zu bedenken. »Beim ersten Mal war er als Bettler verkleidet, und beim zweiten Mal war es dunkle Nacht und der Mistkerl hat versucht, mich umzubringen. Es ist nicht so, dass ich ihn in aller Ruhe beobachten konnte, und ich weiß nicht, ob ich ihn wiedererkennen werde, besonders hinter einer Maske.«

»Darüber bin ich mir im Klaren«, antwortete der Bischof, »aber eine bessere Möglichkeit haben wir nicht. Außerdem seid Ihr Maler und müsst daher über eine gute Beobachtungsgabe und einen Blick für Physiognomien verfügen. Seid Ihr bereit, uns zu helfen? Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass wir uns erkenntlich zeigen werden.«

»Einverstanden«, sagte der Maler. »Ich werde mein Bestes tun, aber erwartet keine Wunder. Bleibt noch das Problem, dass Ihr die Identität des Thronerben nicht kennt. Ihr habt zwei Jesuiten, doch welcher ist der richtige?«

»Darum kümmern wir uns bereits. Wie ich sagte, unterscheidet sich der Erbe möglicherweise durch ein körperliches Merkmal, ein Kennzeichen, durch das wir ihn identifizieren können. Ein Mitarbeiter von Kardinal Azzolini durchforstet gerade die Archive der Gesellschaft Jesu nach einem Hinweis. Der Kardinal ist überzeugt, dass er einen finden wird, wenn es einen gibt. Vielleicht erhalten wir noch heute Abend eine gute Nachricht. Und in der Zwischenzeit müssen wir uns mit dem Problem des Skorpions beschäftigen. Ich zähle auf Euch.«

Der Bischof lächelte dem Maler und der Wahrsagerin aufmunternd zu und gesellte sich wieder zu der Gruppe.

Fulminacci wartete, bis er außer Hörweite war.

»Du hast das alles gewusst«, platzte er dann vorwurfsvoll heraus, »und mir nichts davon gesagt.«

»Ich konnte dir nichts sagen, Nanni«, entgegnete Beatrice. »Bitte versuch das zu verstehen.«

»Ich wusste noch nicht einmal, dass du als Spionin arbeitest«, flüsterte der Maler.

»Das ging dich ja auch nichts an. Außerdem, hast du wirklich geglaubt, dass ich von dem bisschen Geld, das ich mit dem Tarot und den Heilkräutern verdiene, leben kann? Ich habe schon einmal Hunger gelitten in meinem Leben, und es hat mir nicht gefallen. Im Übrigen ist ›Spionin‹ nicht der richtige Ausdruck. Ich sammle hier und da ein paar Informationen und gebe sie an höhere Stellen weiter.«

»Ich vermute, auch der gute Zane gehört zu deiner Bande«, sagte Fulminacci bissig.

»Ja, auch Zane arbeitet für den Bischof«, bestätigte Beatrice.

»Also gibst du zu, mich von Anfang an belogen zu haben.«

»Nanni, sprich bitte nicht in diesem Ton mit mir. Ich habe dir ein paar Dinge verschwiegen, das ist wahr, aber ich war dir gegenüber nie unehrlich. Ich wollte dich nicht in diese Sache mit hineinziehen – du selbst hast dich kopfüber reingestürzt, als du den Bernstein gestohlen hast, erinnerst du dich? Von da an habe ich beschlossen, dass es sicherer ist, dich im Auge zu behalten. Ein guter Entschluss, wie sich zeigte, als Zane dich aus diesem Hinterhalt heraushauen musste, in den du aus eigener Dummheit hineingetappt bist.«

»Ach, dann ist jetzt also alles meine Schuld?« »Es ist niemandes Schuld, nur eine Verkettung unglücklicher Zufälle. Es steckte kein Plan oder gar eine Verschwörung gegen dich dahinter.«

»Bleibt die Tatsache, dass du mich angelogen hast.«

»Jetzt reicht’s aber. Ich sehe keinen Sinn darin, dieses Gespräch fortzusetzen. Sieh zu, dass du dich beruhigst und keinen weiteren Unfug anstellst. Gehab dich wohl.«

Mit schnellen Schritten ging die junge Frau zu den anderen hinüber, die sich gerade lebhaft unterhielten.

Allein geblieben setzte sich der Maler auf eine Chaiselongue in der Nähe, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ den Kopf hängen.

Wieder einmal hatte Beatrice ihm ein anderes Gesicht gezeigt.

Fulminacci spürte Wut in sich aufsteigen – eine dumpfe, schmerzliche Wut, die er kaum unterdrücken konnte. Zugleich jedoch fühlte er sich unwiderstehlich von der Freundin angezogen, und diese Anziehung wurde durch die Enthüllungen, die sie ihm gemacht hatte, keineswegs gemindert, sondern eher noch verstärkt.

Selbst wenn es ihm gelänge, auch diese Wut, diese zigste bittere Pille herunterzuschlucken, welche Zukunft erwartete ihn an der Seite einer derart unabhängigen Frau?

Vorausgesetzt natürlich, dass Beatrice es überhaupt in Erwägung ziehen würde, die Zukunft mit ihm zu teilen, was es noch herauszufinden galt.

Trotz alledem konnte er sich nicht vorstellen, sie in den Jahren, die da kommen würden, nicht an seiner Seite zu haben. An diese Möglichkeit wollte er gar nicht denken.

Es würde eine finstere Zukunft werden, so oder so.

Stets würde er die Arme nach einer Person ausstrecken, die sich ihm entzog; stets unter dem Verdacht leiden, dass seine Gefährtin ihm irgendein schreckliches Geheimnis verschwieg; stets auf der Hut sein für den Fall, dass sie wieder etwas ausheckte, das sie beide in Schwierigkeiten brachte.

Die Hölle auf Erden, das war es, was ihn erwartete. War das die Mühe wert?

Fulminacci hob den Kopf und warf einen verstohlenen Blick auf die schlanke, biegsame Gestalt der Freundin, die gerade charmant mit dem kleinen Augustinerpater plauderte, als hätte sie keine Sorgen auf der Welt.

Ja, sagte sich der Maler, alles in allem war es die Mühe wert.

Von diesem Entschluss gestärkt stand er auf, zwang sich zu einem Lächeln und ging auf die kleine Gruppe zu.

An diesem Abend würde er tun, was in seiner Macht stand, und was den Rest betraf, so wusste nur Gott, was das Schicksal für ihn bereithielt.