KAPITEL LXIV
Immer mit der Ruhe, Giovanni«, sagte Melchiorri. »Wir dürfen nicht überstürzt handeln.« »Ruhe, Ruhe, zum Teufel mit deiner Ruhe! Ich hab die Schnauze voll von Ruhe. Weißt du, was sich da draußen alles herumtreibt? Ein Inquisitor, der uns auf den Scheiterhaufen bringen will, skrupellose Verbrecher, die Beatrice zu entführen beabsichtigen, und der gefährlichste Meuchelmörder Europas, der sich zurückholen will, was ihm gehört, um uns nebenbei, wenn wir ihm die Gelegenheit dazu geben, das Fell über die Ohren zu ziehen! Und ich soll ruhig bleiben? Ich bin kein bisschen ruhig, Baldassarre, kein bisschen!«
»Was Muti angeht, so kann ich dir versichern, dass bereits geeignete Gegenmaßnahmen eingeleitet wurden.« Melchiorri sah seelenruhig auf die Pendeluhr in einer Ecke des Zimmers. »In einer knappen halben Stunde ist der Inquisitor kein Problem mehr. Und was die anderen betrifft, sollten wir erst einmal die Lage überdenken. Ich halte es nicht für klug, blindwütig loszurennen, ohne zu wissen, was man vorhat.«
Fulminacci bebte vor Ungeduld und wollte endlich etwas unternehmen, aber er zwang sich, dem weisen Freund noch einen Moment lang zuzuhören.
»Vor allem«, fuhr Melchiorri fort, »müssen wir Pater Wiedenmann und Pater Pfotenhauer an einen sicheren Ort bringen. In Anbetracht ihrer Verfassung darf es allerdings kein weit entfernter Ort sein. Ich denke, dass der Keller dieses Hauses für unsere Zwecke geeignet ist. Wärt Ihr damit einverstanden, Sergeant?«, sagte er, an den Befehlshaber der vier anwesenden Musketiere gewandt.
»Meine Befehle lauteten ursprünglich anders«, antwortete der Soldat, »aber nach diesem Zwischenfall dürfte eine Abweichung davon angebracht sein. Was schlagt Ihr vor?«
»Der Keller ist mit einer massiven Tür ausgestattet, die sich durch einen starken Riegel von innen absperren lässt. Ich würde vorschlagen, dass Ihr Euch dort einschließt und niemandem aufmacht, bis ich Euch persönlich Bescheid gebe, dass keine Gefahr mehr besteht. Das ist vielleicht nicht die bestmögliche Lösung, aber unter den Umständen fällt mir nichts Gescheiteres ein.«
»Ich finde, wir sollten es erst einmal so machen«, sagte der Unteroffizier.
»Gut. Jacopo, du begleitest die Herren. Und jetzt zu Beatrice. Wenn wir uns auf die Jagd nach dem Skorpion machen, dürfen wir sie nicht unbewacht lassen, aber es scheint mir ebenso unklug, sie mitzunehmen. Das Beste wäre, wenn auch sie…«
»Kommt nicht infrage!«, unterbrach ihn Beatrice, die sofort wusste, was Melchiorri im Sinn hatte. »Auf keinen Fall lasse ich mich in einen stinkenden Keller mit zwei versoffenen Mönchen und vier Soldaten einschließen. Nichts für ungut, Sergeant.«
»Das hatte ich mir schon gedacht«, seufzte der Großmeister. »Nun gut, da du offenbar nicht vernünftig sein willst, musst du eben bei mir bleiben – aber ohne auch nur eine Sekunde von meiner Seite zu weichen! Wenn Zane seinen Auftrag erfüllt hat, wird er zu uns stoßen, und zu zweit werden wir dich hoffentlich beschützen können. Du, Giovanni, suchst Capitaine de la Fleur und gehst mit ihm in die Wunderkammer. Der Raum wird erst nach dem Feuerwerk für das Publikum geöffnet werden, das heißt, nach Mitternacht. Gegenwärtig ist er verschlossen und wird bewacht. Ihr habt noch ein bisschen Zeit, euch vorzubereiten.«
Augenzwinkernd und Schmeicheleien verteilend ging der Skorpion durch die Menge, und wer ihm begegnete, antwortete mit einem vergnügten Nicken. Hin und wieder lud ihn eine Dame höflich ein, einen der plumpen Luftsprünge vorzuführen, die das Kernstück seines Repertoires bildeten, worauf er mit gespielt drohender Miene seine große Büchse aus Pappmaschee anlegte. Niemand schien seine Tarnung zu durchschauen; er musste nur darauf achten, leicht gebückt zu gehen, damit sein treues Schwert, das er auf dem Rücken trug, nicht den Stoff des Umhangs spannte und für ein wachsames und misstrauisches Auge sichtbar wurde. Obwohl man auch hinsichtlich der Beleuchtung keine Kosten und Mühen gescheut hatte, war es dennoch dunkle Nacht, und in den Lichtspielen der flackernden Fackeln und Öllampen ließen sich Einzelheiten nur schwer erkennen.
Er bewegte sich in konzentrischen Kreisen voran, um den anderen Mitgliedern der Theaterkompanie aus dem Weg zu gehen, und gelangte schließlich in die Nähe des Ausstellungsraums. Dort, in einiger Entfernung von den Pavillons, war das Gedränge weniger dicht und die Beleuchtung spärlicher.
Die beiden Männer standen auf ihren Posten.
Sie waren von gleicher Größe und Statur und trugen die gleichen nachtschwarzen Umhänge und Masken. Da sie sich zu beiden Seiten eines Durchgangs in den Hecken aufgestellt hatten, verschwanden sie fast in den Schatten der Buchsbaumsträucher.
Bei dem Gedanken, endlich wieder losschlagen zu können, wurde der Skorpion von einer fast kindlichen Aufregung erfasst.
Er hob die Büchse an und bewegte sie wie eine Signalfahne von links nach rechts, um den beiden das verabredete Zeichen zu geben.
Es war eine schnelle, aber sorgfältige Auswahl unter Fieschis Männern getroffen worden, um zwei Helfer zu finden, die die nötigen körperlichen Voraussetzungen aufwiesen, und der Genueser hatte anschließend all seine Fähigkeiten einsetzen müssen, damit die beiden Auserwählten Zugang zum Palast fanden.
Diesmal hatten sie sich nicht irgendwelcher Geheimgänge oder komplizierter Ablenkungsmanöver bedient, sondern auf das alte, bewährte Mittel der Bestechung zurückgegriffen.
Denn die Königin von Schweden unterhielt zwar einen ebenso glanzvollen wie kostspieligen Hof, doch die Bezüge, die ihr zustanden, trafen häufig mit Verspätung aus dem fernen Skandinavien ein, weshalb sie immer öfter gezwungen war, sich auf die Großzügigkeit von Freunden zu verlassen, um ihre Ausgaben zu bestreiten. Das brachte auch regelmäßig wiederkehrende Verzögerungen bei der Entlohnung ihres kleinen Heers von Dienstboten mit sich.
Unter diesen Umständen sollte man vermuten, dass es nicht besonders schwerfallen würde, einen Haushofmeister oder dergleichen zu finden, der bei reicher Entschädigung bereit war, ein Auge zuzudrücken, eine kleine Seitentür unbeobachtet zu lassen oder eine Pforte nicht ganz zu schließen.
Doch wie sich herausstellte, verhielt es sich ganz anders.
Fieschi hatte Himmel und Hölle in Bewegung setzen müssen, um jemanden zu finden, der sich schmieren ließ. Die Treue des Personals, das doch oft mehrere Monate hintereinander ohne Lohn blieb, schien unerschütterlich zu sein.
Schließlich hatte er mehr durch Zufall als durch direktes Nachforschen das schwache Glied in der Kette gefunden, nämlich in der Person eines Höflings, eines kleinen Adeligen aus der Provinz, dessen Treue nicht ganz so groß war wie die Notwendigkeit, seine im Lauf einer langen Pechsträhne angesammelten Spielschulden zu begleichen.
Das Geld war heimlich von Hand zu Hand gegangen, und die beiden Komplizen waren durch den Lieferanteneingang eingelassen worden, als das Fest bereits begonnen hatte.
Der Skorpion wusste nichts von diesen unerwarteten Hürden in letzter Minute, und selbst wenn er davon erfahren hätte, hätte er ihnen nicht mehr als einen flüchtigen Gedanken gewidmet.
Es kam allein darauf an, dass die beiden Männer dort standen, wo sie sein sollten.
Der Mörder senkte die Büchsenattrappe, und der erste der beiden trat aus dem Schatten und ging auf den Palast zu, während der zweite sich bereithielt.
Ein junger Kammerdiener, den Zane schon mehrmals in Melchiorris Wohnung gesehen hatte, gab ihm das erwartete Zeichen. Ohne Eile ging der Slawe in die angezeigte Richtung.
In der Nähe des Pavillons überzeugte er sich davon, dass sich keine Warteschlange vor dem Eingang gebildet hatte, teilte dann ohne Zögern die Vorhänge aus schwerer Leinwand und trat ein.
Das Innere war durch weitere Vorhänge in mehrere Kabinen unterteilt worden, eine Idee von Melchiorri, der ganz richtig vermutet hatte, dass die Gäste der Königin die dadurch garantierte Privatsphäre zu schätzen wüssten. Auch Zane dankte dem Feingefühl des Großmeisters, denn wenn es, wie meist üblich, nur einen Abort für alle gegeben hätte, wäre seine Aufgabe wesentlich schwieriger und riskanter gewesen.
Das Zelt war nicht voll in diesem Moment. Nur zwei Edelmänner befanden sich hinter den Vorhängen. Jede Kabine wurde von einer Öllampe beleuchtet, sodass man durch den hellen Leinenstoff erkennen konnte, ob sie besetzt war oder nicht. Die Unterteilungen waren zu beiden Seiten des kleinen Vorraums am Eingang angebracht, in dem die Gäste warten konnten, falls alle Kabinen besetzt waren.
Zane legte sich neben dem Eingang auf die Lauer, damit eine Person, die hereinkam, ihn nicht sofort sah. Diese hätte zwar nur den Kopf nach links drehen müssen, um ihn zu bemerken, zumal er bei seinem Umfang wirklich nicht zu übersehen war, aber Melchiorri hatte ihm versichert, dass derjenige, auf den er wartete, ganz andere Dinge im Kopf haben würde, als sich umzuschauen.
Der Slawe musst nur wenige Augenblicke warten. Auf einmal wurden die Vorhänge ruckartig aufgerissen, und eine kleine Gestalt in einer langen Kutte stürzte buchstäblich herein, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her. Sie verlor keine Zeit damit, einen Blick in die Runde zu werfen, sondern schoss direkt auf die erste freie Kabine zu.
Zane wartete zwei Wimpernschläge lang und folgte dann dem Mann in das Abteil.
Als er hörte, wie der Vorhang beiseitegeschoben wurde, konnte Bernardo Muti sich gerade noch umdrehen, dann traf ihn Zanes Faust an der Schläfe, und die Dunkelheit der Bewusstlosigkeit fiel jäh wie eine zuschlagende Tür über ihn herab. Zane löschte sogleich die an einer Zeltstange hängende Lampe, damit das Licht seinen Schatten nicht nach außen warf.
Im Halbdunkel knotete er den Strick auf, der seinen künstlichen Bauch zusammenhielt, zog die Kutte hoch und klemmte sie zwischen Kinn und Hals fest. Dann löste er die vier seitlichen Schnallen, mit denen die Polsterung an seinem Untergewand befestigt war, und ließ den dicken Ballen Wolle aus einer alten Matratze zu Boden gleiten. Nachdem er einen festen Hanfsack aus dem Gürtel gezogen hatte, beugte er sich über den reglosen Mönch. In der Dunkelheit ächzend hob er Mutis mageren Körper an und schob ihn in den Sack, und zwar so, dass er möglichst in kauernder Haltung blieb. Damit der Sack eine annähernd runde Form bekam, stopfte er ihn noch mit der Wolle aus, die er soeben abgelegt hatte.
Nachdem dies bewerkstelligt war, kniete er sich vor den Sack und schnallte ihn sich mit den Riemen, die daran hingen, um den Bauch. Das war kein leichtes Stück Arbeit, denn die Dunkelheit, die Eile und das Kunststück, die Kutte mit dem Kinn hochzuhalten, erschwerten ihm die Handgriffe, doch schließlich hatte er es geschafft.
Zane ließ die Kutte über seinen neuen, noch dickeren Wanst fallen und band die Gürtelschnur wieder unter dem Bündel fest, damit es beim Gehen nicht zu sehr hin und her wackelte.
Als er die Kabine verließ, war seine Stirn schweißnass. Die ganze Aktion hatte nur wenige Minuten gedauert, aber ihm kam es vor, als hätte er Stunden darin zugebracht.
Beim Verlassen des Zelts begegnete Zane einem älteren, sichtlich angeheiterten Adeligen, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Der Mann grüßte ihn mit einer ungeschickten Verbeugung, bei der er um ein Haar das Gleichgewicht verlor. Zane erteilte ihm daraufhin einen wohlwollenden Segen mit der rechten Hand, während er mit der linken seinen Bauch stützte. Der erste Teil des Plans wäre damit ohne Zwischenfälle erledigt, genau wie es der Großmeister prophezeit hatte.
Unter dem Gewicht seiner Last schwankend wünschte sich Zane, dass Melchiorris Vorhersagen für den nächsten Schritt genauso zutreffend sein würden.